Salzkörner

Freitag, 28. Februar 2020

Nach der ersten Vollversammlung

Von Spiderman und anderen Held*innen

Beginnen wir mit einem Betriebsgeheimnis. Die letzten Meter vor der ersten Synodalversammlung verbrachte ich vor allem mit der Antizipation von Schwierigkeiten und Störfeuern: Was könnte schiefgehen? Wer könnte den Prozess sabotieren? Wie könnten Bischofskonferenz und ZdK für ideale Rahmenbedingungen sorgen? Zugegeben: Ich gefiel mir nicht in der Rolle des problematisierenden Skeptikers. Lieber hätte ich mich unbedarft gefreut – auf 230 Synodale, zahlreiche Gäste aus den befreundeten Kirchen und Laienverbänden Deutschlands und Europas sowie auf die dutzenden akkreditierten Journalistinnen und Journalisten, die sich alle Ende Januar nach Frankfurt aufmachten, um auf dem Spielfeld und seinen Randmarkierungen einer Premiere der katholischen Kirche in Deutschland beizuwohnen. Rückblickend war meine Skepsis unbegründet. Mit fünf Erkenntnissen bin ich abgereist.

1.         Verbindlichkeit als roter Faden

Der Synodale Weg wurde im vergangenen Jahr als Projekt auf Augenhöhe zwischen der deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken angelegt. In kurzer Zeit reifte eine erste Vision zu einem konkreten Projekt, das schließlich binnen weniger Monate vorbereitet wurde und zum ersten Advent 2019 an den Start ging. Nicht nur im Maschinenraum von DBK und ZdK wuchs schnell ein kollegial-freundschaftlicher Teamgeist. In Frankfurt war eine verbindende und verbindliche Atmosphäre, getragen von Vertrauen und Offenheit, schnell spürbar. Eine gemischte, egalitäre Gemeinschaft von Laien und Klerikern, die gemeinsam in den Bartholomäusdom einzog, trug ebenso dazu bei wie die durchaus mühsame, aber konzentrierte Debatte durch Geschäftsordnungsanträge. Das Ringen um ein gemeinsames Regelwerk mochte zwar lästig erscheinen, aber es war ein zentrales Element, um der sich erst konstituierenden Versammlung die Möglichkeit zu geben, ihre Souveränität erfahrbar zu machen. Gleiche Verbindlichkeit für alle manifestierte sich auch in den Randmomenten: Bischöfe, Pastoralreferentinnen und Studierende waren gleichermaßen aufgefordert, Wortbeiträge persönlich durch Einreichen von Meldekarten bei der Sitzungsleitung anzukündigen. Und vor dem Café Hoffnung der Katholischen Akademie des Bistums Dresden-Meißen reihten sich Kleriker und Laien gleichermaßen in den Pausen ein, um sich mit Cappuccino und Espresso zu versorgen. Der synodale Geist wurde so erfahrbar und übersetzte sich in ein Fundament, auf dem die künftigen Beratungen – so meine Hoffnung – aufbauen können.

2.         Geographisches Aggiornamento erleben

Zwischen Hotel und Dom, Empfangs- und Versammlungsort, Mittagstisch und Pressehaus liegen Frankfurts Straßen, die von den gesellschaftspolitischen Veränderungsprozessen unserer Zeit geprägt sind: Die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich, die Bankentürme als Symbol globaler Finanz- und Wirtschaftskrisen und die nur 500 Meter entfernt liegende Paulskirche als Inbegriff demokratischer und rechtsstaatlicher Errungenschaften bilden für die nächsten zwei Jahre den geographischen Rahmen dafür, dass ein Aggiornamento der katholischen Kirche in Deutschland dringend geboten ist. Zwar waren es der unfassbare Missbrauchsskandal und die Forschungsergebnisse der MHG-Studie, die die Themen des Synodalen Wegs vorgaben, doch bei den Sprints durch die Mainmetropole sollten alle bemerkt haben, dass die Kirche auch in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gehört werden muss. Und schließlich: Dass wir als Katholikinnen und Katholiken zu Gast im evangelischen Dominikanerkloster waren, erinnert auch an den Wunsch, die Ökumene in Deutschland fortzuschreiben – spätestens 2021, wenn in Frankfurt der 3. Ökumenische Kirchentag gastiert.

3.         Wer auf Augenhöhe kommuniziert, hört besser

Sieht man von wenigen undisziplinierten Zwischenrufen ab, herrschte in den Sitzungen der Synodalversammlungen eine aufmerksame Ruhe. Erstaunlich viele Wortbeiträge nahmen wechselseitigen Bezug aufeinander, sodass die Synodalversammlung schnell einen dialogischen Prozess einübte, der vertrauensbildend wirkte und einen Charakter von Vergemeinschaftung förderte. Gemeinschaft und ein Prozess der Selbstertüchtigung sind wichtig, damit die Synodalen künftig ihre freie Mandatsausübung praktizieren können. Natürlich wird die Reisegesellschaft auf dem Synodalen Weg unterwegs Rast einlegen, mit Menschen am Wegesrand kommunizieren, um neue Ideen und Perspektiven nach Frankfurt und in die Foren zu tragen. Imperativ wird ihr Mandat damit aber zu keinem Zeitpunkt sein (können). Wir sollten ihnen und ihren individuellen Biographien genügend Vertrauen entgegenbringen und sie nicht mit externen Forderungen ablenken. Die Synodalversammlung ist ja gerade keine geöffnete Polis (dafür gibt es ja die Abfragen auf www.synodalerweg.de), sondern ein eigenes Organ mit Beschlussfassungskompetenz.

4.         Geistliche Versorgungsstation für die Synodalen

Von Beginn an war der Synodale Weg als geistlicher Prozess angedacht. Ausdruck dessen war nicht nur der Münchener Gottesdienst am ersten Adventswochenende 2019 und die feierliche Messe zu Beginn der Synodalversammlung in Frankfurt. Zwei geistliche Begleiter begaben sich ebenfalls auf den Synodalen Weg, um die Delegierten mehrfach mit geistlicher Nahrung zu versorgen: Gebete, Meditation, Gesang und Impulse gaben den Debatten Orientierung und wirkten als integraler Bestandteil der Agenda, ohne als entkoppelte Fremdkörper neben den Beratungen zu stehen. Während die inhaltlichen Mandatierungen der vier sich in den kommenden Wochen konstituierenden Foren klar umrissen sind, stehen die entsandten Synodalen ebenso in der Verantwortung, diesen geistlichen Rahmen in die Foren hineinatmen zu lassen.

5.         Weltkirche und Ortskirche

Die Sorge um einen Bruch mit der Weltkirche wurde im Vorfeld besonders häufig artikuliert. Trotz anderslautender Bekundungen wurde vermutlich erst in Frankfurt deutlich, dass niemand derartige Krawallvisionen verfolgte. Unabhängig von der herbeigeredeten Krise zwischen katholischer Kirche in Deutschland und dem Heiligen Stuhl war das internationale Interesse ausgesprochen groß: Viele Gäste aus dem europäischen Episkopal- und Laiennetzwerk sowie Vertreter*innen uns befreundeter Kirchen aus Deutschland nahmen auf der Tribüne Platz, verfolgten die Debatten und mischten sich während der Pausen unter die Delegierten. In Frankfurt entstand so ein internationales Flair, das Demut und Freude ob des großen Interesses keimen ließ. Denn bedient und aufgegriffen werden müssen künftig sowohl die wohlwollende Begleitung (aus dem europäischen Westen) als auch die Skepsis (aus dem europäischen Osten). 

Fazit

Angesichts der steinigen Hinführung, der weiterhin präsenten Skepsis, der nicht ausgeschlossenen Möglichkeit des Teilnahmeverzichts einiger Synodalen und der öffentlichen Aufmerksamkeit war es keine Selbstverständlichkeit, sachlich fokussiert die inhaltliche Annäherung zu Machtfragen, priesterlicher Lebensführung, der Rolle von Frauen und der Sexualmoral auszugestalten. Dass dies so möglich war und immer wieder starke Momente erzeugt wurden durch bewegende Glaubenszeugnisse oder artikulierter Sorgen über die eigenen Zweifel an der Kirchenmitgliedschaft, zeigt, wie held*innenhaft die 230 Synodalen ihr Mandat annahmen.

Getreu der Spiderman-Formel „Mit großer Macht kommt große Verantwortung“ konnte man 230 mutige Menschen dabei beobachten, wie sie in ihre Rollen hineinfanden und sich auf das Neue an diesem experimentellen Synodalen Weg einließen. Der Start des Weges ist folglich geglückt. Aber der nächste Gipfelanstieg steht schon an: Vier Foren werden sich nun finden, sich Leitungen wählen und darum bemüht sein, erste Beratungsvorlagen für die zweite Synodalversammlung zu erarbeiten. Kritisch könnte man auf die reichhaltigen Kopiervorlagen des Gesprächsprozesses „Im Heute glauben“ der 2010er und der Würzburger Synode der 1970er Jahre verweisen. Mag sein, dass sich in diesen Texten weiterhin gültige (und bislang nicht implementierte) Forderungen verstecken. Aber bedenkt man, dass die jüngste Synodale eingeschult wurde, als der Gesprächsprozess 2011 begann, erkennt man, dass selbst die Inhalte erst jüngst abgeschlossener Dialogprojekte erneut durchdacht werden müssen, um der eingangs postulierten Verbindlichkeit gerecht zu werden.

 

Autor: Marc Frings Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

zurück zur Übersicht