Salzkörner

Freitag, 19. Dezember 2014

Textilindustrie

Für eine weltweit faire Marktwirtschaft

 

Zur Diskussion um ein Textilsiegel

Im September 2012 begann eine Serie mit den folgenschwersten Unfällen in der Geschichte der Textilindustrie. Den traurigen Höhepunkt bildete der Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza in einem Vorort von Dhaka am 24. April 2013. Befördert durch diese tragischen Ereignisse wurde am 16. Oktober 2014 auf Initiative des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit ein Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet.

Allein bei diesem Einsturz des Rana Plaza starben Schätzungen zufolge über 1.000 Menschen, in der Mehrzahl Näherinnen. Bereits vorher waren die Produktionsbedingungen in der Textilindustrie durch die Fabrikbrände bei Ali Enterprises in Pakistan im September 2012 und bei Tazreen, ebenfalls in der Nähe von Dhaka, im November 2012 in die Kritik geraten. Weltweit, insbesondere aber auch in Deutschland, folgte auf diese Ereignisse eine Welle der öffentlichen Empörung. Die Berichte der überlebenden Arbeiterinnen und Arbeiter über die Zustände und Arbeitsbedingungen in den Fabriken schockierten regelrecht. Sie führten uns als Verbraucher vor Augen, unter welchen menschenunwürdigen Bedingungen die globale Bekleidungsindustrie für uns und die "Konsumtempel" der Modeindustrie produzieren lässt.

Keine Überraschung

Für viele Nichtregierungsorganisationen, darunter viele kirchliche Hilfswerke, waren hingegen die Ereignisse in Pakistan und Bangladesch keine Überraschung. Schon seit geraumer Zeit werden die Produktionsbedingungen in der weltweiten Textilindustrie auch von Seiten der katholischen Kirche angeprangert. In Ländern wie Indien, Pakistan, Bangladesch und zunehmend auch in Vietnam und Kambodscha wird in der Regel über Subunternehmer kostengünstig für den europäischen und amerikanischen Mark produziert. Systematische Verstöße gegen Arbeits- und Menschenrechte in den Fabriken der Billiglohnländer werden dabei von den Modeunternehmen billigend in Kauf genommen. Kleidungsstücke werden im Akkord produziert, in Fabriken mit mangelhafter Bausubstanz. Beißende Chemiegerüche gefährden nicht nur die Gesundheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in den Fabriken, sondern zeugen auch von wissentlichen Verstößen gegen Umweltstandards. Hungerlöhne sichern nicht einmal die Existenz der Beschäftigten ab und degenerieren die menschliche Arbeitskraft zu einer scheinbar wertlosen und jederzeit endlos verfügbaren "Ware".

Im Kampf um den niedrigsten Preis

Die Ursachen für diese Zustände sind vielfältig. Allein ein Blick auf die Werbung der Modeindustrie in Deutschland genügt, um Gründe für die Missstände zu erkennen. „Geiz ist geil“ so der alte Slogan einer bekannten Elektrohandelskette. Ein Online-Versandunternehmen wirbt beim Kauf neuer Klamotten mit dem „Schrei vor Glück“. Bei einem irischen Textilunternehmen bilden sich anlässlich der Eröffnung neuer Filialen regelrechte Menschenschlangen, um möglichst eine Vielzahl kostengünstiger Kleidungsstücke zu erstehen. Modediscounter unterbieten sich geradezu mit Tiefpreisen. Konsumiert wird dabei auf dem Rücken der Schwächsten. Einher geht diese Form des Konsums mit der Entwertung der Arbeitsleistung. Dass dies jedoch nicht nur das Phänomen kostengünstig angebotener Bekleidungsmarken ist, zeigt der Blick auf scheinbar hochwertigere Marken. Auch Markenfirmen lassen in der Regel über Subunternehmer in den gleichen Ländern und manchmal auch in den selben Fabriken zu denselben Bedingungen produzieren. Während jedoch die Mehrkosten für diese Waren in die Taschen der Modeunternehmen, des Marketings oder des Vertriebs wandern, bleibt der Lohn für die Näherinnen am anderen Ende der Wertschöpfungskette konstant. Im Sommer diesen Jahres wurde auf dieses Missverhältnis von Seiten des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit, mit Blick auf die Kosten für das neue Weltmeistertrikot der deutschen Fußballnationalmannschaft, hingewiesen. Die FAZ titelte damals vor dem Hintergrund der Ausführungen des Bundesministers Dr. Gerd Müller zu den Lohnstückkosten für das neue Trikot: „15 Cent für vier Sterne“.

Globale Verantwortung wird vernachlässigt

Manchmal scheint es, dass anderthalb Jahre nach den letzten schweren Unglücken in der Textilindustrie und bei den Verbrauchern im Kampf für menschenwürdige Arbeit Ernüchterung eingekehrt ist. Die von den Modekonzernen groß angekündigten Aktionspläne zur Schaffung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen sind zurück in die Schubläden gewandert, aus denen sie gekommen waren. Entschädigungen, welche das Leid der Opfer sowie deren Familien mildern sollten, wurden entweder gar nicht ausbezahlt oder sind in ihrer Höhe zu gering gewesen, um die Behandlungskosten zu decken. Stattdessen wurde weitergemacht wie bisher. In den Elendsfabriken der Billiglohnländer werden noch immer bis zu 16 Stunden am Tag gearbeitet. Am Ende steht noch immer ein Lohn, der nicht zum Leben für die Menschen und ihren Familien reicht. Werden die Lohnkosten in einem Land für die Unternehmen teurer, zieht die Karawane der globalen Textilindustrie weiter ins Nächste. Wohlklingende Programme, die Neudeutsch als Corporate Social Responsibility (CSR)–Strategie bezeichnet werden, verschleiern in den Ländern der Endverbraucher die Erinnerungen an die Vergangenheit. Bis auf wenige Ausnahmen entziehen sich die Modeunternehmen auch weiterhin ihrer globalen Verantwortung. Produziert wird global. Die Übernahme globaler Verantwortung wird hingegen bis heute nur von einigen wenigen Ausnahmen  anerkannt und übernommen.

Ratlose Verbraucher

Auch bei den Verbrauchern in Europa und Amerika scheint Ernüchterung eingekehrt zu sein. Vor dem Hintergrund der schockierenden Bilder der Textilkatastrophen wurden Bio-, Fair Trade- und Nachhaltigkeitssiegel als Zauberformel gegen menschenunwürdige Arbeitsbedingungen gefeiert. Zwar liegt weiterhin Bio im Trend, Nachhaltigkeit ist in aller Munde und auch in der Modeindustrie gibt man sich inzwischen gern grün und verantwortungsbewusst. Doch bei aller Euphorie bleiben Zweifel, ob diese Siegel halten, was sie versprechen. Ein weiteres Problem besteht in der Vielzahl der unterschiedlichen Siegel, egal ob es um Öko-Standards oder soziale Kriterien geht. In der Bevölkerung herrscht häufig eine große Unkenntnis darüber, welche Kriterien mit welchem Siegel genau abgedeckt werden.

Das Textilbündnis

Am 16. Oktober 2014 wurde auf Initiative des Bundesministeriums für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit ein Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet. Ziel dieses Bündnisses, dem bisher rund 49 Organisationen (Stand: 26.11.2014) und Unternehmen beigetreten sind, ist es, in der gesamten Produktions- und Handelskette – vom Baumwollfeld bis zum Kleiderbügel – für existenzsichernde Löhne, mehr Sicherheit am Arbeitsplatz und mehr Umwelt- und Gesundheitsschutz zu sorgen. Bei aller Euphorie über dieses Signal bleibt es eine wichtige Aufgabe auch die großen Firmen und Branchenverbände der Textilindustrie einzubinden. Als größte Herausforderung wird die große Schwierigkeit bzw. Unmöglichkeit benannt, die gesamte Liefer- und Produktionskette zu überwachen.

 

Ein Schritt in die richtige Richtung

Ich bin der festen Überzeugung, dass die Gründung des Textilbündnisses trotz aller Kritik ein erster Schritt in die richtige Richtung gewesen ist. Die Initiative zeigt, dass es in der Politik auch fernab der medialen Öffentlichkeit möglich ist, sich für eine bessere Welt mit menschenwürdigen Arbeitsbedingungen einzusetzen. Nun sind auch wir gefordert, Zeichen zu setzen für bessere Umwelt- und Sozialstandards weltweit. Das Textilbündnis ist ein wichtiger Baustein. Durch Engagement und Einsatz kann aber auch jeder Einzelne seinen Beitrag dafür leisten. So halte ich es für zwingend geboten, für mehr Transparenz bei den Textilsiegeln zu sorgen. Um die Verbraucher in die Lage zu versetzen, eine bewusste Kaufentscheidung zu treffen, wird es notwendig sein, über die Kriterien der unterschiedlichen Textilsiegel schnell und einfach zu informieren. Am Ende könnte, meiner Meinung nach, auch ein allgemeingültiges Textilsiegel stehen, welches die Funktion einer TÜV-Plakette übernehmen kann. Diese und viele andere Maßnahmen sind Etappenziele auf dem Weg hin zu einer fairen weltweiten sozialen und ökologischen Marktwirtschaft.

Autor: Peter Weiß, Entwicklungspolitischer Sprecher des ZdK

zurück zur Übersicht