Salzkörner
Mittwoch, 24. April 2013
Aus dem Glauben heraus Orientierung geben
Historische und geografische Impulse für den Katholikentag in Regensburg
Vom 28. Mai bis 1. Juni 2014 wird in Regensburg der 99. Deutsche Katholikentag stattfinden. Er steht unter dem Leitwort "Mit Christus Brücken bauen". In den Beratungen zur Findung des Leitwortes wurde deutlich, wie stark in unserer Zeit die Kräfte sind, die die Menschen voneinander entfernen: zwischen Armen und Reichen, zwischen den Nationen und Kontinenten, zwischen Religionen und Konfessionen und zwischen den Generationen. Überall hier gilt es im Geiste Jesu Christi Brücken zu bauen.
Mit jedem Katholikentag untrennbar verbunden sind sowohl historische Bezüge als auch die spezifische Perspektive, die eine gastgebende Stadt und Diözese in die Gestaltung einbringt. Der Bischof der Diözese Regensburg, Rudolf Voderholzer, entfaltet im Folgenden einige solche Perspektiven für den Katholikentag im kommenden Jahr.
Ein Katholikentag will – von seiner Geschichte her – Selbstvergewisserung der Kirche auf ihre gesellschaftspolitische Relevanz sein. Er soll aus dem Glauben heraus Orientierung geben vor allem in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, sozialethischen und kulturellen Fragestellungen.
Insofern unterscheidet sich der Katholikentag von einem Eucharistischen Kongress, aber auch von einer Synode oder einem Konzil. In letzteren Veranstaltungen dominiert die Innenperspektive (Kirche "ad intra"); dort ist auch der Ort, gegebenenfalls strittige Glaubensfragen oder Fragen der Kirchendisziplin zu verhandeln; diese Versammlungen hätten auch – in gestufter Form – die Vollmacht, in solchen Fragen Entscheidungen herbeizuführen.
Ein Katholikentag hat von seiner Geschichte her demgegenüber eine andere Ausrichtung. Hier dominiert die Perspektive nach außen, also "ad extra", Antworten auf die Frage: Was haben wir positiv zur Gestaltung der Gesellschaft und ihrer Zukunft einzubringen?
Eine kurze Rückschau in die Geschichte mag als Folie dienen, vor deren Hintergrund Wesen und Auftrag eines Katholikentags heute Profil gewinnen können.
1914 – 2014
In diesem Jahr jährt sich zum 100. Mal der deutsche Katholikentag in Metz. Die 60. Generalversammlung der Katholiken Deutschlands fand vom 17. bis 21. August 1913 im damals deutschen Lothringen statt. Man beging u. a. das Jubiläum 1600 Jahre Mailänder Edikt 313, mit dem seinerzeit im römischen Reich durch die Gunst Kaiser Konstantins das Ende der Christenverfolgung besiegelt und der Kirche die freie Entfaltungsmöglichkeit eröffnet wurde. Michael Faulhaber (1869 – 1952), damals noch Bischof von Speyer (der spätere Münchener Erzbischof und Kardinal), hielt eine vielbeachtete Ansprache zum Thema "Freiheit der Kirche", in der er die Gegenwart, die noch von den Nachwirkungen und Ausläufern des Kulturkampfes geprägt war (man denke etwa an das Jesuitengesetz oder den so genannten "Kanzelparagraphen"), im Licht des historischen Ereignisses beleuchtete und die Freiheit der Kirche einforderte. Das war 1913.
Wenn wir zurückschauen, müssen wir erschüttert feststellen: Nicht einmal ein ganzes Jahr später brach der Erste Weltkrieg aus. Nicht einmal 100 km von Metz entfernt tat sich das größte und blutigste Schlachtfeld der Weltgeschichte auf. Es ist den Christen, gerade auch den Katholiken, nicht gelungen, einen vom Nationalismus auf den verschiedenen Seiten geschürten Krieg zu verhindern, sondern man hat sich sogar oft genug auch noch vom Nationalismus anstecken lassen.
Dies stellt ein Paradebeispiel für "Verweltlichung" der Kirche und eine nicht geglückte "Entweltlichung" dar. Man kann dies mit der Notwendigkeit erklären, dass die Katholiken sich im Zuge der Reichsgründung oft genug dem Vorwurf ausgesetzt gesehen hatten, "vaterlandslose Gesellen" zu sein und manche ihre Treue zur Nation besonders glaubten betonen zu müssen. Diese Erklärung aber ist keine Entschuldigung. Papst Benedikt XV. (1914 – 1922) hat in dieser Situation verzweifelt versucht, dem schrecklichen Treiben, dass hier christliche Völker, oft genug sogar Katholiken gegen Katholiken, jedenfalls Christen gegen Christen Krieg führten – von der grundsätzlichen humanitären Katastrophe ganz zu schweigen –, durch die Bemühung um Waffenstillstandsverhandlungen ein Ende zu bereiten. Die preußische Regierung hat die Friedensbemühungen Benedikts seinerzeit hintertrieben, so dass dem "Friedenspapst" kein Erfolg beschieden war.
1913 und 1914: Schicksalsjahre für Deutschland und Europa. Der Katholikentag nächstes Jahr fällt in das 100. Jahr nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs. Nicht nur die Historiker werden dieses verhängnisvollen geschichtlichen Geschehens gedenken und auch die Rolle der Kirche neu unter die Lupe nehmen.
Krise in Europa
Hier drängt sich unwillkürlich die Frage auf: Stehen wir möglicherweise am Vorabend einer ähnlichen Katastrophe wie das Europa von 1913? Ist die begonnene (und von katholischen Politikern wie Konrad Adenauer, Robert Schuman und Alcide De Gasperi maßgeblich initiierte!) europäische Einigung nicht ernsthaft gefährdet?
Welches Ausmaß hat die Eurokrise wirklich? Welche Folgen könnte ein negativer Ausgang der gegenwärtigen Finanzkrise für die Völker Europas haben? Welche Bedeutung haben der demographische Wandel und die damit verbundenen komplexen Problemstellungen? Fragen wir uns auch: Wie können diese Krisen gemeistert werden? Was kann die Kirche positiv dazu beitragen? Das sind Themen ersten Ranges für einen Katholikentag im Jahre 2014!
25 Jahre friedliche Revolution
Doch vor aller Notwendigkeit, warnend die Stimme zu erheben, dürfen die positiven Aspekte erinnert werden, die sich ebenfalls mit dem Jahr 2014 verbinden werden. Wir werden nämlich auch dankbar und stolz auf 25 Jahre unblutige Grenzöffnung und Überwindung des Eisernen Vorhangs zurückschauen und sie feiern dürfen. Die Christen und besonders auch die Katholiken haben dazu einen erheblichen Beitrag geleistet. Dieser Brückenschlag darf in diesem Zusammenhang dankbar ins Licht gerückt werden.
Das Leid, das die Nationalsozialistische Gewaltherrschaft im Zuge des Zweiten Weltkrieges über Deutschland und Europa gebracht hatte, hatte zuvor tiefe Wunden geschlagen und Gräben aufgerissen, wie ich vom Schicksal der aus dem Sudetenland stammenden Familie meiner Mutter aus persönlicher Erzählung und Begegnung weiß. Auch hier hat die Versöhnungsbereitschaft der Christen maßgeblich dazu beigetragen, dass nicht Revanchismus und Nationalismus – wie nach dem Ersten Weltkrieg – die Oberhand gewannen, sondern die Kräfte der Versöhnung und der Verständigung, die Bereitschaft zum Brückenbauen also.
Nachbarschaft zu Mittel- und Osteuropa
Das Bistum Regensburg, das von seiner Geschichte her in besonderer Weise mit Böhmen verbunden ist, pflegt seit etlichen Jahren eine Partnerschaft mit dem Bistum Pilsen, das 1991 vom Erzbistum Prag abgetrennt wurde, welches seinerseits 973 von Bischof Wolfgang vom Bistum Regensburg in die Selbständigkeit entlassen worden war. Der Brückenschlag zwischen Bayern und Böhmen, der stellvertretend für die Verbindungen von Ost und West steht, soll auch gemäß dem Katholikentagsmotto "Mit Christus Brücken bauen" prominent zur Geltung kommen; zunächst in der Erinnerung und Feier der bereits geschehenen positiven Mitgestaltung des Zusammenlebens der Völker durch die Christen, speziell auch der Katholiken.
An dieser Brücke soll jedoch weitergebaut, diese Brücke soll intensiv weiter beschritten werden. Ich begrüße daher auch dankbar die Initiative zu einer grenzüberschreitenden Wallfahrt im Rahmen des kommenden Katholikentages. Auf die Einladung und Mitbeteiligung der Mitchristen vor allem aus Pilsen ist daher besonders zu achten.