UNITATIS REDINTEGRATIO – WIEDERHERSTELLUNG DER EINHEIT? 50 Jahre nach dem 21. November 1964

Prof. Dr. Dorothea Sattler im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort

I. RÜCKBLICKE

Es gibt einen kostbaren Gedanken des Literaten Peter Handke: „Vor jeder Begegnung: Denk, was der andere für einen Weg hatte“[1]. Was für jede persönliche Biographie gilt, das gilt auch für die Biographien, die Lebensgeschichten von sozialen Institutionen: Es ist gut, sich im Erzählen, im Hören aufeinander, der Anfänge und der Wege miteinander zu vergewissern, um die Gegenwart verstehen zu lernen. Wir sind heute in der Ökumene sehr dankbar dafür, dass unsere Schwestern und Brüder im Glauben an Christus Jesus mit uns auf unseren Weg in der Ökumene blicken – auch heute hier …

Nicht nur für die Thematik der Ökumene gilt: Das 2. Vatikanische Konzil begann vor seiner Eröffnung. Als am 11. Oktober 1962 die erste Sitzungsperiode durch den feierlichen Einzug von weltweit mehr als 2.300 Bischöfen in den Petersdom eröffnet wurde, da gab es das „Sekretariat für die Förderung der Einheit der Christen“ bereits; es wurde am 5. Juni 1960 von Papst Johannes XXIII. eingerichtet. In der Zeit des Konzils waren dort der deutsche Jesuit und Bibelwissenschaftler Augustin Bea und der Niederländer Jan Willebrands leitend tätig. Das Wirken beider war von unschätzbarem Wert für die Ökumene. 1961 hat die römisch-katholische Kirche erstmals eine Einladung, als Gast bei einer Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen zu sein, angenommen. Vertreter der römischen Kurie reisten 1961 nach New-Delhi. Diese Geste war sehr wichtig. Als Gegengabe haben Repräsentanten der nicht – römisch-katholischen Kirchen und der kirchlichen Gemeinschaften vor dem Konzilsbeginn die Einladung angenommen, als ökumenische Beobachter teilzunehmen – ohne Rederecht, auch ohne Stimmrecht – dennoch kamen sie.

[Bild von den Beobachtern]

Das Konzil begann vor dem Konzil. Die Gemeinschaft von Taizé geht auf die schweren Zeiten der letzten Kriegsjahre – die 40er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück. Die Mission einer geistlichen Ökumene ist bis heute unsere größte Hoffnung. Roger Schutz und Max Thurian waren Beobachter beim 2. Vatikanischen Konzil -  auch Edmund Schlink, ein lutherischer Theologe in Heidelberg, der einen eindrücklichen Rückblick auf seine Erfahrungen während des Konzils hinterlassen hat[2] - emotionsreich – wie immer in der Ökumene, wenn es ernst wird. Ohne Rederecht und ohne Stimmrecht waren sie dabei – auch die Vertreter der orthodoxen Kirchen, die Anglikaner, die Reformierten, die Freikirchen. Sie waren dabei – auf einer eigenen Tribüne, allen vor Augen. Die weiterführenden theologischen Gespräche fanden außerhalb der Konzilsaula statt. Bei diesen Beratungen durfte jeder sprechen. Wichtige Partien von „Unitatis Redintegratio“ sind in sehr späten Stunden am Abend und in der Nacht formuliert worden – bei den informellen Begegnungen, zu denen das Sekretariat für die Einheit der Christen eingeladen hatte. Bis heute lebt die Ökumene von den Begegnungen der Menschen, von der spontanen Sympathie füreinander, von den ökumenischen Tagzeitengebeten in spiritueller Dichte - auch von den oft sehr persönlichen Gesprächen bei Wein und Gebäck.

Die Ökumenische Bewegung, die in den Dokumenten des 2. Vatikanischen Konzils Anerkennung findet, begann viele Jahrzehnte vor dem Konzil. Die Ökumenische Bewegung – in der Regel wird ihr Beginn mit der Einberufung des Weltmissionskonferenz 1910 in Edinburgh angegeben – ist und bleibt eine Bewegung, die im nicht – römisch-katholischen Christentum ihre Wurzeln hat. Christinnen und Christen aus den reformatorischen und den orthodoxen Traditionen haben die Initiative zur Ökumene ergriffen. Die römisch-katholische Kirche blickte über viele Jahrzehnte mit großer Skepsis auf diese Entwicklungen.

Im Jahr 1928 bezeichnete Pius XI. die Getauften, die sich bei der Gründung der Bewegung für Glauben und Kirchenverfassung „Faith and Order“ 1927 in Lausanne in ökumenischer Verbundenheit versammelten, in seiner Enzyklika „Mortalium Animos“[3] fast spöttisch als „Panchristen“ und brachte eine große Sorge zum Ausdruck: „Man glaube nicht, es handle sich bei ihnen nur um vereinzelte kleine Gruppen. Im Gegenteil: sie sind zu ganzen Scharen angewachsen und haben sich zu weitverbreiteten Gemeinschaften zusammengeschlossen, an deren Spitze meist Nichtkatholiken der verschiedenen religiösen Bekenntnisse stehen.“ (Nr. 672), Der Papst hatte Sorge, dass „verderbliche und falsche Anschauungen in die Kirche des Herrn eindringen“ (Nr. 673); er rief zur „Abwehr dieses Übels“ (Nr. 673) auf; und Pius XI. beklagte sich darüber, dass „sich kein einziger [findet], dem es in den Sinn käme, sich der Lehre und der Leitung des Stellvertreters Jesu Christi zu unterwerfen und ihm zu gehorchen“ (Nr. 678). Daraus zieht er den Schluss: „Bei dieser Sachklage ist es klar, dass weder der Apostolische Stuhl in irgendeiner Weise an ihren Konferenzen teilnehmen kann, noch dass es den Katholiken irgendwie erlaubt sein kann, diese Versuche zu unterstützen oder an ihnen mitzuarbeiten“ (Nr. 679).

Wenn in der römisch-katholischen Kirche etwas verboten wird, dann gibt es das bereits längst – in der gelebten Praxis. Es waren zunächst die Laien, die durch ihre Erfahrungen vor Ort, durch ihre Begegnungen mit Christinnen und Christen aus anderen Konfessionsgemeinschaften den ökumenischen Geist und Sinn auch in der römisch-katholischen Kirche lebendig werden ließen. Im 2. Weltkrieg haben diejenigen zueinander gefunden, die für den auf der Grundlage des gemeinsamen christlichen Bekenntnisses gelebten Widerstand gegen den Nationalsozialismus den Preis der Lebensgefahr zahlten. Die Liturgische Bewegung, die Bibelbewegung, die Jugendbewegung – all diese Bewegungen waren bereits vor dem Konzil ökumenisch offen. Die Kirche soll wieder eine „Una Sancta“ sein – diese Sehnsucht ist auch heute noch lebendig in der „Arbeitsgemeinschaft Ökumenischer Kreise“.

Die ältesten ökumenischen Institutionen waren diakonisch motiviert. Heute blicken sie auf mehr als hundert Jahre des ökumenischen Handelns zurück: beispielsweise die Bahnhofsmission oder die Militärseelsorge mit den Geistlichen und den Krankenschwestern an den Fronten der Weltkriege. Die Lehre trennt, der Dienst eint – so lautet das Leitwort der Bewegung für Praktisches Christentum “Life and Work“. Heute ist dies in sehr vielen Bereichen zu erfahren – nicht zuletzt in der Klinikseelsorge, in den Pflegeeinrichtungen, in der Hospizbewegung, in der Trauerpastoral, an den Gedenkstätten für die Opfer von Terror und Gewalt.

II. EINBLICKE

[Bild von Sankt Paul vor den Mauern]

Als Johannes XXIII. am 25. Januar 1959 ankündigte, entschlossen zu sein, ein Konzil einzuberufen, war das Erstaunen, gar die Bestürzung sehr groß. Er wählte für seine überraschende Ankündigung ein Datum, das eine tiefe ökumenische Symbolik hat: das Fest der Bekehrung des Paulus, gefeiert in Sankt Paul vor den Mauern in Rom. Bis heute ist der 25. Januar ein ökumenischer Pflichttermin für den Bischof von Rom: Er geht nach Sankt Paul vor den Mauern und feiert einen Gottesdienst mit Geistlichen aus den anderen Kirchen. Von Paulus lässt sich in der Ökumene vieles lernen: Der Grund des christlichen Glaubens ist die Begegnung mit dem auferweckten Christus; Paulus kehrt um – immer wieder zur Mitte des Glaubens: Jesus Christus; Paulus hat durch seine theologische Argumentation auch den Heiden die Türen für Gottes Heil geöffnet. Paulus ist ein leidenschaftlicher Missionar. Paulus ist ein willkommener Patron für ein Ökumenisches Konzil – so sieht es Johannes XXIII. Seine Initiative löste in der Kurie – vornehm formuliert – Ratlosigkeit aus.

[Bild Urbi et Orbi]

Die Kurie war unvorbereitet auf Reformen. Mehr als drei Jahre arbeiteten dann die kurialen Kommissionen, und viele hatten vor allem eines im Sinn: Alles soll so bleiben wie bisher. Diese Rechnung ging nicht auf. Bereits am ersten Sitzungstag am 11. Oktober 1962 kam es zu Tumulten. Die Mehrheit der Bischöfe forderten andere Personen in der Leitung der Kommissionen und andere Textvorlagen. Sie setzten sich mit großer Mehrheit durch. Nach dem Tod von Johannes XXIII. im Juni 1963 hätte sein Nachfolger Paul VI. das Konzil für beendet erklären können. Er tat es nicht, vielmehr wählte er Paulus als seinen Namen, er ordnete die Themen neu, setzte wichtige theologische Impulse; und er ließ sich beraten – nicht zuletzt im Bereich der Ökumene, die ihm als Erzbischof von Mailand wenig vertraut war. Die Kurie kannte er. Diplomatie hatte er professionell erlernt.

Das Dekret über den Ökumenismus „Unitatis Redintegratio“ (UR) wurde mit 2137 Ja–Stimmen und 11  Nein–Stimmen am 21. November 1964 angenommen und feierlich promulgiert.[4] Eine Enthaltung ist als Stimmabgabe bei einem Konzil nicht vorgesehen. Fast in letzter Minute – am Tag vor der Schlussabstimmung - hatte Paul VI. unter Berufung auf seine päpstliche Autorität noch 19 Textänderungen eintragen lassen, um durch die Achtung der Anliegen der konservativen Minderheit der Konzilsväter die Aussicht auf eine große Zahl von Ja–Stimmen bei der Abstimmung zu erhöhen. Seitdem „finden“ unsere evangelischen Schwestern und Brüder Gott nicht mehr „unter Antrieb des Heiligen Geistes“ in den Heiligen Schriften, immerhin „suchen“ sie Gott unter „Anrufung des Heiligen Geistes“ (vgl. UR 21,2) – immerhin ... Kardinal Augustin Bea nannte diese Vorgänge in der „schwarzen Woche“ des Konzils im November 1964 später eine „organisatorische Entgleisung“[5].

Zu Beginn der Beratungen war im Blick auf die Konzeption des Dokuments zunächst zu klären, ob die christliche Ökumene in einem Dokument zusammen mit der Frage nach dem interreligiösen Dialog und mit der Thematik der Religionsfreiheit zu besprechen sei. Die strikte Trennung dieser drei Themenbereiche ermöglichte dann später nicht nur die Entstehung der „Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nicht-christlichen Religionen“ „Nostra Aetate“ sowie die Entstehung der „Erklärung über die Religionsfreiheit“ „Dignitatis humanae“, sondern stärkte das Bewusstsein für die in dem sakramentalen Band der einen Taufe begründete, bereits bestehende Einheit der Christgläubigen – der Christifideles, wie die Konzilsdokumente die Getauften oft bezeichnen. Die Gespräche mit den anderen Religionen – vorab mit dem Judentum – und die Dialoge mit den Nichtglaubenden sind aus Sicht der Konzilsväter sehr wichtig, sie haben jedoch eine andere Basis, eine andere thematische Ausrichtung und ein anderes Ziel als die ökumenischen Dialoge.

Das Ökumenismusdekret ist klar gegliedert: Ein Vorwort, eine Präambel steht zu Beginn (Nr.1). Das erste Kapitel behandelt die katholischen Prinzipien des Ökumenismus (Nr. 2 - 4). Das zweite Kapitel wendet sich der Frage nach der praktischen Verwirklichung des Ökumenismus zu (Nr. 5 - 12). Das dritte Kapitel geht auf Detailfragen im Verhältnis der Römisch-katholischen Kirche zu den von ihr getrennten Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften ein (Nr. 13 – 24). Dabei unterscheidet das Konzil zwischen den orientalischen Kirchen (Nr. 13 – 18) und den Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften im Abendland (Nr. 19 – 23). Der letzte Abschnitt (Nr. 24)  ist wie das Vorwort allgemein gehalten, mahnt vor Leichtfertigkeit und unklugem Eifer, erklärt die eigene „Überzeugung, dass dieses heilige Anliegen der Wiederversöhnung aller Christen in der Einheit der einen und einzigen Kirche Christi die menschlichen Kräfte übersteigt“ (Nr. 24) und besinnt sich daher auf die offenen Wege der göttlichen Vorsehung sowie auf die Wirksamkeit des Gebetes Jesu in den Reden vor seinem Abschied aus der irdischen Welt: Alle mögen eins sein, damit die Welt glaube, dass Gott ihn, Jesus Christus, gesandt habe (vgl. Joh 17,21). Wie kein anderer biblischer Text ist diese überlieferte Bitte Jesu Christi der Leitgedanke der Ökumenischen Bewegung.[6]

In dem gegenwärtig anlässlich des Konzilsjubiläums wieder neu spürbaren – auch kontrovers ausgetragenen - Ringen um einen angemessene Hermeneutik und einen rechten Umgang mit den Konzilsdokumenten wird immer wieder ein Rat formuliert: Lesen Sie das gesamte Dekret in der von ihm gewählten Gedankenführung – überschaubar ist ja die Textlänge: 21 Seiten im „Kleinen Konzilskompendium“, das wohl bei uns allen zu Hause im Bücherregal steht.[7] Wer sich kurz fassen muss – wie ich heute – ist genötigt, eine Auswahl zu treffen. Jede Auswahl verfolgt Interessen. Die eigenen Inter­essen offen zu legen, ist ein Gebot der Redlichkeit. Ich lese das Ökumenismusdekret mit dem Interesse, Ermutigung zu erfahren auf einem nicht selbst gewählten, sondern auf einem in Gottes eigenem Willen begründeten Weg zu jenem Ziel, das das Dekret mit der programmatischen Wahl seines lateinischen Namens selbst als „eine der Hauptaufgaben des Heiligen Ökumenischen Zweiten Vatikanischen Konzils“ (UR 1) angibt: die Wiederherstellung der Einheit – Unitatis Redintegratio.  

Auf welche Weise ermutigt das Ökumenismusdekret zum ökumenischen Handeln? Ich beschränke mich auf sieben Gesichtspunkte:

(1) Ermutigung zur nüchternen Wahrnehmung der Wirklichkeit

„Christus der Herr hat eine einige und einzige Kirche gegründet, und doch erheben mehrere christliche Gemeinschaften vor den Menschen den Anspruch, das wahre Erbe Jesu Christi darzustellen; sie alle bekennen sich als Jünger des Herrn“ (UR 1). Ökumenisches Handeln setzt die Bereitschaft voraus, das Selbstverständnis der anderen christlichen Traditionen, Kirche Jesu Christi zu sein, zu achten.

(2) Ermutigung zu einem gemeinsamen Bekenntnis zu Jesus Christus

„Nachdem der Herr Jesus am Kreuze erhöht und verherrlicht war, hat er den verheißenen Geist ausgegossen, durch den er das Volk des Neuen Bundes, das die Kirche ist, zur Einheit des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe berufen und versammelt [hat], wie uns der Apostel lehrt: ‚Ein Leib und ein Geist, wie ihr berufen seid in einer Hoffnung eurer Berufung. Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe‘ (Eph 4,4-5). Denn ‚ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen ... Ihr alle seid ja einer in Christus Jesus‘ (Gal 3,27-28)" (UR 2).

(3) Ermutigung zur geistlichen Ökumene

„Alle Christgläubigen sollen sich bewusst sein, dass sie die Einheit der Christen umso besser fördern, ja sogar einüben, je mehr sie nach einem reinen Leben gemäß dem Evangelium streben. (…) Diese Bekehrung des Herzens und die Heiligkeit des Lebens ist in Verbindung mit dem privaten und öffentlichen Gebet für die Einheit der Christen als die Seele der ganzen ökumenischen Bewegung anzusehen“ (UR 7 und 8).

(4) Ermutigung zum gemeinsamen sozialen Handeln

„Da in heutiger Zeit die Zusammenarbeit im sozialen Bereich sehr weit ver­breitet ist, sind alle Menschen ohne Ausnahme zu gemeinsamem Dienst gerufen (…). Durch die Zusammenarbeit der Chri­sten kommt die Verbundenheit, in der sie schon untereinander vereinigt sind, lebendig zum Ausdruck, und das Antlitz Christi, des Gottesknechtes, tritt in hellerem Licht zutage." (UR 12).

(5) Ermutigung zu ökumenischen Studien, Dialogen und Begegnungen

„Man muss den Geist und die Sinnesart der getrennten Brüder [und Schwestern] kennen (...) Dazu sind gemeinsame Zusammenkünfte, besonders zur Behandlung theologischer Fragen, sehr dienlich, bei denen ein jeder mit den anderen auf der Ebene der Gleichheit  spricht (‚par cum pari agat‘)“ (UR 9). Ausdrücklich sprechen die Konzilsväter davon, dass die Wiederherstellung der Einheit jeden in der Kirche angeht, Gläubige wie Hirten (vgl. UR 5).

(6) Ermutigung zu Unterscheidungen

„Alle in der Kirche sollen unter Wahrung der Einheit im Notwendigen je nach der Aufgabe eines jeden in den verschiedenen Formen des geistlichen Lebens und der äußeren Lebensgestaltung, in der Verschiedenheit der liturgischen Riten sowie der theologischen Ausarbeitung der Offenbarungswahrheit die gebührende Freiheit walten lassen, in allem aber die Liebe üben“ (UR 4).

(7) Ermutigung zu einer beständigen Reform der Kirche(n)

„Es gibt keinen echten Ökumenismus ohne innere Bekehrung“ (UR 7). Das Ökumenismusdekret greift in diesem Zusammenhang einen Gedanken in der Kirchenkonstitution „Lumen Gentium“ auf: „Sie [die Kirche] ist zugleich heilig und der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung“ (LG 8).

III. AUSBLICKE

Vieles wäre zu sagen zur Rezeption, zur Wirkungsgeschichte des Ökumenismusdekrets: Die römisch-katholische Kirche spricht seit dem Konzil in ungezählten Dialogen mit allen christlichen Traditionen über alle relevanten Themen. Die Zusammenarbeit mit dem Ökumenischen Rat der Kirchen ist auf internationaler Ebene solide organisiert und thematisch fruchtbar. In den Gemeinden und Verbänden lebt die Ökumene in geistlichen Feiern und im sozialen Handeln. Die theologischen Argumente für eine Anerkennung der evangelischen Ämter als apostolisch begründet sind gesammelt und verlangen nach einer kirchenamtlichen Beachtung, damit wahr werden kann, was so viele erwünschen: die eucharistische Gemeinschaft. Bis diese nicht erreicht ist, wird die Ökumenische Bewegung nicht ruhen – Gottes Geist wird uns immer wieder antreiben, das Ärgernis der Spaltung zu überwinden, von dem das Ökumenismusdekret gleich zu Beginn spricht (vgl. UR 1).

Nun möchte ich heute an diesem fröhlichen Festtag nicht mit der Erinnerung an die verbliebenen Kontroversen schließen. Ich möchte vielmehr einen Gedanken aufnehmen, den Karl Rahner wenige Tage nach dem Ende des 2. Vatikanischen Konzils am 12. Dezember 1965  in München formulierte: Rahner erinnert an die „alten Fragen, die immer die allerneuesten bleiben (…): wie man von Gott und seinem Dasein in der Mitte der Existenz des Menschen so reden könne, dass diese Rede bei Menschen von heute und morgen ankommt; wie man Christus inmitten einer evolutiven Weltanschauung so verkündigen kann, dass das Wort vom Gottmenschen und der Inkarnation des ewigen Logos in Jesus von Nazareth nicht wie ein Mythos klingt, den man im Ernst nicht mehr glauben kann; wie sich menschliche Zukunftsplanung und -ideologie zur christlichen Eschatologie verhalten; (…) wie und warum auch in der Zukunft einer fast geglückten Herrschaft des Menschen über seinen Daseinsraum das Kreuz bleibt, an dem der Mensch angenagelt ist, der Tod und die hoffende Geduld in der bleibenden Finsternis des Daseins der einzige Aufgang des ewigen Lebens sind“[8]. Und Rahner fügt hinzu: „ich meine, nur wenn die Theologien aller christlichen Bekenntnisse sich diesen Fragen gemeinsam neu stellen und nicht nur (obzwar es auch sein muss) die alten kontroverstheologischen Probleme immer weiter diskutieren, werden sie wahrhaft ökumenische Theologie treiben und sich näherkommen“[9].  

Vor der, von Rahner unmittelbar nach dem Ende des Konzils formulierten Herausforderung, die institutionellen Fragen der Ökumene enger mit dem christlichen Gottesbekenntnis zu verbinden, stehen wir noch immer.


Prof. Dr. Dorothea Sattler


[1] Peter Handke, Phantasien der Wiederholung, Frankfurt 1983, 42.
[2] Vgl. Edmund Schlink, Das Ringen um einen römisch-katholischen Ökumenismus im 2. Vatikanischen Konzil, in: Kerygma und Dogma 10 (1964) 169-191; ders., Das Ergebnis des konziliaren Ringens um den Ökumenismus der römisch-katholischen Kirche, in: Kerygma und Dogma 11 (1965) 177-194.
[3] Vgl. Pius XI., Mortalium Animos (6. Januar 1928), in: Anton Rohrbasser (Hg.), Die Heilslehre der Kirche, Freiburg 1953, 397-411 (Nr. 669-689).
[4] Vgl. zur Geschichte und Bedeutung des Ökumenismusdekrets: Bernd Jochen Hilberath, Theologischer Kommentar zum Dekret über den Ökumenismus Unitatis Redintegratio, in: Herdes Theologischer Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Bd. 3, Freiburg-Basel-Wien 2005, 69-223.
[5] Augustin Bea, Der Weg zur Einheit nach dem Konzil, Freiburg 1966, 41.
[6] Vgl. Wolfgang A. Bienert (Hg.), Einheit als Gabe und Verpflichtung. Eine Studie des Deutschen Ökumenischen Studienausschusses zu Johannes 17 Vers 21, Frankfurt / Paderborn 2002.
[7] Vgl. Karl Rahner / Herbert Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium. Sämtliche Texte des Zweiten Vatikanums, Freiburg 11966.
[8] Ebd., 44f.
[9] Ebd., 46.

 

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