Salzkörner
Montag, 29. August 2011
Ein Grund zum Feiern?
Wohin geht die deutsche Entwicklungspolitik?
Dieses Jahr begeht das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) sein 50-jähriges Bestehen und kann, international betrachtet, auf eine recht einmalige Geschichte zurückzublicken. Bis heute hat kaum ein anderes Land – mit Ausnahme von Großbritannien – ein selbstständiges Fachministerium für Entwicklungspolitik, das in das komplexe Gefüge von außen- und wirtschaftspolitischen Eigeninteressen eingebettet ist.
Auch in Deutschland ist die Notwendigkeit der institutionellen Eigenständigkeit der Entwicklungspolitik bis heute keine Selbstverständlichkeit. Das hat uns die letzte Regierungsbildung 2009 klar vor Augen geführt.
Bei der Gründung eines eigenen Ministeriums für die Kooperation mit den Entwicklungsländern im Jahr 1961 stand die zentrale Frage im Vordergrund, in welchem Verhältnis die Entwicklungspolitik zur Außen- und Wirtschaftspolitik stehen sollte. In den 1950er Jahren bestanden die ersten Hilfemaßnahmen in Bildungs- und Gesundheitsprojekten, die vor allem in Kooperation mit den deutschen Missionen geleistet wurden. Sie waren Teil der Kulturpolitik des Auswärtigen Amtes und dienten in erster Linie als außenpolitisches Instrument zur Verfolgung deutscher Interessen im Rahmen der sogenannten Hallstein-Doktrin. Sie konzentrierten sich somit auf Staaten, die den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik als einzige demokratische Vertretung des deutschen Volkes anerkannten. Die Verknüpfung deutscher Entwicklungszusammenarbeit mit wirtschaftlichen Eigeninteressen spiegelte sich insbesondere in den mit deutschen Hilfsprojekten verbundenen Lieferbindungen wider.
Wohlverstandenes Eigeninteresse
In diesem komplexen Geflecht wirtschafts- und außenpolitischer Interessen formulierte der Wissenschaftliche Beirat des Wirtschaftsministeriums bereits im Jahr 1960 den mit der Entwicklungspolitik verbundenen Gedanken des wohlverstandenen langfristigen Eigeninteresses. Der katholische Theologe Oswald von Nell-Breuning hat diesen Gedanken mit dem Begriff der "Solidarischen Verbundenheit" auf den Punkt gebracht, nach dem wir "auf Gedeih und Verderb miteinander verbunden sind". Die Solidarische Verbundenheit verpflichte zur Bekämpfung des Missverhältnisses zwischen unserem Wohlstand und der Armut in anderen Ländern, um dieser "Gefahr für die politische, soziale und ökonomische Ordnung der Welt und somit auch für unsere eigene" entgegenzutreten. Dieser Grundsatz ist in der Wirklichkeit leider kaum zum Tragen gekommen.
Rolle der Kirchen
Die dem Solidaritätsgedanken verpflichteten Kirchen und die Zivilgesellschaft spielten eine tragende Rolle für die Gründung des BMZ. Vor dem Hintergrund der Erfahrung der eigenen Not in den Nachkriegsjahren, der Solidarität durch die ehemaligen Kriegsgegner und des Wirtschaftswunders wuchs in Deutschland das Bewusstsein für den Hunger und die Not vieler Menschen in der damaligen "Dritten Welt". Diese persönlichen Erfahrungen führten zu einer hohen Spendenbereitschaft und Engagement für die Armutsbekämpfung. Sie wurde in einer Reihe von Initiativen kirchlicher Gruppen und Verbände konkret, die sich auch aus dem ZdK heraus entwickelten, und führten zur Gründung der Fastenaktion der deutschen Katholiken "Misereor" 1958 und des evangelischen Hilfswerkes "Brot für die Welt" 1959. Im Kern ging es der kirchlichen Entwicklungszusammenarbeit bereits damals um die Bekämpfung der Ursachen von Armut und weniger um humanitäre Hilfe. Auf diesen Erfahrungen aufbauend gründete die Regierung Konrad Adenauers das "Ministerium für Entwicklungshilfe", um der Armutsbekämpfung – im Rahmen bestimmter außen- und wirtschaftspolitischer Maßstäbe – eine eigene Rolle zu geben.
Ziele
Im Rückblick auf die letzten 50 Jahre deutscher Entwicklungspolitik stellt sich die Frage, welche Gründungsge-danken aus den Entstehungsjahren des BMZ sich auch in der heutigen Entwicklungszusammenarbeit wiederfinden. Das Prinzip der solidarischen Verbundenheit von Nell-Breuning als Grundsatz politischen Handelns ist angesichts der globalen Aufgabenstellungen, vor denen Deutschland und die Weltgemeinschaft stehen, aktueller denn je. Die Bewältigung der globalen Ernährungs-, Wirtschafts- und Finanzkrise, die Notwendigkeit eines wirksamen Klimaschutzes, die Umstellung unserer Energieversorgung, knapper werdende Ressourcen angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung und zahlreiche politische Konfliktsituationen sind Herausforderungen, denen die internationale Gemeinschaft nur gemeinsam begegnen kann. Diese Notwendigkeit weltweiter Solidarität wird bis heute von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit unterstützt und getragen.
Instrument und gleichzeitig Ergebnis dieser gelebten Solidarität sind die vielfältigen entwicklungspolitischen Initiativen und Nichtregierungsorganisationen, die in den letzten 50 Jahren entstanden sind, sowie die verschiedenen Personalprogramme entwicklungspolitischer Institutionen. Gerade auch kirchliche Initiativen haben dazu entscheidende Beiträge geleistet.
Armutsbekämpfung
Inwieweit kommt jedoch das BMZ seinem Hauptziel einer nachhaltigen und wirksamen Armutsbekämpfung heute nach? Dem seit den 1950er Jahren dominierenden entwicklungspolitischen Konzept des "Transfers des eigenen Wissens und Könnens" wurde seit den 1980er Jahren der Ansatz einer "Partizipativen Armutsbekämpfung" entgegengestellt, an dessen Erarbeitung auch die Kirchen großen Anteil hatten. Denn die Grundprinzipien kirchlicher Entwicklungszusammenarbeit bestanden von Beginn an aus der Gewährung von Hilfe "unabhängig von Rasse, Geschlecht und Religion", einer partnerschaftlichen Zusammenarbeit und der Leistung von Hilfe zur Selbsthilfe und waren somit Vorreiter für eine armenorientierte, partizipative Entwicklungspolitik. Durch die Kombination dieser Prinzipien zur Selbsthilfe und Eigenverantwortung mit strukturell wirkenden Fördermaßnahmen und verbesserten Rahmenbedingungen wurde auch in der staatlichen Entwicklungspolitik die Teilnahme und Teilhabe der Armen zum eigenständigen Ziel erfolgreicher Armutsbekämpfung. Dieser Ansatz konnte bis heute jedoch nur punktuell in der deutschen Entwicklungspolitik realisiert werden.
Kurswechsel?
Die internationalen Anstrengungen zur Armutsbekämpfung, die z. B. in der Millenniumserklärung und den Millennium Development Goals formuliert wurden, konnten ihren selbstgestellten Ansprüchen bisher nur ungenügend gerecht werden. Im Jahr 2010 lebten immer noch knapp eine Mrd. Menschen in Armut. Als Hauptgründe für eine verfehlte Armutsbekämpfung in der deutschen Politik sind sicherlich die mangelnde Umsetzung der partizipativen Armutsbekämpfung, die fehlende Kohärenz der Außenhandels-, Agrar- und Entwicklungspolitik sowie die versäumte Erhöhung der öffentlichen Mittelausstattung auf 0,7 Prozent des Bruttonationalproduktes zu nennen. Die gegenwärtige Bundesregierung hat einen Kurswechsel in der Entwicklungspolitik angedeutet. Sie will die zentralen Schwerpunkte für eine wirksame Armutsbekämpfung (gute Regierungsführung, Bildung, Gesundheit, ländliche Entwicklung, Klima- und Umweltschutz) fortführen, setzt jedoch vor allem neue Akzente bei der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und der Förderung privatwirtschaftlicher Initiativen. Die Einbeziehung unternehmerischer Kompetenz kann sicherlich ein wichtiger Faktor für eine erfolgreiche Armutsbekämpfung in den Partnerländern sein. Sie wird jedoch mit Fortschritten in wirtschaftlich weniger lukrativen Bereichen wie Gesundheit und Bildung einhergehen müssen.
Aber dürfen wir uns als Gesellschaft – angesichts der globalen Herausforderungen und den unbefriedigenden Ergebnissen bei der Armutsbekämpfung – allein auf das Beklagen der Defizite in der Politik beschränken? Müssen wir uns nicht nach unserer eigenen gesellschaftlichen Verantwortung für eine "richtige" Entwicklungshilfe fragen? Dazu könnte es sich lohnen, nochmal bei Oswald von Nell-Breuning nachzulesen, um den Weg zur Wahrnehmung unserer Verantwortung für eine solidarische Gesellschaft neu zu ergründen.