Salzkörner

Mittwoch, 24. April 2013

Lebendige Solidarität und Partnerschaft

Zum 20. Geburtstag von Renovabis

Vor 20 Jahren gründeten die deutschen Katholiken Renovabis, die Solidaritätsaktion mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa. Am Beginn stand der Wunsch der organisierten Katholiken aus ganz Deutschland, der vom ZdK aufgegriffen und mit Nachdruck vorangetrieben wurde.
 
Die Gründung der Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa, Renovabis, war eine der christlichen Solidarität geschuldete Antwort auf den Fall der Mauer und die friedliche Revolution von 1989. Diese Solidarität musste nicht erst geweckt werden, sie war greifbar vorhanden, ihr musste lediglich Raum gegeben werden. Die Deutschen, insbesondere in der frühen Bundesrepublik, hatten nach 1945 viel Solidarität erfahren, die ehemaligen Kriegsgegner hatten ihnen beim Wiederaufbau ihres Landes geholfen und sie wieder als Partner in die freie Völkerfamilie aufgenommen. Deutsche Katholiken haben ihre Solidarität mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa trotz widriger politischer Verhältnisse deutlich praktiziert, etwa durch Gründung des Maximilian-Kolbe-Werks, durch die Errichtung des Europäischen Hilfsfonds in Wien und nicht zuletzt durch die "Hilfslawine aus Deutschland" (Bartoszewski), die in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts den Polen half, unter den Bedingungen des Kriegsrechts ihr Leben zu meistern. Auch die Katholiken in der damaligen DDR haben nach ihren Möglichkeiten überzeugende Solidarität geübt.


Erste Schritte


Obwohl 1989 deutsche Katholiken in praktizierter Solidarität geübt waren, erfolgte die Gründung von Renovabis erst im Frühjahr 1993. Warum nicht früher? Bereits im Frühjahr 1989, also bereits vor dem Fall der Mauer, wurde im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) der Gedanke erwogen, die Gründung eines Werkes christlicher Solidarität mit Mittel- und Osteuropa vorzuschlagen und voranzutreiben. Im Zusammenhang mit dem 90. Deutschen Katholikentag 1990 in Berlin wurde bei einer gemeinsamen Sitzung der Vollversammlung des ZdK und des Gemeinsamen Aktionsausschusses katholischer Christen in der DDR beschlossen: "Gemeinsam wollen wir alles unterstützen, was den Ländern Mittel- und Osteuropas hilft, politisch und wirtschaftlich stabile Gemeinwesen zu entwickeln". Dies ist die erste gesamtdeutsche Willenserklärung des organisierten Laienapostolats nach dem Fall der Mauer.


Kontroverse Diskussionen


Es folgen mehr als zwei Jahre kontroverser Diskussionen: eine Solidaritätsaktion Ost-West ginge zu Lasten des Engagements Nord-Süd oder man solle eher den Europäischen Hilfsfonds fortführen. Diese Diskussionen bewirken, dass die Deutsche Bischofskonferenz zwar dem Vorschlag des ZdK, eine Kollekte durchzuführen, zustimmt, allerding einer eigenen Solidaritätsaktion ablehnend gegenübersteht. Das Zentralkomitee lässt sich hierdurch nicht beirren.
Am 17. Juni 1992 tritt die Vollversammlung des ZdK zu Beginn des 91. Deutschen Katholikentages in Karlsruhe zusammen. Ich bitte die Vollversammlung, dafür einzutreten, "dass eine allgemeine Kollekte als Ausdruck christlicher
Solidarität … durchgeführt wird und dass ein umfassendes kirchliches Werk christlicher Solidarität mit Mittel-, Südost- und Osteuropa gegründet wird." Ich betone: "Der Grundsatz, dass Solidarität unteilbar ist, verdient absolute Beachtung. Ost-West kann nicht gegen Nord-Süd stehen und umgekehrt …" Die Vollversammlung folgt dieser Bitte mit überwältigender Mehrheit.


Entscheidung


Die Bischofskonferenz kommt schließlich zu neuer Einsicht. Die Entscheidung in der Sache fällt am 12. Oktober 1992 in der Sitzung der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz in Bonn: Ich vertrete dort die "Leitgedanken" des ZdK; trotz entgegengesetzter Positionen von Mitarbeitern in der Bischofskonferenz, in Werken und Einrichtungen, auch in Bistumsverwaltungen tritt Kardinal Meisner für die Errichtung eines eigenen kirchlichen Werkes ein. Damit ist der Durchbruch erzielt. Die ablehnenden Beschlüsse in der Bischofskonferenz sind faktisch Makulatur. Weihbischof Leo Schwarz wird beauftragt, die Koordination der Überlegungen, Planungen und erforderlichen Vorbereitungen in die Hand zu nehmen. Er wird zum Geburtshelfer, Wegbereiter, Promotor und schließlich treuen Weggefährten der Solidaritätsaktion. Bischof Leo personifiziert als ehemaliger Hauptgeschäftsführer von Misereor das Ergebnis der in diesen Jahren kontrovers geführten Diskussionen: "Solidarität ist unteilbar!"


Partnerschaft als Leitgedanke


Die "Leitgedanken zu einer Partnerschaftsaktion deutscher Katholiken für europäische Solidarität von Ost und West" werden faktisch zur Grundlage für die kommenden Planungen und Entscheidungen: "Der Augenblick ist gekommen, in der Tradition tatkräftiger Nächstenliebe den Aufbruch der Menschen in Mittel-, Südost- und Osteuropa in die Freiheit und ihre Anstrengungen beim Aufbau menschenwürdiger gesellschaftlicher Verhältnisse in geschwisterlicher Verbundenheit durch eine eigene partnerschaftlich ausgerichtete Aktion der Solidarität aus weltkirchlicher Verantwortung nachhaltig zu unterstützen."

Der geistliche Kontext wird in den Leitgedanken als ein neues Pfingsten beschrieben: "Ohne Zweifel geht es bei der beabsichtigen Aktion der Solidarität mit Mittel-, Südost- und Osteuropa wie bei Misereor um ein 'Abenteuer im Heiligen Geist'… Der Heilige Geist befreit zum Gespräch miteinander, zum Dialog und zur Einheit in der Vielfalt. Er befreit zur Hoffnung, er gibt die Kraft, die Leben schafft und die die Kreativität der Liebe entfesselt. Er befreit zum Teilen und gibt der Aktion in der 'Windrose des Teilens' eine menschheitliche Seite, im Osten, Süden, Westen und Norden. Die Befreiung zum Dialog, zur Hoffnung und zum Teilen kann für die an der Aktion in Ost und West Beteiligten ein Neues Pfingsten bedeuten und ihr eine eigene Initiativkraft und die Dynamik verleihen …"

Die Gemeinsame Konferenz von DBK und ZdK am 6. November 1992 nimmt einen Bericht von Bischof Walter Kasper, dem Vorsitzenden der Kommission Weltkirche der Bischofskonferenz, der weitgehend auf den "Leitgedanken" des ZdK basiert, zustimmend entgegen. Ein breiter Konsens ist erzielt worden.

Ausblick

Nach 20 Jahren erfolgreicher solidarischer Hilfe wird heute gelegentlich die Frage nach der Zukunft von Renovabis gestellt. Wird die Hilfe in Mittel- und Osteuropa auch zukünftig benötigt? Nur wer seine Herkunft kennt, kann seine Zukunft gestalten. Auf dieser Grundlage rückblickend und damit gleichzeitig vorausblickend einige Anmerkungen:

Der Austausch der Gaben zwischen Ost und West bleibt die zentrale Aufgabe von Renovabis. Solidarität beinhaltet wechselseitiges Geben und Nehmen, Solidarität ist keine Einbahnstraße. Renovabis muss als eine Aktion der Kirche in der Bundesrepublik Deutschland, also der Bischöfe, Priester, Ordensleute und Laien lebendig bleiben und den integralen Ansatz (pastorale, karitative und gesellschaftliche Aufgaben) beibehalten. Renovabis praktiziert eine lebendige Verbindung mit der Kirche vor Ort und trägt somit im Sinne des Subsidiaritätsprinzips dazu bei, dass die Kirche über die Institution hinaus ihre gesellschaftliche Dimension bewahrt.


Europäische Perspektiven


Renovabis als Solidaritätsaktion der deutschen Katholiken mit den Menschen in Mittel- und Osteuropa muss – wie vor der Gründung überlegt – schrittweise zu einer Solidaritätsaktion der Katholiken in Europa weiter entwickelt werden. Austausch der Gaben hat zur Folge, dass unsere kirchlichen Partner mehr und mehr zu Mitträgern der gemeinsamen Solidaritätsaktion werden müssen. In Verbindung mit der neu gegründeten Maximilian-Kolbe-Stiftung und in ihrer europäischen Perspektive kann es gelingen, diesen Weg der "Europäisierung" weiter zu gehen.
 
Ein neues Pfingsten bleibt der geistliche Kontext, in dem das kirchliche Engagement von Renovabis angesiedelt ist. Zum Dialog, zur Hoffnung und zum Teilen in der Kirche Europas beizutragen, ist die bleibende Verpflichtung der Solidaritätsaktion.

Der Dialog bleibt eine Schwerpunktaufgabe. Orte des Dialogs sind der Aktionsausschuss, die Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit, Tagungen (Partnerschaftstreffen), die jährlichen Kongresse sowie die Zeitschrift "Ost-West. Europäische Perspektiven" (OWEP). In einer europäischen Zukunft wird Renovabis seine eigene Zukunft gestalten.

Autor: Dr. Friedrich Kronenberg, von 1966 bis 1999 Generalsekretär des ZdK

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