Freitag, 7. Mai 1993

Dialog statt Dialogverweigerung. Wie in der Kirche miteinander umgehen?

(=Berichte und Dokumente, Nr. 90) (als Broschüre vergriffen)

Dialog statt Dialogverweigerung

Wie in der Kirche miteinander umgehen?

Diskussionsbeitrag der Kommisson 8 "Pastorale Grundfragen"

Zentralkomitees der deutschen Katholiken

 

Gliederung

 

Vorwort

Warum wir uns zu Wort melden

 

A. Not und Notwendigkeit einer dialogfähigen Kirche

1. Warum das wechselseitige Verstehen in der Kirche 

schwieriger geworden ist

1.1.     Pluralistische Kultur und dynamische Gesellschaft  

1.2      Antimoderne Tendenzen in der Kirche

1.3      Zeitmangel und Rollenvielfalt

2.         Wandel des kirchlichen Selbstverständnisses

2.1      Kirche als Volk Gottes auf dem Weg

2.2      Dialog - ein Leitwort des Konzils 

2.3      Spannungen der Nachkonzilszeit

3.         Suche nach angemessenen Strukturen

3.1      Überanstrengung des "guten Willens"

3.2      Struktureller und personaler Dialog  

3.3      Für eine dialogfähigere Kirche

 

B. Sprechversuche - Gehversuche - Neues Leben

1. Abschied vom Klerikalismus - Laien melden sich  zu Wort

1.1 Laien sind keine Dilettanten

1.2 Rat einholen, Kompetenzen respektieren, Sachverstand nutzen

1.3 Veränderung bejahen,Vertrauen investieren

2. Abschied vom Patriarchat - Frauen melden sich zu  Wort 

2.1 Zur Beschreibung des Phänomens

2.2 Die alte Antwort genügt nicht mehr 

2.3 Nicht Worte sondern Taten

3.        Abschied vom Zentralismus - Pfarrgemeinden melden sich zu Wort

3.1      Der Befund: Sand im Getriebe 

3.2      Veränderter Stellenwert der Pfarrgemeinden

3.3      Bedingungen für eine dialogische und kooperative Pastoral

3.3      Unsere Absicht: Dialoge anzetteln

 

Liste der Mitglieder, Berater und Sachverständigen der Kommission 

 

"Pastorale Grundfragen" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken  (Stand: Oktober 1991)

 

Vorwort

Das folgende Arbeitspapier mit dem Titel "Dialog statt Dialogverweigerung" hat die Komission 8 "Pastorale Grundfragen" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken erarbeitet. Das Präsidium des Zentralkomitees hat das Arbeitspapier eingehend beraten. Seiner Einschätzung nach ist der Text geeignet, in den katholischen Verbänden und Diözesanräten einen Dialog in Gang zu setzen. Darum leitet es das Arbeitspapier an die Mitglieder des ZdK, an die katholischen Verbände und die Diözesanräte weiter mit der Bitte, anhand dieses Textes die Frage nach dem Dialog in der Kirche breit zu diskutieren.

Das Präsidium des ZdK erwartet zu dem Arbeitspapier durchaus kontroverse Diskussionsbeiträge und Stellungnahmen. Es geht davon aus, daß die fällige Debatte helfen kann, den Dialog in der Kirche zu bedenken und voranzubringen. Die exemplarischen Felder, die im Text angesprochen werden, eignen sich seiner Meinung nach als Prüfsteine, an denen der Dialog in der Kirche untersucht werden kann.

Die durch das Arbeitspapier angestoßene Diskussion soll nach Wunsch des Präsidiums des Zentralkomitees in eine Aussprache in der Vollversammlung des ZdK im Herbst 1992 münden.

 

A.     Not und Notwendigkeit einer dialogfähigen Kirche

1.       Warum das wechselseitige Verstehen in der Kirche schwieriger geworden ist

Die Verständigungsschwierigkeiten in der Kirche und die damit verbundenen Enttäuschungen und menschlichen Verletzungen lassen die Frage dringlich werden, wodurch diese Schwierigkeiten bedingt sind. Viele suchen die Ursachen in erster Linie innerhalb der Kirche, in ihren Strukturen. Demgegenüber ist festzuhalten, daß sich die innerkirchlichen Kommunikationsprobleme weit eher durch Veränderungen im gesellschaftlichen Umfeld als durch binnenkirchliche Ursachen ergeben. Denn neue gesellschaftliche Rahmenbedingungen verändern auch die Bedingungen innerkirchlicher Verständigung. An zweiter Stelle steht der Umbruch in der Kirche, den das Zweite Vatikanische Konzil gewollt, eingeleitet und begleitet hat. Schließlich gehören zur Problembeschreibung personale und interpersonale Faktoren, insbesondere Zeitmangel und Rollendifferenz.

1.1. Pluralistische Kultur und dynamische Gesellschaft 

Schon seit Beginn der Neuzeit lassen sich Tendenzen zur Entkoppelung und Spezialisierung von Politik, Wirtschaft, Familie und Kirche beobachten. Deren Auswirkungen wurden durch die Industrialisierung verstärkt und spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg für jedermann spürbar. Diese sogenannte strukturelle und funktionale Differenzierung von Gesellschaft hat in ihren Konsequenzen unser Leben reicher, aber auch komplexer und damit schwieriger gemacht. An die Stelle einer gemeinsamen, alle Lebensbereiche überwölbenden Weltanschauung treten heute eine Vielzahl spezialisierter, häufig verwissenschaftlichter Sinndeutungen einzelner Lebensbereiche, die für jedermann Orientierungsschwierigkeiten und zunehmende Entscheidungskonflikte mit sich bringen.

Bis etwa zur Jahrhundertmitte wurden diese Entwicklungen für die deutschen Katholiken noch durch eine relativ homogene katholische Kultur aufgefangen. Vor allem drei Vorgänge haben in den letzten Jahrzehnten die in Abwehr der Modernisierung entstandene katholische Weltanschauung zunehmend unplausibel werden lassen:

-           Zunächst Flucht und Vertreibung in der Nachkriegszeit und die daraus resultierende Vermischung der Konfessionen und Traditionen auf dem Gesamtgebiet der heutigen Bundesrepublik. In Verbindung mit der gleichzeitigen ökumenischen Annäherung wurden die sozialen Distanzen zwischen Katholiken und Protestanten abgebaut, die bis dahin einen Schutzwall um das katholische Milieu gebildet hatten.

-           Sodann die wachsende Bedeutung des Fernsehens, das die vorherrschenden kulturellen Tendenzen auch in die überwiegend katholisch gebliebenen Gebiete brachte.

-           Schließlich die wirtschaftlichen Entwicklungen, der wachsende Wohlstand, die zunehmende Attraktivität der Erwerbstätigkeit für Frauen, die Steigerung der beruflichen Mobilität und die allgemeine Beschleunigung des soziale Wandels durch die technisch-wirtschaftlichen Fortschritte.

All dies zusammengenommen hat zu einer Entwertung von Tradition, zur Relativierung fester Bindungen und zur sogenannten Individualisierung der Gesellschaft beigetragen, mit deren Folgen wir heute zunehmend konfrontiert werden. Der soziale, wirtschaftliche, wissenschaftliche und kulturelle Wandel ist zur alltäglichen Erfahrung geworden, so daß Menschenheute ihr Leben nicht mehr in den alten Ordnungskategorien verstehen und an den bewährten Maßstäben ausrichten können und wollen. Sie erfahren sich mehr und mehr auf sich selbst als letzte Entscheidungsinstanz zurückgeworfen. Toleranz, Selbstverwirklichung, Lernen heißen denn auch die zentralen Parolen in einer sich als pluralistisch verstehenden Kultur und dynamisch gewordenen Gesellschaft, die sich zudem von der Produktions- zur Dienstleistungsgesellschaft entwickelt.

Welch weitreichende Konsequenzen das alles für die Kirche beinhaltet, läßt sich am  Beispiel der Weitergabe des Glaubens betrachten. Unter sozialen Bedingungen, in denen "die Kirche im Dorf" stand, wurden Kinder und Heranwachsende mit großer Selbstverständlichkeit in das religiöse Wissen und die Formen des kirchengemeindlichen Lebens eingeführt. Die größte Bedeutung kam dabei den Eltern, Verwandten und Nachbarn zu, nicht etwa dem Pfarrer oder dem Religionsunterricht. Ein durchgehender Zug der Modernisierung ist jedoch die wachsende Spezialisierung und Arbeitsteilung, und das drückt sich auch in der Einstellung der Menschen aus. Heute wird die Kirche immer mehr als eine spezialisierte Einrichtung für Religion betrachtet und daher "der Kirche" - und darunter verstehen die meisten nicht sich selbst als Glieder des Volkes Gottes, sondern die kirchlich Beauftragten, insbesondere die Hauptamtlichen - die Verantwortung für die religiöse Erziehung zugeschoben. Diese "Verkirchlichung des Christentums", d.h. die Identifikation des Christlichen mit der Kirche, stellt einen starken kulturellen Trend der Moderne dar, dem sich die Angehörigen beider Konfessionen nur schwer entziehen können. In dem Maße, in dem das Kirchliche nur noch mit dem "Amtskirchlichen" identifiziert wird, scheinen eine Verarmung des Christlichen und Religiösen und eine zunehmende Distanz zur Kirche fast unvermeidlich.

1.2 Antimoderne Tendenzen in der Kirche

Gemäß den päpstlichen Vorstellungen und den politischen Verhältnissen des Hochmittelalters und der frühen Neuzeit verstand sich die Kirche bis weit in dieses Jahrhundert hinein als monarchische Einheit. Die Weihehierarchie wurde entsprechend als organisatorisches Über- und Unterordnungsverhältnis umgedeutet. So entstand die Vorstellung von der Kirche als hierarchischer Sozialordnung: an der Spitze der Papst, darunter die Bischöfe, noch tiefer die Kleriker und schließlich die Laien, die letzteren zudem unterschieden nach Männern und Frauen. Für dieses Selbstverständnis von Kirche waren folgende Präferenzen charakteristisch:

-           Gesamtkirche vor Ortskirche (universalistisches Kirchenbild)

-           Amtsträger vor Gemeinden und Charismen (Klerikalismus)

-           Monarchische vor kollegialer Amtsstruktur (Zentralismus)

-           Einheit vor Vielfalt (Uniformität).

Theologisch ist dieses Sozialmodell heute weitgehend überwunden. In der kirchlichen Praxis spielt es jedoch immer noch eine erhebliche Rolle. So stellt die Konzentration aller kirchlichen Entscheidungsbefugnis beim Klerus eine sehr wirksame Grenze zu den Laien dar, die sich daher mit einer gewissen Zwangsläufigkeit an den Rand der Kirche gedrängt erfahren. Insbesondere in den letzten Jahrzehnten hat sich in nahezu allen Lebensbereichen der Anspruch der Menschen - und zumal der Frauen - verstärkt, an den sie betreffenden Entscheidungen beteiligt zu sein. Dieser Anspruch beruht auf tiefliegenden Wertorientierungen der Neuzeit, denen das oben gezeichnete, noch immer wirksame kirchliche Sozialalmodell als antimoderne Tendenz entgegensteht. Dem könnte man entgegenhalten: Das kirchliche Sozial-modell entspricht doch dem üblichen gesellschaftlichen Sozialmodell. Bei jeder Organisation akzeptieren wir die Grenze zwischen denen, die erstens eine Organisation leiten, zweitens ihr in nachgeordneter Stellung bzw. als Bedienstete angehören und drittens von ihren Leistungen, z.B. als Publikum, Kunden, Patienten oder Leistungsempfänger, abhängig sind. Warum wird dann aber die Dreiteilung zwischen Kirchenleitung, Hauptamtlichen und "einfachen Laien" in der Kirche problematischer gewertet als in anderen Lebensbereichen? Das hat im wesentlichen zwei Gründe:

-           Insbesondere in der katholischen Kirche herrscht noch immer ein hierarchischer Führungsstil, der mit einer gewissen Selbstverständlichkeit annimmt, daß Kompetenz, Verantwortung und Geistbegabung bei der kirchlichen Hierarchie in größerem Umfang vorhanden und daß deshalb alle wesentlichen Entscheidungen dort zu treffen seien.

-           Der auf die Behandlung spezieller Probleme oder Fragen konzentrierte unpersönliche Verhandlungsstil moderner Organisationen wird im Zusammenhang mit der Kirche als besonders unangemessen und störend empfunden, weil hier in noch stärkerem Maße als anderswo die Erwartung einer menschlichen, d.h. personenbezogenen Kommunikation herrscht. Kirche wird gewünscht als tragfähige Gemeinschaft, in der personale Begegnung möglich ist. Wir tun dieses zu Recht, weil der Anspruch der Mitmenschlichkeit, das Ernstnehmen des Menschen in seiner komplexen liebenden und leidenden Einzigartigkeit den Lehren und Hoffnungen des Christentums entspricht.

1.3 Zeitmangel und Rollenvielfalt

Es besteht ein Zusammenhang zwischen unserem Zeitmangel und der Zunahme unserer Lebensmöglichkeiten, wie sie aus der allgemeinen Wohlstandssteigerung resultieren. Je größer das Angebot an Lebensmöglichkeiten - von der Vielfalt der Lebensstile und Rollen, dem Überangebot an Gütern bis zur Vielzahl der Vereinigungen, die um unsere Aufmerksamkeit, unsere Sympathie und unser Engagement werben - desto mehr erfahren wir, daß die Zeit nicht ausreicht, um all das zu realisieren, was uns wünschenswert und erreichbar erscheint. Im ständig wachsenden Zeitmangel liegt wohl einer der tiefsten Gründe für das Nichtgelingen menschlicher Begegnung und für die Verständigungsschwierigkeiten auch in der Kirche.

Ein zweiter, nicht weniger folgenschwerer Grund für diese Schwierigkeiten ist die stärkere Rollendifferenzierung. Sie ist ebenfalls eine notwendige Folge unserer Fortschrittsgesellschaft, der Preis für unseren Wohlstand. Ein und derselben Person fallen in schnellem Wechsel verschiedene Rollen mit je eigenen Regeln und unterschiedlichen Erwartungen zu. Der Wechsel zwischen oft nur schwer miteinander vereinbaren Rollen verlangt hohe Flexibilität. So ist beispielsweise ein Generalvikar Chef einer kirchlichen Verwaltung gegenüber seinen Mitarbeitern, Seelsorger unter anderen Seelsorgern und Seelsorgerinnen, Mitglied seiner Familie, Zeitgenosse in der bürgerlichen Gesellschaft. Der ständige Rollenwechsel wie auch die Klärung, welche Rolle man selbst und die anderen jeweils zu spielen haben, erschwert menschliche Begegnungen und bringt Verständigungsschwierigkeiten mit sich.

2.       Wandel des kirchlichen Selbstverständnisses

Das Zweite Vatikanische Konzil brachte nicht nur eine Reihe von äußeren Veränderungen in Liturgie und Disziplin, sondern führte die Kirche vor allem dazu, ihr Selbstbild als pyramidal strukturiertes Sozialgebilde zu korrigieren.

2.1 Kirche als Volk Gottes auf dem Weg

Wie in altkirchlicher Zeit begann sich die Kirche wieder als Volk Gottes auf dem Weg, als umgreifende Gemeinschaft der Heiligen zu sehen. Zwar nahm das Konzil im drittem Kapitel der Kirchenkonstitution das traditionelle hierarchische Modell wiederum auf, stellte ihm aber im zweitem Kapitel betont ein "gemeinschaftliches" Modell von Kirche voran. Hier stehen die gemeinsame Würde und Berufung, die fundamentale Ebenbürtigkeit aller Glieder des Gottesvolkes im Vordergrund. Aus dieser Sicht haben alle, Laien wie Kleriker, eine unmittelbare Beziehung zu Christus und nehmen an seinem Priestertum sowie am prophetischen Amt und am Dienst der Einheit teil. Deshalb ist die Ausübung des spezifisch bischöflichen Amtes ohne eine innere Beziehung zu den Erfahrungen und Begabungen der vielen, die zusammen das Volk Gottes ausmachen, nicht möglich. Die Bischöfe sind daher auch in der Ausübung ihres spezifischen Amtes auf die Lebenserfahrung und die Inspiration der Gläubigen und den Dialog mit ihnen angewiesen. Denn das durch die Geschichte pilgernde Gottesvolk wird gerade in einer Zeit beschleunigter gesellschaftlicher Wandlungen seinen Glauben nur weitergeben können, wenn es die stets neue Aneignung und Ausformulierung des Glaubens mit den sich wandelnden Lebenserfahrungen vermittelt.

Dies war und ist die große Vision des Konzils - abzulesen insbesondere an der Kirchenkonstitution "Lumen gentium" -, die sowohl der Intention des Evangeliums wie den tiefsten Bedürfnissen unserer Zeit entspricht: Alle Getauften und Gefirmten tragen mit ihren je eigenen Gaben zum Aufbau des Leibes Christi und zur Sendung der Kirche in der Welt bei. Dieser Gedanke bestimmt nicht nur das Verhältnis der Bischöfe untereinander, sondern prägt auf allen Ebenen die Lebensvollzüge der Kirche in Wechselseitigkeit, Dialog und Kooperation. Was früher Brüderlichkeit genannt wurde und heute richtiger Geschwisterlichkeit heißt, ist ein durchgehendes Lebensprinzip der Kirche, welches das Konzil nicht zuletzt auch im Gedanken der Kollegialität ernst genommen hat. Im Zusammenwirken von Ortskirche und Weltkirche, von Gemeinden und Diözese, von Gemeinden, Bewegungen, Initiativgruppen und Verbänden wird kraft des Heiligen Geistes, durch das Miteinander und Füreinander der vielfältigen Kräfte und Glieder, die Einheit des Leibes Christi erhalten und vertieft. Auf diesem Hintergrund hat sich dann auch die Beziehung zwischen den Amtsträgern und den anderen Gläubigen im Gottesvolk durch Partizipation und Kommunikation, durch wechselseitiges Geben und Nehmen, durch gemeinsame Teilhabe an den Heilsgütern auszuzeichnen.

Die Außerordentliche Bischofssynode 1985, die zwanzig Jahre nach dem Konzil Bilanz zog, hat dieses hoffnungsvolle Bild von Kirche nachdrücklich in Erinnerung gerufen: "Die  'Communio'-Ekklesiologie ist die zentrale und grundlegende Idee der Konzilsdokumente. Die Koinonia/Communio, die in der Heiligen Schrift gründet, genoß in der Alten Kirche und in den Ostkirchen bis heute hohes Ansehen. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil geschah viel, damit die Kirche als 'Communio' klarer verstanden und konkreter ins Leben umgesetzt wurde." (Schlußdokument II C 1)

2.2 Dialog - ein Leitwort des Konzils

Der in der Communio-Ekklesiologie begründete Dialog sollte nach dem Willen des Konzils den obrigkeitlichen Leitungsstil in der Kirche ablösen. Kirche als Gemeinschaft der Schwestern und Brüder Jesu Christi ist in unserer Zeit unbedingt auf das Verständigungsmittel Dialog angewiesen. Dialog ist für das Konzil jedoch nicht bloß eines der höchsten Kulturgüter der Moderne, das die Kirche zu würdigen und zu gebrauchen hat, das Konzil lotet in der theologischen Begründung so tief, daß es eine Kirche ohne Dialog als dem Willen Gottes widersprechend bezeichnet:

-           In seiner Offenbarung "redet der unsichtbare Gott aus überströmender Liebe die Menschen an wie Freunde und verkehrt mit ihnen, um sie in seine Gemeinschaft einzuladen und aufzunehmen" (Dei verbum 2). Also: Gott im Dialog   mit dem Menschen um der Communio willen, der Gemeinschaft des Menschen mit Gott selbst und der Menschen untereinander.

-           In der dialogischen Gestalt seiner Offenbarung teilt sich der dreifaltige Gott mit, der in sich selbst dialogische Gemeinschaft von Vater, Sohn und Geist ist. Der dreifaltige Gott, seine dialogische Gemeinschaft ist das "höchste Vorbild und Urbild" der Kirche (Unitatis redintegratio 2). Also: Gott ist im Dialog mit uns, er spricht nicht nur selber, sondern wartet auf unsere freie Zustimmung und Gefolgschaft (Gaudium et spes 17), weil es den  Dialog in Gott selber gibt.

-           Wenn aber Gott so ist und so handelt, sind die Konsequenzen für die Gemeinschaft der Gläubigen unausweichlich: Kirche im Dialog mit anderen Religionen und mit der Gesellschaft -  Dialog in der Kirche   als Ausdruck der katholischen und der ökumenischen Gemeinschaft. Die Kirche soll "zum Zeichen jener Brüderlichkeit (werden), die einen aufrichtigen Dialog ermöglicht und gedeihen läßt. Das aber verlangt von uns, daß wir vor allem in der Kirche selbst, bei Anerkennung aller rechtmäßigen Verschiedenheit, gegenseitige Hochachtung, Ehrfurcht und Eintracht pflegen, um ein immer fruchtbareres Gespräch zwischen allen in Gang zu bringen, die das eine Volk Gottes bilden, Geistliche und Laien. Stärker ist, was die Gläubigen eint als was sie trennt. Es gelte im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem die Liebe." (Gaudium et Spes 92)

-           Diese Maßgabe des Konzils hat ihre Wirkung nicht verfehlt. In kritischer Reaktion auf als Bevormundung wahrgenommene Entscheidungsvorgänge wächst seit dem Konzil das Bewußtsein der Gläubigen:<BI>  Wir alle sind Kirche!<BI>   Der zunehmende kirchliche Gemeinsinn vieler Laien und Kleriker ist eine große Hoffnung für die Kirche. Aus der Botschaft des Konzils von der Kirche als Volk Gottes auf dem Weg beginnen sie, für sich Konsequenzen zu ziehen. Mehr und mehr Frauen und Männer begreifen sich als für die Kirche verantwortlich und erwarten, als Verantwortliche ernstgenommen zu werden.

2.3 Spannungen der Nachkonzilszeit

Allerdings, die Verwirklichung der konziliaren Vision steckt noch ganz in den Anfängen. Der Aufbruch des Konzils stagniert. Vielfach fallen kirchliche Organe wieder in längst überholt geglaubte Verhaltensmuster zurück. Zum Beispiel wird eine Reihe von Bischofsernennungen der jüngsten Zeit von vielen in diesem Sinne gedeutet.

Das seit dem Konzil gewachsene Bewußtsein "Wir alle sind Kirche!" reibt sich zunehmend an einem Leitungsstil, den viele für überwunden hielten. Nicht nur viele engagierte Laien, auch viele Amtsträger leiden unter dieser Entwicklung, während andere sich dem Leidensdruck durch Distanzierung entziehen. Dieser Leitungsstil trägt weniger patriarchale als vielmehr administrativ-bürokratische Züge. Seine Ursache ist weniger klerikale Selbstgefälligkeit als eine wachsende Verunsicherung und Überforderung der Amtsträger, die sich außerhalb wie innerhalb der Kirche mit rapiden Veränderungen konfrontiert sehen. Von denen, die diesen Stil für angebracht halten, wird er mit der Notwendigkeit begründet, den nachkonziliaren "Wildwuchs" durch wirksame Kontrollmaßnahmen zurückzuschneiden. Da als Ursache des "Wildwuchses" vor allem Säkularismus und Glaubensschwäche diagnostiziert werden, greift man auf Ordnungs- und Führungsmuster zurück, die sich angeblich in ähnlichen Krisensituationen bewährt haben: etwa in der sogenannten Modernismuskrise zu Beginn dieses Jahrhunderts.

Problematisch an der gegenwärtigen Form der Kirchenleitung ist denn auch nicht die Existenz einer Amtshierarchie im Sinne von Papst und Bischöfen. Ärgerlich ist der Umstand, daß kirchliche Strukturen heute eine eigenartige Mischung von vormodernen Legitimationen und modernen Organisationsformen darstellen, deren theologischer Verbindlichkeitsanspruch den Gläubigen kaum mehr zu vermitteln ist. Ein Beispiel: Wer als Initiator einer gemeinnützigen und zum Teil aus kirchlichen Mitteln zu finanzierenden Einrichtung Erfahrungen gesammelt hat, weiß, daß die kirchlichen Stellen in den Generalvikariaten sich ähnlich verhalten wie weltliche Amtsstellen. Es dürfte schwer zu verstehen sein, daß auch im Bereich der kirchlichen Organisation ähnliche Phänomene von Anonymität, Verrechtlichung, Ökonomisierung und Schematisierung zu beobachten sind, die heute als problematische Aspekte sozialer Dienstleistungen im gesellschaftlichen Bereich thematisiert werden.

Offenbar lernt auch die Kirche nur in langen und mühsamen, von Hoffnung und Zweifel geprägten Lernprozessen, ihr neues Selbstverständnis "in Tat und Wahrheit" zu verwirklichen.

3.       Suche nach angemessenen Strukturen

Der hierarchische Zentralismus ist ein wenig lernfähiges System. Im Bereich der übrigen gesellschaftlichen Lebensbereiche, nunmehr auch im Osten, wird er mehr und mehr durch lernfähigere Systeme und Strukturen ersetzt. Hier gilt es zunächst den "Hebel" anzusetzen.

3.1       Überanstrengung des "guten Willens"

Die vorherrschende innerkirchliche Wahrnehmung der Dialogschwierigkeiten und Kommunikationsstörungen neigt dazu, sie primär menschlicher Schwäche zuzuschreiben. Auch wenn nicht zu bestreiten ist, daß einzelne, insbesondere charismatische oder gewandte Persönlichkeiten in der Lage sind, die Kommunikationsschranken zu überspringen, die aus den strukturellen Gegebenheiten resultieren, wird man dieses doch nicht als Regelfall einfordern dürfen. Allen Beteiligten muß klar sein, daß die angesprochenen Kommunikationsstörungen nicht im "bösen Willen" der einen oder anderen Seite gründen - im Gegenteil. Es ist die ständige Überanstrengung des "guten Willens", ein moralischer Voluntarismus, der durch asketische Kraftakte ersetzen will, was ihm an vertrauensvoller Wahrnehmung der Wirklichkeit fehlt. Es hat sich ein unseliger Moralismus in der Kirche eingeschlichen, der ein Klima gegenseitiger moralischer Bewertung schafft, Sündenböcke sucht und Angst verbreitet.

Die von den Betroffenen oft als verständnislos oder hartherzig empfundenen Reaktionen kirchlicher Dienststellen und Amtsträger sind von diesen selbst in der Regel ganz anders gemeint. Sie gehen von bestimmten Vorstellungen über kirchliche Solidarität aus. Viele von ihnen wären möglicherweise sogar bereit, einer Änderung der bestehenden Ordnung zuzustimmen, sehen sich aber "aus Treue zur Kirche" veranlaßt - und hierunter wird dann der Papst und die gegebene institutionelle Ordnung verstanden -, nach dem Buchstaben eben dieser Ordnung zu entscheiden. Hier jedoch gibt es keine Struktur, die es den Gläubigen, selbst den Priestern und Bischöfen, gestatten würde, nachdrücklich auf eine Änderung dieser Ordnung hinzuwirken.Dieser Tatbestand führt bei vielen Engagierten, die an schöpferischer Erneuerung der Kirche bzw. der Gemeinden und an glaubwürdiger Verkündigung des Glaubens in der Welt von heute interessiert sind, zu Ohnmachtsgefühlen und angesichts fehlender Berufungsinstanzen nicht selten zu depressiven oder aggressiven Reaktionen. Resignation und schleichende Distanzierung von der Kirche haben somit nicht nur Ursachen in der schwieriger gewordenen Vereinbarkeit von Christentum und Alltag, in persönlichem Fehlverhalten und Ungenügen, sondern durchaus auch in den Strukturen, welche die innerkirchliche Kommunikation bestimmen.

3.2 Struktureller und personaler Dialog 

Wenn wir aus dieser verfahrenen Situation herauskommen wollen, müssen wir die kirchlichen Probleme anders definieren und angehen. Dies wird hier durch Bestimmung von Kirche als Communio und von kirchlicher Kommunikation als Dialog versucht. Beide Begriffe verweisen aufeinander: die Erfahrung von Kirche als Communio setzt die Erfahrung des Dialogs voraus. Dialog kann dabei ein zweifaches bedeuten: Dialog zwischen Personen und Dialog zwischen "Welten".

 Dialog als interpersonale Kommunikation   meint einen Umgang zwischen Menschen, die einander in ihrer Freiheit und Ganzheit ernstnehmen, die aufeinander eingehen, sich vertrauensvoll einander öffnen und bereit sind, ihre Ansichten in der Auseinandersetzung mit anderen aufs Spiel zu setzen. Solche Kommunikation kann zwischen Eltern und ihren heranwachsenden Kindern, gelegentlich auch zwischen Freunden und Freundinnen erfahren werden. Sie ist aber auch charakteristisch für Streitgespräche, die mit einer gegenseitigen Bereicherung enden, und für Glaubensgespräche im eigentlichen Sinne. Solche Dialoge dienen zweifellos der Glaubwürdigkeit und vermögen auch nachhaltige Wirkungen auf die Glaubensvermittlung zu erreichen. Aber sie werden doch immer an bestimmte Situationen gebunden und Ausnahmen bleiben.

Das Entscheidende solchen Dialogs besteht nicht in den Gesprächsinhalten, sondern in der Beziehung zwischen entsprechenden Personen, die im Gespräch nicht aufgeht. Denn bei dialogischen Sozialbeziehungen geht es nicht um eine bestimmte Funktion oder Leistung, sondern um die Person des Gegenüber und das Interesse an eben dieser Person in ihrer Identität. Im Gegensatz zu den üblichen, funktionsorientierten Gesprächen kann hier also ein Gesprächspartner nicht ausgewechselt werden, ohne daß der Sinn der Beziehung zusammenbricht.

Von Dialog und Dialogfähigkeit wird jedoch häufig noch in einem anderen Sinn gesprochen: bei der Begegnung zwischen "Welten", die aus strukturellen Gründen aneinander fremd geworden sind. Man denke an den Dialog zwischen Kirche und Arbeitswelt, zwischen Theologie und Profanwissenschaft, zwischen Laien und Priestern, zwischen Rom und den Diözesen wie auch unter den Bischöfen. Hier geht es weniger um das Ernstnehmen der Identität des Gesprächspartners in seiner individuellen Ganzheit als um das Ernstnehmen einer bestimmten Sache. Die Dialogpartner sind in diesem Falle als Personen wenigstens zum Teil austauschbar, da sie in der Regel als Organ einer Personenmehrheit oder einer bestimmten Organisation auftreten. Dialog besagt in diesem Fall ein Sich-Einlassen auf das Anliegen des anderen als Repräsentanten, weniger auf die Beziehung zu ihm als Person. Dies verlangt die Bereitschaft, in bestimmten Fragen von anderen zu lernen, d.h. die Prämissen des eigenen Handelns zu verändern. Von einem dialogischen Verhältnis kann aber nur gesprochen werden, wenn beide Seiten die Offenheit aufbringen, sich aufeinander zu zubewegen. Wenn nur eine Seite lernbereit ist, kann Dialog nicht gelingen. Die Offenheit führt dann entweder zur Überlegenheit, weil der Offene mehr zu lernen imstande ist, oder zur Unterlegenheit, weil der Unbewegliche möglicherweise der strukturell Mächtigere ist.

Dialog in diesem Sinn bedeutet also Kommunikation, die Systemgrenzen überspringt, indem man versucht, die Perspektive derer, die ein anderes "System" repräsentieren, mit in Betracht zu ziehen und zu einem über den bloßen Interessenausgleich hinausgehenden Ergebnis zu gelangen.

Die beiden Typen von Kommunikation, für die das Wort "Dialog" angemessen erscheint, sind deutlich zu unterscheiden. Dennoch ist nicht zu übersehen, daß dialogische Beziehungen im zweiten, Systemgrenzen überwindenden Sinn um so eher gelingen, je mehr die Vertreter der einzelnen Systeme sich auch als Personen wechselseitig wahrnehmen und achten. Man denke an berühmte konfliktüberwindende Politikerbeziehungen, wie zwischen De Gaulle und Adenauer oder Reagan und Gorbatschow. Wo die Menschen einander fremd geworden sind, kann symstemübergreifende Kommunikation durch bloßen Interessen- und Schlagabtausch kaum gelingen.

Genau hier bedarf es der  Weisheit des Christentums, das das Person-Sein des Menschen für unverzichtbar auch für das Zusammenleben der Menschen hält. Wo Systemgrenzen und Interessengegensätze ein antagonistisches, mißtrauisches Verhalten nahelegen, kann dieses durch die von Sympathie abhängige und personal orientierte Verläßlichkeit von Personen überbrückt werden, kann durch vertrauensvolle Zusammenarbeit eine produktive Problemlösung gefunden werden. Dies wird umso eher möglich, je mehr sich Menschen gemeinsamen Werten verpflichtet fühlen und je mehr diese Werte auch echtes Vertrauen einschließen. Es müßte doch wohl am Christentum etwas sein, das es Menschen leichter macht, miteinander dialogisch umzugehen, nämlich die Hoffnung nicht nur auf sich selbst, sondern stets auch auf seine Mitmenschen zu setzen und sogar das Risiko des Scheiterns einzugehen.

3.3 Für eine dialogfähigere Kirche

Zur Verbesserung der Dialogfähigkeit kann und muß sowohl bei Menschen als auch bei Strukturen angesetzt werden. Soziale Strukturen zwingen nicht zu einem bestimmten Verhalten, aber sie begünstigen manche Haltungen und Handlungsweisen und behindern andere. Hierzu einige Überlegungen:

-           Mitmenschlicher Umgang setzt einen  Vertrauensvorschuß   voraus, der gegenüber jedem Menschen bis zum Erweis des Mißbrauchs berechtigt ist. Dieses Vertrauen muß sich im kirchlichen Zusammenhang insbesondere auf zwei Dimensionen erstrecken: auf die Bereitschaft des einzelnen, sein Tun unter die Maßstäbe des Glaubens und die Verbundenheit mit seiner Kirche zu stellen, und auf die notwendigen Fähigkeiten. Natürlich gebietet es die Klugheit, bei der Wahl von Personen nach dem Grundsatz "Die richtige Frau, der richtige Mann an dem richtigen Platz!" zu handeln, also bei der Übertragung von Aufgaben auf Fähgikeiten, Fertigkeiten, Motivationslage und bereits erbrachte Leistungen Rücksicht zu nehmen. Wenn aber eine Aufgabe übertragen wird, müssen auch die notwendigen Befugnisse zur Erfüllung dieser Aufgabe übertragen werden.

-           Mitmenschlicher Umgang in der Kirche setzt das  Ernstnehmen  der anderen voraus, sowohl hinsichtlich ihrer Person als auch hinsichtlich ihrer Auffassungen und Sachkompetenzen. Ein zentrales Problem betrifft die Zeitnot des heutigen Menschen. Personale Beziehungen brauchen Zeit und ebenso dialogisches Aufeinanderzugehen. Diese Zeitnot läßt sich nur dadurch bewältigen, daß man verzichten lernt und sich in Freiheit Zeit für bestimmte Ziele nimmt. Dem modernen Menschen wird daher eine völlig neue Form der Askese -  Zeitaskese - abverlangt, die weit weniger im Gehorsam als im bewußten Verzicht auf ein Übermaß an Möglichkeiten besteht um der Konzentration willen auf das, was einem wesentlich ist.

-           Wir müssen lernen, die Entscheidungen anderer Menschen anzunehmen. Wir müssen akzeptieren, daß andere nicht für alles Zeit haben, was uns wichtig ist. Laien neigen z.B. allzuoft dazu, Priester und Bischöfe zu überfordern, indem sie ihnen eine Art Allzuständigkeit zumuten, der sie selbst ebensowenig gewachsen wären wie jene. Umgekehrt stellt die Tatsache, daß die meisten Christen durch berufliche und familiäre Verpflichtungen stark beansprucht sind und daß diese Beanspruchung mit der zunehmenden Erwerbstätigkeit auch der Frauen immer umfassender wird, eine Grenze der ehrenamtlichen Verfügbarkeit für kirchliche Aufgaben dar. In allen Beziehungen gilt es daher, die Grenzen der Verfügbarkeit zu respektieren.

-           Der Umstand, daß kommunikative und erst recht dialogische Formen der Aufgabenerledigung mehr Zeit brauchen als administrative, läßt sie häufig "unrationell" erscheinen. Zweifellos gibt es viele Aufgaben, die sich zweckmäßiger rationell und routinemäßig   erledigen lassen, auch und gerade im Hinblick auf die Verfügbarkeit von Zeit für die kommunikative Erledigung der notwendigsten Aufgaben. Wichtig ist jedoch, daß unter den Beteiligten darüber gesprochen und entschieden werden kann, was denn als wesentliche Aufgabe und was als Routineangelegenheit zu behandeln ist.

-           Neben der Routinisierung stellt die Delegation   eine wesentliche Form der Vereinfachung dar. Indem Aufgaben und die damit verbundenen Befugnisse an bestimmte Personen - in der Regel auf Zeit - übertragen werden, kann sich derjenige, dem grundsätzlich die Verantwortung dafür zusteht, entlasten und für andere Aufgaben freihalten. Nur im Falle offenkundigen Versagens muß ihm das Eingriffsrecht zugestanden bleiben.

Der zuletzt genannte Gesichtspunkt verweist bereits auf die ergänzende Bedeutung  struktureller Entscheidungen, wo sich die soeben skizzierten Grundsätze im übertragenen Sinn ebenfalls anwenden lassen. Übergeordnete Instanzen sollten nachgeordneten Instanzen Kompetenzen belassen, Verantwortung nach klar umrissenen Grundsätzen delegieren und Angelegenheiten nur aufgrund vorab festgelegter Kriterien wieder an sich ziehen können. Jede Delegation von Kompetenzen stellt einen Vertrauensvorschuß dar, der den Verantwortlichen im Regelfall von selbst zu einem höheren Pflichtgefühl motiviert. Solche Verantwortung sollte nur dann entzogen werden, wenn von den eingeräumten Zuständigkeiten erwiesenermaßen schlechter Gebrauch gemacht wird. In die gleiche Richtung weist der Grundsatz der Subsidiarität, den die katholische Soziallehre in Auseinandersetzung mit den Zentralisierungstendenzen und den Zuständigkeitsansprüchen des modernen Staates formuliert hat. Es gilt, ihn auch auf die innerkirchlichen Beziehungen anzuwenden.

 

B. Sprechversuche - Gehversuche - Neues Leben

1. Abschied vom Klerikalismus - Laien melden sich zu Wort

Die Berufung der Laien durch den Herrn selbst in Taufe und Firmung und ihre Teilhabe an seinem priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt sind die Grundlage einer eigenständigen und eigenverantworteten Laienarbeit in Kirche und Welt. Dem steht die Rede entgegen, daß Laien Rechte "zuerkannt" werden, daß das Amt ihnen Aufgaben "delegiert", daß sie "in Vertretung" des Amtsträgers handeln, wo es in Wirklichkeit um ihre genuinen Rechte und Aufgaben geht.

Dadurch entstehen unweigerlich Spannungen, die die Laienarbeit in der Kirche lähmen. Die Herausforderung zu persönlich verantwortetem Handeln im beruflichen, öffentlichen und auch persönlichen Leben einerseits und die häufig erfahrene Bevormundung bei kirchlichem Engagement andererseits klaffen für viele Laien - selbstbewußte Frauen und Männer - immer deutlicher auseinander.

Zudem: wo die Kirchenleitung Laien nicht mehr in ihrer originären Kompetenz zur Weltgestaltung ernstnimmt - und Kirche deshalb nicht mehr ernsthaft in der Welt wirkt -, bleibt sie den Kulturen und Gesellschaften ihrer Zeit jenen Dienst schuldig, den das Zweite Vatikanische Konzil programmatisch so formuliert: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihrem Herzen seinen Widerhall fände... Darum erfährt diese Gemeinschaft sich mit der Menschheit und ihrer Geschichte wirklich engstens verbunden." (Gaudium et spes 1)

1.1 Laien sind keine Dilettanten

In den Konzilstexten und auch in nachkonziliaren Dokumenten finden sich zahlreiche, prägnante Aussagen über die gleiche Würde und die gemeinsame Sendung aller Getauften und Gefirmten. Eindringlich wird über das Miteinander und Zueinander von Laien und kirchlichem Amt gesprochen und die unmittelbare Berufung der Christen zum Dienst in Kirche und Welt hervorgehoben.

In der Praxis setzt sich dieses Bewußtsein erst langsam durch. Laien werden immer noch und immer wieder als "Lückenbüßer" in Anspruch genommen, wo das kirchliche Amt sich aus verschiedenen Gründen nicht mehr verständlich machen kann. Allzuoft wird in kirchlichen Erklärungen gedankenlos davon gesprochen, daß der Laie durch den Priester zum Christen geformt und daß sein Glaubenssinn gestärkt werden soll - als sei der Laie nur Objekt der Seelsorge ohne eigene Entscheidungs- und Mitsprachefähigkeit. Solche Redeweisen fördern das Mißverständnis, Laien seien weniger gläubig, Kleriker aber im Vollbesitz des Glaubens.

Die Würde des Laien wird auch durch die in Diskussionen auftauchende Gefahr berührt, die Sachkompetenz der Theologen - Laien wie Kleriker - über die Glaubenskompetenz der anderen Getauften und Gefirmten zu setzen. Mancher Konflikt in der Kirche ist in dieser Schematisierung grundgelegt. Besonders ärgerlich ist dies, wenn es sich um die zeitgemäße Umsetzung ethischer Grundsätze in das tägliche Leben handelt. Auch geschieht es nicht selten, daß die Kompetenz von Laien nicht genützt, ihr Rat nicht eingeholt wird. Wichtige Entscheidungen erfahren Laien aus der Zeitung, wenn sie schon längst unabänderlich sind, sollen sie dann aber als treue Töchter und Söhne der Kirche nach außen mit vertreten. Sicher ist dabei selten Absicht im Spiel. Aber auch Gedankenlosigkeit ist ein Zeichen fehlender Wertschätzung.

Besonders frustrierend ist jedes Gespräch mit Amtsträgern, wenn die Beteiligten sich des Eindrucks nicht erwehren können, daß sich hinter einer zur Schau getragenen Freundlichkeit letztlich Gleichgültigkeit gegenüber den Argumenten verbirgt. In solch scheinbar freundlicher Atmosphäre erscheint Kritik als unangemessene Aggression. Kritisierende geraten in das Licht unchristlichen Handelns. So erstirbt nach und nach jede ernsthafte Beratung: Die Versammlung beschränkt sich darauf, Dinge so zu beraten und zu beschließen, daß von vorneherein die volle Zustimmung des Amtsträgers sicher ist. Kritische Mitglieder ziehen sich zurück, während diejenigen bleiben, denen die Behandlung einer Tagesordnung mit voraussehbaren Ergebnissen genügt.

Folgt man dem Bericht von Pastoral- und Gemeindereferentinnen und -referenten, empfinden viele Priester deren Mitarbeit im eigentlich pastoralen Bereich - und sei es auch nur unbewußt - als unangenehme Konkurrenz und stehen deshalb ihrem Dienst innerlich ablehnend gegenüber. Dem entspricht eine Praxis, die Laienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter nicht zu Dienstgesprächen zuzieht, ihnen wichtige Informationen vorenthält, sie nicht an der Erarbeitung des pastoralen Konzepts beteiligt, ihre Initiativen unterbindet und ihnen ungeliebte, wenig erfolgversprechende Aufgaben überträgt, die den Keim des Scheiterns in sich tragen. Auf dem Hintergrund derartiger Erfahrungen klingt dann die Bezeichnung "Laie" herabsetzend im Sinne von "Dilettant", "Hobby-Christ", "blutiger Laie". Dabei ist die ursprüngliche Wortbedeutung ein Ehrentitel: "Glied des Volkes Gottes".

So dreht sich - mit unangemessenem Aufwand - ein Teil der Diskussion um die Definition des Laien und seiner richtigen Bezeichnung, anstatt seinen Auftrag in den Blick zu nehmen und ihn in die Tat umzusetzen.

1.2       Rat einholen, Kompetenzen respektieren, Sachverstand nutzen

In der Kirchenkonstitution setzte das Konzil den Maßstab für eine dialog- und kooperationsfähige Kirche, in der Laien und Kleriker sinnvoll zusammenarbeiten: "Entsprechend dem Wissen, der Zuständigkeit und hervorragenden Stellung, die sie (die Laien) einnehmen, haben sie die Möglichkeit, bisweilen auch die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, zu erklären. (Die Bischöfe) sollen gern deren klugen Rat benutzen, ihnen vertrauensvoll Aufgaben im Dienst der Kirche übertragen und ihnen Freiheit und Raum im Handeln lassen, ihnen auch Mut machen, aus eigener Initiative Werke in Angriff zu nehmen ... In den Laien wird so der Sinn für eigene Verantwortung gestärkt, die Bereitwilligkeit gefördert ... (Die Bischöfe) können mit Hilfe der Erfahrung der Laien in geistlichen wie in weltlichen Dingen genauer und besser urteilen." (Lumen gentium 37)

Der ernstgenommene, oft und gerne gegebene, wo notwendig auch kritische Rat ist ein äußerst wirksames Mittel der Mitwirkung aller am Auftrag der Kirche.

Im nachkonziliar erneuerten kirchlichen Gesetzbuch von 1983 ist ausdrücklich von der Bedeutung des Rates die Rede: "Wenn der Rat gefordert wird, ist die Handlung eines Oberen rechtsunwirksam, der diese Personen nicht hört; obgleich der Obere keineswegs verpflichtet ist, sich ihrer, wenn auch übereinstimmenden Stellungnahme anzuschließen, darf er dennoch ohne einen seinem Ermessen nach überwiegenden Grund von deren Stellungnahme, vor allem von übereinstimmenden, nicht abweichen." (CIC 1983 c. 127 <185> 2.2) Wenn es weiter heißt, daß alle, deren Rat erforderlich ist, verpflichtet sind, "ihre Meinung aufrichtig vorzutragen", so bedeutet dies zugleich, daß ihre aufrichtige Meinung auch ernsthaft in Erwägung gezogen werden muß (CIC 1983 c. 127 <185> 3). Ähnliches schreibt das Grundgesetz Art.103 Absatz 1 im verfassungsrechtlichen Gebot des rechtlichen Gehörs vor. Der Rat ist daher kein Gerede, kein bedeutungsloses Redenlassen. Ohne Grund einen Rat ausschlagen heißt Recht verletzen und Vertrauen enttäuschen. Das ist schlimmer, als eine Regel zu verletzen.

Gemeinsames Beraten setzt auf eine  Kultur des Aufeinanderhörens. Sie bewährt sich im Vertrauen darauf, daß auch der Andersdenkende das Wohl des Ganzen im Auge hat, daß er bereit ist, die fremde Erfahrung genau und offen anzuhören, dann aber auch die eigene zu äußern und miteinander ins Gespräch zu kommen, daß er den Willen hat zu einer verbindlichen Übereinkunft wie auch den Respekt davor, daß oft verschiedene Erfahrungen und Meinungen ihre Berechtigung haben.

Kritik ist also nicht verboten, sie ist notwendig. Aber sie muß immer in Wahrhaftigkeit, mit Mut und Klugheit, mit Ehrlichkeit und Liebe geschehen (Lumen gentium 37). Dazu kann auch die Pflicht gehören, seine Meinung "den übrigen Gläubigen kund zu tun" (CIC 1983 c. 212 <185> 3), d.h. konstruktive Kritik auch öffentlich zu äußern.

Dialogbereitschaft verlangt nach  Räumen des Dialogs.   Deshalb kommt den Räten in der nachkonziliaren Kirche unverzichtbare Bedeutung zu. Die Diözesanpastoralräte als Gremien gemeinsamer Verantwortung von Laien und Klerikern existieren in manchen deutschen Bistümern nicht mehr, obwohl sie im CIC 1983 ausdrücklich vorgesehen und von der Gemeinsamen Synode der Bistümer als Anordnung beschlossen sind. Auch Papst Johannes Paul II. hat in seinem Lehrschreiben "Christifideles laici" den Bischöfen in aller Welt die Einrichtung von Diözesanpastoralräten dringend nahegelegt. Sie seien auf Diözesanebene "die wichtigste Form der Mitarbeit und des Dialogs sowie der gemeinsamen Urteilsbildung. Die Mitwirkung der Laien in diesen Räten kann die Möglichkeiten der Konsultation erweitern sowie das Prinzip der Mitwirkung - die in einzelnen Fällen auch Mitentscheidung ist - auf breiterer Basis und intensiver zur Anwendung kommen lassen" (ebd. Nr. 25). Unverzichtbare Voraussetzung für die fruchtbare Arbeit in den Pastoralräten auf allen Ebenen ist, daß der Rat wirklich aufrichtig gesucht und nicht als notwendiges Übel in einer demokratischen Gesellschaft hingenommen wird.

Zur Tugend des Regierens gehört nicht zuletzt die Demut, von der es in der Benediktusregel heißt: "Der Abt soll alles mit Rat tun", und wenn es sich um etwas Wichtiges handelt "alle zur Beratung beiziehen, weil der Herr oft einem Jüngeren offenbart, was besser ist"

(ebd. Kapitel 3).

1.3 Veränderung bejahen,Vertrauen investieren

In der Kirche gilt es, mehr auf den Heiligen Geist als Motor des Dialoges und der menschlichen Zuwendung zu setzen als auf die eigenen Fähigkeiten. Nur so wird die Kirche wahrhaft katholisch, d.h. weit und bereit zur lebendigen Vielfalt, offen für Neues.

-           Ein erstes Bewährungsfeld für diese Bereitschaft zur Veränderung und zum Vertrauen sind  geeignete Strukturen des Dialogs und der Konfliktbewältigung.   Wo der Dialog scheitert und Konflikte andauern, muß es Einrichtungen zur Schlichtung und zum Rechtsschutz im Sinne eines geordneten Streitverfahrens geben. Es ist eine Lücke des neuen Kirchenrechts, daß es Schiedsstellen und eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit - obwohl von der Würzburger Synode als Votum beschlossen - nicht vorsieht. Denn so bleibt Laien bei Mißachtung ihrer Mitwirkungsrechte, bei ungerechter Zurückweisung oder Herabsetzung, so bleibt Vereinen bei Beschneidung ihrer  Koalitionsrechte derzeit nur der Rekurs auf den Bischof oder der Weg einer Beschwerde nach Rom.

-           Das zweite Bewährungsfeld ist der Dialog unter den Hauptamtlichen. Die Kirche in Deutschland hat eine erfreulich große Zahl von theologisch ausgebildeten Laien, die teilweise als Gemeinde- und Pastoralreferentinnen      und -referenten tätig sind. Gerade sie versehen eine Reihe originärer Laienaufgaben. Um der immer wieder beklagten Dauerabhängigkeit der Laien von den Priestern entgegenzuwirken, müssen klare Dienstordnungen und eindeutige arbeitsrechtliche Vorgaben für Laienmitarbeiterinnen und -mitarbeiter entwickelt werden, die auch eine Zuständigkeit für bestimmte Aufgaben und den Raum für eigenverantwortliches Handeln gewährleisten. Doch Regelungen, wie perfekt auch immer, entheben nicht der Mühe, eine gutes Dienstverhältnis zwischen gleich kompetenten Personen aufzubauen. Hier nur an den guten Willen zu appellieren hilft nicht. Es braucht Einrichtungen, in denen Laien und Kleriker unter fachkundiger Leitung kommunikatives Tun und konstruktives Streiten, wirksames Delegieren und gegenseitigen Respekt vor der Eigenständigkeit des/der anderen und seinen/ihren je spezifischen Aufgaben lernen und einüben können.

-           Ein drittes Bewährungsfeld könnte man nennen: die  Sach- und Lebenskompetenz von Laien ernstnehmen  . Immer wieder werden wesentliche Gebiete der Laienarbeit unter dem Etikett eines ausufernden Begriffs von Pastoral den Seelsorgeämtern eingegliedert. Pastoral als Auftrag für das Heil des ganzen Menschen beschreibt den Auftrag aller Christen, nicht nur den des kirchlichen Amtes. Wird Pastoral allerdings ausschließlich als das verstanden, was Aufgabe des Pastors ist, wird der Begriff zur Zuständigkeitsbeschreibung und schließt damit eigenständige Laieninitiativen aus. Bei diesem Verständnis von Pastoral gibt es letztlich keine kirchliche Lebensäußerung mehr - sei sie meinungsbildender, sozialer, finanzieller, wirtschaftlicher oder politischer Natur -, die man nicht unter die "pastorale", d.h. amtliche Verantwortung bringen kann. Einen Freiraum der Laienarbeit gibt es dann nicht mehr; die Autonomie der weltlichen Sachbereiche, die gerade die Laien nach dem Konzil besonders herausfordern sollte, bleibt unbeachtet. Danach soll es möglich sein, daß zum Beispiel die Umweltbeauftragten der Bistümer Laien sind, daß die Caritas von Laien geleitet wird, daß auch die Finanzverwaltung in die Hände von Laien gelegt wird, daß die Ideen von Laien zum Tragen kommen bereits bei Vorbereitungen von Heiligsprechungen, Diözesanjubiläen, Papstbesuchen, Wallfahrten, daß die Initiativen des Diözesanpastoralrates ernsthaft gehört werden und die Beratungen von Diözesansynoden und Diözesanforen Auswirkungen haben.

Laien wie Kleriker könnten am Ende seufzen: "Eure Anregungen in Ehren, aber was sollen wir denn noch alles leisten!" Diese Klage wurde auch in unserer Kommissionsarbeit immer wieder laut. Aber wie Energie sparen zuerst Energie kostet, so kosten auch Veränderung, Vertrauen und Dialog Zeit, Kraft und Ideen. Aber - das ist aus Erfahrung unsere Überzeugung - diese Investitionen zahlen sich aus nicht nur für die, denen der Dienst der Kirche zugute kommt, sondern ebenso für die, die sich in den Dienst der anderen stellen. Hierzu der Bericht eines Pfarrers aus unserer Kommission:

"Die Einzelseelsorge wird größtenteils von den Leuten selbst übernommen: Hilfe bei der Trauerarbeit, Beziehung zu Geschiedenen, aus der Kirche Ausgetretenen, Anteilnahme bei schwierigen Schwangerschaften, Integration von Neuzugezogenen... Auch einige aus der Kirche Ausgetretene und einige der am gottesdienstlichen Leben kaum Teilnehmenden rechne ich zu den Säulen der Pfarrei, den Seelsorgern. Ein tragfähiges pastorales Netz ist im Entstehen, das natürlich noch weiter ausgebaut und, wenn Stricke reißen, auch öfters geflickt werden muß. Auch die Seelsorge an mir nimmt teilweise die Pfarrei wahr. Diskret durch persönliche Hinweise, meist von Frauen, öffentlich durch ein Gedicht beim Pfarrfest oder bei anderer Gelegenheit bekomme ich einen beherzten Beichtspiegel vorgehalten. So tragen wir uns gegenseitig: Nach einer kurzen telefonischen Verständigung hat eine Frau ausländische Theologiestudenten bei Familien einquartiert, die ein sechswöchiges Arbeitscamp in Betrieben der Umgebung veranstalten. Sie ist zugleich die Seelsorgerin der Gastgeber. - In der Jahresschlußandacht halten der Pfarrgemeinderatsvorsitzende und der Kirchenpfleger, die beide wirklich keine professionellen Redner sind, einen Rückblick über das Jahr: Die Jahresschlußandacht ist seitdem ein sehr attraktiver Gottesdienst geworden. - Für die Zukunft wünsche ich mir, daß Laien auch Brautunterricht und Taufkatechese übernehmen. Auch sollten sie später die Hälfte der Verkündigung durch ihre eigene Glaubenserfahrung bestreiten; denn bisher kommt ohnehin schon ein Großteil jeder Predigt aus der Gemeinde, aus den Beobachtungen, von denen meine eigene Verkündigung lebt. Insgesamt erlebe ich meine Landgemeinde gerade in der angenommenen Unvollkommenheit  und in unseren schritthaften Bemühungen als ein ermutigendes Beispiel, wie Männer und Frauen, Priester und Laien, Kirchendistanzierte und kirchlich Gebundene gemeinsam und partnerschaftlich Gemeinde aufbauen."

2. Abschied vom Patriarchat - Frauen melden sich zu Wort

Frauen und Männer finden in den europäisch orientierten Gesellschaften ein neues Miteinander. Das Patriarchat ist überholt, die Umkehrung der Verhältnisse im Sinne eines Matriarchates ist nicht die Lösung. In diesen Prozeß sind alle gesellschaftlich relevanten Institutionen einbezogen, unter ihnen selbstverständlich auch die Kirchen.

Das Verhältnis von Frauen und katholischer Kirche ist zwiespältig geworden. Frauen identifizieren sich stark mit ihrer Kirche und engagieren sich hier. Zugleich erfahren sie eine Zurückweisung, die mehr ist als vereinzelte und zufällige Verweigerung, an den Entscheidungsprozessen und Leitungsstrukturen teilzuhaben. Das labil gewordene Verhältnis zwischen Frauen und Kirche läßt sich nicht mehr dadurch in den Griff bekommen, daß die eine oder andere Ungerechtigkeit beseitigt wird. Die Situation zeigt, wie fremd kirchliche Wirklichkeit gegenüber weiblichen Lebenszusammenhängen und Lebenserwartungen geworden ist. Die Stimmen, die leise oder laut, vereinzelt oder gemeinsam diesen Zustand beklagen, sind nicht mehr zu überhören; sie fordern Aufmerksamkeit.

Für die Konzilsväter des Zweiten Vatikanums bestand mit Blick auf die Frauenfrage zumindest in der Konzilsdebatte weder ein Klärungs- noch ein Handlungsbedarf. Das ist anders geworden: Die Kirchen sehen sich auf allen Ebenen mit den Anfragen von Frauen konfrontiert. Der kirchliche Beitrag zur Lösung der - auch gesellschaftlich bedeutsamen - Grundsatzfragen ist eingefordert. Auch und gerade die Kirche als Bewahrerin der befreienden Botschaft Jesu muß ihren Beitrag zu einem neuen Miteinander von Frauen und Männern bezüglich Geschlechterrelation und Machtverteilung leisten.

2.1 Zur Beschreibung des Phänomens

In den Beratungen unserer Kommission zeigte sich, daß wir gemeinsam trotz unterschiedlicher Erfahrungsräume und Lebenslagen die folgende Charakteristik der Situation, verfaßt von einer Mitautorin dieser Schrift, für zutreffend halten. Die pointierte Sprache sehen wir als notwendig an, um den Kern der Problematik offenzulegen.

"Frauen heute lieben ihre Kirche und leiden an ihr. Das verbindet sie untereinander, das verbindet sie mit ihren Schwestern und Müttern durch die Jahrhunderte, das verbindet sie mit allen, die in dieser Kirche kein Zuhause finden, weil sie hier ihr unverwechselbares Leben nicht einbringen können, keine Stimme haben, offen oder versteckt unterdrückt und abgewertet werden und ausgeschlossen sind von der Macht

Ein Blick in die Geschichte - ohne Glorifizierung - zeigt, daß seit den ersten Tagen des öffentlichen Auftretens Jesu Frauen mit seinen befreienden Worten und Taten leben, mit seiner Botschaft des nahen Gottesreiches. Frauen nahmen in der Nachfolgegemeinschaft der Glaubenden als die ersten Verkünderinnen der Auferstehung Jesu einen einmaligen Platz ein. Ihnen kam unüberholbare Bedeutung zu als Prophetinnen und Mystikerinnen, als Gemeindeleiterinnen, als Heilende und Heilige, als Menschen mit reichen Begabungen und vielfältigen Berufungen. Frauen gründeten Orden und Lebensgemeinschaften, trugen zur Bildung der Unwissenden bei, zur Linderung von Not, zur Tröstung der Trauernden und zur Weitergabe des Glaubens. Sie entwickelten vielfache Identifikationsmuster und Lebensformen - auch für Frauen ohne Familie -, die ihnen Selbstbestimmung ermöglichten, Anerkennung und Sicherheit gaben und sie mit Kraft und Mut ausrüsteten. Durch die individuelle Ausgestaltung ihrer Frömmigkeit wurden sie zu Meisterinnen der Seelenführung und eröffneten so sich und anderen in der Kirche einen Raum, in dem sie ihre Fähigkeiten zur vollen Entfaltung bringen konnten und ihre Erwartungen an ein gelingendes Leben erfüllt sahen. Die Schönheit der Liturgie, die Verläßlichkeit des Kirchenjahres, die Strukturierung der Lebenszeit durch den Wechsel von Alltag und Festtag gaben Frauen hohe Befriedigung. Die Verpflichtung zum Meßbesuch war ihnen nicht nur Last, sondern schuf ihnen auch Freiraum im ununterbrochenen Beschäftigtsein mit den Nöten und Sorgen für Familie und Haus. Die Übernahme, Gestaltung und Weitergabe von Brauchtum sprach ihre Kreativität und Lebensfreude an. Die ihnen vorgegebenen Ordnungen in der Kirche hielten und stützten sie sicher in Sinn- und Identitätskrisen. Die Hochschätzung ihres Rates und ihrer Hilfe vermittelte ihnen das Gefühl sinnerfüllten Daseins. Und so ist es für manche Frau auch heute noch.

Doch nicht nur dieses harmonische Bild gilt es vom Leben der Frauen in und mit der Kirche zu zeichnen. Frauen wurden mit kirchlicher Billigung und sogar auf ihre Weisung hin grausam verfolgt, nur weil sie Frauen waren. Sie brannten als Ketzerinnen und Hexen. Frauen wurden durch ein früh ausgeprägtes und theologisch legitimiertes dualistisches Menschenbild an Klischees gebunden, die ihren individuellen Begabungen und Berufungen nicht nur nicht entsprachen, sondern ihnen zuwiderliefen, sie beschnitten und sie sogar zerstörten. Die Lebenszyklen von Frauen, ihre Erfahrungen, Träume, Tränen und Lieder fanden kaum Eingang in Liturgie und Verkündigung. Frauen wurden zur Herrschaftssicherung von Männern mißbraucht und auf ein asymmetrisches Geschlechterverhältnis verpflichtet, das dem einen das Amt und die Würden, der anderen die Arbeit und den Gotteslohn zusprach. Die Lebensangst und Leibfeindlichkeit von Mönchen und Theologen prägte die Verbindung Frau-Leib-Sünde und brachte ein ideologisch verengtes Marienbild hervor, das Frauen entmündigte und als Indikator der Unterdrückungsgeschichte von Frauen gelten kann. Frauen wurden nicht gehört und nicht verstanden, wenn sie kirchliche Vorschriften und Riten als lieblos empfanden, wenn sie sich wehrten gegen quälende und herabsetzende Beichterfahrungen, wenn sie ausgeschlossen wurden und werden von kirchlichen Diensten. Frauen wurden und werden zu 'Brüdern'. Durch die Jahrhunderte - und auch heute noch - erlebten Frauen sich in der Kirche als Objekte männlichen Allmachtsstrebens und männlicher Aggression, aber auch männlicher Angst. Trotzdem haben Frauen die befreiende Rede Jesu und seine revolutionären Taten nicht vergessen. Oft erst im 'Nach'-Denken entdecken sie ihre Wunden, entdecken sich fast immer als Opfer und nur selten als Täterin. Ihr Leiden hat tiefe Wurzeln.

Frauen warten nicht länger, weder in Gesellschaft noch in Kirche. Sie holen Indiskretion und Verletzung, Mißachtung und Enttäuschung, Zurücksetzung und Unfreiheit, die ihnen als Frauen zugemutet worden sind, aus dunklen und gut gehüteten Verstecken. In Frauenbewegungen, Frauenverbänden, Frauenorden, gemeinsam mit anderen und allein überwinden sie Isolation, Sprach- und Mutlosigkeit und wehren sich. Sie werden sich ihrer Zahl und ihrer Kraft bewußt. Sie erkennen ihre Bedeutung für das Leben in den Gemeinden und Ortskirchen und entdecken voller Staunen und Anerkennung die Leistungen ihrer Schwestern und Mütter. Sie werden sich deren Mutes und Engagements bewußt. Sie lernen die eigene religiöse Biographie kennen und gewinnen Einsicht in die Lebenswege anderer Frauen. Frauengeschichte und Frauengeschichten sind ihnen kein verborgener Schatz mehr, weil sie sie befreien vom Staub und von der Erblindung durch die Jahrhunderte. Kraft wächst ihnen zu zur generationen- und kulturübergreifenden Solidarität. Frauen gewinnen - auch in der Kirche - an Selbst- und Verantwortungsbewußtsein, an Autonomie und Solidarität. Sie weigern sich, um einer ungestörten Tradition willen einer geteilten Wirklichkeit für Männer und Frauen zuzustimmen. Sie wollen ihre reichen Lebensformen und Lebenserfahrungen in das Leben von Kirche und Gesellschaft einbringen. Sie finden und benennen ihre Wünsche und Probleme, ihre Forderungen und Plagen. Frauen beginnen zu erzählen und rufen nach Gerechtigkeit, nach Aussprache über die Schuld des Sexismus, die ihre Brüder und Väter auf sich geladen haben. Frauen geben sich nicht mehr mit beschwichtigenden oder drohenden Theorien und Theologien zufrieden. Sie fordern den gleichen Anteil an Macht und Entscheidung. Sie lassen sich nicht mehr 'Brüder' nennen und nehmen Verwundungen in Kauf, wenn sie im Bewußtsein ihrer Gottesebenbildlichkeit zu fragen und zu kämpfen beginnen. Frauen wollen auch und gerade in der Kirche eine auf Freiheit und Gerechtigkeit gegründete Pluralität, die sie nicht mehr ausgrenzend als den größten Teil der Glaubenden benachteiligt. Frauen rufen nach Gegenseitigkeit und Symmetrie in Beziehungen von Männern und Frauen in der Kirche, nach Beseitigung diskriminierender Bibelauslegung, nach Abschaffung ungerechter Rechtssätze und patriarchaler Strukturen.

Frauen heute wägen ihre Kräfte ab. Sie sind in vielen Bereichen mehr und anders gefordert als ihre Mütter. Sie wollen und müssen ihr Leben gestalten. Oft suchen sie um ihrer Kinder willen den Bezug zum Religiösen aufrechtzuerhalten und zu pflegen. Auch wollen Frauen in dieser Kirche ihr Berufsfeld finden und weiterentwickeln. Doch wenn sie erleben, daß die Kirche ihnen nicht den Lebensraum öffnen kann oder will, den sie brauchen und einfordern, ziehen Frauen entschieden aus der Kirche aus. Sie sind des Hörens auf zu kleine und zu enge Menschenworte müde, denn sie haben Gottes befreiendes Wort in ihrem Leben vernommen und seinen Aufruf zum Aufbruch.

Der strukturellen Sünde der Unterdrückung von Frauen in der Kirche kann nicht mit Einzelmaßnahmen begegnet werden, so richtig, unerläßlich und angezeigt diese auch sind. Ein neues Sehen, Hören und Denken ist notwendig. Solches Denken kann nur erworben werden durch die Anstrengungen von Frauen und Männern. Nur sie zusammen können aufarbeiten, was beide beteiligten Gruppen an Wut, Angst und Resignation belastet. Nur sie zusammen können zu einem Dialog finden, der beide befreit und heilt und beide zu einem Leben im Sinne des Evangeliums führt. Doch wie soll dieser Dialog gehen, wie sind die Schritte, die dorthin führen? Sicher sind es für viele zunächst getrennte Schritte. Viele Frauen wollen und können zunächst nur alleine, in der Gemeinschaft gleich Betroffener ihre Geschichten erzählen, ihre Verletzungen beklagen und betrauern. Nur hier finden sie jenes Zuhören, das im Verstehen und Nachvollziehen Solidarität wachsen läßt. Erst nach einer solchen Aussprache sehen sie auch jene neu, die mit ihnen in der Kirche leben - andere Frauen und Männer. Solche Anfänge brauchen Unterstützung und Zuspruch. Frauen haben gelernt, daß Taten und nicht Absichtserklärungen notwendig sind: eine neue Auslegung der Bibel, insbesondere der Schöpfungsgeschichte, das Ernstnehmen feministischer Theologie, die Überwindung sexistischer Sprache und patriarchaler Sicht in liturgischen Büchern, Leseordnungen und kirchlichen Verlautbarungen, die Abschaffung der Diskriminierung von Frauen durch Recht und Verwaltung, die Schaffung von frauen- und familienfreundlichen Arbeitsplätzen, die Gleichbehandlung von Frauen bezüglich ihrer Aufstiegsmöglichkeiten in kirchlichen Institutionen, die Beteiligung von Frauen an allen Arbeiten und Diensten in der Gemeinde, verstärkte Solidarität mit Frauen in belasteten Lebensverhältnissen, die Arbeit an einem neuen Frauenbild, das endlich zeigt, daß es 'die' Frau nicht gibt, sondern nur Frauen, jede auf ihre unverwechselbare und einmalige Weise Gottes Bild. Frauen wollen, daß die Anstrengungen der Kirche auch auf fundamentale Aussagen zielen. Sie wollen die Beendigung der Dämonisierung von Sexualität, Eros und Fruchtbarkeit, die freie Entscheidungsmöglichkeit über die Gestaltung ihrer Familienform, die Beendigung der Glorifizierung sowohl der Jungfräulichkeit als auch der Mutterschaft, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern am Amt der Kirche, nicht mehr Subordination, sondern Ordination.

Frauen wissen mit untrüglicher Sicherheit, daß diese Fragen an ihre Kirche nicht länger verdrängt werden und unbeantwortet bleiben dürfen. Sie spüren das Leben, das hinter ihren kraftvollen und drängenden Anfragen steht. Sie wissen um die Gefährdung der Universalität der Kirche, wenn der Dialog zwischen Frauen und Männern nicht gelingt, wenn das alte Verhältnis zwischen Herrschenden und Beherrschten nicht aufgebrochen wird. Sie wissen aber auch, daß genau an dieser Bruchstelle der Samen des Evangeliums Platz finden wird, der aufgehen wird als Geschenk des Frauen und Männer beflügelnden Heiligen Geistes."

2.2 Die alte Antwort genügt nicht mehr

Längst ist es eine gute Überzeugung, daß es notwendig ist, die biblische und kirchliche Botschaft über das Verhältnis von Frau und Mann neu zu lesen und ein neues Frauenbild zu finden. Eine wesentliche Voraussetzung für einen fruchtbaren Dialog wurde im Schreiben der deutschen Bischöfe "Zu Fragen der Stellung der Frau in Kirche und Gesellschaft" von 1981 gegeben, in dem nun auch von kirchlicher Seite Benachteiligungen und bestehende Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen bestätigt wurden. Die deutschen Bischöfe bezeichneten hier die Kirche als "Modell für das gleichwertige und partnerschaftliche Zusammenleben und -wirken von Männern und Frauen" (III, 1). Frauen warten jedoch noch immer auf die Verwirklichung dieser Aussage und wollen endlich lebens- und strukturverändernde Taten sehen.

Dies gilt um so mehr, als Frauen im Laufe des letzten Jahrhunderts ihre ungeschmälerte Menschenwürde im gesellschaftlichen Kontext immer deutlicher berücksichtigt sahen. Sie erkämpften sich schrittweise bessere Bildungs- und Ausbildungschancen, bessere Berufs- und Aufstiegsmöglichkeiten. Dadurch wurden sie befähigt, Verantwortung für sich selbst und für das öffentliche Leben zu übernehmen und im partnerschaftlichen Miteinander mit Frauen und Männern Leben zu gestalten. Diesem gewandelten Selbstbewußtsein der Frauen trägt das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland Rechnung, indem es die Gleichberechtigung von Mann und Frau garantiert (GG Art. 3.2). Die noch immer bestehende Kluft zwischen gesetzlicher Regelung und Lebenswirklichkeit, die sich u. a. in einseitiger Rollenzuweisung, Ungleichbewertung und Ungleichbehandlung im beruflichen Bereich zeigt, mindert das Prinzip nicht.

Auf diesem gesellschaftlichen und kirchlichen Hintergrund ist auch heute noch das zornige Wort Teresas von Avila aktuell, die vor 400 Jahren sagte: "Ich werfe unserer Zeit vor, daß sie starke und zu allem Guten begabte Geister zurückstößt, nur weil es sich um Frauen handelt." (Zitiert bei E. Lorenz, Ein Pfad im Wegelosen. Teresa von Avila – Erfahrungsberichte und innere Biographie, Freiburg 1986, S. 106). Teresas Wort ist kein Alleingut einer herausragenden Persönlichkeit; Frauen in ganz unterschiedlichen Lebenslagen und Regionen, auch in "gut katholischen" Dörfern, denken und sprechen heute so.

Ein Symptom dafür, wie sehr sich die Kirche in Bezug auf die prekäre Situation verschätzt, ist das leidige, nicht zur Ruhe kommende Gerangel um die Ministrantinnen. Diese Szene ist tragisch, peinlich, makaber. Für Menschen, die mitten im Leben stehen, ist nicht nachvollziehbar, daß so viel Energie für eine solch nebensächliche Angelegenheit investiert wird – falls hier nicht die "Spitze des Eisbergs" sichtbar wird. Wollen wir uns beherzt Zeit nehmen für die entscheidenden Probleme im Verhältnis der Geschlechter, dürfen wir nicht länger Zeit vertun – und vertun lassen – für derartige Nebensächlichkeiten. Ein Prüfstein für die Ernsthaftigkeit des Dialogs ist der Mut, sich nicht länger auf Randprobleme einzulassen und festlegen zu lassen.

2.3 Nicht Worte sondern Taten

Frauen wird es immer unverständlicher, daß ihnen in der Regel auch jene Führungspositionen in der Kirche nicht offenstehen, die nicht zwingend mit dem Weiheamt verbunden sind. In kaum einer deutschen Diözese gibt es Frauen an strukturell verantwortlicher Stelle. Seit zehn Jahren ist in der Bundesrepublik nur eine Frau auf einen theologischen Lehrstuhl gekommen. In Entscheidungsgremien wie etwa der Bischofskonferenz sind Frauen weder mit Gast- noch mit Rederecht beteiligt. In der Priesterausbildung spielen sie fast keine Rolle. Neben dem rein männlichen Beratungsorgan des Bischofs, dem Priesterrat, gibt es kein entsprechendes Äquivalent als rein weibliches Beratungsorgan. Wenn aber Frauen etwas zu sagen haben, was nur sie sagen können, ist Mut zu strukturellen Konsequenzen erforderlich. Es müssen Stellen und Gelegenheiten geschaffen werden, an denen Frauen sich zu Wort melden, sich einbringen und beteiligen können und an Entscheidungsprozessen Anteil haben.

Auch der Diakonat der Frau, der nach der Gemeinsamen Synode der Bistümer mit hinhaltendem Widerstand behandelt wird, gehört weiter auf die Tagesordnung. Darüber hinaus darf auch die grundsätzliche Frage nach der Ordination von Frauen nicht länger tabuisiert werden. Es widerspricht dem Geist eines fairen Dialoges, Frauen und Männer, die die Frauenordination befürworten oder bestreiten, an den Rand der Kirche zu drängen, indem man die einen der Verweltlichung, die anderen der Weltfremdheit verdächtigt. Ebenso widerspricht es dem fairen Dialog, offene Fragen als fruchtlos abzustempeln, wenn ihre Wichtigkeit augenscheinlich nicht von der Hand zu weisen ist.

Doch nicht nur im belasteten Verhältnis von Frau und Amt bzw. Frau und liturgischem Dienst sind Taten notwendig. Auch im ganz "normalen" Leben der Gemeinden gibt es immer wieder Situationen, in denen Frauen sich fragen: Sind wir als selbständige, selbstbewußte Frauen in dieser Kirche wirklich erwünscht?

Wo Frauen in Gemeinden jenes Selbstbewußtsein zeigen, das für sie heute in der Gesellschaft selbstverständlich ist, entstehen Unsicherheiten und die Angst, es könnten Ansprüche formuliert werden, die nicht ins System passen. Dies führt zu Verhaltensweisen, die häufig Verletzungen und Sprachlosigkeit nach sich ziehen. Frauen werden noch immer in Pfarrgemeinderatssitzungen, in Ausschüssen und Gremien als emotional reagierend, unfähig zu logischem Denken, feministisch infiziert, machthungrig beschrieben. Sie werden in ihrer tatsächlichen Lebenswirklichkeit nicht ernstgenommen, sobald sie die Pfarrkirche oder das Pfarrzentrum, den katholischen Kindergarten oder die katholische Schule betreten. Das "Einheitsbild Frau" ist nicht überwunden, solange es für Frauen als unschicklich gilt, sich mit den Finanzen der Gemeinde im Kirchenvorstand zu beschäftigen. Die vielfältigen Talente und Fähigkeiten von Frauen kommen nicht zum Tragen, wenn es ohne klare einvernehmliche Absprachen zu geschlechtsspezifischen Arbeitsaufteilungen kommt, wo Männer über Pachtverträge abstimmen und Frauen den Kaffee kochen. Solange Frauen nicht das Entscheiden und Männern das Dienen angeboten und beides von beiden realisiert wird, kann sich die Erkenntnis nicht durchsetzen, daß beide berufen sind, Kirche und Welt gemeinsam in allen Bereichen zu gestalten.

Die Liste der Benachteiligungen von Frauen ließe sich beliebig fortführen. Eine der Konsequenzen aus dem diesen Benachteiligungen zugrundeliegenden defizitären Frauenbild taucht jedoch erst nach längerem Nachdenken und intensiver Beschäftigung mit der Frau in der Kirche auf: das nicht weniger problematische, einseitige Männerbild in der Kirche. Männliche Kirchenglieder, Laien und Kleriker, werden genauso wenig wie "die" Frau als individuell Begabte, von einem individuellen biographischen Hintergrund Geprägte und als in der – noch nicht erhobenen – Tradition von Männergeschichte und -geschichten stehende Menschen verstanden. So kann sich auch von dieser Seite her der Dialog zwischen Männern und Frauen nicht genügend entfalten, da die Grundfragen: "Wer bin ich?", "Wer bist du?" nur unzureichend gesehen und beantwortet sind.

Zitieren wir abschließend nochmals aus dem Schreiben der deutschen Bischöfe von 1981: Papst Johannes XXIII. stellte "die in allen gesellschaftlichen Schichten, in allen Völkern, Kulturen und Religionen zu beobachtende Entwicklung zur vollen Gleichberechtigung der Frau und ihrer Teilhabe und Mitverantwortung in allen Bereichen des Lebens nicht nur als gesellschaftlich bedeutsame Veränderung fest, sondern als ein 'Zeichen', durch das Gott in der Geschichte unserer Zeit wirkt und gläubige Antwort verlangt. Zu dieser Antwort ist in besonderer Weise die Kirche aufgefordert." (ebd. I)

3.    Abschied vom Zentralismus – Pfarrgemeinden melden sich zu Wort

Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ist die katholische Kirche in einem radikalen Umbau begriffen. Glich der alte Bau eher einer fensterlosen Pyramide, in der alle Linien auf die Spitze zulaufen, gleicht der neue Plan eher der endzeitlichen Stadt mit offenen Toren, durch die die vielen Völker einziehen und sich um den auferstandenen Herrn in ihrer Mitte versammeln (Offb 21). Doch ist nicht nur die Außenansicht verändert. Als Folge des Konzils haben sich auch die theologischen Gewichte im Bau der Kirche verlagert: Gemeinde und Bistum sind zwischen dem einzelnen Christen und der Gesamtkirche die beiden anderen kirchlichen Ebenen von hervorragendem theologischen Rang. Sie verdienen in ausgezeichnetem Sinn, Kirche genannt zu werden. Gegenüber der Gesamtkirche wertet das Konzil die Diözesen, gegenüber der Diözese wertet es die Gemeinden auf.

Dann aber lautet die entscheidende Frage: Wie kann eine evangeliumsgemäße und zugleich zeitgemäße Rede- und Verhandlungskunst eingeübt werden, die nicht Taktik ist, sondern Ausdruck erlöster Menschen- und Kirchenfreundlichkeit? Die Verantwortung für ein gedeihliches Miteinander innerhalb der Kirche, nicht minder die Verantwortung für den gesellschaftlichen Auftrag der Kirche verlangen Antwort auf diese Frage.

3.1.  Der Befund: Sand im Getriebe

        Unmut gegenüber einer anonymen Diözesanleitung

Für drei Pfarreien am Rhein zwingt die sich rasch vermindernde Zahl der Priester die Diözesanverwaltung, diese bislang selbständigen Pfarreien mit nunmehr einem Pfarrer zu besetzen – ungeachtet der alten und neuen Strukturen vor Ort und nicht zuletzt auch ungeachtet der Rivalität zwischen einzelnen Dörfern und Ortsteilen. Empörung und Enttäuschung aller Beteiligten sind groß. Als die Proteste nichts fruchten, beginnen die einzelnen Gemeinden nach alternativen Konzepten zu suchen. Über ein halbes Jahr ziehen sich die Gespräche zwischen den Beteiligten hin. Endlich ist eine Lösung gefunden, die alle befriedigt: zwei Pfarreien wollen zusammengehen. Die dritte Pfarrei gewinnt einen pensionierten Pfarrer aus dem Schuldienst; die Verwaltungsaufgaben will eine Nachbarpfarrei übernehmen. Stolz auf ihr Ergebnis zahlloser Gespräche und Runden zwischen Gruppen und Verbänden und den Gemeinden selbst bitten die drei Pfarreien um ein Gespräch mit dem Ordinariat. Das Gespräch wird abgelehnt und die Regelung der Personalabteilung durchgesetzt, ohne die Beteiligten zu fragen, ohne die örtlichen Bedingungen wahrzunehmen, ohne den geringsten Respekt vor den Bemühungen der Betroffenen.

Das ist kein Einzelfall. In vielen Pfarrgemeinden herrscht und manifestiert sich der Eindruck, daß ihre Probleme hauptsächlich bürokratisch, juridisch, disziplinär behandelt werden. So erfahren sich diejenigen, welche auf Gemeindeebene als Haupt- oder Ehrenamtliche tätig sind, häufig eher als Ausführungsorgane denn als ernstgenommene und ernstzunehmende Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Ihren Ohnmachtsgefühlen liegen vor allem drei Ursachen zugrunde:

–      Auf diözesaner Ebene werden Initiativen von unten nicht selten als zusätzliche Arbeit und damit als Störung wahrgenommen und wegen des zusätzlichen Entscheidungsbedarfs blockiert.

–      Sowohl bei der Diözesanleitung wie auch in Gemeinden gibt es Angst vor Umbrüchen und Neuerungen.

–      Es mangelt an Berufungsinstanzen, so daß es keine legitimen Formen des Widerspruchs oder der Überprüfung einer obrigkeitlichen Entscheidung gibt. So flüchten sich manche in die zynische Haltung, daß sich auch in schlechten Strukturen gut leben lasse.

Die Folgen sind fatal: Viele verlieren die Lust und resignieren. Andere versuchen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen, weil sie von der Diözesanleitung nichts mehr erwarten. Diese selbst herbeigeführte Isolierung führt zu einer theologisch fragwürdigen Abkoppelung vom Bischof. In der Konsequenz bedeutet dies das Aufgeben der Einheit in der Kirche.

Stellen wir uns den geschilderten Mechanismus des obrigkeitlichen Leitungsstils<D> resümierend nochmals vor Augen. Uns leitet nicht die Lust anzuklagen, sondern das Bemühen zu verstehen, um die scheinbaren Sachzwänge zu sprengen.

–      Die Konzentration von Entscheidungsbefugnissen auf der Diözesanebene führt zur Überlastung des Bischofs und seiner Beauftragten.

–      Schon wegen der Überlastung der Kirchenleitung ist Eigenständigkeit an der Basis nicht gefragt, werden Risikobereitschaft und Experimentierfreude nicht gewürdigt, sondern als störend und lästig empfunden.

–      Anstatt partnerschaftlich und geduldig Initiativen vor Ort zu begleiten und Verständnis für Umwege und Mißerfolge aufzubringen, versucht man durch Initiativen von oben, die Probleme schnell und effektiv in den Griff zu bekommen. Auf diese Weise werden Gemeinden ihrer Lebensvorgänge enteignet und ihre notwendigen Handlungsspielräume eingeschränkt.

–      Nach solch gründlicher Entmutigung der einst Engagierten heißt es nun: Wir müssen die Leute unten motivieren, aktivieren, befähigen. Doch vergebens! Das Gesetz der "sich selbst erfüllenden Prophezeiung" kommt zur Geltung: Dank der obrigkeitlichen Verwaltungsstrukturen mangelt es nun tatsächlich in den Gemeinden an Initiative und Verantwortung; weil von unten nichts zu erwarten ist, muß die überlastete Bistumsleitung am Ende alles selber übernehmen. Die strukturelle Abhängigkeit der Gemeinden von der Diözese ist damit festgeschrieben.

Ursachen der Störung

Wir haben den obrigkeitlichen Leitungsstil mitsamt seinen Auswirkungen – zugegeben mit spitzer Feder – skizziert. Es wäre jedoch ungerecht, die Konzentration von Entscheidungen und Ressourcen auf Diözesanebene als Machthunger der Bischöfe bzw. der Bistumsleitungen zu deuten. Die Hauptursache für diesen Befund liegt vielmehr in Strukturproblemen des kirchlichen Lebens, von denen wir drei kurz beleuchten wollen.

–      Ein erster Störfaktor für die Kommunikation zwischen Diözesen und Gemeinden ist die Größe mancher Diözesen. Die 27 deutschen Diözesanbischöfe bzw. Administratoren von Jurisdiktionsbezirken sind Hirten für mindestens 50.000 (Görlitz) bis zu 2,5 Millionen (Köln) Kirchenangehörige. Die Ordinariate – allein im Generalvikariat der Erzdiözese Köln arbeiten mehr als 600 Personen – müssen nach den Gesichtspunkten einer öffentlichen Verwaltung organisiert sein. Die meisten Kontakte zwischen der Gemeindeebene und der Diözesanebene kommen deshalb dem Bischof überhaupt nicht zur Kenntnis, sondern spielen sich zwischen den Beauftragten der Pfarrei und Bediensteten des Ordinariates ab. So trägt der Bischof Verantwortung für Entscheidungen, die er zumeist nicht mehr überblicken kann und deren menschliche Konsequenzen ihm von daher verborgen bleiben. Die meisten Bischöfe sind zudem in ihrer Amtswahrnehmung zerrissen – und lassen sich zerreißen – zwischen den Anforderungen, die sich aus den vielfältigen Gremien innerhalb und außerhalb ihres Bistums ergeben, und der Seelsorge. Ortspfarrer stehen in der gleichen Spannung zwischen wachsenden administrativen Aufgaben und Gremienarbeiten einerseits und seelsorglichen Aufgaben andererseits – eine Spannung, die häufig die menschlichen Kräfte des einzelnen überfordert.

–      Der zweite Störfaktor ist mit dem Priestermangel verbunden. Bis vor kurzem waren in der Bundesrepublik die Pfarreien mit priesterlichen Seelsorgern gut ausgestattet. Heute verfügen Pfarreien nur selten noch über mehr als einen Priester, der häufig noch für mehrere Pfarreien zuständig ist. Oft fehlt die Zeit, aber auch die Befähigung zu personaler Seelsorge. Viele Menschen sind heute zudem immer noch auf einen Priester fixiert, stellen aber zunehmend höhere Ansprüche an die persönlichen Qualifikationen. Während beispielsweise im Gesundheitswesen das Prinzip der freien Arztwahl selbstverständlich ist, geht die Kirche bei ihren Gläubigen davon aus, daß sie den zufällig in die Pfarrei ihres Wohngebietes geschickten Geistlichen als ihren Seelsorger akzeptieren. Dies verursacht eine zunehmende, die Pfarreigrenzen überschreitende Mobilität der Gläubigen, die sich oft einer anderen Pfarrei anschließen als ihrer Heimatgemeinde. Diese Vorgänge werden zusätzlich durch die erhöhte Mobilität in der Gesellschaft gefördert. Nicht selten führt allerdings die Distanz zum Ortspfarrer und das Fehlen geistlicher Alternativen – wie sie früher mehr durch die unabhängig von der territorialen Seelsorge arbeitenden Orden gegeben waren – zu einer religiösen Ortlosigkeit der Gläubigen und zur Distanz vom kirchlichen Geschehen, zur sozialen Isolierung.

–      Ein dritter Störfaktor: Das Verhältnis der Pfarrgemeinde zur Diözese ist in Deutschland sowohl kirchenrechtlich als auch praktisch ein solches der Unter- und Überordnung, eine strukturelle Abhängigkeit der Gemeinden von der Diözese. Von größter praktischer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang unser Kirchensteuersystem. Dank seiner Ergiebigkeit verfügen die deutschen Diözesen im internationalen Vergleich über erhebliche Einkünfte. Für die deutsche Situation ist charakteristisch, daß diese Mittel meist unmittelbar den Diözesen und nicht den Kirchengemeinden zur Verfügung stehen. Nur einige Diözesen kennen auch eine Kirchensteueraufteilung durch Schlüsselzuweisung an die Gemeinden, so daß diese ihren ordentlichen Haushalt eigenständig führen können. In den meisten Diözesen hingegen können die Kirchengemeinden einen Anteil an den Kirchensteuereinnahmen nur über Zuweisungen von Seiten der Diözese erhalten, die in der Regel ausschließlich zweckgebunden und auf Antrag erfolgen. Frei verfügbare Finanzmittel haben die Kirchengemeinden somit nur im Rahmen der ihnen unmittelbar und zusätzlich zufallenden Einkünfte. Diese finanzielle Abhängigkeit bringt eine Gemeinde notgedrungen in die Rolle der Bittstellerin, die zudem mangels Appellationsinstanzen die Entscheidungskriterien der Diözesanebene für die Verteilung der Kirchensteuermittel weder überprüfen noch nachvollziehen kann.

Die genannten Situationen sind durchaus nicht nur negativ zu bewerten, sondern auch als Herausforderungen wahrzunehmen: Die Gestalt der Ortskirche heute insgesamt neu zu bedenken, das Zueinander von Gemeindeleben und Gemeindeleitung zu erörtern (den faktischen Klerikalismus zu überwinden) und desgleichen das Verhältnis von Ortsgemeinde und Bistumsleitung.

3.2   Veränderter Stellenwert der Pfarrgemeinden

        Keine Filiale der Universalkirche

Das Konzil hat der Gemeinde ihr spezifisch theologisches und pastorales Gewicht wiedergegeben. Sie ist nicht nur die unterste Filiale der hierarchisch von oben nach unten geordneten Gesamtkirche, nicht Objekt der oberhirtlichen Pastoral und der kirchlichen Verwaltung. Vielmehr ist sie eigenes, nicht austauschbares Subjekt des Handelns Gottes in der Welt. Sie hat Anspruch darauf, in dieser Eigenheit und Eigenständigkeit geachtet und bestärkt zu werden. Sie ist nicht nur Hörerin des Wortes, sondern auch Verkünderin, nicht nur Empfängerin, sondern auch Spenderin. Ihre Stimme muß gehört, ihre Erfahrung und Geistbegabung ernstgenommen werden. Freilich ist sie keine separierte Eigenkirche. Sie steht ihrem Wesen nach in enger Beziehung zu anderen Gemeinden, zur ganzen Diözese und zur Gesamtkirche (Lumen gentium 26). Nicht zuletzt vom Miteinander von Gemeinden, Diözesen und Weltkirche hängt es daher ab, ob Kirche insgesamt sein kann, was sie im Sinne des Konzils sein soll und ist: "Zeichen und Werkzeug der innigsten Vereinigung der Menschen mit Gott und untereinander" (Lumen gentium 1).

Zu den kühnsten Vorstößen des Konzils gehört sein Weiterdenken in den Fragen "Wo ist Kirche?" und "Wie ist Kirche?" Über die Ortsgemeinde heißt es: Die "Kirche Christi ist wahrhaft in allen rechtmäßigen Ortsgemeinschaften der Gläubigen anwesend, die in der Verbundenheit mit ihren Hirten im Neuen Testament auch selbst Kirche heißen." (ebd. 26). Diese Hochschätzung der Gemeinde ist nicht abhängig von ihrer Bedeutung oder Fruchtbarkeit. "In diesen Gemeinden, auch wenn sie oft klein und arm sind oder in der Diaspora leben, ist Christus gegenwärtig, durch dessen Kraft die ... Kirche geeint wird." (Lumen gentium 26) In und aus den Pfarrgemeinden lebt die Diözese, in und aus den Diözesen lebt die Kirche.

Die Pfarreien haben den Anstoß und die Herausforderung des Konzils angenommen. Der nachkonziliare Wandel kirchlichen Lebens wird nirgends deutlicher sichtbar als in den Gemeinden: an der Liturgiereform, der Stellung der Laien, der ökumenischen Öffnung, an der Differenzierung der Seelsorge, an dem Aufgreifen neuer gesellschaftlicher Probleme. Deutlich wird dies auch in einem verändertem Sprachgebrauch: Nach dem Konzil hat der Name "Gemeinde" das Wort "Pfarrei" im allgemeinen Sprechen abgelöst. Hier drückt sich ein verändertes Denken und Verhalten aus. Mit "Pfarrei" werden statisch-rechtliche Kennmale assoziiert: territorial umgrenzte Verwaltungseinheit der Universalkirche unter der Leitung der Hierarchie. Zu "Gemeinde" gehören dynamische und personale Kennmale: Ereignis des Sich-Versammelns, dialogische Offenheit und missionarische Kraft, Würde und Verantwortung aller Christinnen und Christen.

Wichtige theologische Einsichten über den Stellenwert der Gemeinde müssen aber mehr als bisher praxiswirksam werden:

–      Zunächst ist die aus der Erfahrung gewonnene und durch die neue Kirchentheologie verstärkte Erkenntnis ernstzunehmen: Kirche lebt nicht nur von der Spitze her, sondern wächst aus der Vielfalt der Geistesgaben im Zusammenwirken aller Gläubigen. Das Vertrauen auf das Wirken Gottes in seinem Volk fordert dazu heraus, die schöpferischen Kräfte von Gemeinden und Bewegungen, Gruppen und Verbänden nicht nur zuzulassen, sondern sie als Anzeichen der Lebendigkeit des Evangeliums zu begrüßen und als Chance aufzugreifen.

–      Ein zweite Erfahrung bzw. Einsicht betrifft die Widerlegung eines pessimistischen Kirchen- und Weltbildes. Vielerorts tritt in den Gemeinden ein Reichtum an geistlicher Erfahrung, an Hoffnung und Liebe aus Glauben zutage: Besuchsdienste, Engagement für Aus- und Übersiedler/innen, Begegnung mit Randgruppen und Behinderten, vielfältige Formen der Bildungsarbeit, Einsatz für Entwicklung und Mission, Gesprächs- und Gebetskreise, Prozesse der Gemeindeerneuerung und viele andere kirchliche Lebensäußerungen. Gemeinde in diesem Sinn bedeutet geschwisterliche, dialogische Kirche.

Diese Sicht von Gemeinde verlangt eine lebendige Wechselseitigkeit von Diözesan- und Gemeindeleitung und kirchlichem Leben an der Basis.

–      Die Divergenz zwischen der Theologie von Kirche und Realität von Kirche bzw. zwischen christlichem Ideal und real existierendem Christentum erregt Anstoß und Ärgernis. Überspitzt gesagt: Die Selbstwiderlegung der Kirche durch Dialogverweigerung ist um so folgenschwerer, als Gesprächsbereitschaft gestern lediglich als ein Zeichen guten menschlichen Umgangsstils bewertet wurde, heute aber zum Kriterium der Glaubwürdigkeit geworden ist. Die Botschaft von Evangelium und Glaube wird kritisch geprüft am Verhalten der Mitglieder der Kirche. Die Bereitschaft zum ehrlichen Dialog hat in unserer sich verschärfenden Gesamtsituation öffentlicher Religions- und Glaubenspraxis längst nicht nur soziologischen Wert, sondern Verkündigungsqualität.

Veränderte gesellschaftliche Rahmenbedingungen

Dialog kann nur gelingen, wenn die daran Beteiligten gleichberechtigte Partner sind und einander ernstnehmen. Dies gilt auch im Verhältnis zwischen Bistum und Gemeinden. Hier sind mit Blick auf die Gemeinde zwei Problemfelder zu nennen.

–      Die moderne Gemeinde ist eine Gesinnungsgemeinschaft geworden. Das bedeutet: Es gibt für die meisten Menschen wenig andere Gründe, am kirchlichen Leben teilzunehmen, als eben ihre religiöse und christliche Gesinnung. Von daher werden Menschen umso empfindlicher für Unstimmigkeiten zwischen Sprechen und Handeln derer, die es als ihre Aufgabe ansehen, den Glauben und die christliche Gesinnung zu verbreiten. Früher stellten religiöse Feiern eine Überhöhung vorhandener Lebenserfahrungen dar. Heute gibt es immer weniger gemeinsame Erfahrungen, die sich für eine solche religiöse Überhöhung eignen. Das Religiöse muß unmittelbar, direkt vermittelt werden. Wo dies nicht gelingt, ist Rückzug aus dem kirchlichen Leben die Folge.

–      Ein zweiter Faktor trägt zur Instabilität, zumindest zur Verwundbarkeit des Sozialgefüges "Kirchengemeinde" bei. Für heutige Menschen, die in anderen Lebensbereichen das Bereichernde eines selbständigen Engagements und die Möglichkeiten der Partizipation kennengelernt haben, wird die Mitarbeit in einer Kirchengemeinde nur dann attraktiv sein, wenn sie sich in dieser Kirche ernstgenommen fühlen, "sich einbringen können" und erfahren, daß sie den Gang der Dinge mitgestalten können. Die Gesinnungsgemeinschaft muß zur Handlungsgemeinschaft werden.

Fassen wir zusammen: Die Abnahme pfarrlicher Gemeinschaft und das wachsende Verlangen nach wirksamer Beteiligung verlangen einen sensibleren und produktiveren Umgang der Diözesanleitung mit den Gemeinden. Während die frühere Territorialpfarrei selbstverständlich eine gewisse Selbständigkeit und Lebendigkeit entfaltete, die sich aus der gewachsenen Zusammengehörigkeit in gemeinsamen Lebenszusammenhängen ergab, ist die moderne Gemeinde ein viel anfälligeres, auf äußere Einwirkungen und innere Unstimmigkeiten sensibler reagierendes Gebilde geworden. Oft sind die Gemeinden deshalb nicht stark genug, mit den vielfältigen Forderungen, Vorgaben, Angeboten und dem Versagen der diözesanen Ebene in produktiver Weise umgehen zu können. Die Konsequenzen sind dann häufig verschwiegener Ärger, Resignation und Passivität, ja sogar Auszug von kirchenverbundenen Mitgliedern, sobald das Gemeindeleben als fremdbestimmt erfahren wird.

3.3 Bedingungen für eine dialogische und kooperative Pastoral

Gesellschaftliche Veränderungen bringen es mit sich, daß die Plausibilität des christlichen Glaubens und seine Weitergabe grundlegend verändert sind. Selber glauben können und den Glauben weitergeben stellt heute veränderte Anforderungen. Die Wahrheit der Glaubensinhalte allein genügt nicht, ihre Glaubwürdigkeit wird stärker als je zuvor von der Sozialgestalt der Kirche abhängig gemacht. Die neuen theologischen Einsichten und die veränderten gesellschaftlichen Bedingungen erfordern mehr als einen Bewußtseinswandel. Sie verlangen strukturelle und personelle Konsequenzen: mehr Gemeinschaft, mehr Subsidiarität, mehr kooperative Leitung.

In einer Epoche, in der dauerhafte Sozialbeziehungen als Grundlage des Lebens immer mehr zur Ausnahmesituation gemacht werden, muß der Gemeinschaftsbegriff neu bedacht werden. Gemeinschaft setzt Solidarität und Vertrauen als Grundlage der Beziehungen voraus. Man kann der Rede von Gemeinschaft einen guten und vertretbaren Sinn geben, wenn man den Begriff auf solche Situationen beschränkt, in denen Solidarität als Mitmenschlichkeit und Schicksalsgemeinschaft verstanden wird, die Beziehungen prägt. Das setzt die Überschaubarkeit der Verhältnisse voraus, ist nur unter miteinander persönlich bekannten Menschen oder in offenkundigen Gefahrensituationen auch in einem anonymen Kreis möglich. Wenn bewußt auf Offenheit und Vertrauensbildung geachtet wird, kann auch ein gewisses Größenwachstum solidarischer Gruppen Platz greifen. Entscheidend ist nicht der Umfang, sondern die Qualität der sozialen Beziehungen.

Mit der Formulierung des Subsidiaritätsprinzips hat sich die katholische Soziallehre entschieden gegen die wachsenden technischen Zentralisierungsmöglichkeiten des modernen Staates gewandt. Die Kirche muß heute erkennen, daß die Versuchung der Zentralisierung auch in ihr selbst wirksam war und ist und daß sie ihr nur durch eine konsequente Anwendung des Subsidiaritätsprinzips auch auf ihren eigenen Bereich begegnen kann. Nach Oswald von Nell-Breuning spricht die Vermutung für die Zuständigkeit des kleineren Lebensbereiches oder der nachgeordneten Handlungsebene vor der übergeordneten Ebene. Diese ist beweispflichtig, wenn sie bestimmte Kompetenzen an sich zieht oder ziehen will. Auch dort, wo bestimmte Aufgaben den Rahmen einer Gemeinde überschreiten, ist nicht ohne weiteres ihre Erfüllung durch unmittelbar von der Diözesanebene abhängige Einrichtungen erforderlich. Vieles kann auf Dekanatsebene im kooperativen Zusammenwirken der Gemeinden geregelt werden. Auch bei diözesanen Einrichtungen stellt sich die Frage, inwieweit sie unmittelbar vom Ordinariat abhängig sein müssen, oder ob nicht auch hier weitergehende Mitwirkungsrechte der mittleren Ebene wie Dekanat und Region institutionalisiert werden können. In diesem Kontext ist ernsthaft zu prüfen, ob nicht alle Diözesen dem Beispiel folgen sollten, die Kirchensteueraufteilung durch Schlüsselzuweisung an die Gemeinden neu zu regeln.

Für das Entstehen und Gelingen einer dialogischen und kooperativen Pastoral sind Strukturen wichtig, Menschen jedoch entscheidend. In einer Kirche, die vermehrt die Fähigkeit ihrer Glieder braucht, einander lebensfördernd zu begegnen, ist vor allem und zuerst ein Engagement für die Befähigung der amtlichen Seelsorgerinnen und Seelsorger zu einem beziehungs- und evangeliumsgerechten Umgang mit Menschen notwendig. Die Kirche braucht Frauen und Männer in Leitungspositionen, die kommunikationsfreudig, kooperations- und konfliktfähig sind, die weder alles an sich reißen noch sich aus allem heraushalten, sondern die Prozesse der Kirche und der Gemeindewerdung aktiv mitgestalten. Die Kirche braucht engagierte Gemeinden, Verbände und Gemeinschaften, die den notwendigen Auseinandersetzungen nicht ausweichen, sie aber auch nicht zum Selbstzweck erheben. Die Befähigung zu einer kooperativen und dialogischen Pastoral kann nicht vorausgesetzt werden. Sie muß gefördert werden durch verschiedene Formen pastoraler Praxisbegleitung.

Wie Pfarrgemeinden sich zu Wort melden und damit Abschied vom Zentralismus nehmen, zeigt ein Bericht aus einem badischen Dekanat mit zwei Kleinstädten und zwanzig Dörfern über ihr Projekt "Dekanatserneuerung":

"Wenn unsere Enkel noch glauben sollen, dann muß sich bei uns etwas ändern", so stellten vor zwei Jahren Frauen und Männer aus der Generation der jüngeren Großeltern in unserem Dekanatsrat fest. Die alteingefahrenen Wege, z.B. in der Sakramentenpastoral, erwiesen sich als Sackgassen. Daran ändert sich erfahrungsgemäß auch nichts, wenn man – um im Bilde zu bleiben – das Straßenpflaster verbessert. Andere Methoden liefern noch keine neue Perspektive. Aus dieser ernüchternden Erkenntnis kam die Frage auf: Wenn sich etwas ändern soll, müssen  wir etwas verändern – aber was und wie und vor allem: Wer macht mit? Ein Pastoraltheologe wurde als fachkundiger und persönlich interessierter Begleiter hinzugewonnen.

Die erste Station war ein zweitägiges Treffen der "Entschlossenen" und Interessierten im Heinrich-Pesch-Haus in Ludwigshafen. Dreißig Personen aus allen Teilen des Dekanates waren zusammengekommen, Pfarrer und andere Seelsorger/innen und ehrenamtlich Engagierte. Die Verständigung über die Situation im Dekanat und über das Ziel der Erneuerung, gangbare Wege zur Weitergabe des Glaubens an die nächste Generation zu suchen und zu beschreiten, war der erste Schritt. Stille zur persönlichen Reflexion, Meditation und Gebet waren der zweite Schritt. In einem Anhörungskreis – dritter Schritt – teilte jede/r mit, ob er/sie in der Lage und bereit sei, für die nächsten zwei bis drei Jahre der Dekanatserneuerung vorrangige Priorität zu geben. So kam die Projektgruppe von 27 Teilnehmer/innen zustande.

Zunächst wurde die Ausgangsfrage in einem wichtigen Punkt präzisiert: Wenn in einer Gemeinde von 10.000 Getauften etwa 800 regelmäßig am Gottesdienst teilnehmen und so ihre Bereitschaft bekunden, sich für die Weitergabe des Glaubens einzusetzen, legt sich dann nicht für die Zielvorstellung nahe, möglichst viele andere durch unterschiedliche Aktionen zu gewinnen, um so einem weiteren Rückgang der Zahlen zu wehren? Andere hielten dem entgegen: Wir sind immerhin 800 Aktive, eine beachtenswerte Gruppe! Mit uns kommen jedes Jahr Hunderte von "Kirchen- und Glaubensfremden" bei unterschiedlichen Anlässen in Berührung (z.B. Erstkommunion, Firmung, Hochzeit, Begräbnis, Dritte-Welt-Aktionen, ökologische und Friedensinitiativen). Doch kaum jemand von ihnen hat nach einem solchen Anlaß den Wunsch, weiter mit uns verbunden zu bleiben, sich uns anzuschließen. Die Ursache für diese Phänomen kann sicher nicht allein bei anderen liegen, sondern doch wohl ebenso bei uns. Daher modifizierten wir unsere ursprüngliche Frage: Wie müssen wir uns (nicht etwas) ändern, daß Menschen, die uns begegnen, auf die Idee kommen, mit uns zu gehen, damit die Perspektive des Glaubens auch ihr Leben aussichtsreicher, hoffnungsvoller und glücklicher macht? Die unmittelbare Konsequenz aus dieser Einsicht war: Die Projektgruppe muß selbst eine Weggemeinschaft im Glauben werden! Unser Hauptziel war nicht, andere Wege und Mittel zu finden, sondern die gewohnten Wege und Mittel anders, eben aus der Perspektive des Glaubens, in der "Unterscheidung der Geister", anzuwenden. So kam es zu einem anderen Miteinander von Laien und Priestern. Der gemeinsame Grund, der durch Taufe und Firmung in jedem von uns gelegt ist, kam zum Tragen.

Zu zweit und zweit trugen wir sodann das Anliegen der Dekanatserneuerung in alle Pfarrgemeinderäte. Ein gemeinsamer Tag aller Pfarrgemeinderäte beschloß dieses Wegstück. Es bildeten sich Schwerpunkte in verschiedenen Feldern heraus: Firmpastoral, Ehevorbereitung, Besuchsdienst, Seniorenarbeit, Jugend. Nun war es so weit, daß wir die erste Phase der Dekanatserneuerung (den Prozeß in unserer Projektgruppe) allen Interessierten im Dekanat vorstellen konnten und sich Perspektiven für die zweite Etappe (die Arbeit in den Gemeinden) aufzeigen ließen. Seitdem sind wir ein Dekanat im Gespräch, dessen wichtigste Erfahrung ist: "Es gibt viele Gnadengaben, aber nur einen Geist." und: "Gerade die gering erscheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich." (1 Kor 12,22)

Bei allem Plädoyer für Dialog und Kooperation müssen beide, Einzelpersonen und Gemeinden, mit dem Umstand rechnen und fertig werden, daß sich nach wie vor ein großer Teil der Kirchenmitglieder in einer eher traditionellen Weise zur Kirche bekennt und keinen Grund sieht, sich intensiv an den Gemeindeangelegenheiten zu beteiligen. Dies braucht kein Zeichen von Passivität oder Strukturkonservatismus zu sein, sondern ist häufig ein Modus volkskirchlicher Verbundenheit, der nicht geringzuschätzen ist. Diese volkskirchliche Verbundenheit wird sich in den jüngeren Generationen immer seltener entwickeln. Aber das ist kein Grund, ihre Ernsthaftigkeit in Frage zu stellen, wo sie sich bewährt. Von der Gemeindeleitung wird gerade in dieser Situation ein hohes Maß an Verständnis für unterschiedliche Strömungen in der Gemeinde gefordert und die Fähigkeit, diese miteinander in ein fruchtbares Gespräch zu bringen.

Unsere Absicht: Dialoge anzetteln

Auf dem Weg zu dem großen buddhistischen Heiligtum auf Java/Indonesien, dem Borobodur, besuchen die Pilger den Tempel in Mendut. Hier beginnt die letzte Etappe des Pilgerweges. Man verehrt nicht nur die Statue Buddhas, sondern hört auch auf die eindringliche Mahnung vieler Gleichnisgeschichten, die in Steinreliefs am Aufgang und Umgang des Tempels den Besucher ansprechen. Eine der eindrücklichsten Geschichten ist die von dem Vogel mit zwei Köpfen. Es ist ein stattliches Tier mit zwei Schwanenhälsen und zwei Köpfen mit großen Schnäbeln. Der obere Kopf frißt genüßlich die saftigen Beeren, die über ihm hängen – unerreichbar für den unteren. Er muß zufrieden sein mit den Abfällen, die bei dem üppigen Mahl auf die Erde fallen. Seine Bitte, auch ihn einmal von den frischen Beeren kosten zu lassen, schneidet der Obere mit der Bemerkung ab: "Es ist egal, wer die Beeren frißt. Es kommt alles in denselben Magen!" In seiner Verzweiflung schließlich frißt der untere Kopf die giftigen Beeren, die unten wachsen: "Es ist egal! Es kommt alles in denselben Magen!" die letzte Tafel zeigt, wie der ganze Vogel vergiftet, leblos auf der Erde liegt. Im starren Auge des unteren Kopfes sieht man eine vergeblich geweinte Träne.

Eindrucksvoller als scharfsinnige Analysen mag dieses buddhistische Gleichnis am Ende nochmals die Absicht unseres Plädoyers für eine dialogfähige Kirche vor Augen stellen. Wir teilen die erschreckende und zugleich erfreuliche Einsicht, die immer mehr Menschen zu dämmern beginnt: Wir sind auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden: Männer und Frauen, Kleriker und Laien, Gemeinden und Bischöfe, Kirche und Welt. Dialog ist deshalb nicht bloß eine Stilfrage, sondern eine Lebensfrage für Kirche und Gesellschaft. Auch wenn sich jeder als eigener Kopf profiliert, wir haben doch denselben Magen. Bei zermürbenden innerkirchlichen Konflikten trägt "unsere Kirche" den Schaden davon und deshalb auch mein Glaube und meine Glaubwürdigkeit. Ähnliches gilt für die Zerrüttung einer Ehe: Vater, Mutter, Kinder – jeder muß die Zeche zahlen. Deshalb gibt es vernünftigerweise nur eine Wahl: Miteinander reden und miteinander handeln, beieinander bleiben, selbst wenn der Dialog an seine Grenze stößt.

Um so tragischer, daß Dialog so oft mißlingt. Wie viele abgebrochene, verweigerte und Scheindialoge gibt es. In Kirche und Gesellschaft verschärft sich der Widerstreit zwischen grenzenloser Toleranz, die für alle und alles Verständnis hat, sich aber für nichts entscheidet, und rechthaberischem Fundamentalismus, der alle und alles verurteilt, was ihm fremd ist. Fragen wir im Licht des Evangeliums nach der christlichen Alternative.

Das fruchtbare Ringen um Dialogfähigkeit und Dialogbereitschaft in unserer bunt zusammengesetzten Kommission hat uns in unserer ursprünglichen Überzeugung bestärkt: Trotz allem – es geht, und es lohnt die Mühe! Diese Erfahrung wollen wir nicht für uns behalten und deshalb Dialoge auch "draußen" anzetteln. Wer macht mit? Ein erstes ermutigendes Echo auf unsere Einladung ist der Wunsch des Präsidiums des Zentralkomitees der deutschen Katholiken: Die Überlegungen der Kommission sollen im Bereich des Zentralkomitees Gespräche anregen. In einer öffentlichen Debatte bei der Vollversammlung des Zentralkomitees sollen weitere Erfahrungen zur Sprache kommen und Wege lebendiger Communio ermöglicht werden.

 

Verabschiedet von der Kommision 8 "Pastorale Grundfragen" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken am 5. Oktober 1991

 

 

Liste der Mitglieder, Berater und Sachverständigen der Kommission 8 "Pastorale Grundfragen" des Zentralkomitees der deutschen Katholiken  (Stand: Oktober 1991)

 

Vorsitzender der Kommission:

Dr. Hanspeter Heinz,
Professor für Pastoraltheologie und Liturgiewissenschaft, Universität Augsburg, Landpfarrer in Bayern

Mitglieder und Berater:

Dr. Walter Bayerlein,
Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht München, Mitglied der Würzburger Synode, 12 Jahre Vizepräsident im ZdK, Diözesanrat München und Freising, Vaterstetten

Dr. Ludwig Bertsch SJ,
Professor für Pastoraltheologie und Liturgiewissenschaft, Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen, Frankfurt a.M., Direktor des Missionswissenschaftlichen Instituts MISSIO e.V. Aachen

Gottfried Bitter CSSP,
Professor für Religionspädagogik, Universität Bonn

P. August Brecheisen SDB,
Vereinigung Deutscher Ordenobern: Kommission Bildung und Erziehung, München

Adelinde Denzel,
Arbeitsgemeinschaft der Säkularinstitute in Deutschland, Mitglied des Bayerischen Landesvorstandes des Katholischen Deutschen Frauenbundes, Augsburg

Dr. Dieter Emeis,
Professor für Pastoraltheologie, Universität Münster

Prälat Heinrich Festing,
Generalpräses des Internationalen Kolpingwerkes, Köln

Dr. Ottmar Fuchs,
Professor für Pastoraltheologie, Universität Bamberg

Margoretti Füchtenhans SSpS,
Leiterin des Paulus-Kollegs für Studierende der Religionspädagogik an der Katholischen Fachhochschule Paderborn

Dr. Walter Fürst,
Professor für Pastoraltheologie, Universität Bonn

Dr. Rudolf Goy,
Studienrat, Diözesanrat Würzburg, Mellrichstadt

Helene Freifrau von Heyl,
Vorsitzende Diözesanrat Freiburg, Lahr

Dr. Jochen Hilberath,
Ingelheim

Margret Holdmann,
Diözesanrat und Vorsitzende der Katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd) Essen, Duisburg

Dr. Walter Kasper,
Bischof von Rottenburg-Stuttgart

Monika Kraus,
Schöllnach

Dr. Franz-Xaver Kaufmann,
Professor für Soziologie und Sozialpolitik, Universität Bielefeld

Hildegard Leonhardt,
Vorsitzende des Diözesanrates Bamberg, Mitglied der Würzburger Synode

Paul Magino,
Bundespräses BDKJ und Leiter der Arbeitstelle für Jugendseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz, Düsseldorf

Dr. Bernhard Neumann SAC,
Professor für Religionswissenschaft, Theologische Hochschule Vallendar (Pallotiner), Gemeindeseelsorger, Schriftleiter "Lebendiges Zeugnis"

Dr. Ernst Niermann,
Militärgeneralvikar, Leiter des katholischen Militärbischofsamtes Bonn

Ortrud Ode,
Landesvorsitzende des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB), Vizepräsidentin des Bayer. Landesverbandes des KDFB,  Leiterin der Arbeitsgemeinschaft Katholischer Frauen Bayerns, Grünwald

P. Germar Pawelletz OP,
Bundespräses der KAB, Köln

Dr. Hermann-Josef Pottmeyer,
Professor für Dogmatik, Universität Bochum

Dr. Hildegard Reese,
bisherige Vorsitzende des Diözesanrates Hildesheim (bis Dez.1990 Mitglied der Kommission)

Anneliese Reifenrath,
Berufsgemeinschaft katholischer Frauen im pastoralen Dienst, Frankfurt a. M.

Norbert Sander,
Dipl.-Ing., Diözesanrat Berlin

Dr. Annette Schavan,
Leiterin des Cusanuswerkes, Vizepräsidentin des Katholischen
Deutschen Frauenbundes (KDFB), Bonn

Prälat Anton Schütz,
Leiter der Zentralstelle Pastoral der Deutschen Bischofskonferenz

Marlies Schweitzer,
Schulleiterin, Diözesanrat Limburg

Christine Thurnhuber,
KAB-Vorsitzende in der Diözese München und Freising

Waltraut Wild,
Diözesanrat Passau, Mitglied der Würzburger Synode, Ökumenebeauftragte des Bayerischen Landesverbandes des Katholischen Deutschen Frauenbundes (KDFB), Passau  (bis Okt.1990 Mitglied der Kommission)

 

Geschäftsführer der Kommission:

Dr. Wilfried Hagemann,
Rektor im ZdK

 

Sachverständige:

Stefanie Spendel,
Diplomtheologin, Abteilungsleiterin im Bischöflichen Generalvikariat Aachen