Salzkörner

Mittwoch, 16. Dezember 2020

„Nein zu Hass und Hetze – Christen und Muslime gemeinsam gegen Islamfeindlichkeit“

Zur Erklärung des Gesprächskreises „Christen und Muslime“ beim ZdK

Im Vorfeld des Katholikentags 2016 stellte der aus 20 Christ*innen und Muslim*innen bestehende Gesprächskreis die Erklärung „Keine Gewalt im Namen Gottes!“ vor. Deren Position war eindeutig: Gott für Gewalttaten zu vereinnahmen, ist Gotteslästerung – Christentum und Islam verlangen dagegen den Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden und für das Wohl der Gemeinschaft! Auf diese Erklärung gab es sehr unterschiedliche Reaktionen: Es gab viel Zuspruch, und der Text wurde zu unserer Freude auch später in der Bildungs- und Dialogarbeit eingesetzt. Wenige Minuten und Stunden nach der Veröffentlichung erreichten jedoch das ZdK auch eine Fülle an Zuschriften voller Aggressionen, Beleidigungen, Beschimpfungen und Menschenverachtung. Der Bericht in den Salzkörnern (22. Jg/Nr. 4 vom August 2016) bemerkt den Gegensatz: Auf einen Text, der sich gegen Gewalt ausspricht, folgt verbale Gewalt; auf einen Appell zur verstärkten Friedensarbeit von Christen und Muslimen folgen muslimfeindliche Stereotype – beides nicht selten „mit der Berufung auf ein spezielles Verständnis des Christentums“.

Christ*innen können möglicherweise solche textlich vermittelten Reaktionen als befremdlich, erschreckend und nachdenklich stimmend einordnen. Für die Muslim*innen sind sie konkrete Lebensrealität, die sie real erfahren: Herabsetzungen und Übergriffe nicht nur verbaler Art sind an der Tagesordnung, und sie werden nicht nur vermittelt oder von Unbekannten erfahren, sondern unmittelbar und auch von Mitschüler*innen oder von Menschen aus der Nachbarschaft. Muslim*innen erfahren Diskriminierungen, Vorurteile und Hass in vielen Formen und an vielen Orten: bei der Wohnungssuche, im Bildungssystem, auf dem Arbeitsmarkt, bei Behörden und so weiter.

Wir formulierten schon 2016: „Feindbilder sind zu erkennen und zu überwinden“. Und wir warnten davor, „dass Islamfeindlichkeit in unserer Gesellschaft akzeptiert wird. Islamfeindlichkeit ist ebenso unchristlich wie Judenfeindlichkeit. Beides ist menschenverachtend und zerstört die Grundlage für ein friedliches Zusammenleben.“ In den letzten Jahren hat der alltägliche antimuslimische Rassismus (wie auch der Antisemitismus) verstärkt zugenommen. Deshalb sahen wir es als notwendig an, als Gesprächskreis und auf der Grundlage unserer Dialogerfahrungen diesen Feindbildern entgegenzutreten. Denn sich gegen Hass, Hetze und Diskriminierung zu engagieren, braucht unser aller Engagement. Nicht zuletzt stehen auch Christ*innen dabei in besonderer Verantwortung. Dies nicht nur, weil Islamfeinde sich auch auf christliche Motive berufen und weil einem solchen Missbrauch widersprochen werden muss, sondern auch, weil es ein religiös (christlich und islamisch) tief verankertes Grundmotiv ist, Gerechtigkeit und friedvolles Zusammenleben zu befördern.

Bei Komplikationen im Gespräch bleiben

Die entstandene Erklärung ist das Ergebnis eines gemeinsamen Ringens über viele Monate. Ein schwieriger Prozess, der zeigt, dass es nicht nur gelingen kann, sondern auch zur Ausgewogenheit beitragen kann, wenn die unterschiedlichen Wahrnehmungen vermittelt werden. Es zeigt auch, dass es sich lohnt, gerade bei Komplikationen im Gespräch zu bleiben und sich gemeinsam voranzuarbeiten.

Unsere Erklärung erscheint nun nicht nur in einem hochpolarisierten und vergifteten Umfeld. Sie kommt heraus in zeitlicher Nähe zu brutalen Gewalttaten religiöser Fanatiker. Auch da zeigt sich nochmals die Aktualität unserer Erklärung von 2016, in der wir u. a. schrieben: „Die friedliebende Mehrheit [der Muslime] weiß um ihr beschädigtes Ansehen und stellt sich kritischen Anfragen. Denn sie erfährt tagtäglich die breite Hinnahme ihrer gesellschaftlichen Diskriminierung und die Akzeptanz der Vorverurteilung in allen Milieus und Schichten. Die friedliebende Mehrheit distanziert sich von Gewalt.“

Es mag sein, dass die aktuellen Gewalttaten, die von Muslimen ausgehen, der Anlass für die wieder lauter werdenden Rufe nach Distanzierungen sind. Dabei erfolgt diese „Distanzierung“ in großer Zahl und auch in gemeinsamen interreligiösen Aktionen. Hier ist auch eine Dynamik zu bedenken, die Navid Kermani so beschreibt: „In dem Augenblick, in dem ich mich distanziere, billige ich dem Gegenüber das Recht zu, mich zu verdächtigen.“ Es ist notwendig, solche Verdächtigungen zurückzuweisen und sich konstruktiv mit Polarisierungen und mit Konflikten in ihrer religiösen, ethnischen und politischen Dimension auseinanderzusetzen. Das gilt auch oder gerade, wenn solche Konflikte aus dem Ausland nach Deutschland getragen werden.

Gemeinsam gegen jegliche Form von Ausgrenzung und Hass

Es bleibt ebenso notwendig, uns für unsere freiheitliche demokratische Werteordnung als verbindlichen Maßstab des Handelns einzusetzen und deren Gegnern, seien sie politisch oder religiös motiviert, entschieden entgegenzutreten. Es ist eine Aufgabe für die Religionsgemeinschaften, deutlich zu machen, welche theologischen Gründe dem Missbrauch religiöser Motive für Unterdrückung und Gewalt entgegenstehen. Die unterstellte Verbindung von Islam und Gewalt ist nur eines von mehreren Problemfeldern, die unsere Erklärung behandelt. Andere Themen sind das Verhältnis zu Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Religionsfreiheit, das Verständnis traditioneller Normenbestände („Scharia“), Frauenrechte und die Vielfalt sexueller Orientierungen sowie Antisemitismus.

Unsere Absicht ist es dabei nicht nur, auf die verbreiteten problematischen Ansichten über den Islam aufmerksam machen und einige Grundmuster aufzuzeigen, die zur Entstehung von antimuslimischem Rassismus beitragen. Zugleich möchten wir auch zeigen, dass uns die gemeinsame sachliche und konstruktive Arbeit an Kritik, die für jede Religion notwendig und heilsam ist, verbindet. Es ist keine Frage, dass die behandelten Kritikpunkte auf Missstände hinweisen, die es unter den Muslim*innen gibt. Problematisch wird es, wenn eine solche Kritik pauschalisiert und gezielt angewandt wird, um „den Islam“ zu disqualifizieren und ihn als nicht kompatibel mit den westlichen Werten und den modernen Lebensweisen anzuprangern.

Unser Anliegen in der Erklärung ist es, Gesellschaft, Politik und Religionsgemeinschaften für die zunehmende Islamfeindlichkeit stärker zu sensibilisieren und ein besseres wechselseitiges Verstehen anzustreben, um gemeinsam gegen jegliche Form von Ausgrenzung und Hass einzutreten. Die Erklärung soll auch Wege weisen für gemeinsames Handeln, das die Solidarität und Verständigung in unserer Gesellschaft voranbringt. Offenheit und die Bereitschaft zu Begegnung und Dialog auf Augenhöhe, auch zu einer kritischen Betrachtung der eigenen Position, sind wichtige Schritte, um Formen der Diffamierung zu erkennen und diesen zu entgegnen. Dazu sind alle gefordert – denn es geht um Menschenwürde und den Erhalt der offenen Gesellschaft.

Religiöse Vielfalt ist eine Herausforderung und eine Chance zugleich. Die Chancen können in den nachbarschaftlichen Beziehungen entdeckt und vertieft werden. Ein wichtiger Erfahrungs- und Lernort ist die Schule, in der die Kinder und Jugendlichen die kulturelle und religiöse Vielfalt kennenlernen. Ähnliches gilt für die Jugendarbeit und örtliche Projekte, die sich gemeinsamen Zielen und Anliegen widmen. Es gibt bereits viele positive Beispiele für ein gelingendes Miteinander. Muslim*innen sind dabei in vielfältiger Form Partner*innen in der Gestaltung des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Diese Wahrnehmung gilt es, auch im öffentlichen Bewusstsein und in medialen Darstellungen zu bestärken.

Wir hoffen, dass unsere Erklärung Anstöße gibt für die Arbeit in den christlichen und muslimischen Gemeinden, in Bildungseinrichtungen und Schulen. Sie kann verwendet werden als eine Grundlage und Anregung für die Auseinandersetzung mit einem ernstzunehmenden Thema in unserer Gesellschaft. In einer guten Streitkultur, die vielerorts noch zu entwickeln ist, können auch schwierige Themen ohne Polemik, Schuldzuweisungen und gegenseitige Diffamierungen besprochen und es kann gemeinsam nach Lösungen gesucht werden.

 

 

Autor: Dr. Hamideh Mohagheghi, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften für die islamische Theologie an der Universität Paderborn Dr. Christian Ströbele, Leiter des Fachbereichs Interreligiöser Dialog an d

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