Freitag, 23. April 2021

Situation von Kirche und Glauben in der Pandemie (Tomáš Halík)

Ich betrachte zwei Pandemien als bedeutende "Zeichen der Zeit" und als Herausforderung für die Kirche und den Glauben.

Die erste ist die „innerkirchliche“ Pandemie des sexuellen und psychischen Missbrauchs, die kürzlich aufgedeckt wurde und die Glaubwürdigkeit der Kirche weit erschütterte.

Die Coronavirus-Pandemie ist eine globale Erscheinung. Für die Kirche bedeutet dies eine Prüfung unserer Solidarität mit der heutigen Menschheit.

Die Krisen der Kirche bleiben ausweglos, wenn sich die Kirche mit sich selbst befasst (sei es im Geiste vom „Progressivismus“ oder „Traditionalismus“) und das vernachlässigt, was sie im Konzil dem „heutigen Menschen“ zugesagt hat, nämlich Solidarität: Freude und Hoffnung, Trauer und Schmerz des heutigen Menschen werden Freude und Hoffnung, Trauer und Schmerz der Kirche.

Missbrauchsskandale spielen heute eine ähnliche Rolle wie Skandale mit dem Verkauf von Ablässen vor der Reformation. Was damals und heute als Randphänomen erschien, enthüllte tiefere Probleme in der Kirche: das Verhältnis zwischen Autorität und Macht, das Verhältnis zwischen Geistlichen und Laien. Die Missbrauchsskandale sind nicht nur Problem des Einzelnen, es ist ein Problem der Strukturen: und ein Aufruf zu einer tiefgreifenden Reform der Kirche.

Ich möchte der deutschen Kirche dafür danken, dass sie den Synodalen Weg eingeleitet und den Mut zur Reform gezeigt hat. Aber jetzt brauchen wir nicht nur Mut, sondern auch Weisheit, Verantwortlichkeit und Ausdauer.

Wir brauchen nicht nur die Reform mehrerer institutioneller Strukturen und mehrerer Absätze des Kirchenrechts. Wir brauchen eine tiefe Erneuerung von Theologie, Spiritualität und Pastoralpraxis.

Die Reaktionen von Christen auf die Coronavirus-Pandemie zeigten eine ganze Bandbreite an Formen des heutigen Christentums. Es fehlte weder an der Rückkehr zu magischen Praktiken noch zum Ängstigen der Menschen mit einem rachsüchtigen, strafenden Gott, noch an der Wende hin zum „virtuellen Feiern“ im Cyberraum. Wir wurden jedoch auch zu Zeugen einer heldenhaften Solidarität und Opferbereitschaft im Dienst an Kranken und Bedrohten. Gerade in diesen Ausdrücken der Liebe – sei es in Aktivitäten von „Gläubigen“ oder von „Ungläubigen“ – hat sich etwas Heiliges und Bedingungsloses gezeigt. Dort offenbarte sich etwas, das wir Christen „Gott“ nennen – und diese Erfahrung ermöglicht uns, das christliche Verständnis von Gott auch jenen Menschen näher zu bringen, die unser „Sprachspiel“ nicht teilen.

Der Gott des reifen christlichen Glaubens, von infantilen Projektionen gereinigt, wohnt nicht in der Hinterweltlichkeit, von wo aus er seine Kinder mit grausamen Strafen treffen würde. „Gott ist die Liebe“ sagt das Neue Testament: Gott ist das, was an der Liebe „heilig“ ist, womit sie alles andere in unserem Leben und in unserer Welt übersteigt, transzendiert. Wer von der Heiligkeit der Liebe weiß, weiß von Gott.

Die Coronavirus-Pandemie ist eine Schattenseite der Globalisierung, dieses ökonomisch- kulturellen Prozesses, der unsere Welt und unser Leben seit langem umgestaltet. Der Globalisierungsprozess hatte in den vergangenen Jahrzehnten – als er durch den Zusammensturz der bipolaren Welt nach dem Ende des Kalten Krieges in eine neue Phase eintrat – vorwiegend den Charakter einer ökonomischen Integration. Dieser überschattete eine andere Dimension, deren Wichtigkeit man nicht unterschätzen darf: den Prozess der kulturellen und geistigen Kommunikation.

Ein wichtiger Bestandteil des Globalisierungsprozesses besteht aber darin, wie wir diesen Prozess interpretieren.

In den letzten Jahrzehnten wächst der Widerstand gegen die Globalisierung. Es gibt zentrifugale Tendenzen. Es verbreiten sich hasserfüllte Ideologien, die von der Angst profitieren: der Populismus, der Nationalismus, der religiöse Fundamentalismus, Fake News, Verschwörungstheorien und das apokalyptische Erschrecken vor der Zukunft. Der Prozess der Globalisierung ist ambivalent, in vielen Menschen erweckt er Beklemmung, Angst, Panik, pessimistische Erwartungen, sogar Verzweiflung, die Sören Kierkegaard die „Krankheit zum Tode“ nannte.

Heute wissen wir um die Verletzlichkeit unserer Welt, davon, dass nach dieser Katastrophe andere kommen können und wahrscheinlich kommen werden. Wodurch werden wir in die Lage versetzt werden, diese „Paranoia“ in eine „Pronoia“ – in Weisheit und Weitsicht zu verwandeln?

Wir können aus dem Prozess der Globalisierung, aus der vielfach vernetzten Welt, nicht mehr aussteigen. Wir müssen lernen, in einer solchen Welt zu leben.

Vor der Welt des Glaubens steht heute eine große Aufgabe, die eine pädagogische, therapeutische, aber auch politische Dimension hat: sich und den anderen beizubringen, in einer Wirklichkeit, über die wir nicht Regie führen, in einer Welt voller Paradoxien und Überraschungen, manchmal auch sehr harter Überraschungen, zu leben.

Vielmals versagten die Kirche und die Theologen in dieser Aufgabe: sie haben vielmehr künstlich Angst verbreitet und sich bemüht, daraus religiöses Kapital zu schlagen, magische Mittel und Beruhigungsdrogen zu verkaufen. Sie ließen sich in politische, nationale oder andere Gruppeninteressen einspannen. Ähnlich wie politische Populisten und Pseudo- Messiasse gaben sie sich für Besitzer der Wahrheit aus, die einfache schwarz-weiße Antworten auf komplizierte Fragen boten.

Dieser Versuchung muss sich die Kirche in der Welt, in die wir eintreten, erwehren. Auf viele Fragen haben wir keine Antworten, wir müssen sie mit den Suchenden suchen. Wir müssen uns immer wieder neu dem Geist öffnen, von dem uns Jesus versprach, dass er uns in die Fülle der Wahrheit einführen wird.

Die Globalisierung schuf aus diesem Planeten einen vielfach vernetzten Raum, sie schuf jedoch aus dem „gemeinsamen Haus“ kein gemeinsames Zuhause.

Wie können wir Christen dazu beitragen, den Globalisierungsprozess zu einem Prozess der freundschaftlichen Kommunikation und des Austauschs zu machen? Ich sehe hier eine große Herausforderung für die Theologie – „public theology“ und ökumenische Theologie zu sein.

Das Christentum als einer der ersten großen „global player“ der Menschheitsgeschichte hat auf diesem Feld große Erfahrungen aufzuweisen und verfügt immer noch über große Möglichkeiten, trägt gleichzeitig aber auch eine große Verantwortung. Erinnern wir uns an Pierre Teilhard de Chardin, einen der ersten „Propheten der Globalisierung“ (er selbst sprach von „Planetisation“), der wertvolle Anregungen für die Spiritualität einer „zusammenwachsenden Welt“ gegeben hat.

Die Menschheit ist heute oft miteinander verbunden, aber gleichzeitig tief gespalten (und diese Spaltungen finden innerhalb einzelner Gesellschaften, Nationen, Kirchen und sogar Familien statt). Was wir brauchen, ist wirklich ökumenische Spiritualität. Nicht die Ideologie des verborgenen Totalitarismus, sondern die Inspiration zur Überwindung des Gruppen- Egoismus, des Narzissmus und des Provinzialismus einzelner Nationen und Religionen. Ein Bestandteil der Reform des Christentums muss nicht nur eine Vertiefung der bisherigen ökumenischen Bemühungen sein, sondern auch eine wesentliche Vertiefung des Verständnisses von Ökumene selbst, ihres Wesens und ihres Sinns. Wenn das katholische Christentum wirklich katholisch sein will, muss es auch in den Beziehungen zu den anderen Religionen und zur säkularen Welt den Schritt vom Dialog zu einer vertieften Ökumene tun. Das Konzil hat versucht, die katholische Kirche aus dem „Katholizismus“ hinauszuführen – aus jener Sackgasse der Gegenkultur, die sich negativ von der sie umgebenden Welt abgrenzt, zunächst vom Protestantismus und dann von der modernen säkularen Kultur – hin zur „Katholizität“ des Christentums; das bedeutet: zu einem Christentum als eines universalen Angebots, zu einem Verständnis von Kirche, die nicht einer Festung gleicht, die von Feinden umgeben ist, sondern zu einem Kirchenverständnis, das die Kirche als „Sakrament“ (als Symbol und wirksames Zeichen) der Einheit sieht, zu der die ganze Menschheit berufen ist. Die ersten Schritte wurden bereits unternommen, aber jetzt muss unsere ökumenische Erfahrung radikal vertieft und erweitert werden.

Hier darf sich die katholische Kirche jedoch nicht in einem grenzenlosen Esperanto auflösen, sondern muss die theologische Frage erneut nach ihrer Identität in einer sich verändernden Welt stellen.

Diese verheißene Einheit kann jedoch erst in eschatologischer Perspektive in Fülle verwirklicht werden.

Dieses Verständnis der Berufung der Kirche im Prozess der Integration der Menschheit erfordert sowohl eine mutige Offenheit gegenüber anderen, als auch „eschatologische Geduld“, Respekt und Gastfreundschaft: Wenn wir die Andersartigkeit der anderen nicht respektieren und überstürzt „die Andersheit in die Eigenheit überführen“ wollten, würden wir der Versuchung des Proselytismus, Triumphalismus und Totalitarismus erliegen.

Das Konzil hat die Kirche zu einem ähnlich mutigen Schritt aufgefordert, den einst der Apostel Paulus tat, als er die junge Christenheit aus der Gestalt einer jüdischen Sekte in den Raum der damaligen Oikumene, der hellenisch-römischen Welt hinausführte, und sie als ein universales Angebot eines Lebensweges darstellte, der alle Grenzen zwischen den Kulturen, Religionen, sozialen Klassen und Geschlechtern überschreitet.

Wenn das Christentum seine Katholizität vertiefen und radikal ökumenisch werden soll, zu einer Verschiebung von einer Kultur des Dialogs zu einer Kultur einer wirklichen Teilhabe beitragen soll, muss es viele Fächer der Theologie, einschließlich der Christologie und der Ekklesiologie, der Lehre über Christus und der Lehre über die Kirche, neu durchdenken.

Wo ist das Herz der Identität des Christentums? Im Geheimnis von Ostern.

Gerade in der Corona-Zeit habe ich für mich das Geheimnis von Ostern neu entdeckt, das Geheimnis des Todes und der Auferstehung: Etwas muss sterben (auch in der Kirche, in uns, in unserem Glauben), damit es zur Auferstehung kommen kann – und die Auferstehung ist nicht eine Rückkehr, sondern eine tiefgehende Verwandlung. Dieser Gedanke hat mich diese ganze merkwürdige Zeit über begleitet (und lebt in mir weiterhin).

In einem Essay in dem ich ganz am Anfang der Pandemie dieses Ereignis theologisch zu reflektieren versuchte –, stellte ich mir die Frage, ob die Zeit der geschlossenen Kirchen nicht ein prophetisches Warnzeichen für die Zukunft ist. Denn nicht nur in der Tschechischen Republik haben sich die Kirchen, die Klöster und die Priesterseminare schon seit Langem von Jahr zu Jahr geleert, die Kirche schloss und verkaufte diese Gebäude. Ich fürchte, dass diese Zeit der leeren Kirchen zu einem Warnbild für eine nahe Zukunft werden kann, falls die Kirche die dringlichen Aufforderungen von Papst Franziskus zu einer inneren Reform, zu einer radikalen Wende zum Evangelium, zu einer Vertiefung ihrer Theologie, ihrer Spiritualität und ihrer pastoralen Praxis nicht ernst nimmt.

Diese Frage habe ich mir bereits längst vor dieser Zeit der leeren Kirchen gestellt. Der Herr hat uns aus den Kirchen hinausgeführt und er stellte uns vor die Aufgabe, schon zweimal auch die höchsten christlichen Feiertage, Ostern, ganz anders als sonst zu feiern. Vielleicht will er noch etwas mehr von uns, als dass wir die Liturgie in der Kirche gegen Messen am Bildschirm austauschen.

Wenn uns die Leere der Kirche an das leere Grab in Jerusalem erinnern wird, dann sollten wir durch diese Leere nicht so sehr betrübt sein, dass wir von oben herab die Stimme überhören: Er ist nicht hier; denn er ist auferweckt worden! Er geht euch voraus nach Galiläa. Dort werdet ihr ihn sehen!

Ich denke, dass die Frage, die uns Gott an Ostern 2020 und 2021 stellt, diese ist: Wo ist das Galiläa von heute, das heidnische Galiläa, wohin sollen wir gehen, um dort den lebendigen Christus zu finden? Dort Gott zu finden, der aufgrund der Erfahrung des Todes bis zur Unkenntlichkeit verändert ist?

Ich bin tief überzeugt, das Galiläa von heute ist die Welt der Suchenden, die in den Kirchen marginalisiert sind, die von der „organisierten Religion“ oftmals enttäuscht und verletzt wurden, auch der immer größeren Welt der „ehemaligen Katholiken“, der Menschen am Rande der Welt der religiösen Dogmen und Rituale, der Menschen ohne Verankerung, die arm an „Sicherheiten“, jedoch offen sind und ehrlich suchen, und oftmals ernsthaft nach der Wahrheit und der Gerechtigkeit dürsten? Auch diese „Armen“ haben wir stets bei uns und wir werden sie immer bei uns haben!

Immer wieder komme ich auf das Bild zurück, das Kardinal Bergoglio am Vorabend seiner Papstwahl verwendete: Christus steht an der Tür und klopft an. Heute jedoch – fügte Bergoglio hinzu – klopft Jesus von innen an die Kirchentür und will hinaus gehen – und wir müssen ihm folgen. Ich verstehe dieses Bild als eine mutige Aufforderung, die bisherigen institutionellen und mentalen Grenzen des Christentums zu überschreiten, aus dem christlichen Glauben einen wirklichen Sauerteig der Welt zu machen, eine geistliche Lebenskraft der Globalisierung, ein universales Angebot und eine inspirierende Vision. Ist das gegenwärtige Christentum bereit, diesen Schritt zu tun, hat es dazu genug Mut und Vitalität?

Ich bin davon überzeugt, dass die Kirchen in Zukunft neben der Seelsorge für die Gläubigen, die in ihren Pfarrgemeinden und Kirchengemeinden beheimatet sind, und neben der klassischen Mission, die darauf ausgerichtet ist, neue Kirchenmitglieder zu gewinnen, besonders einen dritten Typus des Dienstes entwickeln werden müssen: die geistliche Begleitung der Suchenden. Gewissermaßen der Prototyp dieser Berufung ist der Dienst von Seelsorgern besonders in Krankenhäusern und Gefängnissen – dieser richtet sich an alle Bedürftigen, nicht nur an die „Gläubigen“, und er hat nicht die „Bekehrung“ im traditionell kirchlich-religiösen Sinn zum Ziel.

Trotzdem muss auch im Zentrum dieses Dienstes eine radikale existenzielle Bekehrung (Metanoia) stehen – die existenzielle Bekehrung von einem Leben an der Oberfläche zu einem Leben in der Tiefe.

Der Weg der Verwandlung, der Metanoia, ist jedoch auch ein Weg der Reinigung, der Buße und des Fastens; der Weg zur Auferstehung führt durch das Kreuz und den Tod. Auch das erzwungene Fasten in der Fasten- und Osterzeit in den Jahren 2020 und 2021, bei dem aufgrund der Coronavirus-Pandemie auf viele Formen der religiösen Praxis verzichtet werden musste, war ein kairos, ein Ausdruck der Pädagogik Gottes, eine Gelegenheit zur Verwandlung und zur Vertiefung des Glaubens.

Diese Erfahrung konnte uns Christen viel Bedeutsames aufzeigen: Erstens, dass Gott und seine Wirksamkeit nicht durch die sakramentale Praxis der Kirche begrenzt ist (Deus nontenetur sacramentis) und Christen zu einer konstruktiven Suche nach einer Kommunikationsform mit Gott auch außerhalb des traditionellen kirchlichen Raumes aufgefordert sind. Zweitens, dass die Eucharistie eine lebensspendende Quelle der Kirche als Gemeinschaft ist; sie ist ein Medium der Kommunikation nicht nur mit Gott, sondern auch mit anderen Menschen: Die Eucharistiefeier ist ein wirkliches Mahl, bei der die reale Gegenwart Christi im Sakrament mit der realen (nicht virtuellen) Gegenwart der Gläubigen verbunden ist; in der Eucharistie empfängt uns Christus und wir empfangen gleichzeitig Christus sowie unsere Schwestern und Brüder, wir empfangen ihn auch in ihnen und durch sie.

Ich bin überzeugt, dass das Fasten der Sakramente die Aufforderung dazu war, dass wir die Rückkehr zum Tisch Christi mit der leidenschaftlichen Sehnsucht nach der sakramentalen Gemeinschaft mit den anderen Christen verbinden. Wie lange werden uns noch die mittelalterlichen Definitionen trennen, die heute niemand mehr versteht, bis auf eine Handvoll Spezialisten der Theologiegeschichte, während uns doch der eine Christus, der eine Glaube, die eine Taufe, die eine Hoffnung und die Liebe mit den anderen Christen verbindet? Ich vermute, dass dieses erzwungene Eucharistie-Fasten uns ebenfalls Mut machen sollte, im Sinne der Barmherzigkeit Jesu auf Menschen in „irregulären Situationen“ zuzugehen, wozu uns – unter dem Geschrei der Pharisäer unserer Zeit – Papst Franziskus in „Amoris laetitia“ aufforderte.

Im ökumenischen Gespräch sind sich viele katholische und evangelische Theologen darin einig, dass die Eucharistie gleichzeitig die Anwesenheit und die Abwesenheit Christi offenbart – in der Eucharistie verkünden wir seinen Tod und seine Auferstehung, aber wir warten ebenfalls auf seine Ankunft. Die Eucharistie ist demnach das Sakrament der Kirche, deren Einheit – die Einheit der Christen untereinander, sowie die Einheit der Kirche mit Christus – noch nicht vollständig, vollendet ist.1 Die Eucharistie ist das Brot der Pilger (panis viatorum), eine Speise für den Weg. Sie ist nicht – wie es uns eine gewisse pastorale Praxis suggerierte – die Belohnung für die Klassenbesten der Göttlichen Schule. Die Eucharistiefeier sagt uns, dass wir noch nicht am Ziel sind. Vielleicht ist gerade der Triumphalismus in der Kirche (der die „eschatologische Differenz zwischen der irdischen pilgernden Kirche und der himmlischen „ecclesia triumphans“ übersieht) jene Sünde, die bewirken kann, dass man „des

1 Centre d'Études Oecuméniques (Strasbourg), Institut für Ökumenische Forschung (Tübingen), Konfessionskundliches Institut (Bensheim): Abendmahlsgemeinschaft ist möglich: Thesen zur eucharistischen Gastfreundschaft, Frankfurt a. M. 22007.

Empfangs unwürdig wird“ – die Eucharistie ist das Brot der Pilger, der Menschen auf dem Weg.

Vielleicht kann auch das Durchdenken dieses Aspekts der Eucharistie als Argument gegen die Behauptung dienen, dass eine gemeinsame Eucharistiefeier von Christen verschiedener Kirchen erst dann möglich sein wird, wenn unsere Einheit vollkommen ist. In der Geschichte wird sie nie vollkommen sein – und im himmlischen Jerusalem wird eine Eucharistiefeier nicht mehr möglich sein: ein Tempel wird dort nicht sein (Offb 21,22).

Teilhard de Chardin beschreibt in mystischen Texten seine Erfahrung des Erlebens des Geheimnisses der Eucharistie ohne Brot und Wein in der Wüste. Teilhard „imitierte nicht“ die Eucharistiefeier in der Einsamkeit der Wüste, sondern er nahm auf dem Weg der Kontemplation dieses Geheimnisses die Eucharistie als eine Quelle der „Christifizierung des Weltalls“ wahr, eine Heiligung der menschlichen Arbeit, der Sehnsucht und des Leids. Diese Texte inspirierten auch meinen priesterlichen Dienst – und den Dienst weiterer geheim geweihter Priester der „Untergrundkirche“ zur Zeit der kommunistischen Verfolgung. Unter noch viel härteren Bedingungen erlebten unsere Lehrer, die Priester in den Gefängnissen und den Konzentrationslagern des Nationalsozialismus und des Kommunismus das Geheimnis der Eucharistie.

Einer der grundlegenden Bausteine meiner Theologie ist der Gedanke der resurrectio continua (der sich fortsetzenden Auferstehung) – eine Fortsetzung des Sieges Jesu über den Tod, über die Angst und die Schuld als ein Leben spendender Fluss, der in bestimmten Augenblicken in den persönlichen Lebensgeschichten der Gläubigen sowie in der Geschichte der Kirche aus der Tiefe an die Oberfläche tritt – in den Augenblicken von Konversionen und Reformen, die durch Krisen und Prüfungen angekündigt werden.

Ich bin davon überzeugt, dass das österliche Geheimnis des Todes und der Auferstehung der Grundstein des Christentums und das Kriterium für das Erkennen der Christlichkeit ist. Ich bin davon überzeugt, dass nur ein Glaube, eine Kirche und eine Theologie, die durch die Dunkelheit von Gethsemane und Golgatha gingen und von den Toten auferstehen, tatsächlich ein christlicher Glaube, eine christliche Kirche und eine christliche Theologie sind. Und ich wiederhole nochmal: Die jetzige Erneuerung der Kirche kann sich nicht nur auf die Erneuerung der Strukturen ausrichten (auch wenn auch diese Erneuerung notwendig und erforderlich ist), sondern ihre Priorität muss die Erneuerung des Glaubens sein, einschließlich des Begreifens, Durchdenkens und der Ausdrucksformen des Glaubens – der Ausdrucksformen durch die Form der Predigt, der Theologie, der Spiritualität, der Kunst und der gesellschaftlichen Praxis der Gläubigen.

Die Kirche ist eine communio viatorum, eine Gemeinschaft der Pilger, die von Jesus ständig lernen muss, vieles aufzugeben, vieles sterben zu lassen, damit sie zu einem neuen Leben auferstehen und in die Freiheit gelangen kann, zu der uns Christus berufen hat, in der wir fest stehen und die wir uns von niemandem nehmen lassen sollten.

Tomáš Halík