Salzkörner

Mittwoch, 13. Mai 2015

Zuwendung in der Verzweiflung

Das Engagement afrikanischer Ortskirchen

"Unabdingbar für das Aufbrechen des Zusammenhangs von HIV/Aids und Armut (in Südafrika) ist ein bedarfsgerechtes Bildungs- und Ausbildungssystem für junge Menschen und Erwachsene in Townships und ländlichen Regionen (SACBC, UNAIDS). Die Tabuisierung des Problems, Diskriminierung und Stigmatisierung der Menschen sind eine Wirklichkeit, die wir wahrnehmen müssen. Die Angst vor Stigmatisierung und auch posthumer Rufschädigung führt zum Verschweigen der eigenen Infektion, zum Verschweigen von Krankheits- und Todesursache und damit zur Gefährdung des eigenen Lebens und das pflegender Angehöriger." So der Wortlaut der Vollversammlungserklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken vom 13. Mai 2011, die auf den Erfahrungen von ZdK-Vertretern im Rahmen eines Exposure- und Dialogprogrammes im Jahr 2010 basiert. Knapp vier Jahre später veröffentlicht die Wissenschaftliche Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz eine bemerkenswerte Studie: Am Beispiel der Länder Äthiopien, Malawi und Sambia setzt sich diese Studie mit dem Engagement afrikanischer Ortskirchen im Kontext von HIV/Aids auseinander.

Zwischen 2001 und 2013 sind die HIV-Neuinfektionen in Afrika um 38 Prozent zurückgegangen und die Todesfälle sind vom Höchststand im Jahr 2005 von 3,5 auf 1,5 Millionen pro Jahr 2013 gesunken. Dies sind Anfangserfolge, aber nicht mehr. Noch bleibt die Mehrheit der betroffenen Menschen in Afrika ungetestet oder wird, wenn getestet, nicht ins Behandlungsprogramm aufgenommen.

Die eigentlichen Ursachen der Infektionsausbreitung sind nicht besiegt: Missachtung von Frauen und Kindern in Slums und in Kriegen, Verfolgung von Homosexuellen und am schlimmsten die anhaltende Gleichgültigkeit gegenüber den Kranken und deren Ablehnung. Es geht um den fehlenden politischen Willen, Gesundheit wieder zu einem zentralen Aufgabenfeld der Entwicklungszusammenarbeit zu machen. Dazu gehört auch eine gesicherte und planbare Finanzierung für entsprechende Projekte und Vorhaben, z. B. über den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria.

Die beiden Afrikanischen Synoden von 1994 und 2009 zeigen, welchen Weg die Kirche Afrikas in diesen 15 Jahren zurückgelegt hat. Bei der ersten Synode versuchten die Bischöfe Afrikas, die Identität und das Selbstverständnis der Kirche Afrikas neu zu finden. Danach haben sie sich auf den Weg gemacht und auf der zweiten Synode ihre Zukunftsmission in den afrikanischen Gesellschaften formuliert.

Afrikanische Kirche ist unabhängiger geworden

Die Kirche Afrikas ist seit 2009 vorangekommen in Versöhnung untereinander, im Eintreten für Demokratie und Gerechtigkeit und Frieden. Sie ist unabhängiger geworden von westlichen Vorbildern. In einer Kirche, die von afrikanischen Christen gelebt und gestaltet wird, hat das Eintreten für das Leben oberste Bedeutung, wie es dem afrikanischen Familienempfinden entspricht. Kranke können nur in dieser Gemeinschaft heil werden und nur da Versöhnung mit ihren Ahnen im Tode finden. HIV/Aids hat diese Einbettung von Kranksein in die Familie empfindlich gestört. Wie soll der Akt, der Leben bringt, zum Tode führen?

Viele Bischöfe, Priester und Laien haben sich aufgemacht, in diesen Urkonflikt Versöhnung zu bringen und ihren leidenden Mitchristen beizustehen. Sie stecken in einem Spagat zwischen den römischen Vorgaben mit der Ablehnung von Pille, Kondom und Liebesakt vor der Trauung und der gelebten Wirklichkeit. In dieser sind die traditionellen Regeln gefallen. Aber HIV/Aids gilt als tiefe Schande, die mit Ausgrenzung bestraft wird. Die Versuche, zu dieser Versöhnung und einer theologischen Öffnung zu gelangen, sind in den meisten Hirtenbriefen noch formelhaft und wenig mutig. Mutig und wegweisend waren in vielen hart geprüften Diözesen aber die Laien, begleitet von Ordensleuten. Sie schufen aus nahezu nichts Hauspflegedienste, Waisenversorgung, Möglichkeit zum weiteren Schulbesuch und Begleitung von Trauernden. Es ging von unten nach oben und heute sind die katholische wie die evangelische Kirche führend in Prävention und Therapie in Afrika. Dies erkennen sowohl die Regierungen als auch die WHO an.

Im Auftrag der Kommission Weltkirche haben deutsche und afrikanische Theologen und Gesundheitsexperten zwischen 2010 und 2013 breitangelegte Feldforschung betrieben und untersucht, inwieweit die von der Kirche seit mehr als zwanzig Jahren initiierten und getragenen Programme den HIV-Infizierten, ihren Familien und anderen Gruppen aus allen Teilen der Gesellschaft geholfen haben und helfen können.

Tabus

Die Mitte März veröffentlichte Studie der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz "Lehren aus den Antworten der katholischen Kirche auf HIV und Aids in Afrika. Eine internationale Feldstudie von afrikanischen und deutschen Theologen und Gesundheitsexperten" belegt, wie sehr sich die Kirche in ihrer Antwort auf die HIV-Epidemie hierbei mit gender- und kultursensiblen Fragen auseinanderzusetzen hat: Sie zeigt deutlich die Differenz im Verhältnis der gelebten und der verkündeten theoretischen Moral, u.a. am Phänomen der so genannten "diskordanten Partnerschaften". Dies sind Partnerschaften, in denen einer der Partner HIV-positiv und der/die andere nicht-infiziert ist. Wissenschaftlichen Studien zufolge liegt in diesen Partnerschaften das Hauptübertragungsrisiko von HIV in Afrika. Die alleinige Verpflichtung dieser Paare auf Enthaltsamkeit und Treue sowie der Verzicht auf Kondome scheine realitätsfern, so die Studie.

Die katholische Kirche ist einer der Hauptakteure, die sich in Gesamtafrika um die von HIV/Aids betroffenen Menschen kümmert. Die Studie der Wissenschaftlichen Arbeitsgruppe zeigt aber leider deutlich, dass die Kirche ihr Engagement oft als einen "externen karitativen Dienst" begreift: Die HIV-Infizierten würden häufig als "Fremde" gesehen, denen geholfen wird, die aber nicht richtig dazugehören.

Die Studie hält fest, dass grundsätzlich Fragen zur Sexualmoral in der Kirche insgesamt nicht mit der notwendigen Offenheit kommuniziert werden, doch in Bezug auf HIV stoße man auf weiterreichende Tabus. Eine HIV-Infektion ist immer noch ein Grund, Betroffenen den Eintritt in ein Priesterseminar oder eine religiöse Gemeinschaft zu verweigern. Dabei könnten, so ein Fazit der Studie, HIV-positive Priester und Ordensleute mithilfe antiretroviraler Therapien auch unter physischer Belastung arbeiten und wären als authentische Zeugen eine Bereicherung für die Pastoral.

So geht es weiter

Grundsätzlich habe die Kirche in Afrika, so einer der weiteren Vorschläge der Studienautoren, die Tatsache zu berücksichtigen, dass wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und politischer Druck viele Menschen zu einem riskanten Verhalten dränge. Deshalb bedürfe es einer systematischeren Befassung mit den kulturellen und strukturellen Faktoren, die die Ausbreitung von HIV und Aids befördern, sowie eine intensivere theologisch-ethische Reflexion über die sich durch die HIV/Aids-Epidemie stellenden Fragen an die Kirche.

Zusammengefasst: Die Uraufgabe der Kirche erschöpft sich nicht im karitativen Dienst am Leidenden. Die Zuwendung in der Verzweiflung, in der Einsamkeit bedarf der Priester und Diakone, die mit Wort und Segen aufrichten, begleiten und versöhnen. Bischöfe und Ausbilder von Priestern und pastoralen Kräften in Ost- und Südafrika haben erkannt, dass sie hier noch viel tun müssen. In ihren Priesterseminaren wird die Pastoral für Aidskranke, einschließlich infizierter Priester, bisher weitestgehend ausgespart. Der unbedachte Hinweis von Priestern, dass für dieses Thema die Gesundheitskräfte zuständig seien, zeigt die Scheu, sich mit der Fragestellung nach Sexualität und Leben auseinanderzusetzen.

Die Autoren arbeiten derzeit mit dem Institut für Weltkirche und Mission an der Hochschule St. Georgen und dem Jesuit Refugee Service an der Entwicklung eines ethisch angelegten Curriculum in Ostafrika. Es wird der wissenschaftlichen Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz als Nachfolge-Antrag vorgelegt werden. Dieser Lehrplan wird sich speziell an Priester, Ordensleute und Pastoralkräfte wenden. In Absprache mit Priesterseminaren und Pastoralzentren soll versucht werden, ihnen mittels eines interaktiven E-Learning-Programmes Antworten auf pastorale Fragen zu HIV/Aids zu bieten.

 

 

 

 

Autor: Prof. Klaus Fleischer emer. Chefarzt der Tropenmed. Abteilung, Missionsärztliche Klinik Würzburg

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