Salzkörner

Montag, 8. März 2021

Joseph R. Biden jr.

Katholik und Präsident der USA

Zwei Dinge sind in Europa rund um Joe Bidens Inauguration wohl kaum auf Aufmerksamkeit gestoßen. Karl J. Rieger, seit 2018 Pfarrer der German-speaking Catholic Mission in Washington, D.C., wirft einen Blick auf die ersten Tage des neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika und erklärt, warum manche Katholiken ein gespaltenes Verhältnis zu ihm haben.

Am 19. Januar hat Joseph R. Biden jr. zur Abendstunde in kleiner Runde zwischen George Washington- und Abraham Lincoln-Memorial der über 400.000 Toten der Corona-Pandemie allein in den USA gedacht. In dieser sehr schlichten und doch so eindrucksvollen Feier wurde das „Halleluja“ von Leonard Cohen gesungen, Joe Biden hat eine kurze Ansprache gehalten, „mein“ Erzbischof von Washington, D.C., Wilton Kardinal Gregory, sprach ein Gebet und 400 Lichtersäulen strahlten in den Abendhimmel hinein. Es war ein Ereignis, das noch heute Menschen auf YouTube anklicken, um es immer und immer wieder anzuschauen. Eine kleine Geste mit großer Wirkung. Man nimmt Joe Biden ab, dass es ihm nicht um ein mediales Happening ging, sondern um diese Corona-Toten, die meist einsam und allein, fern von ihren Angehörigen, auf irgendeiner Intensivstation gestorben sind. In fast allen Reden zuvor waren ihm diese Menschen präsent, er hat sie erwähnt, hat versucht, Trost zu spenden, wahre Empathie zu zeigen. Und die meisten Amerikaner haben ihm das abgenommen, geglaubt. Vielleicht auch angesichts seiner eigenen bewegten Lebens- und Leidensgeschichte sind ihm Schicksale der Menschen nicht egal. Er nimmt sie wahr, bringt sie ins Wort, tut dies nicht aus politischem Kalkül heraus. Auch in diesem Punkt ist er das glatte Gegenteil seines Vorgängers im Amt. Seit Amtsantritt am Mittwoch, den 20. Januar, hat er schon viele Befugnisse unterzeichnet, die die Pandemie einzudämmen helfen. Er hört auf die Ratschläge der Wissenschaftler, auf die Mahnungen der Mediziner und tut alles in seiner Macht stehende, um dieser Krise tatkräftig zu begegnen.

Das zweite Ereignis, das kaum medial wahrgenommen wurde, habe ich nur zufällig mitbekommen. Joe Biden besuchte zusammen mit seiner Familie und seinem Mitarbeiterstab am Morgen der Inauguration die St. Matthäus-Kathedrale inmitten der Hauptstadt. Es ist die Mutterkirche des Erzbistums, zu dem auch „meine“ deutschsprachige katholische Gemeinde zählt. Zu diesem Erzbistum gehört ab sofort Joe Biden als überaus prominentes Mitglied, Biden, der nach John F. Kennedy ebenfalls als katholischer Christ dieses höchste Amt bekleidet.

„Tröster der Seele der Nation“

Papst Franziskus hat ihm sofort betont herzlich gratuliert. Kardinal Gregory hat Joe Biden mit warmen Worten in seiner Erzdiözese willkommen geheißen und ihm für das Präsidentenamt eine glückliche Hand und einen klugen Kopf gewünscht. Die Glückwünsche der Amerikanischen Bischofskonferenz insgesamt fielen nicht so positiv aus, und der Vatikan hat Insidern zufolge noch versucht, dieses Schreiben abzumildern. Die amerikanischen Bischöfe sind in ihrer Haltung zum neuen Präsidenten sehr gespalten, und diese Spaltung durchzieht das ganze Land. Aber eben auch die Katholiken sind in dieser Frage uneins. Joe Biden hatte nur etwas mehr als die Hälfte der katholischen Wählerinnen und Wähler hinter sich gebracht. Der Vorsitzende der US-Bischofskonferenz schreibt, dass Bidens Politik „eine ernsthafte Bedrohung des Gemeinwohls“ sei. Er hält Biden vor, eine Politik zu unterstützen, „die fundamentale Werte angreift, die uns am Herzen liegen“. Kurioserweise setzt ein kleiner, aber lautstarker Teil der US-Bischöfe damit einmal mehr ganz andere Schwerpunkte als etwa Papst Franziskus.

Wer sich mit dieser Problematik weiter und intensiver beschäftigen möchte, den verweise ich gerne auf den Journalisten Thomas Spang von der KNA, der zu diesem Thema viel Wissens- und Lesenswertes geschrieben hat. Spang zitiert in einem Artikel James Martin, Chefredakteur des Jesuiten-Magazins „America“, der nach dem Aufstand vom 6. Januar geschrieben hat: „Eine alarmierende Zahl an katholischen Klerikern hat zu einem Umfeld beigetragen, das zu den tödlichen Unruhen auf dem Kapitolhügel geführt hat. (…) Ironischerweise haben Priester und Bischöfe, die sich als lebensbejahend sehen, geholfen, ein hasserfülltes Klima zu schaffen, dass zu Chaos, Gewalt und Tod geführt hat.“ Joe Biden, so Spang weiter, nehme es gelassen, wenn er als Vertreter einer „Partei des Todes“ verunglimpft werde. Er verstehe sich als Tröster der Seele der Nation, die in den vergangenen Jahren schwer verletzt worden sei.

Das Grundproblem, das viele Katholiken mit Joe Biden haben, ist, dass er persönlich Schwangerschaftsabbrüche ablehnt, den Frauen aber die Entscheidung dazu überlassen möchte. Thomas Spang schreibt dazu: „Diese Haltung steht im Widerspruch zur Lehre der Kirche, wird aber auch in den USA von einer Mehrheit der Katholiken geteilt. Und ist laut Wählerleitfaden ‚Faithful Citizenship‘ kein Ausschlusskriterium. Letzte Instanz ist nach Lehre der Kirche immer das eigene Gewissen…“

„Mein“ Erzbischof Wilton Kardinal Gregory scheint ein sehr gutes und freundschaftliches Verhältnis zum neuen Präsidenten zu haben, gehörte er doch schon als Weihbischof in Chicago und als Erzbischof von Atlanta zu den gemäßigten Vertretern der Kirchenhierarchie. Hier in der Erzdiözese wird sich kein Priester anmaßen, Joe Biden die Kommunion zu verweigern. Und falls er nirgendwo ein kirchliches und spirituelles Zuhause in erreichbarer Nähe findet, kann ich ihm unsere kleine deutschsprachige katholische Gemeinde in Washington D.C. anbieten. Hier ist er immer herzlich willkommen! Natürlich ist auch unsere kleine Gemeinde nicht politisch homogen. Auch bei uns gibt es Parteiungen. Demokraten und Republikaner finden auch bei uns ihre Sympathisanten. Aber es ist hier wie in ganz Washington, wie in jeder Großstadt, wie in allen bevölkerungsreichen Regionen des Landes, wie an der Ost- und Westküste dieser Republik: Die Zustimmungswerte für den „alten“ Präsidenten Donald Trump belaufen sich speziell in DC auf etwa fünf bis zehn Prozent. Trotzdem bin ich als Pfarrer dieser Gemeinde gehalten, weder in Predigten noch auf unserer Homepage mich parteilich zu äußern, woran ich mich auch strikt halte. Auch Anfragen aus Europa, besonders aus Deutschland von verschiedenen Zeitungs-, Radio- und Fernsehredaktionen muss ich mit dem Hinweis ablehnen, dass ich mich zu politischen Vorgängen im Gastland nicht äußere.

Persönliche Erwartungen

Welche Erwartungen habe ich an Joe Biden und an Kamala Harris, die Vizepräsidentin? Was erhoffe ich mir von den beiden? Neben vielen Dingen, die in der Außenpolitik dieses Landes zu korrigieren und zu tun sind, sollten Biden und Harris besonders den Blick auf „das Innere“ dieses großen Landes werfen. Mehr als 70 Millionen Amerikaner haben Trump gewählt, viele davon werden die neue Regierung nicht anerkennen. Es besteht ein tiefer Graben zwischen den politischen Lagern. Versöhnung ist angesagt. Ehrlichkeit und Anstand müssen wieder Geltung erlangen.

Empathie mit den vielen Zukurzgekommenen muss zu klugen politischen Entscheidungen führen. Da ist in vielen Jahren der Vergangenheit so manches falsch gemacht worden. Viele fühlen sich abgehängt und von „denen da oben“ nicht verstanden. Joe Biden und Kamala Harris müssen diesen Menschen wieder eine Stimme geben, ihnen zuhören und, daran orientiert, konsequent politisch handeln. Wie schon geschrieben: Versöhnung ist angesagt! Und dabei sollten alle Kirchen und kirchlichen Gemeinschaften sich aktiv beteiligen, vereinen statt spalten, zusammenführen statt auseinanderdividieren. Da hat auch die römisch-katholische Kirche hier in den USA noch viel Entwicklungspotential! Und wir als kleine Gemeinde vor Ort werden uns daran positiv beteiligen. Versöhnung und ausgleichende Gerechtigkeit zwischen den so unterschiedlichen Menschen in diesem Land, zwischen den Menschen unterschiedlicher Hautfarben und unterschiedlicher sozialer Schichten zu bewirken, das ist eine Mammutaufgabe. Biden und Harris wollen es anpacken. Das macht mich hoffnungsfroh und zuversichtlich. Auch der menschengemachte Klimawandel ist für die beiden wie für die gesamte Biden-Administration ein primäres politisches Anliegen. In den vergangenen vier Jahren wurde dies einfach geleugnet. Der jetzige Präsident hat den deutlichen Willen und die richtige Handhabe, hier für die Zukunft der gesamten Menschheit Entscheidendes zu bewegen. Dazu wünsche ich ihm und allen seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern: God bless YOU! God bless America!

 

Autor: Karl J. Rieger Pfarrer der German-speaking Catholic Mission in Washington, D.C.

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