Salzkörner

Montag, 30. Juni 2014

Aufbruch zu einer neuen globalen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenda?

Die Verhandlungen über die Post-2015 Agenda

Derzeit ist die internationale Diskussion über eine neue globale Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenda, die nach 2015 an die Stelle der Millennium-Entwicklungsziele treten soll, in vollem Schwung. Es liegen eine Vielzahl von konkreten Vorschlägen für neue globale Nachhaltigkeitsziele vor, die von Geschlechtergerechtigkeit und Frauenrechten bis zu Konfliktvermeidung und Friedensschaffung reichen.

Einigkeit darüber, was die Post-2015 Agenda letztlich ausmachen und welcher Katalog von globalen Nachhaltigkeitszielen darin enthalten sein wird, ist allerdings noch nicht erkennbar. Klar ist nur, dass mit Blick auf die veränderten geopolitischen und weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine neue Agenda den untrennbaren Zusammenhang zwischen Armutsbekämpfung und ökologischer Nachhaltigkeit unterstreichen muss. Ökologische und entwicklungspolitische Strategien müssen integriert betrachtet werden, das Silodenken und -handeln überwunden werden.  Derzeit wird in den Verhandlungen bei den Vereinten Nationen aber noch zweigleisig gefahren: Neben der Frage der zukünftigen Entwicklungsagenda Post-MDG wird international in einem parallelen Diskussionsprozess innerhalb einer zwischenstaatlichen offenen Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen (OWG-SDG) über die Formulierung von globalen Nachhaltigkeitszielen (Sustainable Development Goals) diskutiert. Diese Prozesse sollten im September 2014 in New York zusammengeführt werden, ein für Ende des Jahres erwarteter Bericht des UN-Generalsekretärs die Basis für die Regierungsverhandlungen bilden.

Regierungsziele

Die Bundesregierung hat Anfang des Jahres ihre Position zur Post-2015 Agenda vorgelegt, konzentriert sich darin aber im Wesentlichen auf Vorschläge für einen Katalog globaler Nachhaltigkeitsziele. Aufbauend auf dem Vorschlag des UN-Generalsekretärs vom Juli 2013 sollte eine Post-2015 Agenda aber aus vier Elemente bestehen:

einer politische "Post-2015-Erklärung" der Staats und Regierungschefs, die den normativen Rahmen der Agenda beschreibt

einem Katalog universeller Nachhaltigkeitsziele

einem Aktionsprogramm, das auch Vereinbarungen über notwendigen (finanziellen und nicht-finanziellen) Mitteln zur Umsetzung der Agenda enthält

einem globalen Rechenschafts- und Überprüfungsmechanismus

Zudem fehlen in der Regierungsposition bislang noch ambitionierte Nachhaltigkeitsziele auch für Deutschland. Das gilt sowohl für konkrete Ziele, die sich auf ein Bekenntnis zu Nachhaltigem Wirtschaften, Klima- und Umweltschutz in Deutschland selbst beziehen, als auch für Ziele, die die globale Verantwortung Deutschlands in der Welt benennen. Deutschland sollte daher schon jetzt einen breiten gesellschaftlichen Diskussionsprozess beginnen, der globale Nachhaltigkeitsziele auf alle Politikbereiche in Deutschland herunterbricht.

Ergänzungen

Kürzlich hat die OWG-SDG einen ersten Vorschlag für einen Katalog neuer Nachhaltigkeitsziele vorgelegt. In einem eigenständigen Ziel wird darin die Verringerung globaler Ungleichheiten innerhalb und zwischen Staaten gefordert. Trotz eines Bekenntnisses zur universellen, d.h. gemeinsamen, Verantwortung bleibt allerdings unklar, in welchem Maße einzelne Staaten bereit sein werden, entsprechend ihrer nationalen Gegebenheiten und sozioökonomischen Leistungsfähigkeit unterschiedliche Verantwortung für die Realisierung der Post-2015 Agenda zu übernehmen. Dies birgt erheblichen Sprengstoff für die bevorstehenden Regierungsverhandlungen. Denn das alte Nord-Süd-Paradigma gilt längst nicht mehr. Eine neue Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenda muss universell für alle Staaten Zielverpflichtungen formulieren, und das unter Berücksichtigung ihres jeweiligen Entwicklungsstands und ihrer sozioökonomischen Möglichkeiten. Das Prinzip der gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortung ist zwar seit Rio 1992 international anerkannt, aufgrund der daraus erwachsenden Verpflichtungen aber einer der zentralen Stolpersteine in den Post-2015 Verhandlungen. Einerseits müssten die klassischen Industrieländer quasi als vertrauensbildende Maßnahme bereit sein, ihrer historischen Verantwortung für Umwelt- und Klimaschäden entsprechend vorab Ausgleichszahlungen an Entwicklungsländer zu leisten. Auch die Erfahrungen der MDGs zeigen, dass einerseits die Industriestaaten in die Pflicht genommen werden müssen, sei es für die Erfüllung jahrzehntelang verschleppter Entwicklungsfinanzierungsversprechen, sei es für die Umsetzung dringender Strukturreformen, die für mehr Gerechtigkeit und Fairness in den internationalen Beziehungen sorgen würden. Andererseits müssten künftig auch Schwellen- und Entwicklungsländer im Sinne einer gerechten Lastenteilung entsprechend ihrer jeweiligen Wirtschaftskraft zur Übernahme differenzierter Verantwortung für nachhaltige Entwicklung bereit sein.

Grenzen der gegenwärtigen Wachstumsorientierung

In einer zukunftsweisenden Post-2015 Agenda geht es aber um weit mehr als die Formulierung neuer Zielvorgaben. Die planetare Umwelt- und Ressourcenkrise führt uns drastisch vor Augen, dass es ein "Weiter So" des gegenwärtigen Wirtschafts- und Lebensstilmodell künftig nicht mehr geben kann. Aus christlicher Perspektive müssen die Grenzen der gegenwärtigen Wachstumsorientierung endlich anerkannt und daraus politisches Handeln für eine zukunftsgerechtere und nachhaltigere Wirtschafts- und Lebensweisen abgeleitet werden. Die Gleichung Wachstum = Entwicklung = Wohlstand für immer mehr Menschen geht nicht mehr auf. Deutlich benennt auch Papst Franziskus mit seiner im Zitat "Diese Wirtschaft tötet" formulierten radikalen Kapitalismuskritik die offenen Wunden des gegenwärtigen ressourcenintensiven Wirtschaftssystems. Statt kosmetischer Kurskorrekturen fordern christliche Organisationen daher eine radikale Abkehr vom Wachstumsdogma und der Hinwendung zum Leitbild des Weltgemeinwohls. Bis heute ignorierten aber viele Politiker und Wirtschaftsvertreter die mit dem bisherigen extraktivistischen, d.h. auf dem Raubbau von Rohstoffen und endlichen natürlichen Ressourcen basierenden, Wirtschaftsmodell verbundenen ökologischen und sozialen Schäden, unter denen vor allem die Menschen in den Entwicklungsländern zu leiden haben. Konkrete Vorschläge für einen transformatorischen Kurswechsel gehen in zwei Richtungen: Weniger bei uns (weniger Konsum, weniger Ressourcenverbrauch, weniger Verschwendung) und mehr in vielen Entwicklungsländern (mehr Gerechtigkeit, mehr Nahrung, mehr Rechte für alle). Ein solcher radikaler Prozess des Umdenkens geht allerdings weit über die derzeit verhandelte Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenda Post-2015 hinaus.

Menschenrechte

Unter der Maßgabe, dass die universellen Menschenrechte den größtmöglichen politischen Konsens auf internationaler Ebene darüber darstellen, wie das Weltgemeinwohl verwirklicht werden kann, kommt der Verankerung einer neuen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenda in den Normen und Prinzipien der Menschenrechte – neben den bürgerlich-politischen besonders auch die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte - eine herausragende Bedeutung zu. Der in den Regierungsverhandlungen ab Ende 2015 entstehende politische Zielkatalog sollte auf den Prinzipien des Menschenrechtsansatzes (Teilhabe, Transparenz, Diskriminierungs¬freiheit) aufbauen, da diese die Überführung der unverbindlichen Zielvorgaben und ihrer Erfüllung in einen rechtsverbindlichen Rahmen ermöglichen. Aber wer soll am Ende die Verantwortung für neue globale Zielvorgaben für gerechte Entwicklung und Nachhaltigkeit übernehmen? Nötig sind daher angemessene Mechanismen für Transparenz, eine regelmäßige Überprüfung der Umsetzung sowie politischer Druck auf Staaten bei Nichteinhaltung der sich aus globalen und nationalen Nachhaltigkeitszielen ergebenden Verpflichtungen. Nicht nur die Regierungen sind in der Pflicht, vielmehr müssen alle gesellschaftlichen Gruppen zum Gelingen einer neuen Globalen Partnerschaft beitragen: Unternehmen, Stiftungen, internationale Organisationen, die Wissenschaft, Parlamente und die Zivilgesellschaft. Teilhabe aller Menschen an der Gestaltung des Prozesses ist daher unverzichtbar als Voraussetzung für die Verwirklichung einer menschenrechtebasierten globalen Entwicklungs- und Nachhaltigkeitsagenda.

 

 

 

 

 

 

Autor: Dr. Klaus Schilder Referent für Entwicklungsfinanzierung und nachhaltige Entwicklung bei Misereor

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