Freitag, 27. August 2010

Das Energiekonzept ist der Testfall für eine ethisch verantwortete Politik

ZdK-Präsident Glück fordert von der Bundesregierung ein nachhaltiges Energiekonzept

“Das angekündigte energiepolitische Konzept der Bundesregierung ist der Testfall, ob über das Krisenmanagement hinaus mit gestaltender Politik ein dringendes und langfristiges Zukunftsprojekt realisiert werden kann.“ Mit diesen Worten wendet sich der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, in einem Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel. Er richtet das Augenmerk auf die ethische Dimension der anstehenden Entscheidungen. Aus Verantwortung für die Nachkommen müsse gemäß dem sozialethischen Prinzip der Nachhaltigkeit eine langfristig trag- und konsensfähige Lösung gefunden werden. Daher seien die Laufzeiten der Atomkraftwerke daran zu orientieren, welche Wirkung sie auf die Ziele und das Gesamtsystem der künftigen Stromversorgung hätten.
Deutschland benötige heute ein umfassendes Energiekonzept. Dabei sei für das ZdK der möglichst rasche Ausbau der regenerativen Energien vorrangig. “Infolge einer einseitigen Festlegung auf die Verlängerung der Laufzeiten könnte ein billiges Angebot an Strom aus abgeschriebenen Großkraftwerken diesen Ausbau verschleppen“, befürchtet Glück. Dies halte er für nicht verantwortbar. Eine etwaige Laufzeitverlängerung dürfe den Ausbau der regenerativen Energien weder direkt noch indirekt behindern. Wer für den Auf- und Ausbau dezentraler Strukturen der Energieversorgung plädiere, wofür in Glücks Augen viel spreche, müsse aber auch für den vielerorts unpopulären zügigen Ausbau der Leitungsnetze einstehen. Die energiepolitische Debatte brauche generell mehr Ehrlichkeit. “Die Aufgabe der Politik ist es, den Übergang zu regenerativen Energien zielorientiert so zu gestalten, dass soziale und ökonomische Verwerfungen vermieden werden.“ Mit dieser Vorgabe sei dann über Laufzeiten von Kraftwerken und Prioritäten in den Investitionen zu entscheiden, fordert der ZdK-Präsident.
Zu beachten sei, dass der Energiesektor wie kein anderer Bereich langfristige Planungen und entsprechende Planungssicherheit für Investoren benötige. Sicherheit und Führungsstärke in dieser gesellschaftspolitisch kontroversen Frage erwarten auch die Bürger. “Wenn es der Politik gelingt, ein schlüssiges und ethisch gehaltvolles Konzept zu verwirklichen, ist dies die wirksamste Antwort auf die Vertrauenskrise der Bürger gegenüber der Politik“, prophezeit Glück.

Der vollständige Wortlaut des Briefs an Bundeskanzlerin Merkel ist angehängt und steht unter www.zdk.de/pressemeldungen bereit.





Frau Bundeskanzlerin
Dr. Angela Merkel MdB
Bundeskanzleramt
Willy-Brandt-Str.1
10 557 Berlin

21.8.2010
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin!
Für den September ist die Entscheidung der Bundesregierung für ein langfristiges energiepolitisches Konzept angekündigt. Das ist für unser Land von außerordentlicher Bedeutung, weit über ein Fachthema hinaus. Es ist gleichzeitig der Testfall, ob über das Krisenmanagement hinaus mit gestaltender Politik ein dringendes und langfristiges Zukunftsprojekt realisiert werden kann. Dieser Aufgabe und diesem Maßstab müssen sich alle Parteien stellen. Der Bundesregierung kommt dabei die Führungsaufgabe und Führungsverantwortung zu.
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat sich insbesondere im Sinne der Verantwortung für die Schöpfung und der Verantwortung für die Nachkommen mit den Aufgaben und Bedingungen nachhaltigen Wirtschaftens und eines entsprechenden Lebensstils immer wieder befasst und entsprechende Schlussfolgerungen gezogen.
Wir sehen nicht einseitig nur die Politik in der Pflicht. Wir wissen, dass jeder von uns seinen Beitrag leisten muss in seinem persönlichen Verhalten und als Staatsbürger in der entsprechenden Bewertung und Unterstützung einer langfristig orientierten Politik.
Wir haben es derzeit mit einem Zusammentreffen mehrerer Krisen zu tun, denen gemeinsam ist, dass sie unsere Art zu leben und zu wirtschaften infrage stellen, da diese wachsenden Instabilitäten schon jetzt bedrohlich und noch mehr unverantwortlich gegenüber den Nachkommen sind. Immer mehr wird sichtbar, dass unsere heutige Art zu leben nicht zukunftsfähig und unverantwortlich ist.
Das Prinzip Nachhaltigkeit im Sinne einer gelebten und realisierten Zukunftsverantwortung wird damit zum zentralen Maßstab. Das hat den gleichen ethischen Rang wie die Gerechtigkeit im sozialen Rechtsstaat.
Das gilt in besonderer Weise für die notwendigen energiepolitischen Entscheidungen.
Die bevorstehende Beratungen und die Entscheidung darüber sind für viele der Testfall, ob dem allseits gerne beschworenen Maßstab Nachhaltigkeit im Sinne von Zukunftsverantwortung entsprochen wird.
In der öffentlichen Debatte steht im Mittelpunkt der Energiediskussion die Elektrizität.
Die derzeitigen Debatten sind sehr stark von regionalen Interessen, von ökonomischen Interessen und von gesellschaftlicher und politischer Polarisierung geprägt. Eine einseitig fixierte Debatte um die Verlängerung der Laufzeiten von Kernkraftwerken ist nicht sachgerecht. Die Laufzeiten müssen sich daran orientieren, welche Wirkung diese auf die Ziele und das Gesamtsystem der künftigen Stromversorgung haben, insbesondere den möglichst raschen Ausbau der regenerativen Energien. Nur eine ganzheitliche Systembetrachtung der Wechselwirkungen der einzelnen Entscheidungen ist sachgerecht und glaubwürdig in Hinblick auf eine langfristige Energiepolitik. So könnte ein entsprechendes billiges Angebot an Strom aus abgeschriebenen Großkraftwerken beispielsweise den zügigen Ausbau regenerativer Energiesysteme verschleppen. In diesem Sinne wäre eine einseitige Festlegung auf eine Verlängerung der Laufzeiten faktisch eine Absage an eine am Prinzip der Nachhaltigkeit orientierte Energiepolitik. Dies erscheint mir daher nicht verantwortbar.
Aber es gilt auch: Wer für den Auf-und Ausbau dezentraler Strukturen plädiert, wofür viel spricht, muss auch für den zügigen – aber unpopulären – Ausbau der Leitungsnetze einstehen.
Die energiepolitische Debatte braucht mehr Ehrlichkeit über die Auswirkungen und Konsequenzen der einzelnen Optionen.
Die Verpflichtung zu langfristig tragfähigen Entscheidungen ergibt sich aus den Sachverhalten und ist nicht losgelöste und abgehobene Gesinnungsethik.
Diese Langfristigkeit ist vor allem aus folgenden Gründen unabdingbar:
- Eingriffe in die natürliche Umwelt haben immer längerfristige Auswirkungen.
- Die dringend notwendigen technischen Weiterentwicklungen brauchen Zeit.
- Die notwendigen Investitionen in Energieversorgungssysteme (Energiegewinnung und -verteilung) erfordern längerfristig zu finanzierende Milliardenbeträge.
-Die dafür notwendigen Finanzmittel müssen vor allem durch privatwirtschaftliche Investitionen mobilisiert werden.
- Deshalb brauchen die Investoren eine Planungssicherheit, die zeitlich über Wahlperioden und die in der Demokratie normalen Wechsel von Regierungsmehrheiten hinausreicht.
- Daher muss das Programm in der Bevölkerung so mehrheitsfähig sein, dass es nicht bei jeder Bundestagswahl neu zur Disposition steht.
Wenn dies in diesem Sachbereich, der wie kein anderer langfristige Planungen und entsprechende Planungssicherheit voraussetzt, nicht gelingt – wo soll es dann noch gelingen? Das wäre eine deprimierende Perspektive für die Zukunft.
Aufgabe der Politik ist es den Übergang zielorientiert so zu gestalten, dass soziale und ökonomische Verwerfungen vermieden werden. An diesen Zielen haben sich dann Entscheidungen wie Laufzeiten von Kraftwerken und Prioritäten in den Investitionen zu orientieren. Eine erfolgreiche Politik des Umbaus ist aber nur möglich wenn die Ziele und Richtung klar sind.
Für das Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist bei der Bewertung des energiepolitischen Handelns der Maßstab, ob unter Würdigung aller gegebenen Sachverhalte die Entscheidungen sich zu sehr oder gar ausschließlich am momentanen ökonomischen Nutzen, der öffentlichen Popularität, vermutetem parteipolitischen Nutzen orientieren – oder die Zukunftsverantwortung der realisierte Maßstab ist.
Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin,
dies ist natürlich nicht nur eine besondere Aufgabe und Herausforderung an die Bundesregierung in ihrer Führungsverantwortung, sondern an alle Parteien, an alle Interessengruppen, die Gesellschaft und damit an uns alle.
Die Entwicklung und Realisierung eines solchen Konzeptes kann nur gelingen, wenn im Sinne eines Zukunftsentwurfes ökologische, ökonomische, soziale sowie globale Entwicklungen und Verantwortungen in einer Gesamtschau integriert sind. Dieser umfassende Ansatz verdeutlicht: Es geht um ein zentrales Zukunftsprojekt, nämlich letztlich um die Frage: Wie wollen, wie können wir morgen leben?
Wenn es der Politik unter Ihrer Führung gelingt ein solches Konzept zu verwirklichen, ist dies die wirksamste Antwort auf die Vertrauenskrise der Bürger gegenüber der Politik und damit ein wichtiges Kapital für die anderen anstehenden Aufgaben der Veränderungen und Weichenstellungen.

Mit freundlichen Grüßen

Alois Glück