Salzkörner

Mittwoch, 31. Oktober 2007

Die Linke

Wie verändert sich die Parteienlandschaft?
Wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre, käme die Partei Die Linke auf 10 Prozent der Wählerstimmen. Damit ist die Linke zurzeit die drittstärkste Partei in den Wählerumfragen, nach CDU/CSU (41 Prozent) und SPD (30 Prozent). Die FDP erhielte 7, die Grünen 8 und die sonstigen Parteien zusammen 4 Prozent. Nicht nur wegen dieses Wählerzuspruchs, sondern auch aufgrund ihrer populistischen Programmatik stellt die Linke einen ernst zu nehmenden Faktor im Parteiengefüge dar. Das Parteiensystem würde durch eine langfristige Etablierung der Linken einem starken Wandel unterliegen.

Ein Gespenst geht um in Deutschland – das Gespenst der Linkspartei. Schon kurz nach dem Zusammenschluss der SED-Nachfolgepartei PDS mit der WASG im Juni 2007 bescheinigen die Umfrageinstitute der neuen Partei "Die Linke" bundesweit einen beachtlichen Wählerzuspruch. In den neuen Bundesländern hatte vielerorts bereits die PDS den Status einer Volkspartei. Nun scheint es, als ob die neue Partei auch in Westdeutschland mit Wahlerfolgen rechnen könne. Die etablierten Parteien reagieren nervös. Die Wahlkampfstrategen bei Union, SPD, FDP und Grünen wissen: Eine fünfte Kraft im Parteiensystem entzieht ihnen Wählerstimmen und schmälert die Aussichten auf klare Mehrheiten.

Das Profil der Linken

Der Partei Die Linke gehören rund 71.000 Mitglieder an, von denen ca. 9.000 aus der WASG stammen. Nach der Parteifusion erfährt Die Linke derzeit nach eigenen Angaben – gerade im Westen – einen beachtlichen Mitgliederzuwachs. Die Mitgliederstruktur in West- und Ostdeutschland ist freilich nach wie vor höchst heterogen. Im Osten gehören viele Mitglieder zu den Privilegierten der ehemaligen DDR. Aus diesem Grund ist die Mitgliedschaft in den neuen Ländern ziemlich überaltert: 70 Prozent der Mitglieder sind älter als 60 Jahre. Die Mitglieder, die die WASG in die neue Partei mitgebracht hat, sind vor allem ehemalige Mitglieder der SPD sowie Gewerkschaftler, allerdings auch Mitglieder des links-alternativen Spektrums. In der neuen Partei treffen damit Personen äußerst unterschiedlicher politischer Herkunft aufeinander.

Motive für den Zusammenschluss

Die Vorteile einer Fusion waren für beide Seiten offensichtlich. Die programmatischen Positionen der beiden Parteien lagen nahe beieinander. Die westdeutsche WASG hatte kaum Chancen, in Ostdeutschland Wähler zu finden, da ihre Positionen dort von der PDS belegt waren. Andererseits hatte die PDS von Anfang an große Schwierigkeiten, in den alten Bundesländern Fuß zu fassen, da hier vielerorts der Nachfolgepartei der SED große Skepsis entgegengebracht wird. Die Wahlergebnisse in Westdeutschland lagen bei Bundestagswahlen stets unter 2 Prozent. Die Linke kann demnach hoffen, durch die Parteifusion das Wählerpotential für beide Parteien in ganz Deutschland zusammenzufassen. Darüber hinaus könnte sie ein Auffang- becken für Protestwähler bilden, die sonst gar nicht oder extremistisch wählen würden.

Programmatische Aussagen

Die Linke verfügt bisher noch über kein offizielles Parteiprogramm. In der Präambel ihrer Satzung beschreibt sie sich als "verwurzelt in der Geschichte der deutschen und der internationalen Arbeiterbewegung, der Friedensbewegung und dem Antifaschismus verpflichtet, den Gewerkschaften und neuen sozialen Bewegungen nahe stehend, schöpfend aus dem Feminismus und der Ökologiebewegung". Die neue linke Partei stelle die "Systemfrage", bekräftigte Lothar Bisky auf dem letzten Parteitag der PDS. Er betonte, Die Linke gebe den "demokratischen Sozialismus" als Idee nicht auf. Thematisch herrschen in den programmatischen Äußerungen linker Politiker vor allem soziale und ökologische Fragen vor, ebenso wie Pazifismus und die Bekämpfung der negativen Folgen des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Dabei werden klassische Ziele der alten Linken (Rechte der Arbeitnehmer, soziale Sicherungssysteme, Staatsintervention u.ä.) mit Elementen der neuen Linken (direkte Demokratie, Minderheitenschutz, Frauenrechte, Demilitarisierung, etc.) kombiniert.
Neben diesen grundsätzlichen Aussagen finden sich viele politische Ziele, die in Abgrenzung von der aktuellen Regierungspolitik definiert werden: Zurücknahme der letzten Rentenreform, Einführung eines Mindestlohns, Rücknahme von Hartz IV, Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Ein positives, programmatisches Konzept lässt sich aus solchen Einzelforderungen nicht ablesen.

Verhältnis zu anderen Parteien

Programmatisch steht die neue Partei mit solchen Aussagen eindeutig links von der SPD. Parallelen zu den Positionen der Grünen und der SPD sind unverkennbar und werden offen zugegeben. So nimmt Die Linke für sich in Anspruch, die Politik zu vertreten, die Grüne und SPD noch in den 1990er Jahren vertraten, in der Zeit der Regierungsbeteiligung seit 1998 jedoch vernachlässigten. So sagte Bundesgeschäftsführer Bartsch: "Mit den Hartz-Reformen, insbesondere Hartz IV, hat die SPD in Kumpanei mit den Grünen ihre Rolle als Schutzmacht der "kleinen Leute" preisgegeben." Diese Rolle wolle nun Die Linke übernehmen.

Vor allem für die SPD bedeutet diese politische Positionierung der Linken eine ernst zu nehmende Konkurrenz. Insbesondere die sozialstaatliche Rhetorik linker Politiker könnte die Sozialdemokratie Wählerstimmen kosten. Die derzeitigen Umfrageergebnisse sind jedenfalls für die SPD alles andere als positiv. Die kürzlich zwischen SPD-Parteichef Beck und Vizekanzler Müntefering ausgebrochene Kontroverse um eine Modifizierung von "Hartz IV" ist eine unmittelbare Folge der derzeitigen parteipolitischen Konstellation links der Mitte.

Aber auch die Union hat keinen Anlass zur Schadenfreude. Zwar sonnt sich Angela Merkel derzeit im Umfragehoch, aber ihre positive Bewertung wirkt sich bislang kaum auf die CDU aus. Eine weitere Zersplitterung des linken Wählerspektrums bedeutet noch lange keinen Stimmenzuwachs für die bürgerlichen Parteien. Die strategische Ausgangslage der SPD ist paradoxerweise gar nicht schlecht, weil sie im Gegensatz zur Union "multi"-koalitionsfähig ist. So könnte sich die Union eines Tages in der Situation wiederfinden, zwar Wahlen gewonnen zu haben, aber von einer rot-rot-grünen Koalition regiert zu werden.

Folgen für das Parteiensystem

Niemand kann seriöserweise zum jetzigen Zeitpunkt eine Prognose darüber abgegeben, ob Die Linke langfristig auch im Westen über den Status einer Splitterpartei hinauskommen wird. Dennoch spricht einiges dafür. Denn die neue Partei füllt einerseits ein programmatisches Vakuum auf der linken Seite des Parteienspektrums, andererseits bedient sie sich – allen voran das charismatische Führungsduo Gysi und Lafontaine – einer populistischen Rhetorik, die auch potenzielle Wähler rechtsextremer Parteien anziehen könnte.

Es gibt freilich auch einige Unsicherheitsfaktoren. So bleibt abzuwarten, ob sich tatsächlich eine einheitliche Partei entwickeln kann. Geschichte, Herkunft, Mitgliederstruktur und Programmatik von PDS und WASG waren so heterogen, dass größere Auseinandersetzungen über Kandidaten und Ziele mehr als wahrscheinlich sind. Offen ist auch, welche Personen nach Lafontaine und Gysi eine Führungsrolle übernehmen könnten. Schließlich: Die Linke muss früher oder später ihr Verhältnis zu ihrem extremistischen Flügel (z.B. der Kommunistischen Plattform) klären.

Sollte Die Linke ihre momentan guten Umfragewerte dennoch in langfristige Wahlerfolge ummünzen können, hätte dies in der Tat gravierende Auswirkungen auf das politische System. Das Parteienspektrum wäre breiter – und damit ein Stück weit europäischer. Ein Fünfparteiensystem wäre europäische Normalität. Zugegeben: Klare Sieger wären dann bei den Wahlen nicht mehr zu erwarten, womöglich ist dann auch auf der Ebene des Bundes mit Dreierkoalitionen zu rechnen. Regieren würde komplizierter. Aber für die Wähler muss eine solche Entwicklung des Parteiensystems nicht unbedingt von Nachteil sein. Konkurrenz belebt das Geschäft.

Autor: Prof. Dr. Klaus Stüwe, Professor für Politikwissenschaft an der Katholischen Universität Eichstätt- Ingolstadt, Mitglied des ZdK

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