Salzkörner
Montag, 13. Dezember 1999
Willkommen heißen und liebevoll annehmen
Katholische Beraterinnen sind ein unverzichtbarer Teil unseres pluralen Beratungsangebots
Die von Rom veranlasste Entscheidung der deutschen Bischöfe, aus dem staatlichen System der Schwangerschaftskonfliktberatung auszusteigen, bringt rat- und hilfesuchende Frauen, bringt Beratungsfachkräfte, die Träger der Beratungsstellen und nicht zuletzt die katholische Kirche selbst in eine höchst missliche Lage. Ich bedauere dies als Frau, ich bedauere dies als katholische Christin und ich bedauere dies als für den Schutz des ungeborenen Lebens in Bayern verantwortliche Ministerin.
Bei allen Schwächen und Mängeln, die der 1995 im Deutschen Bundestag gefundene Kompromiss auch haben mag: Ein besseres Lebensschutzkonzept, das so konkret und nahe bei Mutter und Kind ansetzt, ist nirgendwo sichtbar. Das deutsche Beratungsmodell geht von der nicht widerlegbaren Einschätzung aus, dass "jedenfalls in der Frühphase der Schwangerschaft ein wirksamer Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens nur mit der Mutter und nicht gegen sie möglich ist". Mit dieser Formulierung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 den Wechsel vom Indikationsmodell zum Beratungskonzept für unbedenklich erachtet. Ich habe den Eindruck, dass viele Diskussionsbeiträge der letzten Monate weit hinter diese Erkenntnis zurückfallen.
Verantwortungsbewusster Lebensschutz
Was wären die Alternativen? Etwa die Rückkehr zur Notlagenindikation mit all ihren nicht zuletzt auch von der Kirche stets beklagten Unschärfen und Mängeln? Kein wie auch immer geartetes Strafrechtsmodell hat in der Vergangenheit trotz aller Strafandrohung die Abtreibungen verhindern können. Man denke nur an die große Dunkelziffer und die Fehlerhaftigkeit der Abbruchstatistik.
Oder etwa die reine Fristenregelung, bei der nur die "Frist" aber keine Beratungspflicht mehr bestehen würde? Eine Regelung, bei der der Stein des Anstoßes, die Schwangerschaftskonfliktberatung, nicht mehr im Wege steht. Das mag vordergründig, was den Wegfall der Beratungsbescheinigung betrifft, so sein, aber von einem wirksamen, verantwortungsbewussten Lebensschutz für das ungeborene Kind könnte nicht mehr die Rede sein.
In einem Rechtsstaat, der den Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens in den Verfassungsrang erhoben hat, ist dieser Weg unzulässig, wie das Bundesverfassungsgericht schon 1975 festgestellt hat. Das eigenständige Lebensrecht des Ungeborenen gilt es uneingeschränkt zu schützen. Der wirksame Schutz des ungeborenen Lebens hängt aber entscheidend davon ab, ob und wie es gelingt, die Schwangerschaftskonfliktberatung mit Leben zu füllen. Das heißt, sich in jedem Einzelfall mit den konkreten, oft sehr unterschiedlichen Gründen für den erwogenen Schwangerschaftsabbruch auseinanderzusetzen und die von Frauen als existentiell empfundene Notlage durch detaillierte Hilfsangebote für eine gemeinsame Zukunft mit dem Kind so weit wie möglich aufzufangen.
Beratungsangebot katholischer Prägung
Bayern war bei Verabschiedung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes 1995 der Auffassung, dass die Anforderungen an die Beratung zum Schutz des ungeborenen Lebens gesetzlich nicht ausreichend klar definiert seien. Mit dem Bayerischen Schwangerenberatungsgesetz haben wir deshalb klare gesetzliche Rahmenbedingungen für einen wirksamen Lebensschutz geschaffen. Die Konfliktberatung zum Leben ist von den katholischen Beratungsstellen, trotz der seit Jahren bestehenden Verunsicherung über die eigene Zukunft beispielhaft geleistet worden.
Katholische Beraterinnen sind ein unverzichtbarer Teil unseres pluralen Beratungsangebotes – ein Teil, der auch künftig in der Schwangerenkonfliktberatung vertreten sein muss. Die gesetzliche Verpflichtung, ein plurales Angebot an Schwangerenberatungsstellen vorzuhalten, besteht für alle Länder. Für Bayern mit seinem hohen katholischen Bevölkerungsanteil bedeutet das die Verpflichtung, auch weiterhin ein Beratungsangebot mit katholischer Prägung anzubieten. Konfessionsfreie Beratungsstellen ohne weltanschauliche Orientierung wären kein ausreichender Ersatz dafür.
Langjähriger Ziel- und Wertekonsens
Ich bin zuversichtlich, dass der seit 1974 in Bayern bestehende Konsens des Staates mit den beiden christlichen Kirchen in der zentralen Frage des Lebensschutzes auch künftig nicht aufgegeben wird. Der langjährig bestehende Ziel- und Wertekonsens darf auch nicht durch die veränderte innerkirchliche Prioritätensetzung in Frage gestellt werden. Das bisher gute Verhältnis von Kirche und Staat sollte nicht durch die gegenwärtigen Irritationen nachhaltig negativ belastet werden.
Der Ausstieg aus der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung kann die Stellung der Kirche in der Gesellschaft verändern und ihren Einfluss weiter schwächen. Nicht wenige werden sagen, die Kirche achte zu sehr auf moraltheologische und zu wenig auf ihre pastoralen Verpflichtungen. Die Kirche wird sich mit dem Argument konfrontiert sehen, dass sich im staatlichen System der Konfliktberatung engagieren muss, wer sich glaubwürdig dem Lebensschutz verpflichtet fühlt. Nur dort ist echte Lebensrettung für das Kind möglich.
In gegenseitiger Achtung und in Partnerschaft
Ich hoffe sehr, dass wir in einem ernsthaften, glaubwürdigen Dialog mit der Kirche, der von gegenseitiger Achtung und Partnerschaft geprägt ist, einen Weg finden, der das katholische Element in der Schwangerenkonfliktberatung auch weiterhin erhält. Der Klärungsprozess wird sicherlich einige Zeit in Anspruch nehmen. Tragfähige Lösungen in diesem sensiblen Bereich, in dem das Leben vieler ungeborener Kinder auf dem Spiel steht, müssen sorgfältig geprüft und bedacht werden. Ich bin daher sehr dankbar, dass auch die katholische Kirche von einer angemessenen Übergangszeit ausgeht. Gemeinsam wird es uns gelingen, eine Neuordnung zu finden, wie auch immer sie im Einzelnen ausgestaltet sein mag.
Das gesellschaftspolitische Engagement katholischer Laien hat mit "DONUM VITAE" ein deutliches Signal für den engagierten Schutz von Mutter und Kind gesetzt und zwar gerade dort, wo beide in großer Gefahr sind. Dafür sollten wir allen dankbar sein, die diese Initiative ergriffen haben. Aber auch den Beraterinnen und ihren Trägern, die sich zu Recht als Garanten für Kontinuität und Qualität in der Schwangerenberatung verstehen.
Eine "Herberge" für schwangere Frauen
Sich auf echte Mitmenschlichkeit und vorbehaltlose Hilfe für die Betroffenen zu besinnen, ist ein Kernpunkt der christlichen Botschaft. Die Frage der Ausstellung oder Verweigerung von Bescheinigungen gleich welcher Art wird demgegenüber eher klein. Die "Herbergssuche" hat auch heute viele Gesichter. Gerade in der Adventszeit 1999, an der Schwelle eines neuen Jahrtausends, müssen wir dafür sorgen, dass schwangere Frauen unter uns eine "Herberge" finden, einen behüteten Schutzraum für sich und ihr Kind; dass es Menschen gibt, die sie liebevoll annehmen und willkommen heißen und nicht in einer "kalten Winternacht" weiterschicken.
Nachdem wir unsere Vorbereitungen auf 2000 bisher weitgehend auf den EDV-Sektor und das Einstellen von Uhren und Herzschrittmachern konzentriert haben, sollten wir auch an die zwischenmenschliche, innere Neuorientierung denken. Wäre nicht die Besinnung auf das "Kind in unserer Mitte" ein sicherer Wegweiser ins nächste Jahrtausend? So gesehen bin ich gerade nicht der Auffassung von Erzbischof Dyba, der meint, man sollte jetzt die Diskussion über die Schwangerschaftskonfliktberatung abschließen und sich den neuen Aufgaben und Freuden des heiligen Jahres zuwenden. Nen, der Mut zur Schwangerschaftskonfliktberatung macht uns erst 2000fähig.
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Bei allen Schwächen und Mängeln, die der 1995 im Deutschen Bundestag gefundene Kompromiss auch haben mag: Ein besseres Lebensschutzkonzept, das so konkret und nahe bei Mutter und Kind ansetzt, ist nirgendwo sichtbar. Das deutsche Beratungsmodell geht von der nicht widerlegbaren Einschätzung aus, dass "jedenfalls in der Frühphase der Schwangerschaft ein wirksamer Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens nur mit der Mutter und nicht gegen sie möglich ist". Mit dieser Formulierung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 den Wechsel vom Indikationsmodell zum Beratungskonzept für unbedenklich erachtet. Ich habe den Eindruck, dass viele Diskussionsbeiträge der letzten Monate weit hinter diese Erkenntnis zurückfallen.
Verantwortungsbewusster Lebensschutz
Was wären die Alternativen? Etwa die Rückkehr zur Notlagenindikation mit all ihren nicht zuletzt auch von der Kirche stets beklagten Unschärfen und Mängeln? Kein wie auch immer geartetes Strafrechtsmodell hat in der Vergangenheit trotz aller Strafandrohung die Abtreibungen verhindern können. Man denke nur an die große Dunkelziffer und die Fehlerhaftigkeit der Abbruchstatistik.
Oder etwa die reine Fristenregelung, bei der nur die "Frist" aber keine Beratungspflicht mehr bestehen würde? Eine Regelung, bei der der Stein des Anstoßes, die Schwangerschaftskonfliktberatung, nicht mehr im Wege steht. Das mag vordergründig, was den Wegfall der Beratungsbescheinigung betrifft, so sein, aber von einem wirksamen, verantwortungsbewussten Lebensschutz für das ungeborene Kind könnte nicht mehr die Rede sein.
In einem Rechtsstaat, der den Schutz des ungeborenen menschlichen Lebens in den Verfassungsrang erhoben hat, ist dieser Weg unzulässig, wie das Bundesverfassungsgericht schon 1975 festgestellt hat. Das eigenständige Lebensrecht des Ungeborenen gilt es uneingeschränkt zu schützen. Der wirksame Schutz des ungeborenen Lebens hängt aber entscheidend davon ab, ob und wie es gelingt, die Schwangerschaftskonfliktberatung mit Leben zu füllen. Das heißt, sich in jedem Einzelfall mit den konkreten, oft sehr unterschiedlichen Gründen für den erwogenen Schwangerschaftsabbruch auseinanderzusetzen und die von Frauen als existentiell empfundene Notlage durch detaillierte Hilfsangebote für eine gemeinsame Zukunft mit dem Kind so weit wie möglich aufzufangen.
Beratungsangebot katholischer Prägung
Bayern war bei Verabschiedung des Schwangeren- und Familienhilfeänderungsgesetzes 1995 der Auffassung, dass die Anforderungen an die Beratung zum Schutz des ungeborenen Lebens gesetzlich nicht ausreichend klar definiert seien. Mit dem Bayerischen Schwangerenberatungsgesetz haben wir deshalb klare gesetzliche Rahmenbedingungen für einen wirksamen Lebensschutz geschaffen. Die Konfliktberatung zum Leben ist von den katholischen Beratungsstellen, trotz der seit Jahren bestehenden Verunsicherung über die eigene Zukunft beispielhaft geleistet worden.
Katholische Beraterinnen sind ein unverzichtbarer Teil unseres pluralen Beratungsangebotes – ein Teil, der auch künftig in der Schwangerenkonfliktberatung vertreten sein muss. Die gesetzliche Verpflichtung, ein plurales Angebot an Schwangerenberatungsstellen vorzuhalten, besteht für alle Länder. Für Bayern mit seinem hohen katholischen Bevölkerungsanteil bedeutet das die Verpflichtung, auch weiterhin ein Beratungsangebot mit katholischer Prägung anzubieten. Konfessionsfreie Beratungsstellen ohne weltanschauliche Orientierung wären kein ausreichender Ersatz dafür.
Langjähriger Ziel- und Wertekonsens
Ich bin zuversichtlich, dass der seit 1974 in Bayern bestehende Konsens des Staates mit den beiden christlichen Kirchen in der zentralen Frage des Lebensschutzes auch künftig nicht aufgegeben wird. Der langjährig bestehende Ziel- und Wertekonsens darf auch nicht durch die veränderte innerkirchliche Prioritätensetzung in Frage gestellt werden. Das bisher gute Verhältnis von Kirche und Staat sollte nicht durch die gegenwärtigen Irritationen nachhaltig negativ belastet werden.
Der Ausstieg aus der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung kann die Stellung der Kirche in der Gesellschaft verändern und ihren Einfluss weiter schwächen. Nicht wenige werden sagen, die Kirche achte zu sehr auf moraltheologische und zu wenig auf ihre pastoralen Verpflichtungen. Die Kirche wird sich mit dem Argument konfrontiert sehen, dass sich im staatlichen System der Konfliktberatung engagieren muss, wer sich glaubwürdig dem Lebensschutz verpflichtet fühlt. Nur dort ist echte Lebensrettung für das Kind möglich.
In gegenseitiger Achtung und in Partnerschaft
Ich hoffe sehr, dass wir in einem ernsthaften, glaubwürdigen Dialog mit der Kirche, der von gegenseitiger Achtung und Partnerschaft geprägt ist, einen Weg finden, der das katholische Element in der Schwangerenkonfliktberatung auch weiterhin erhält. Der Klärungsprozess wird sicherlich einige Zeit in Anspruch nehmen. Tragfähige Lösungen in diesem sensiblen Bereich, in dem das Leben vieler ungeborener Kinder auf dem Spiel steht, müssen sorgfältig geprüft und bedacht werden. Ich bin daher sehr dankbar, dass auch die katholische Kirche von einer angemessenen Übergangszeit ausgeht. Gemeinsam wird es uns gelingen, eine Neuordnung zu finden, wie auch immer sie im Einzelnen ausgestaltet sein mag.
Das gesellschaftspolitische Engagement katholischer Laien hat mit "DONUM VITAE" ein deutliches Signal für den engagierten Schutz von Mutter und Kind gesetzt und zwar gerade dort, wo beide in großer Gefahr sind. Dafür sollten wir allen dankbar sein, die diese Initiative ergriffen haben. Aber auch den Beraterinnen und ihren Trägern, die sich zu Recht als Garanten für Kontinuität und Qualität in der Schwangerenberatung verstehen.
Eine "Herberge" für schwangere Frauen
Sich auf echte Mitmenschlichkeit und vorbehaltlose Hilfe für die Betroffenen zu besinnen, ist ein Kernpunkt der christlichen Botschaft. Die Frage der Ausstellung oder Verweigerung von Bescheinigungen gleich welcher Art wird demgegenüber eher klein. Die "Herbergssuche" hat auch heute viele Gesichter. Gerade in der Adventszeit 1999, an der Schwelle eines neuen Jahrtausends, müssen wir dafür sorgen, dass schwangere Frauen unter uns eine "Herberge" finden, einen behüteten Schutzraum für sich und ihr Kind; dass es Menschen gibt, die sie liebevoll annehmen und willkommen heißen und nicht in einer "kalten Winternacht" weiterschicken.
Nachdem wir unsere Vorbereitungen auf 2000 bisher weitgehend auf den EDV-Sektor und das Einstellen von Uhren und Herzschrittmachern konzentriert haben, sollten wir auch an die zwischenmenschliche, innere Neuorientierung denken. Wäre nicht die Besinnung auf das "Kind in unserer Mitte" ein sicherer Wegweiser ins nächste Jahrtausend? So gesehen bin ich gerade nicht der Auffassung von Erzbischof Dyba, der meint, man sollte jetzt die Diskussion über die Schwangerschaftskonfliktberatung abschließen und sich den neuen Aufgaben und Freuden des heiligen Jahres zuwenden. Nen, der Mut zur Schwangerschaftskonfliktberatung macht uns erst 2000fähig.