Salzkörner

Montag, 13. Dezember 1999

Warum Geschenke?

Zur Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland
Das Volk, das im Dunkel lebt,
sieht ein helles Licht;
über denen, die im Land der Finsternis wohnen,
leuchtet ein Licht auf.
Du erregst lauten Jubel
und schenkst große Freude ...

Denn uns wurde ein Kind geboren,
ein Sohn wurde uns geschenkt.
Die Herrschaft liegt auf seiner Schulter,
und man nennt ihn "Wunderbarer Ratgeber,
starker Gott, Vater in Ewigkeit und Friedensfürst".
Seine Herrschaft ist groß, und der Friede hat kein Ende. (Jesaja 9, 1-6)

Meditation Weihnachten

Haben Sie schon alle Geschenke für Weihnachten besorgt? Wenn nicht, dann wird es aber höchste Zeit – zur Not funktioniert das ja auch noch über das Internet. Und selbst, wenn Sie noch keine Idee für ein passendes Geschenk haben, werden Sie dort wohl genügend Anregungen bekommen. Worin es wohl liegen mag, dass wir Menschen, die uns viel bedeuten, an Weihnachten jedes Jahr neu so gerne etwas schenken?

Woran es wohl liegen mag, und mich fasziniert dieses seltsame Phänomen immer wieder neu, dass sich so viele Menschen vom Zauber des Weihnachtsfestes tief berühren lassen – Menschen auch, die sich sonst eher schwer tun mit dem Evangelium, dem Glauben, auch mit der Kirche?

Vielleicht ist das Weihnachtsfest gerade deshalb so populär, weil es einer tiefen Sehnsucht im Menschen entspricht: der Sehnsucht nach einer "heilen Welt", nach Frieden.

In der Mitternachtsmette im Petersdom wird Papst Johannes Paul II. in der Heiligen Nacht feierlich die "Heilige Pforte" öffnen, jene Tür, die sonst immer zugemauert ist und normalerweise nur alle 25 Jahre zum "Heiligen Jahr" geöffnet wird.

Mit dieser Zeremonie beginnt für die katholische Kirche das große Jubiläumsjahr der Menschwerdung Gottes. Ein ganzes Jahr lang wird dieses außergewöhnliche Jubiläum begangen.Gerade die Christen haben allen Grund, dieses Millennium zu feiern; handelt es sich doch um die Feier des 2000. Geburtstages Jesu Christi.

Heile Welt im Jubeljahr? Haben wir Christen überhaupt einen triftigen Grund zum Feiern?

Was hat sich denn in dieser Welt geändert seit der Geburt Jesu Christi, seit jenem Weihnachtsfest vor 1999 Jahren? Ist die Welt denn wirklich besser, friedlicher, menschlicher geworden durch die Ankunft Jesu in der Welt und durch die 2000 Jahre, in denen Christen versucht haben, das Evangelium zu leben?

Als vor acht Jahren der Golfkrieg ausbrach, da wurde überall in Deutschland der Karneval abgesagt. Damals war die Überzeugung: Wir können nicht ausgelassen feiern, während anderswo in der Welt Bomben fallen. Wäre es da nicht konsequent, wenn wir das "Jubeljahr 2000", das "Heilige Jahr", absagen würden? Müssten wir konsequenterweise dann nicht auch Weihnachten ausfallen lassen?

"Frieden auf Erden bei den Menschen seiner Gnade!" – Wird diese Botschaft der Engel nicht zur Lüge, wenn wir Weihnachten feiern am Ende eines Jahrhunderts, das zwei Weltkriege und unzählige andere kriegerische Auseinandersetzungen erleben musste, und in dem noch immer Terror, Gewalt und Unterdrückung herrschen?

Oder brauchen wir vielleicht gerade angesichts dieser großen Not in unserer Welt, in der so vieles im Argen liegt, erst recht unser Weihnachtsfest – als eine Art Oase des Friedens mitten in einer Welt voller Egoismus und Selbstsucht, voller Gewalt und Krieg?

Einmal im trauten Familienkreis für wenige selige Stunden unter dem Christbaum alles das hinter sich lassen, was unser Leben das ganze Jahr über oft so beschwerlich macht: die Missgunst der Arbeitskollegen, das griesgrämige Gesicht des Chefs, den Streit mit dem Nachbarn, die nervenaufreibende Pflege kranker Familienangehöriger, die Schwierigkeiten, Missverständnisse und Meinungsverschiedenheiten mit dem Lebenspartner, die es früher doch so nicht gab.

So menschlich diese Sehnsucht, die tief in uns sitzt, auch sein mag, so gefährlich ist es, Weihnachten von hier her verstehen zu wollen. Wenn wir uns an Weihnachten wie auf eine Insel der Seligen unter dem warmen Glanz und dem wohlriechenden Duft der Christbäume, dem anheimelnden Klang des "Stille Nacht" zurückziehen und die Dunkelheit und das Leid der Welt einfach verdrängen wollten, dann feierten wir am tiefsten Geheimnis des Weihnachtsfestes vorbei!

Die Botschaft von Weihnachten heißt nicht: Plötzlich ist die Welt heil, Friede überall.

Die Botschaft von Weihnachten heißt vielmehr: Mitten hinein in die Dunkelheit der Welt kommt unser Gott! Und das ist und bleibt eben die Welt, in der wir leben: wo irgendwo in Afrika vielleicht zur Stunde Menschen einem Bürgerkrieg zum Opfer fallen oder den Hungertod sterben; in Asien Kinder sich als Prostituierte den Sextouristen verkaufen müssen, um ihrer Familie das Überleben zu ermöglichen; in unserer Nachbarschaft vielleicht gerade ein Kind von seinem alkoholsüchtigen Vater verprügelt wird oder sich ein drogenabhängiger Mensch unbemerkt von allen und in keiner Zeitung berichtet den letzten Schuss setzt, weil er keinen Ausweg mehr sieht und keine Hoffnung mehr hat.

Das ist die Welt, in die hinein Weihnachten sich ereignet. Weihnachten darf die harte Realität nicht verdrängen, sonst wird es zur Folklore, zu einem billigen Theater. Gott sucht sich keine andere Welt aus, sondern er wird mitten in genau diese Welt mit all ihren Dunkelheiten und Schattenseiten hinein geboren. Das gerade macht die eigentliche Tiefe dieses Festes aus: Gott steht zu dieser Welt, wie sie ist, er steht zu den Menschen, wie sie sind. Er hat die Hoffnung nicht aufgegeben, er hat seinen Glauben an die Menschen nicht verloren. Gerade deshalb wird er Mensch.

Viele Menschen besuchen in diesem Jahr wieder die nächtlichen Feiern an Weihnachten. Mitten in der Nacht – damit wird deutlich, dass wir die Dunkelheit der Welt und auch unseres eigenen Lebens nicht einfach verdrängen. Wir stellen uns der Dunkelheit, wir holen sie buchstäblich hinein in unser Weihnachtsfest. Wir stellen uns der Dunkelheit, weil sich Gott selbst der Dunkelheit dieser Welt gestellt hat, weil er mitten in der Nacht geboren wurde.

"Das Volk, das im Dunkel lebt, sieht ein helles Licht" (vgl. Jes 9,1): Mitten in der Dunkelheit unseres Lebens, unserer Welt beginnt ein Licht zu leuchten. Das heißt nicht: Plötzlich ist alles in Ordnung. Gott macht die Welt nicht einfach von oben her licht und hell, er verwandelt sie nicht mit einem göttlichen Zauberwort in eine heile Welt. Nein: Er steigt herab in die Dunkelheit und Nacht, um die Finsternis von innen her aufzubrechen.

Und dies geschieht, ohne dass wir etwas im voraus dazu leisten müssten. So ist dieser Gott: Er schenkt uns seinen Sohn Jesus ChristusDenn er liebt uns unendlich. Diese Botschaft ist so ungeheuerlich, ja fast unglaublich, dass viele Menschen von heute in ihrem Leistungsdenken Glaubensschwierigkeiten haben: Dass Gott mir soviel schenkt, das gibt es doch gar nicht! – Doch, das gibt es! Das ist die unglaubliche und doch so einfache Frohe Botschaft von Weihnachten: Gott liebt mich, deshalb handelt er so.

Dieses große Geschenk Gottes bleibt als Angebot an uns alle: an dich, der du dich als "guten Christen" bezeichnest und regelmäßig am Gottesdienst teilnimmst; an dich, die du mal ab und zu kommst; an dich, die du auf der Suche bist; an dich, der du nicht mehr glauben kannst; an dich, die du trauerst und zweift: "Euch – dir und mir – ist heute der Retter geboren!" (vgl. Lk 2,11).

Vielleicht ist es das, woran wir uns mit den vielen Geschenken zu Weihnachten auch gegenseitig erinnern wollen. Dazu sollten wir aber zuvor Sein Geschenk an uns wirklich angenommen haben. Erst dann werden wir Wertvolles weitergeben können an die anderen, auch ohne Anregungen aus dem Internet.

Autor: Pfarrer Michael Becker, Geistlicher Rektor im Generalsekretariat des ZdK

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