Salzkörner
Montag, 3. Mai 2010
Ethisches Investment baut nachhaltig auf
Mikrofinanz als Katastrophenhilfe
Das Erdbeben in Haiti, die Tsunami-Katastrophe in Asien vor fünf Jahren – apokalyptische Ereignisse, die die Hilfsbereitschaft der Menschen in besonderer Weise fordern. Zu Recht ist damit verbunden die Frage nach dem zweckgerichteten und effizienten Mitteleinsatz. Und häufig stellt sich die Frage nach dem Sinn zu spenden. Kommen die Gelder an? Werden sie fachgerecht eingesetzt? Verpufft die Wirkung aufgrund bürokratischer Hemmnisse, Korruption und Misswirtschaft? Wie wird am effektivsten und auch nachhaltig geholfen? Wird Wiederaufbau mit Prävention verbunden?
Spenden und Investieren
Katastrophen haben unterschiedliche Phasen, die unterschiedliche Maßnahmen erfordern. Unmittelbar ist zunächst humanitäre Hilfe gefragt, Erstversorgung mit Lebensmitteln, Decken und Zelten, medizinische Hilfe und erste Maßnahmen, Versorgungsstrukturen wieder funktionsfähig zu machen. Dies ist der Moment, wo die Medien vor Ort sind und (richtigerweise) eine Welle der Spendenbereitschaft auslösen. Mehr Mitteleinsatz wird aber danach erforderlich sein, wenn es darum geht, die zerstörte Infrastruktur als eine Grundlage humanen und entwicklungsfähigen Lebens wieder aufzubauen. Allzu oft wird über die erste "Betroffenheit" vergessen, dass dann, wenn die Medien den Unglücksort längst wieder verlassen haben, erst die zeit- und kostenintensive Arbeit anfängt. Und so ist zum Beispiel die Kirche, die im ökonomischen Sinne in Entwicklungsländern oft nicht "rentabel" arbeiten kann, zwingend auf spendengestützte Hilfe angewiesen. Deshalb ist es sinnvoll, im Falle der Katastrophe insbesondere auch diejenigen Hilfswerke zu bedenken, die langfristige Wiederaufbauarbeit leisten.
Allerdings kann langfristig eine nachhaltige Entwicklung nur erfolgreich sein, wenn den Menschen geholfen wird, eigenes Potential freizusetzen, ihnen zu helfen, eine eigene Existenz aufzubauen. In diesem Bereich kann und sollten Möglichkeiten der Mikrofinanz als potentiell höchst effizientes entwicklungspolitisches Instrument zum Einsatz kommen. Fatal wäre also ein Denken, in Katastrophensituationen Spenden und Investieren als Alternativen zu betrachten. Es sind sich ergänzende und aufeinander aufbauende Notwendigkeiten.
Praktisches Beispiel katholischer Soziallehre
Den Menschen unmittelbar in seinen eigenen Potentialen fördern – dies hört sich nicht nur nach einem praktischen Beispiel katholischer Soziallehre an, sondern – richtig verstanden und ebenso richtig umgesetzt – unterstreicht die Systematik der Mikrofinanzierung deren anthropologisches Anliegen. Personalität, Subsidiarität und Solidarität sind Kernbegriffe für das Verständnis von dem, was Mikrofinanz ausmacht. Dabei ist Mikrofinanz heute ein Sammelbegriff für unterschiedliche finanzielle Basisdienstleistungen: vor allem Kredite, Sparbücher und Versicherungen. Hinzu kommen weitere Geldtransferleistungen, zum Beispiel die Rücküberweisungen aus dem Ausland an die Familien in der Heimat. Der Fall Haiti zeigt, wie zusätzlich katastrophal das Ausbleiben dieser Rücküberweisungen wirkt, weil die Infrastruktur der örtlichen Mikrofinanzinstitute zusammengebrochen ist.
Es soll an dieser Stelle aber nicht theoretisch, sondern anhand eines selbst erlebten praktischen Beispiels deutlich gemacht werden, was Mikrofinanz zu leisten vermag:
Juanita lebt in Mexiko am Stadtrand der Hauptstadt in einer Wellblechbehausung neben einer der großen Ausfallstraßen. Sie hat vier Kinder. Ihr Mann ist vor Jahren auf der Suche nach Arbeit bei dem Versuch, illegal über die Grenze in die USA zu gelangen, umgekommen. Juanita verfügt über kein regelmäßiges Einkommen, lebt von gelegentlichen Aushilfsarbeiten und von Abfällen. Sie kann nicht einmal die paar Centavos für den Bus aufbringen, damit ihre Kinder eine Schule besuchen können. Sie möchte aus dieser Situation heraus, möchte ihren Kindern eine Zukunft ermöglichen, vielleicht auch selber lesen und schreiben lernen. Sie hat eine Idee und spricht den Kreditsachbearbeiter einer lokalen Mikrofinanzorganisation an. Sie erläutert ihm ihren "Business-Plan": in der Nähe ihrer Behausung hat die große Straße eine Ausbuchtung an der Seite. Dort halten manchmal Autos. Juanita möchte Tortillas backen und diese an die Autofahrer verkaufen. Ihr Konzept überzeugt den Kreditsachbearbeiter und sie erhält den Kredit: für Juanita das Vermögen von 50 US-$. Das erste Mal in ihrem Leben, dass sie einen Kredit erhält, dass ihr jemand vertraut, Kapital und Zinsen zurückzuzahlen. Sie kauft die notwendige Grundausstattung, stellt sich an die Straße und fängt an zu backen. Die ersten Autos halten, sie erzielt Einnahmen und muss bald weiteres Maismehl und Kohlen für den Ofen kaufen. Sie hat keine Schwierigkeiten, die sechzehn wöchentlichen Raten zu 4,13 US-$ zurückzuzahlen: 3,12 Kapital, 0,38 Zins und 0,69 Sparrücklage. Zusätzlich kann sie aus ihren Einnahmen erstmals frische Lebensmittel für ihre Kinder kaufen. Als ich sie antraf, war dies 2 Jahre her, die Familie verfügte über eine Basis-Gesundheitsversorgung, alle vier Kinder gingen zur Schule und Juanita dachte an einen zweiten Ofen. Ihr mittelfristiges Ziel war ein kleiner, einfacher Lebensmittelladen, eine "Tienda" in ihrem Armenviertel (Bsp. entnommen: Michael P. Sommer " Ein etwas anderer Geldkreislauf – Der Mehrwert von Mikrofinanz", in: Kirche und Gesellschaft, Nr. 356, Hrsg. Kath.Sozialwiss. Zentralstelle Mönchengladbach, Januar 2009).
Dieses Beispiel führt direkt zu der Usprungsbedeutung des Begriffs "Kredit". Credere im Lateinischen heißt "glauben" oder "vertrauen". Ein Kredit basiert auf dem Vertrauen darauf, dass er zurückgezahlt wird. Wo es keine (bei uns selbstverständlichen) Sicherheiten gibt, ist der Mensch mit seinen Potentialen und seiner individuellen Persönlichkeit das kapitalsichernde Element in dieser Beziehung von Kapitalgeber und Kapitalnehmer.
Vertrauen bringt nachhaltige Wirkung
Was heißt dies im Falle von Katastrophen? Es heißt dies vor allem eines: Erste Hilfe jeglicher Art muss sein und zwar sofort – nachhaltige Entwicklung und Wiederaufbau kann aber nicht durch paternalistische Hilfestellung erzielt werden. Das erfolgversprechendste Mittel ist das Vertrauen in die Fähigkeiten des Menschen selbst. Staatliche Einrichtungen müssen Rahmenbedingungen schaffen und darauf sollten sie sich konzentrieren. Auch Spenden dürfen nur dort eingesetzt werden – in richtig verstandener Solidarität –, wo die Menschen sich nicht selbst helfen können. Überall sonst sind die potentiell möglichen Wirkungen professionell arbeitender Mikrofinanz von durchschlagend nachhaltigem Erfolg. Das oben genannte Beispiel zeigt die Wirkungsfelder, die selbst bei Einsatz geringster Mittel erreicht werden:
• Der Aufbau einer eigenen Existenz wird möglich,
• die Ernährungssituation verbessert,
• Schulbesuch wird möglich,
• eine Wohnumfeldverbesserung ist denkbar,
• Gesundheitsversorgung bleibt kein Luxus.
Häufig zeigen sich auch Wirkungen im Bereich regionaler Wirtschaftsentwicklung, der Schaffung von Arbeitsplätzen bis hin zu einer sinnvollen Entwicklung des Finanzwesens auf nationaler Ebene. Die Wirkung auf die Persönlichkeitsentwicklung der Menschen und ihr Selbstwertgefühl ist herausragend. Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft wird gestärkt, die Partizipationsmöglichkeiten von ökonomisch armen Menschen vervielfachen sich und so dient Mikrofinanz über den Einzelfall hinaus gesellschaftlicher Entwicklung.
Mikrofinanz ist sicher kein "Allheilmittel", sie ist nicht das einzige Instrument und auch kein für sich gesehen ausreichendes Instrument, die Armut dieser Welt gänzlich abzuschaffen. Sie ist auch nicht für alle Menschen gleichermaßen geeignet – es gibt auch diejenigen, die tatsächlich nicht in der Lage sind, sich selbst zu helfen. Auch wenn die Grundlage der Mikrofinanz die Subsidiarität ist – so bleibt die Solidarität notwendig.
Doch für die Frage, wie in Katastrophenfällen und generell in Armutssituationen nachhaltig Entwicklung gefördert werden kann, ist die Mikrofinanz ein erprobtes, wirkungsstarkes Instrument.
zurück zur Übersicht
Spenden und Investieren
Katastrophen haben unterschiedliche Phasen, die unterschiedliche Maßnahmen erfordern. Unmittelbar ist zunächst humanitäre Hilfe gefragt, Erstversorgung mit Lebensmitteln, Decken und Zelten, medizinische Hilfe und erste Maßnahmen, Versorgungsstrukturen wieder funktionsfähig zu machen. Dies ist der Moment, wo die Medien vor Ort sind und (richtigerweise) eine Welle der Spendenbereitschaft auslösen. Mehr Mitteleinsatz wird aber danach erforderlich sein, wenn es darum geht, die zerstörte Infrastruktur als eine Grundlage humanen und entwicklungsfähigen Lebens wieder aufzubauen. Allzu oft wird über die erste "Betroffenheit" vergessen, dass dann, wenn die Medien den Unglücksort längst wieder verlassen haben, erst die zeit- und kostenintensive Arbeit anfängt. Und so ist zum Beispiel die Kirche, die im ökonomischen Sinne in Entwicklungsländern oft nicht "rentabel" arbeiten kann, zwingend auf spendengestützte Hilfe angewiesen. Deshalb ist es sinnvoll, im Falle der Katastrophe insbesondere auch diejenigen Hilfswerke zu bedenken, die langfristige Wiederaufbauarbeit leisten.
Allerdings kann langfristig eine nachhaltige Entwicklung nur erfolgreich sein, wenn den Menschen geholfen wird, eigenes Potential freizusetzen, ihnen zu helfen, eine eigene Existenz aufzubauen. In diesem Bereich kann und sollten Möglichkeiten der Mikrofinanz als potentiell höchst effizientes entwicklungspolitisches Instrument zum Einsatz kommen. Fatal wäre also ein Denken, in Katastrophensituationen Spenden und Investieren als Alternativen zu betrachten. Es sind sich ergänzende und aufeinander aufbauende Notwendigkeiten.
Praktisches Beispiel katholischer Soziallehre
Den Menschen unmittelbar in seinen eigenen Potentialen fördern – dies hört sich nicht nur nach einem praktischen Beispiel katholischer Soziallehre an, sondern – richtig verstanden und ebenso richtig umgesetzt – unterstreicht die Systematik der Mikrofinanzierung deren anthropologisches Anliegen. Personalität, Subsidiarität und Solidarität sind Kernbegriffe für das Verständnis von dem, was Mikrofinanz ausmacht. Dabei ist Mikrofinanz heute ein Sammelbegriff für unterschiedliche finanzielle Basisdienstleistungen: vor allem Kredite, Sparbücher und Versicherungen. Hinzu kommen weitere Geldtransferleistungen, zum Beispiel die Rücküberweisungen aus dem Ausland an die Familien in der Heimat. Der Fall Haiti zeigt, wie zusätzlich katastrophal das Ausbleiben dieser Rücküberweisungen wirkt, weil die Infrastruktur der örtlichen Mikrofinanzinstitute zusammengebrochen ist.
Es soll an dieser Stelle aber nicht theoretisch, sondern anhand eines selbst erlebten praktischen Beispiels deutlich gemacht werden, was Mikrofinanz zu leisten vermag:
Juanita lebt in Mexiko am Stadtrand der Hauptstadt in einer Wellblechbehausung neben einer der großen Ausfallstraßen. Sie hat vier Kinder. Ihr Mann ist vor Jahren auf der Suche nach Arbeit bei dem Versuch, illegal über die Grenze in die USA zu gelangen, umgekommen. Juanita verfügt über kein regelmäßiges Einkommen, lebt von gelegentlichen Aushilfsarbeiten und von Abfällen. Sie kann nicht einmal die paar Centavos für den Bus aufbringen, damit ihre Kinder eine Schule besuchen können. Sie möchte aus dieser Situation heraus, möchte ihren Kindern eine Zukunft ermöglichen, vielleicht auch selber lesen und schreiben lernen. Sie hat eine Idee und spricht den Kreditsachbearbeiter einer lokalen Mikrofinanzorganisation an. Sie erläutert ihm ihren "Business-Plan": in der Nähe ihrer Behausung hat die große Straße eine Ausbuchtung an der Seite. Dort halten manchmal Autos. Juanita möchte Tortillas backen und diese an die Autofahrer verkaufen. Ihr Konzept überzeugt den Kreditsachbearbeiter und sie erhält den Kredit: für Juanita das Vermögen von 50 US-$. Das erste Mal in ihrem Leben, dass sie einen Kredit erhält, dass ihr jemand vertraut, Kapital und Zinsen zurückzuzahlen. Sie kauft die notwendige Grundausstattung, stellt sich an die Straße und fängt an zu backen. Die ersten Autos halten, sie erzielt Einnahmen und muss bald weiteres Maismehl und Kohlen für den Ofen kaufen. Sie hat keine Schwierigkeiten, die sechzehn wöchentlichen Raten zu 4,13 US-$ zurückzuzahlen: 3,12 Kapital, 0,38 Zins und 0,69 Sparrücklage. Zusätzlich kann sie aus ihren Einnahmen erstmals frische Lebensmittel für ihre Kinder kaufen. Als ich sie antraf, war dies 2 Jahre her, die Familie verfügte über eine Basis-Gesundheitsversorgung, alle vier Kinder gingen zur Schule und Juanita dachte an einen zweiten Ofen. Ihr mittelfristiges Ziel war ein kleiner, einfacher Lebensmittelladen, eine "Tienda" in ihrem Armenviertel (Bsp. entnommen: Michael P. Sommer " Ein etwas anderer Geldkreislauf – Der Mehrwert von Mikrofinanz", in: Kirche und Gesellschaft, Nr. 356, Hrsg. Kath.Sozialwiss. Zentralstelle Mönchengladbach, Januar 2009).
Dieses Beispiel führt direkt zu der Usprungsbedeutung des Begriffs "Kredit". Credere im Lateinischen heißt "glauben" oder "vertrauen". Ein Kredit basiert auf dem Vertrauen darauf, dass er zurückgezahlt wird. Wo es keine (bei uns selbstverständlichen) Sicherheiten gibt, ist der Mensch mit seinen Potentialen und seiner individuellen Persönlichkeit das kapitalsichernde Element in dieser Beziehung von Kapitalgeber und Kapitalnehmer.
Vertrauen bringt nachhaltige Wirkung
Was heißt dies im Falle von Katastrophen? Es heißt dies vor allem eines: Erste Hilfe jeglicher Art muss sein und zwar sofort – nachhaltige Entwicklung und Wiederaufbau kann aber nicht durch paternalistische Hilfestellung erzielt werden. Das erfolgversprechendste Mittel ist das Vertrauen in die Fähigkeiten des Menschen selbst. Staatliche Einrichtungen müssen Rahmenbedingungen schaffen und darauf sollten sie sich konzentrieren. Auch Spenden dürfen nur dort eingesetzt werden – in richtig verstandener Solidarität –, wo die Menschen sich nicht selbst helfen können. Überall sonst sind die potentiell möglichen Wirkungen professionell arbeitender Mikrofinanz von durchschlagend nachhaltigem Erfolg. Das oben genannte Beispiel zeigt die Wirkungsfelder, die selbst bei Einsatz geringster Mittel erreicht werden:
• Der Aufbau einer eigenen Existenz wird möglich,
• die Ernährungssituation verbessert,
• Schulbesuch wird möglich,
• eine Wohnumfeldverbesserung ist denkbar,
• Gesundheitsversorgung bleibt kein Luxus.
Häufig zeigen sich auch Wirkungen im Bereich regionaler Wirtschaftsentwicklung, der Schaffung von Arbeitsplätzen bis hin zu einer sinnvollen Entwicklung des Finanzwesens auf nationaler Ebene. Die Wirkung auf die Persönlichkeitsentwicklung der Menschen und ihr Selbstwertgefühl ist herausragend. Die Stellung der Frau in Familie und Gesellschaft wird gestärkt, die Partizipationsmöglichkeiten von ökonomisch armen Menschen vervielfachen sich und so dient Mikrofinanz über den Einzelfall hinaus gesellschaftlicher Entwicklung.
Mikrofinanz ist sicher kein "Allheilmittel", sie ist nicht das einzige Instrument und auch kein für sich gesehen ausreichendes Instrument, die Armut dieser Welt gänzlich abzuschaffen. Sie ist auch nicht für alle Menschen gleichermaßen geeignet – es gibt auch diejenigen, die tatsächlich nicht in der Lage sind, sich selbst zu helfen. Auch wenn die Grundlage der Mikrofinanz die Subsidiarität ist – so bleibt die Solidarität notwendig.
Doch für die Frage, wie in Katastrophenfällen und generell in Armutssituationen nachhaltig Entwicklung gefördert werden kann, ist die Mikrofinanz ein erprobtes, wirkungsstarkes Instrument.