Salzkörner

Dienstag, 25. Februar 2014

Schulqualitätsentwicklung

Was macht eine gute Schule aus?

Die bildungspolitische Diskussion wird seit einigen Jahren dominiert von Evaluierungsprozessen wie Pisa. Diese Sicht greift zu kurz. Schule braucht mehr, um wirklich gute Schule zu sein.

Schule muss sich selbst evaluieren

Die schulischen Qualitätsentwicklungsprozesse werden heute verstärkt durch Evaluationsprozesse angestoßen. Evaluationen ermöglichen Qualitätsentwicklungsprozesse, wenn sie von der Schule selbst, insbesondere von der Leitung und dem Kollegium, mitgetragen und nicht bloß als äußere Pflichtübung erduldet werden, an deren Ende ein Bericht vorliegt, den man in der Schublade ablegen kann. Im besten Fall stoßen Evaluationen in den Schulen Reflexionsprozesse in Bezug auf Strukturen, Unterrichtsgestaltung und Schulprofilierung an, die von der Schule – Kollegium, Elternschaft, Schülerschaft – dann auch mitgetragen werden. Beispiel: Eine Schule führt ad experimentum Doppelstunden statt des bisherigen 45-Minuten-Taktes ein. Die Erfahrungen werden in einer Lehrer-, Eltern- und Schülerbefragung evaluiert, auf deren Grundlage das Lehrerkollegium über das Experiment entscheidet. Eine Schule wäre dann nicht deswegen eine gute Schule, weil sie im 90- statt im 45-Minuten-Takt unterrichtet, sondern weil ihrer Entscheidung ein Evaluations- und Reflexionsprozess vorgeschaltet wurde.

Externe und interne Reflexion müssen verbunden
werden

Eine gute Schule setzt sich in ein kritisches Verhältnis zu den Kriterien, unter denen sie evaluiert wird – "kritisch" im Sinne von "unterscheidend". Man kann es auch so formulieren: Externe Evaluationsprozesse kommunizieren mit internen Reflexionsprozessen. Schule schätzt sich unter Wert ein, wenn sie sich bloß als "Objekt" einer Auswertung von außen versteht. Vielmehr setzt sie die Kriterien, unter denen sie evaluiert wird, in ein Verhältnis zum Gesamtgeschehen in der Schule, das als Ganzes niemals erschöpfend evaluiert werden kann. Dass es sich so verhalten muss, hängt mit der Zielorientierung von Bildung zusammen: Bildung ist nicht messbares Produkt, auch dann nicht, wenn es "outputs" gibt, die messbar sind. Beispiel: Die von der OECD derzeit vorgegebenen "Kompetenzen" stellen im besten Fall nur einen Ausschnitt des schulischen Bildungsauftrags fest. Würde sich Schule auf diese Kompetenzen beschränken, um sie als Kriterien für eine "gute Schule" zu Grunde zu legen, fielen wesentliche Elemente schulischer Bildung wie ästhetische Bildung, Kulturwissen, ethische Urteilskraft etc. weg. Man kann nach bestimmten Kriterien eine "gute Schule" sein und wegen der Beschränkung auf eben diese Kriterien eine "schlechte Schule" werden.

Beziehung fördern durch Wertschätzung und Führung

Eine gute Schule entscheidet sich am guten Lehrer-Schüler-Verhältnis. Die Hirnforschung bestätigt inzwischen die intuitive Lehrererkenntnis, dass der Unterrichtserfolg weniger an der angewandten Unterrichtsmethode als vielmehr an der Qualität des Lehrer-Schüler-Verhältnisses liegt. Kinder und Jugendliche brauchen Beziehung, um Motivation zu entwickeln, Wertschätzung (durch persönliche Zuwendung) und Führung (auf der Basis der Begeisterung der Lehrenden für ihr Fach) im Rahmen eines richtig austarierten Verhältnisses von Nähe und Distanz. Eine gute Schule achtet deswegen auf Lehrer und Lehrerinnen, die Kinder und Jugendliche grundsätzlich wertschätzen; die zugleich für ihr Fach brennen; die für die erzieherischen Fragestellungen im schulischen Alltag offen sind und sich in diesem Sinne über den Unterrichtalltag hinaus engagieren. Eine gute Schule öffnet auch deswegen neben dem Unterricht weitere Räume des Lernens und Begegnens (Projekte, Praktika, Fahrten). Sie verfügt über einen Verhaltenskodex in Bezug auf die angemessene Nähe und Distanz zwischen Lehrenden und Lernenden, Erwachsenen und Schutzbefohlenen.

Bildungsgerechtigkeit entsteht durch Unterstützung

Eine gute Schule minimiert den Zusammenhang zwischen sozialer Schülerkomposition und Lernerfolg. Die Frage nach der Bildungsgerechtigkeit reduziert sich nicht nur auf die Frage nach der Zugänglichkeit der Schule überhaupt – das sowieso –, sondern bleibt im Schulalltag gegenwärtig. Je mehr Lernaufträge auf "Hausaufgaben" verlagert werden, umso mehr müssen Unterstützungsmaßnahmen angeboten werden, für diejenigen Schüler, die nicht aus einem unterstützenden Haus kommen. Zur Bildungsgerechtigkeit in der Schule gehört auch die Umsetzung des Prinzips, dass die Teilnahme an schulischen Veranstaltungen und Angeboten nicht am Geldbeutel des Elternhauses scheitern darf. Deswegen müssen Schulen darauf achten, dass die Kosten für Lernmittel, Fahrten etc. grundsätzlich bescheiden bleiben. Antragsverfahren für Preisreduktionen und -erlasse müssen ohne großen bürokratischen Aufwand und mit Diskretion für die beantragenden Eltern zugänglich sein. Ähnliches gilt mutatis mutandis für das Thema Inklusion: Eine gute Schule öffnet sich dem Thema Inklusion und stellt den Lehrenden und Lernenden die Mittel und das Personal zur Verfügung, die helfen können, Exklusion zu minimieren.

Prävention gegen Gewalt und mehr

Eine gute Schule schaut bei Gewalt nicht weg, sondern schreitet gegen Gewalt ein. Dazu bedarf es zum einen der Ausstattung der Schule mit den nötigen Macht- und Entscheidungskompetenzen, um gegen Gewalt einschreiten zu können, notfalls schnell und effektiv. Zum anderen bedarf es der nötigen sachlichen Kompetenz, Verfahrenstransparenz und Persönlichkeitsstärke seitens der pädagogischen Entscheider, um nicht durch die Art und Weise des Einschreitens das Problem der Gewalt kontraproduktiv zu vergrößern. Neben der Intervention gegen Gewalt gehört die Frage nach der Gewaltprävention in das Programm einer guten Schule. Dabei ist die Präventionsfrage nicht nur defensiv aus der Verhinderungsperspektive heraus zu stellen, sondern positiv in ein Programm des sozialen Lernens integriert, das seinen Sinn in sich selbst hat. Beispiel: Auf Besinnungstagen Achtsamkeit in der Sprache und im Verhalten einzuüben hat auch eine präventive Wirkung; aber diese Wirkung ist nicht der (alleinige und entscheidende) Grund dafür, warum Besinnungstage veranstaltet werden. Das Gesagte gilt auch für andere Präventionsthemen wie Suchtprävention und ähnliches.

Bildung muss mehr als Ausbildung sein

Non scholae, sed vitae discimus: Schulische Bildung vermittelt über ein anspruchsvolles Curriculum Kenntnisse und Kompetenzen, die langfristig bedeutsam sind: Sprachkenntnisse (einschließlich Fremdsprachen), selbständiges Denken und Urteilsfähigkeit, musisch-künstlerische Kompetenzen, Allgemeinbildung einschließlich der Auseinandersetzung mit den großen Menschheitsfragen bis hin zur Frage nach Gott. In diesem Sinne beansprucht sie mehr zu leisten als "Ausbildung". Basiskompetenzen wie Rechnen, Lesen, Schreiben sind notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzungen, um das Bildungsziel zu erreichen. (Dasselbe gilt für den Umgang mit den neuen Medien als Mittel zum Zweck der schulischen Bildung.)

Da Schule ein Ort existentieller Erfahrung ist, hat auch der schulische Umgang mit Schlüsselsituationen menschlicher Existenz lebensprägende Kraft: Wie geht die Schule mit dem Tod eines Mitschülers oder Lehrers um? Wie lebt sie die Zeitgenossenschaft zu großen politischen und kulturellen Ereignissen? Wie geht sie mit der Schwangerschaft einer Schülerin um? Welche Riten des Willkommens und des Abschiedes hat sie zur Verfügung?

Omnipotente Schule ist eine autoritäre Veranstaltung

Es wären noch weitere Schüsselthemen zu benennen, an denen sich Schulqualität entscheidet: Qualität der Schulleitung, Organigramm und Gremienarbeit, Zusammenarbeit mit Eltern im komplexen Beziehungsdreieck von Schüler-Lehrer-Eltern, Beschwerdeverfahren, Kooperationspartnerschaften etc. Schule ist allerdings auch keine totale Institution. Deswegen gehört zu einer guten Schule zuletzt auch ein selbstkritisches Institutionsverständnis dahingehend, dass sie die Grenzen ihrer Zuständigkeit für sich und gegenüber der Gesellschaft klärt. Das ist sowohl ein dauernde Aufgabe im schulischen Alltag als auch ein Thema der Politik über die Schulpolitik hinaus.

Eine verschulte Gesellschaft ist eine totalitäre Gesellschaft, und eine omnipotente Schule ist eine autoritäre Veranstaltung. Beides widerspricht dem Auftrag von Schule in einer demokratischen Bürgergesellschaft: jungen Menschen Voraussetzungen und Hilfen mitzugeben, damit sie in ihrem Leben Verantwortung in Freiheit übernehmen können.

 

 

 

 

 

 

 

 

Autor: P. Klaus Mertes SJ Mitglied des ZdK, Direktor des Kollegs St. Blasien

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