Salzkörner

Mittwoch, 16. Dezember 2015

Reformation im Geist der Synodalität

Ein vorläufiges Resümee des synodalen Prozesses zum Ende der Familiensynode

Vom 4. bis 25. Oktober 2015 trat die XIV. Ordentliche Generalversammlung der Bischofssynode unter dem Thema "Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute" zusammen. Der Religionspädagoge Holger Dörnemann hat die Bischofssynoden auf www.familiensynode.blogspot.de kontinuierlich verfolgt und arbeitet im Folgenden deren Bedeutung heraus.

Medial standen von Anfang an mögliche Änderungen bezogen auf einige Gretchenfragen (wiederverheiratet Geschiedene, Homosexualität, voreheliche Beziehungen) im Vordergrund, deren ausschließliche Fokussierung den Blick auf die wichtigsten Entwicklungen aber beinahe verstellt. Ich komme am Schluss dieses Resümees darauf zurück und beginne zunächst mit einem Zitat aus der Abschlussansprache von Papst Franziskus vom 24. Oktober 2015:

"Und – obwohl die dogmatischen Fragen durch das Lehramt der Kirche klar definiert schienen – sahen wir, dass das, was dem einen Bischof von einem Kontinent normal war, den anderen befremdete und fast wie ein Skandal vorkam [...]; was in einer Gesellschaft als ein Verstoß gegen das Gesetz gilt, kann ein unantastbares Gebot in einer anderen sein; was für manche Teil der Gewissensfreiheit ist, gilt anderen nur als Verwirrung. In der Tat sind Kulturen sehr unterschiedlich und jedes generelle Prinzip bedarf der Inkulturation, um beachtet und angewendet werden zu können."

Zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung

Kardinal Marx hatte bereits gegen Ende der außerordentlichen Bischofssynode des Vorjahres am 19. Oktober 2014 die Frage gestellt, wie man "angesichts der Vielfalt von Kulturen bei einem Thema wie Ehe, Familie und Sexualität eine gemeinsame Sprache finden" könne. "Von den soziokulturellen Unterschieden her ist das fast unmöglich." Und dennoch war gerade diese 'Unmöglichkeit' die Aufgabe der diesjährigen Synode: dafür Sorge zu tragen, dass die "Unterschiedlichkeit der Kulturen, der einzelnen Situationen in den Länder Berücksichtigung findet" und zugleich, dass wir "in den zentralen Fragen – was die Sakramente, was das Verständnis der Ehe angeht –, [...] als katholische Kirche zusammenbleiben", wie es Kardinal Marx zu Beginn der diesjährigen Bischofssynode am 5. Oktober 2015 wiederholte. Und genau dieser Zusammenhang stand noch bei der Abschlusspressekonferenz der Bischofssynode am 24. Oktober 2015 im Mittelpunkt, als die "Diversifität und Einheit in der Synodalität " als Kennzeichen der katholischen Kirche mit weltweit 1,3 Milliarde Gläubigen bezeichnet wurde. Deutlich wurde betont, dass sich die Kirche auf dem synodalen Weg an dem Gleichgewicht, an der Balance zwischen Zentralisierung und Dezentralisierung messen müsse, wenn sie die Herausforderung der heutigen Zeit annehmen wolle. Diese formale Feststellung ist tatsächlich aus meiner Sicht das Hauptergebnis des zweijährigen synodalen Prozesses. Und es markiert noch nicht einmal ein Ergebnis im eigentlichen Sinn, sondern einen Zwischenstand, wie Papst Franziskus in seiner als historisch bezeichneten Rede am Ende der zweiten Synodenwoche am 16. Oktober 2015 andeutete:

"Wir sind auf halbem Weg, auf einem Teil des Weges. Wie ich bereits gesagt habe, ist es in einer synodalen Kirche 'nicht angebracht, dass der Papst die örtlichen Bischöfe in der Bewertung aller Problemkreise ersetzt, die in ihren Gebieten auftauchen. In diesem Sinn spüre ich die Notwendigkeit, in einer heilsamen 'Dezentralisierung' voranzuschreiten' (Evangelii gaudium 16)."

Pastorale Leitlinien

Das Dienstamt des Papstes sieht Papst Franziskus in der heutigen Zeit in besonderer Weise herausgefordert, ja zu einer Umgestaltung genötigt, in der Kollegialität und Synodalität Wesensvollzüge einer sich erneuernden Kirche darstellen. In dem Willen, in Richtung einer "heilsamen Dezentralisierung " voranzuschreiten, spricht Papst Franziskus zugleich auch von einer "Bekehrung "des Papstamtes (vgl. Evangelii gaudium 32). Er bezieht sich dabei auf Papst Johannes Paul II., der schon 1995 in seiner Ökumene-Enzyklika dieses Neuverständnis andeutet, dass es notwendig sei "eine Form der Primatsausübung zu finden, die zwar keineswegs auf das Wesentliche ihrer Sendung verzichtet, sich aber einer neuen Situation öffnet" (Ut unum sint 95). Wenn Papst Franziskus im direkten Anschluss bereits seinen "Blick auch auf die ganze Menschheit" richtet, ist das die weitere Perspektive (die etwa auch schon in seinem Plädoyer in der Enzyklika 'Laudato si' für die Schöpfungsverantwortung und -sorge im 'gemeinsamen Haus' deutlich geworden ist), die sich zunächst an den Herausforderungen innerhalb der katholischen Kirche zu bewähren hat: in dem Abwägen gemeinsamer pastoraler Leitlinien angesichts der in den Teilkirchen und Kulturen dieser Welt sehr unterschiedlichen Herausforderungen im Bereich von Ehe und Familie. Das Abschlussdokument der diesjährigen Synode vor Augen, das die Synodalen dem Papst als Beratungsergebnis übergeben haben, wird es das Amt des Papstes sein, seinem auf dem II. Vatikanischen Konzil konkretisierten und von ihm selbst noch einmal in derselben Jubiläumsansprache zitierten Selbstverständnis zu genügen, nämlich "das immerwährende, sichtbare Prinzip und Fundament für die Einheit der Vielheit von Bischöfen und Gläubigen" (Lumen gentium 23, vgl. 1. Vatikanisches Konzil, Pastor Aeternus) zu repräsentieren.

Pastorale Neuausrichtung

Seine Antwort muss deshalb aus zwei Teilen bestehen: Einerseits wird er sich zu dem Beratungsergebnis des vorausgegangenen, zweijährigen synodalen Prozesses in einem nachsynodalen Schreiben verhalten und dabei sowohl pastorale Leitlinien ausziehen, die hinsichtlich des Synodenthemas "Berufung und Mission der Familie in der Kirche in der modernen Welt" die Einheit in der Weltkirche beschreiben, als auch die notwendige 'Symphonie der Verschiedenheit', die die Inkulturation der Thematik weltweit erfordert, unterstreichen. Noch davor wird er aber die Voraussetzungen für die Übernahme von Lehrverantwortung auf der Ebene der Teil- und Ortskirche schaffen müssen, indem er die synodale Verfasstheit der katholischen Kirche als gestufte Teilhabe an der Ausübung des kirchlichen Lehramtes erklärt, in Kraft setzt und mit ebendiesem Auftrag versieht. Für Papst Franziskus ist diese 'Reformation im Geist der Synodalität' – wie ich das Ergebnis dieser Synode im Titel meines gerade veröffentlichen Synodentagebuchs kurzfasse – direkt verbunden mit der Botschaft der menschgewordenen Liebe Gottes, die über das formale Ergebnis der Synodalität hinaus ein inhaltliches Ergebnis der Neuausrichtung der kirchlichen Lehre darstellt:

"Jesus übt im Wesentlichen ein Priestertum der Barmherzigkeit und des Mitleids aus. [...] Seine Würde besteht [...] darin, die Menschen zu lieben, ihre Schwäche anzunehmen und zu teilen, ihnen die heilende Gnade zu schenken und ihren mühevollen Weg mit unendlicher Zärtlichkeit zu begleiten."

Mithilfe der theologischen Deklinierung des Verhältnisses von "Einheit und Verschiedenheit in der Synodalität" anhand der kulturspezifischen Familienthemen ist Papst Franziskus die pastorale Neuausrichtung im Zuge des zweijährigen synodalen Prozesses gelungen: der liebevolle Blick auf den einzelnen Menschen im Rahmen eines schöpfungstheologischen Gesamtentwurfes eines "großen Strom[es] der barmherzigen Liebe" (Misericordiae vultus 25). In diesem "Fluss der barmherzigen Liebe", der aus der Erfahrung gespeist ist, selbst zuerst von Gott geliebt zu sein, erscheinen bereits im Abschlussdokument der Synode die zu Beginn angesprochenen 'heißen Eisen' in einem anderen Licht. Auch wenn Aussagen zu gelebter Homosexualität fehlen, finden sich statt verurteilender Einschätzungen in Hinblick auf vor- und nichteheliche Familienformen nunmehr einfühlsame und wertschätzende Worte bis dahin, dass selbst die Möglichkeit der Wiederherstellung der vollen Sakramentsgemeinschaft für wiederverheiratet Geschiedene im Wortlaut angesprochen wird. Im Jubiläumsjahr der Barmherzigkeit wird Papst Franziskus diese Gedanken der jeden Menschen einbeziehenden, barmherzigen Liebe Gottes weiter entfalten und zugleich mehr als bisher zu einem synodalen Auftrag der Ortskirchen erklären.

 

 

 

Autor: PD Dr. habil. Holger Dörnemann Leiter des Referats "Ehe, Familie und Glaubensvermittlung" im Erzbischöflichen Generalvikariat Köln

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