Ein Jahr Kriegseskalation in der Ukraine: Wie Hilfe jetzt möglich ist – und was sie bewirkt

ZdK-Thema des Monats März 2023

Der 24. Februar 2022 markiert genau genommen nicht den Beginn des russischen Angriffskrieges. Das Datum war nur der Start zur Eskalation eines schon seit 2014 unter aktiver russischer Beteiligung schwelenden Kriegsgeschehens im Osten der Ukraine. Bis zum Februar 2022 waren im Kampf zwischen ukrainischer Armee und sogenannten „prorussischen Separatisten“, die jedoch unter Führung und mit Ausrüstung aus Russland kämpften, fast 14.000 ukrainische Militär- und Zivilangehörige zum Opfer gefallen. Seither sind noch einmal so viele Soldatinnen und Soldaten getötet worden. Hinzu kommen rund 7.000 Zivilisten. Die von Russland eskalierte Kriegsführung hat damit in einem Jahr mehr als eineinhalb Mal so viele Menschenleben gefordert wie sieben Jahre Krieg zuvor. Zusätzlich hat der gnadenlose Luftkrieg dazu geführt, dass sich die Angst der Menschen und Kriegszerstörungen nicht mehr auf die Peripherie des Landes im Osten und Süden beschränken, sondern auf die gesamte Staatsfläche der Ukraine ausgebreitet haben.

Welche Auswirkungen hat dies auf die weltkirchliche Arbeit in Deutschland? Die bisherige Arbeit von Renovabis, Caritas international, Kirche in Not u.a. oder auch von vielen deutschen Diözesen ging von einer stabilen europäischen Friedensordnung und einer Annäherung zwischen Ost und West aus. Die Kriegsgeschehen in Tschetschenien (2002), Georgien (2008), in Bergkarabach/Armenien (1992-94; 2020) und auch im Osten der Ukraine (2014 ff.) wurden gewissermaßen als ungemütliche Begleitmusik, als „Nachhall“ der Hochrüstung in einigen Regionen der Welt im Kalten Krieg gesehen, der man durch kurzfristige humanitäre Hilfsleistungen und Projekte zur Versöhnung entgegentreten konnte. Die jetzige russische Eskalation des Krieges in der Ukraine hat jedoch nicht nur die Grundlagen der bisherigen Friedensordnung endgültig zerstört. Die einseitige Aussetzung des START-Vertrages, des letzten bestehenden Atomwaffen-Kontrollvertrags, durch Russland weist in dieselbe Richtung. Seine vorgeschobene ethisch-moralische Rechtfertigung eines Kulturkampfes gegen den liberalen degenerierten Westen, sanktioniert von einer größtenteils staatlich willfährigen Russisch-Orthodoxen Kirche, trägt den Keim für jahrzehntelange neue Auseinandersetzungen zwischen Ost und West. Hinzu kommt die Gefahr durch eine ausgeklügelte russische Propagandamaschinerie, die ihr Spaltpotenzial in viele Gesellschaften Mittel-, Ost- und Südosteuropas und auch des Westens entfaltet.

Sollte das militärische Vorgehen Russlands gar Erfolg haben und es zu einer Teilung der Ukraine und dauerhaften Annexion ihrer Gebiete kommen, wird dies auch die Unabhängigkeit, Sicherheit und Eigenständigkeit aller anderen postsowjetischen Länder wie Republik Moldau, Georgien, Armenien und darüber hinaus auch weiterer Nachbarländer gefährden, die sich im früheren Einzugsbereich der UdSSR befinden.

In diesem Fall ist auch der in den vergangenen 30 Jahren u.a. von Renovabis und anderen deutschen weltkirchlichen Akteuren unterstützte Wiederaufbau kirchlichen Lebens und der bis jetzt erfolgte gesellschaftliche Neuaufbau auch in diesen Ländern grundlegend gefährdet. Dies zeigen die bisherigen Erfahrungen aus den annektierten Gebieten im Donbas eindrücklich, wo Kirchenangehörige aller Konfessionen und insbesondere der ukrainisch griechisch-katholischen Kirche verfolgt und Repressionen in schlimmster totalitärer Tradition ausgesetzt sind. Dieser Krieg hat, anders als die o.g. lokal begrenzten Konflikte, das Potenzial, das in 30 Jahren weltkirchlicher Aufbau- und Projektarbeit Erreichte zu zerstören. 

Renovabis stemmt sich mit Hilfe des Rückenwinds durch Spenderunterstützung gegen diese Gefahr und unterstützt die Ukraine mit allen Kräften. Seit 2014 und erst recht vom ersten Tag der Eskalation des Krieges an hat Renovabis die Projektpolitik an die besonderen Bedürfnisse der ukrainischen Partner angepasst: Mittlerweile wird verstärkt auf humanitäre Hilfsprojekte gesetzt – in ständiger Absprache mit Caritas international und den anderen im Katholischen Arbeitskreis Not- und Katastrophenhilfe (KANK) vernetzten kirchlichen Hilfswerken. Zielgruppen waren dabei hauptsächlich ukrainische Kriegsopfer und Geflüchtete innerhalb und außerhalb der Ukraine. Projektpartner waren neben den Orden, Caritas- und Laienverbänden insbesondere auch die ukrainischen griechisch-katholischen Eparchien bzw. römisch-katholischen Diözesen mit ihren insgesamt über 4.000 Pfarrgemeinden im ganzen Land.

Renovabis konnte dabei auf nachhaltige frühere Projekte aufbauen. Ein Beispiel sind die Schulungsprogramme, die schon seit 2012 zur Verbesserung und Qualifizierung der Pfarrgemeinden für die Caritasarbeit durchgeführt wurden. Sie vermittelten Priester und Laien Kernkompetenzen im Bereich des sozialen Projektmanagements auf Pfarreiebene auf der Basis von Grundwerten der katholischen Soziallehre wie Eigenverantwortung, Menschenwürde und Solidarität. Diese Programme standen im eklatanten Gegensatz zur alten Denkart aus sowjetischen Zeiten, wo der Staat „von oben“ für alle Bereiche der Daseinsvorsorge zuständig war und kontrollierte. Wir zielen darauf ab, mehr Verantwortung an die Gesellschaft zurückzugeben und die Eigeninitiative der Menschen zu fördern. Die langfristige Relevanz dieser Maßnahmen zeigte sich im Verlauf des letzten Jahres 2022: Die Organisation und Durchführung von sozialen Hilfsmaßnahmen zugunsten benachteiligter Bevölkerungsgruppen erwiesen sich als eine Blaupause zur Bewältigung der humanitären Katastrophe und Massenvertreibung. Wie wir heute wissen, hatte die Projektreihe „Qualifizierung der Pfarrgemeinden für Caritasarbeit“ nachweislich die Kompetenzen und Kapazitäten der Caritasstrukturen auf der direkt betroffenen Ebene der Pfarreien gestärkt.

Neben der Unterstützung der kirchlichen Partner – neben den Eparchien und Diözesen wären hier natürlich auch die Ordensgemeinschaften, die kirchlichen Bildungseinrichtungen u.v.m. zu nennen – in ihrem Dienst an Kriegsopfern und Geflüchteten sind als Nothilfemaßnahmen auch Strukturhilfen zu nennen: So bezuschusst Renovabis seit einem Jahr die Lohn- und Gehaltszahlungen für ärztliches und pflegendes Personal der zwei katholischen Krankenhäuser in Lviv und Ivano-Frankivsk ebenso wie Personalkostenzuschüsse für kirchliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der humanitären Hilfe. Dies gilt insbesondere für die Existenz- und Nothilfen für Priester und Ordensleute, die sich vor Ort seelsorgerlich und praktisch um alte und kranke Menschen und Flüchtlinge kümmern und selbst mit keinen Einnahmen aus Kollekten und lokalen Spenden ihrer Gläubigen rechnen können.

Mit anhaltender Dauer des Krieges geht es aus Sicht von Renovabis darum, die vorhandenen kirchlichen Strukturen in der Ukraine aufrecht zu erhalten, die Koordination der humanitären Hilfe durch Kirchen und Zivilgesellschaft weiter zu verbessern und die Partner von Renovabis zu ertüchtigen, an der internationalen Hilfe teilzuhaben. Daneben wird Renovabis auch die „normale“ Projektarbeit in den verhältnismäßig sicheren Gebieten der Westukraine fortsetzen, damit kirchliche Partner ihr pastorales und sozial-karitatives Wirken weiter entfalten können. Insgesamt kann dadurch ein Beitrag zur Resilienz und Widerstandskraft der ukrainischen Gesellschaft angesichts der Belastungen durch den Krieg geleistet werden, der lange Schatten der Sowjetunion abgestreift und das Land ein Stück näher an die Europäische Union herangeführt werden.

 

Dr. Markus Ingenlath

 

Haben Sie Fragen?

Telefon: +49 (0) 30 166380-630
E-Mail: presse(at)zdk.de

keyboard_arrow_up