Salzkörner

Mittwoch, 18. Dezember 2013

Als Haiyan Warschau erreichte

Katastrophenvorsorge muss zum integralen Bestandteil der Klimapolitik werden

Als am 7. November, vier Tage vor Beginn der Weltklimakonferenz in Warschau, der Taifun Haiyan über die Philippinen zog und weit mehr als 6.000 Menschen das Leben kostete, wurden die Konferenzteilnehmer mit einem Schlag aus ihrer Lethargie gerissen. Die langatmigen Verhandlungsrunden, das Feilschen um Verschmutzungszertifikate und der fehlende Konsens unter den Teilnehmerstaaten, die den UN-Klimakonferenzen das Image träger Massenveranstaltungen beschert haben, bekamen plötzlich wieder eine Relevanz, die Realität hatte die Diplomaten eingeholt. Und nicht zuletzt hatte "COP 19", die 19. Runde der UN-Klimaverhandlungen, nun auch eine hohe mediale Aufmerksamkeit.

Vertreter von Nichtregierungsorganisationen nutzen die aktuelle Katastrophe, um ihren Forderungen nach schnellerem und effektiverem Klimaschutz Nachdruck zu verleihen. Insofern sei "das Timing (des Zyklons) perfekt" gewesen (Greenpeace). Dafür mussten sich die Umweltschützer den Vorwurf gefallen lassen, "geschmacklose Effekthascherei" (FAZ) zu betreiben, indem sie eine so furchtbare Katastro-phe für ihre politischen Forderungen instrumentalisierten.

Tatsächlich ist es wissenschaftlich kaum möglich, ein einzelnes Klimaereignis wie diesen Taifun, der freilich der stärkste jemals gemessene war, dem Klimawandel unmittelbar zuzuschreiben. Eine seriöse Klimaforschung braucht Zeit, benötigt langjährige Studien und differenzierte Auswertungen. Doch wir können nicht warten, bis die Erforschung abgeschlossen ist. Klimaschutz ist auch dann sinnvoll und notwendig, wenn wir noch nicht konkret wissen, ob "Haiyan" eine unmittelbare Folge des Klimawandels war.

Tatsache: Erwärmung

Unbestritten ist, dass die globalen Durchschnittstemperaturen aufgrund der Emissionen klimaschädlicher Gase, insbesondere von Kohlendioxid, stetig ansteigen. Diese weltweite Erwärmung hat sehr unterschiedliche und vielschichtige Auswirkungen: Das Abschmelzen von Gletschern und Polareis führt zu einem Anstieg des Meeresspiegels, der unmittelbar das Leben von Küsten- und Inselbevölkerung gefährdet. Mittelbar werden durch diesen Anstieg Meeresströmungen und andere Klimafaktoren beeinflusst. Der globale Klimawandel führt regional nach Angaben des Weltklimarats IPCC schon jetzt zu einer Häufung von starken Tropenstürmen und Orkanen, zu einer Verlängerung der Trockenperioden vor allem in ariden Gebieten und zu häufigeren Dürren – und laut Prognosen des IPCC werden sich diese Entwicklungen noch verschärfen. Auch das Ausmaß und die Häufigkeit von Starkregen und damit verbundenen Fluten und Überschwemmungen sind weltweit gestiegen.

Klimaschutz ist Katastrophenprävention

Seit den 1960er Jahren nimmt laut IPCC die Zahl der Opfer von vor allem klimabedingten Naturkatastrophen ständig zu – in regional allerdings sehr unterschiedlichem Maße: 95 Prozent der Todesfälle durch solche Naturkatastrophen im Zeitraum von 1970 bis 2008 ereigneten sich in Entwicklungsländern. Die drastischen Unterschiede der Opferzahlen liegen zum einen darin begründet, dass extreme Klimaereignisse in tropischen und subtropischen Regionen häufiger sind. Vor allem aber ist es die Armut der Menschen und ganzer Länder, die verletzbar macht. Menschen, die kaum Geld zum Leben haben, wohnen an Hanglagen, in Flussnähe oder an anderen gefährdeten Orten. Sie leben in einfachen Unterkünften, die Fluten und Stürmen oft nicht standhalten. Ihnen fehlt oftmals das Wissen, wie sie sich und ihre Familien vor Katastrophen schützen können. Und vielen Staaten fehlt das Geld, um eine Anpassung der Infrastruktur zu finanzieren, etwa den Bau von Dämmen oder von orkansicheren Gebäuden.

Wir brauchen einen Ansatz, der an beiden Seiten ansetzt – Klimaschutzprogramme mit konkretem Zeitplan, um weltweit den Ausstoß klimaschädlicher Abgase relevant zu reduzieren. Und wir brauchen eine Ausweitung der Programme zur Katastrophenprävention.

Wirkungsvolle Programme

Dass solche Programme erfolgreich sein können, hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder bestätigt: Wassermanagement-Systeme in Ostafrika zum Beispiel haben während der Dürren in den vergangenen Jahren tausenden Menschen das Leben gerettet. Kleine, dezentral durchgeführte Maßnahmen, wie sie z. B. Caritas international in Äthiopien oder Kenia umgesetzt hat, funktionieren ohne großen technischen Aufwand: kleine Staubecken; Brunnen, Wasserrückhaltebecken, Zisternen, Dämme sowie Getreidespeicher und Silos haben in ihrem Zusammenwirken mit Beratung und Trainings dafür gesorgt, dass Dürren weit besser als früher überbrückt werden können. Und auch bei tropischen Stürmen funktioniert die Katastrophenvorsorge. Erst im Oktober fegte der Wirbelsturm "Phailin" über Südindien, der heftigste Zyklon in der Region seit 14 Jahren. Vor allem die Verbesserung des Vorwarnsystems und die gut organisierte Evakuierung haben dazu beigetragen, dass viele Menschenleben gerettet werden konnten.

Beispiel Kambodscha

Caritas international führt zurzeit ein umfangreiches Programm zur Katastrophenvorsorge in Kambodscha durch. Das weitgehend agrarisch geprägte Land, das zu den ärmsten in Südostasien zählt, ist besonders betroffen von den negativen Auswirkungen des globalen Klimawandels. Im vergangenen Jahrzehnt waren bereits 11,4 Prozent der kambodschanischen Bevölkerung von Naturkatastrophen betroffen. Besonders gefährdet ist das Land von Stürmen und Taifunen, Überschwemmungen und Erdrutschen. In den Trockenzeiten kam es zuletzt aber auch zu erheblichen Dürren. Die für Kambodscha prognostizierten klimatischen Veränderungen – Erhöhung der jährlichen Durchschnittstemperaturen und eine Verlängerung der Trockenzeiten einerseits, heftigere und höhere Niederschläge mit Hochwassern andererseits – erfordern ein umfassendes, eng mit der lokalen Bevölkerung abgestimmtes Vorgehen in der Katastrophenvorsorge.

Um die Ausgangssituation für das landesweite Programm zu erfassen, wurden im ersten Projektteil zwischen Januar und März 2013 Befragungen und Veranstaltungen mit Projektpartnern und einbezogener Bevölkerung durchgeführt. Darauf aufbauend entwickelten die Experten der Caritas eine Risikoanalyse für die jeweilige Region.

Vor diesem Hintergrund werden zunächst Pilotmaßnahmen durchgeführt. Je nach Region, Gefährdungspotential durch Katastrophen und weiteren Kriterien werden dazu mal kleine Deiche errichtet, um Dörfer und Häuser unmittelbar vor dem Wasser zu schützen. Mal werden die traditionell vorhandenen Stelzen, auf denen die Wohnhäuser stehen, verlängert, d. h. die Häuser werden durch eventuelle Fluten und Hochwasser weniger leicht erreicht. In wieder anderen Regionen kann auch ein ausgefeiltes Frühwarnsystem erforderlich sein: Die Ausstattung eines Dorfes mit Mobiltelefon, die Weitergabe von Informationen und das Training für den Katastrophenfall können viele Menschenleben retten.

In dem kambodschanischen Klimaschutz-Programm von Caritas international ist daher eine ganze Reihe von Sensibilisierungs- und Schulungsmaßnahmen zu verschiedenen klimawandelbezogenen Themen vorgesehen. Wenn erste Modelle getestet und die geplanten Maßnahmen mit der Bevölkerung abgestimmt sein werden, beginnt die unmittelbare Umsetzung der Katastrophenvorsorge. Geplant sind sowohl infrastrukturelle Maßnahmen, z. B. die Sicherung von Straßen und Brücken gegen Fluten, um den Transport von Menschen und Gütern auch bei Überschwemmungen zu ermöglichen, die Beschaffung von Familienbooten oder der Bau von flutresistenten Wohnhäusern und von Sicherheitsplätzen für landwirtschaftliche Nutztiere.

Eine Frage der Solidarität

Finanziert wird dieses Projekt unter anderem aus Mitteln des Klimaschutzfonds der Bundesregierung – ein Erfolg früherer Klimakonferenzen. In Warschau wurden für die Katastrophenvorsorge weitere 100 Milliarden Dollar vereinbart, mit denen die Industriestaaten jährlich arme Länder unterstützen – allerdings erst ab 2020. Außerdem werden die sechs Fonds der Vereinten Nationen, mit denen arme Länder im Klimaschutz unterstützt werden, finanziell besser ausgestattet. Sie seien damit in Kürze einsatzfähig, ließ die UN wissen. Randnotizen nur in der globalen Klima-Diplomatie. Für die Menschen in Kambodscha, Äthiopien oder auf den Philippinen aber wichtige Signale, dass sie die Folgen des Klimawandels nicht alleine zu tragen haben.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Autor: Dr. Oliver Müller Leiter von Caritas international

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