Salzkörner
Freitag, 27. April 2018
Zwischen Heimat und Globalisierung
Politische Bildung im Koalitionsvertrag 2018
Doch der erste Eindruck täuscht: Im Vertrag sind eine Reihe von Vorhaben beschrieben, die unmittelbar der Stärkung der politischen Bildung zuzurechnen sind. An vorderster Stelle ist die Förderung der Demokratie zu nennen, die sich wie ein roter Faden durch das Dokument zieht. Die Koalition will gezielt politische und kulturelle Bildung für dieses Anliegen stärken und nennt dazu eine Reihe von Programmen, die sie dazu ausbauen will, "gegen Rechtsextremismus, gegen Linksextremismus, gegen Antisemitismus, gegen Islamismus und Salafismus". Sätze wie "Wir wollen Jugendliche für Politik begeistern und die Akzeptanz unserer Demokratie stärken. Das gesellschaftliche und politische Engagement sowie die kulturelle Bildung junger Menschen sind für uns von großer Bedeutung. Hierzu wollen wir mehr Mittel zur Verfügung stellen" sind wichtige Absichtserklärungen für die Stärkung der (jugend)-politischen Bildung.
Es wird sich in der Umsetzung zeigen, mit welchen Instrumenten dies angegangen werden soll. Der Kinder- und Jugendplan des Bundes hat sich in den vergangenen Jahrzehnten in der Förderpraxis bewährt, eine Ausweitung der Regelförderung für die politische Jugendbildung würde den Ansatz sehr konkret unterstützen. Zu begrüßen ist ebenfalls, dass die Mittel für die entwicklungspolitische Bildungsarbeit aufgestockt werden sollen; angesichts der komplexen und vielfältigen Herausforderungen der Globalisierung ist das ein wichtiges Ziel.
Vertrauenskrise überwinden
Durchaus selbstkritisch konstatieren die Regierungsparteien eine Vertrauenskrise in der repräsentativen Demokratie, die es zu überwinden gelte. Mehrfach wird dies diagnostiziert und erste Antworten werden gegeben. Man wolle "den Bundestag wieder zum zentralen Ort der gesellschaftlichen und politischen Debatte machen" und eine Expertenkommission "einsetzen, die Vorschläge erarbeiten soll, ob und in welcher Form unsere bewährte parlamentarisch-repräsentative Demokratie durch weitere Elemente der Bürgerbeteiligung und direkter Demokratie ergänzt werden kann. Zudem sollen Vorschläge zur Stärkung demokratischer Prozesse erarbeitet werden".
Die Folgen der Digitalisierung, ein Schwerpunkt des Regierungsprogramms, sind für die politische Bildung jedoch noch nicht explizit im Blick. Angesichts der Möglichkeiten zur Wahlbeeinflussung, die mittlerweile über die sogenannten sozialen Netzwerke entstehen, wäre das ein dringendes Desiderat. Es ist eben nicht nur eine Frage der technischen Grundausstattung, ob Digitalisierung gelingt. Gegen Hass und Verleumdung sind Haltungen des Respekts und der Wahrhaftigkeit gefragt, neue digitale Bürgertugenden müssen gelernt und gelehrt werden. Die Beteiligung der nonformalen Bildung am geplanten nationalen Bildungsrat könnte dies unterstützen.
Zentrale demokratische Identitätsfragen
In der Zusammenschau werfen diese zum Teil doch sehr unterschiedlichen Elemente für die politische Bildungsarbeit im engeren und weiteren Sinne Fragen auf. Viele Ressorts sind unterwegs, die Zuständigkeiten unterschiedlich verteilt. Ein hoher Koordinationsaufwand und konkurrierende Zielvorstellungen sind absehbar. In der Debatte unmittelbar nach der Regierungsbildung, ob und inwieweit der Islam zu Deutschland gehört, waren sie schon spürbar. Die Leitidee des Zusammenhalts, der es bis in den Titel des Koalitionsvertrags geschafft hat – "Ein neuer Zusammenhalt für unser Land" –, wird sehr unterschiedlich ausgelegt und verstanden.
Am deutlichsten wird dies bei der noch nicht vorhandenen konzeptionellen Unterfütterung des Heimat-Begriffes. Als Unterpunkt des Kapitels "Lebenswerte Städte, attraktive Regionen und bezahlbares Wohnen" wird im Koalitionsvertrag Heimat zunächst nur als ausschließlich kommunale Größe für Städtebaufragen und Regionalplanung zur Behebung des Stadt-Land- und des Ost-West-Gefälles verstanden. Wie Phönix aus der Asche tauchen im Anschluss als Themen einer "Heimat mit Zukunft" die "Stärkung der Zivilgesellschaft und des Ehrenamts" und der "Demokratie und Extremismusprävention" auf. Unwillkürlich erinnert man sich, dass die westdeutsche Bundeszentrale für politische Bildung von 1952 bis 1963 als "Bundeszentrale für Heimatdienst" firmierte und ebenfalls zentrale demokratische Identitätsfragen der damals jungen Republik klären sollte.
Brückenschlag zwischen Globalisierung und Heimat
Und um Identitätsfragen in einer zunehmend verunsicherten und auseinanderdriftenden Gesellschaft geht es auch in diesem Koalitionsvertrag. Dessen Protagonisten müssen sich – vielleicht erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik – im Zeitalter der Globalisierung mit neuen Bruchlinien auseinandersetzen, mit kommunitaristischen Einstellungen, die die Zugehörigkeit und Mitgliedschaft in nationalen und kommunalen Kontexten favorisieren und "kosmopolitische(n) Einstellungen, die universelle Verpflichtungen betonen" (Karl-Rudolf Korte). Innerhalb dieser Auseinandersetzung wird der politischen Bildung im Koalitionsvertrag derzeit in der Grundausrichtung eher eine passive Funktion zugewiesen. Es geht vorrangig um Gefahrenabwehr. Diese verständliche, aber einseitige Ausrichtung sollte die nonformale politische Bildung, zumal in kirchlicher Trägerschaft, nicht vorschnell kritiklos annehmen. Verstärkt muss sie sich für eine positive Begründung und Weiterentwicklung der repräsentativen Demokratie einsetzen. Denn wenn staatliche Demokratieförderung nicht durch ein nennenswertes zivilgesellschaftliches Engagement rückversichert ist, kann sie leicht als Selbstinszenierung von öffentlichen Institutionen und ihrer Repräsentanten missverstanden werden.
Einen Ansatzpunkt für einen positiven Zugang bietet die inhaltliche Lücke, die der Koalitionsvertrag bislang beim Heimat-Begriff gelassen hat. Politische Bildungsarbeit in katholisch-sozialer Trägerschaft stellt die Identitätsfrage nach der Beheimatung ebenfalls. Sie richtet sich allerdings anders aus: Christen fragen, "wer wir sein wollen für die anderen" (Kardinal Marx) – und nicht, wer wir sein wollen gegen die anderen. Dass diese Frage nicht mehr national beantwortet werden kann, liegt auf der Hand. Politische Bildungsarbeit in kirchlicher Trägerschaft wagt diesen Brückenschlag zwischen Globalisierung und Heimat – besonders im ländlichen Raum, aber auch an sozialen Brennpunkten der Großstädte.
Es braucht noch mehr Bildungsinitiativen und Konzepte, die in Zeiten der Verunsicherung Vertrauen begründen und vor allem vermitteln, dass man selbst etwas tun kann, um Heimat in der globalen Welt für sich und andere zu schaffen. Man darf gespannt sein, in welche Richtung sich diese Diskussion in den kommenden Monaten auf der Grundlage des Koalitionsvertrags entwickeln wird.