Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 05/2002

Rede von Prof. Dr. Hans Joachim Meyer im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Unsere letzte Vollversammlung im November des vergangenen Jahres stand unter dem Eindruck der Terrorakte vom 11. September 2001 in den Vereinigten Staaten von Amerika. Seitdem ist die Welt nicht friedlicher geworden. Naturgemäß denken wir in Deutschland zunächst an das schreckliche Geschehen vor einer Woche in Erfurt. Wir gedenken der Opfer und fühlen mit ihren Hinterbliebenen und mit allen Betroffenen. Und wir wissen, dass die Konsequenz vor allem darin bestehen muss, für mehr mitmenschliche Achtung und für mehr Gemeinsinn einzutreten und der sich in der Gesellschaft ausbreitenden Bindungslosigkeit und Rücksichtslosigkeit zu wehren. So erschütternd die Erfahrung von Erfurt ist, so kann jedoch das weltweite Geschehen nicht dahinter zurücktreten. Es hat in den vergangenen Monaten noch stärker als bisher das Maß der internationalen Verflechtung von Krieg und Not, von Gewalt und Ungerechtigkeit deutlich gemacht. Und noch deutlicher steht uns vor Augen, dass die vordringlichste Aufgabe der Politik darin besteht, den Frieden zu wahren oder wiederherzustellen. Weniger denn je sind heute Konflikte regional begrenzt oder begrenzbar. Und deshalb gilt unsere Verantwortung für den Frieden weltweit.

Der Konflikt im Nahen Osten

Mit besonderer Sorge erfüllt uns der Konflikt im Nahen Osten, der von Gewalttat zu Gewalttat treibt. Mit tiefer Solidarität denken wir an die Menschen, die auf beiden Seiten unter den Akten von Gewalt leiden. Auch wenn die Aufrufe von Politikern, Kirchenvertretern und Menschenrechtsgruppen bisher ohne Wirkung geblieben sind, müssen wir an beide Seiten - an die Israelis und an die Palästinenser - appellieren und für ein Ende der Gewalt eintreten. Wir fordern, die Gewalttaten und Selbstmordanschläge durch Palästinenser einzustellen und die israelischen Sicherheitskräfte aus den Autonomiegebieten zurückzuziehen. Beides - die gezielte Organisation von Selbstmordattentaten und die gewaltsame Besatzungspolitik - verstoßen gegen Menschen- und Völkerrecht. Beide Seiten müssen die entsprechenden UN-Resolutionen anerkennen und unverzüglich umsetzen. Mit Recht hat Kardinal Lehman erklärt: „Wer immer hofft, durch weiteres Blutvergießen eine Entscheidung herbeiführen zu können, versagt politisch und moralisch vor den gegenwärtigen Anforderungen.“

Die internationale Staatengemeinschaft und insbesondere die Europäische Union dürfen in ihrem Bemühen nicht nachlassen, Auswege aus der Eskalation der Gewalt zu suchen und Wege für eine tragfähige Friedenslösung vorzubereiten. Dazu bedarf es gleichermaßen der Festigkeit in den Grundsätzen wie des Verständnisses für die jeweiligen vitalen Interessen und für die geschichtlichen Erfahrungen der Konfliktparteien. Auch diese müssen sich zu einem Verständnis der gemeinsamen Geschichte durchringen, welches das Leid des Gegenübers sieht und begreift. Nur dann wird es zu einer Versöhnung kommen, die einem dauerhaften Frieden den Weg bereiten kann. Unsere besondere Sorge und Solidarität gilt den Christen im Nahen Osten, die an vielen Orten in die gewalttätigen Auseinandersetzungen hineingezogen werden. Nicht zuletzt erwarten wir Respekt vor den Kirchen und allen Gotteshäusern als Orte des Friedens. Dieser Respekt darf für keinen Zweck, auch nicht den der Selbstverteidigung, verletzt werden.

Mit Sorge und Empörung sehen wir die Anschläge gegen jüdische Einrichtungen in den Ländern der Europäischen Union. Diese Gewalttaten erfordern entschlossene Gegenmaßnahmen. Europa darf nicht zum Schlachtfeld der Konfliktparteien des Nahen Osten werden. Und nach den schrecklichen und für uns beschämenden Erfahrungen der Geschichte fordert jede Form von Antisemitismus unseren entschlossenen Widerstand. Zugleich aber darf der Vorwurf von Antisemitismus nicht zur Waffe werden, um Kritik an der Politik der israelischen Regierung oder an Handlungen des israelischen Militärs zu verhindern. Politische Kritik ist ein unverzichtbares Lebenselement der freiheitlichen Gesellschaft, zu deren Grundsätzen sich auch der Staat Israel bekennt. Gleichwohl sollten alle ihre Worte wohl erwägen und in allem, was sie sagen und tun, den Wunsch zu einem gerechten Frieden unmissverständlich erkennen lassen. Dazu sind wir Deutschen in besonderer Weise verpflichtet. Das erste Gebot der Gerechtigkeit ist das Recht auf Leben - für Menschen wie für Völker und ihre Staaten.

Als katholische Christen sind wir solidarisch mit den Menschen in Israel und in Palästina. Und wir wissen uns seit langem in besonderer Weise verbunden mit den Juden und den jüdischen Gemeinden in Deutschland. Zugleich arbeiten wir an einem guten Verhältnis zu unseren arabischen und muslimischem Mitbürgern, das auf den Werten des Grundgesetzes basiert. Die Menschenrechte, die den wichtigsten Teil des Grundgesetzes bilden, sind keine Verfügungsmasse der Toleranz, sondern deren feste und verlässliche Grundlage. Wir wollen uns auch für einen fruchtbaren Dialog zwischen Juden und Palästinensern hier in Deutschland einsetzen. Der Dialog zwischen Juden und Christen, wie er im ZdK seit über 30 Jahren geführt wird, eröffnet uns einen Zugang zu den Ängsten und Hoffnungen der Juden. Auch der vom ZdK begonnene Dialog zwischen Christen und Muslimen ist unabdingbar, um Verständnis zu wecken und Brücken zu bauen. Wir rufen alle gesellschaftlichen Gruppen auf, für eine friedliche Lösung der Konflikte einzutreten.

Mehr Respekt vor dem Christentum

Zum Frieden in der Welt und zum Frieden in unserer Gesellschaft gehört auch die Achtung vor Christen, vor ihrem Glauben und vor ihren Gotteshäusern. Weltweit nehmen die Zurücksetzungen und gewalttätigen Verfolgungen von Christen zu. Ihre Rechte werden missachtet und ihr Leben bedroht. In einer sich immer mehr herausbildenden globalen Gesellschaft ist es inzwischen zwar fast selbstverständlich, dass in Deutschland und in der Europäischen Union Moscheen und andere nichtchristliche Gotteshäuser gebaut werden. Aber christliche Gottesdienste und christliche Gotteshäuser sind in einigen muslimisch geprägten Ländern nach wie vor bedroht oder sogar verboten. Auch in der Türkei, die Mitglied der Europäischen Union werden will, werden Christen diskriminiert. Was mich jedoch besonders empört, ist die Haltung einflussreicher Kreise der deutschen und der westeuropäischen Gesellschaft zu solchen Tatsachen. Sie sind ganz ausdrücklich nicht bereit, unmissverständlich für die Menschenrechte von Christen und für die Rechte der christlichen Kirchen einzutreten. Stattdessen erleben wir, dass jede auch noch so schamlose Verhöhnung von Kirche und Glauben als Verfassungsrecht verteidigt wird. Was aus gutem Grund keiner Religionsgemeinschaft zugemutet wird, gilt gegenüber dem Christentum als Ausweis von Freiheitlichkeit. Der deutsche Laienkatholizismus hatte bekanntlich nicht zuletzt seinen Ursprung im Kampf für die Rechte der christlichen Bürger und ihrer Kirchen in der Verfassungsdebatte von 1848. Es wird Zeit, dass wir uns dessen erinnern. Gewiss ist Demut eine christliche Tugend, aber nicht Duckmäuserei und Mangel an Selbstachtung.

Internationaler Strafgerichtshof

In einer zunehmend miteinander verflochtenen Welt muss unsere Aufmerksamkeit der Fortentwicklung und Durchsetzbarkeit des Völkerrechts gelten. Daher verdient die Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes unsere besondere Anerkennung. Es ist dies auch ein großer Erfolg der internationalen Politik, denn nach der Verabschiedung des Statuts im Jahre 1998 in Rom haben inzwischen mehr als 60 Staaten die Verträge ratifiziert, so dass dieses Statut am 1. Juli 2002 in Kraft tritt und das Gericht seine Arbeit aufnehmen kann. Dass die USA gegen die Errichtung des Strafgerichtshofes bis zuletzt Widerstand geleistet und die Verträge nicht ratifiziert haben, gereicht dieser großen demokratischen Republik nicht zur Ehre. Denn mit einem unabhängigen Gericht kann es zukünftig gelingen, schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Völkermord und Kriegsverbrechen jenseits von nationaler Interessenpolitik strafrechtlich zu verfolgen. Vor allem ist das neue internationale Gericht eine Warnung an Diktatoren, dass die Beachtung der Menschenrechte nicht mehr ausschließlich die innere Angelegenheit eines Staates ist und daher ihr Schutz an der staatlichen Souveränität scheitert. Ein solches unabhängiges Gericht könnte auch der angemessene Ort sein, sich rechtlich mit dem international organisierten Terrorismus auseinander zu setzen. Jedenfalls hat die Völkergemeinschaft mit der Schaffung des Internationalen Strafgerichtshofes einen Weg beschritten, den es konsequent weiterzugehen gilt.

Die Debatte um die allgemeine Wehrpflicht in Deutschland

Eine dieser Aufgabe entsprechende Berücksichtigung unserer deutschen Verantwortung für den internationalen Frieden habe ich allerdings bei der jüngsten Debatte um die allgemeine Wehrpflicht vermisst. Stattdessen dominierten solche Themen wie militärische Professionalität, Finanzierung und Wehrgerechtigkeit, wobei es bei letzterem wohl vor allem darum geht, jedwede gesellschaftliche Verpflichtung zu hinterfragen. Und dass ein Landgericht es fertig bringt, eine politische Auffassung, nämlich die Meinung, die Wehrpflicht sei für unsere Sicherheit nicht mehr nötig, als hinreichende Begründung für einen Verfassungsrechtsstreit anzusehen, betrachte ich als einen wirklichen Skandal. Dabei steht außer Frage, dass bei der künftigen politischen Begründung für die Wehrpflicht die veränderte und sich verändernde außen- und sicherheitspolitische Situation Deutschland zu berücksichtigen und der Charakter der Bundeswehr vor allem im Rahmen einer friedenspolitischen Gesamtkonzeption neu definiert werden muss. Denn der Friede ist heute nicht mehr nur durch den Angriff auf die Unabhängigkeit von Staaten, sondern auch durch die systematische Verletzung der Menschenrechte innerhalb von Staaten gefährdet. In dieser Situation muss gefragt werden, wie die Bundeswehr ihrer friedensschützenden Aufgabe am besten nachkommen und wie dafür ihr demokratischer Charakter am besten gewahrt werden kann. Nach bisheriger Erfahrung gehört dazu die Wehrpflicht, weil sie die Integration der Bundeswehr in die freiheitliche Gesellschaft ermöglicht und damit den demokratischen Charakter unserer Armee mitträgt. Ich bestreite also nicht die Berechtigung der Debatte, erinnere aber an den gerechten Frieden als obersten Sinn des militärischen Dienstes und die notwendige Verwurzelung der Soldaten in der freiheitlichen Gesellschaft als Themen, die allen anderen Fragen übergeordnet sind.

Europa

Die Sorge um einen gerechten und dauerhaften Frieden ist auch die Perspektive, in der wir die Europapolitik und insbesondere die Erweiterung der Europäischen Union sehen müssen. Denn der Beitritt von Staaten aus dem östlichen Europa ist die Vollendung der Europäischen Union und mithin eine historische Chance für dauerhaften Frieden in Europa. Freilich kann dieser Friede nur dauerhaft sein, wenn er auf einem Grundkonsens über die Werte und Normen ruht, nach denen wir die politische Ordnung Europas gestalten wollen. Dieser Grundkonsens für eine gemeinsame europäische Gesellschaft ist eine der zentralen Herausforderungen für die Christen Europas. Daher haben wir damit begonnen, ein Netzwerk bzw. einen Freundeskreis von katholischen Christen aufzubauen, um aus den Stärken und Erfahrungen unserer Laienbewegungen heraus das sich vereinigende Europa sowohl geistig und kulturell, als auch gesellschaftlich und politisch mitzugestalten.

Als eigenständigen Beitrag deutscher und französischer katholischer Laien haben wir deshalb, wie Sie wissen, im Mai 2000 das „Manifest für ein europäisches Bewusstsein“ vorgestellt und dies im Januar 2001 mit 19 Persönlichkeiten aus neun europäischen Ländern erörtert. Im Ergebnis beschlossen wir die Durchführung eines Kolloquiums, das vom 28. Februar bis zum 2. März 2002 in Berlin stattfand und 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 20 europäischen Nationen zum gegenseitigen Kennenlernen und zu einem intensiven Gespräch zusammenführte. Ein glücklicher Umstand war es, dass zeitgleich zu diesem Kolloquium der von den europäischen Staats- und Regierungschefs einberufene „Konvent zur Zukunft Europas“ erstmals zusammentraf, weil dies auch die öffentliche Wahrnehmung unseres Berliner Treffens erhöhte.

Der ausdrückliche Auftrag an den Konvent, angesichts der geplanten Erweiterung der Europäischen Union deren umfassende Reform durch einen europäischen Verfassungsvertrag vorzubereiten, bietet uns einen idealen Anknüpfungspunkt, unsere Vorstellungen in die Debatten und politischen Entscheidungsprozesse einzubringen. Denn nur eine aufmerksame Begleitung der Konventsarbeit durch die Öffentlichkeit und damit durch die entstehende europäische Zivilgesellschaft kann gewährleisten, dass ein bürgernahes Europa entsteht. Daher sollten zwei Ziele die Arbeit des Konvents wesentlich prägen:

Ein einheitlicher, die verschiedenen Unionsverträge einbeziehender Verfassungsvertrag und die Bildung einer dem europäischen Parlament verantwortlichen Exekutive, welche allerdings in ihren Aufgaben das Subsidiaritätsprinzip beachten muss und nicht die Verantwortlichkeiten und Kompetenzen der nationalen Regierungen ersetzen darf.

Es geht also um die demokratische Legitimation der europäischen Strukturen und um eine Kompetenzordnung, die dem Subsidiaritätsprinzip verpflichtet ist. Es geht im Zeitalter der Globalisierung nicht zuletzt um Solidarität und soziale Gerechtigkeit in der europäischen Gesellschaft.

In diesem Sinne werden wir als ZdK gemeinsam mit unseren europäischen Freunden versuchen, die Arbeit des Konventes zur Zukunft Europas kritisch und konstruktiv zu begleiten. Unmittelbar vor den nächsten Wahlen zum Europäischen Parlament werden unsere europäischen Initiativen einen Höhepunkt am letzten Septemberwochenende des Jahres 2004 finden. Dann soll im nordfranzösischen Lille ein europäischer Kongress aus Anlass des 100-jährigen Bestehens der Semaines sociales de France stattfinden. Ein solches Großereignis wird dazu beitragen, unsere Bemühungen um ein Netzwerk bzw. einen Freundeskreis europäischer Katholiken, das der Information, Koordination und Kooperation dient, in der Öffentlichkeit stärker präsent werden zu lassen. Daher bitte ich Sie schon heute, sich für das letzte Septemberwochenende 2004 die Teilnahme an diesem Kongress vorzunehmen.

Im Einsatz für den Schutz des Lebens

Ähnlich wie der Friedenspolitik, die vor immer neue Herausforderungen gestellt ist, ergeht es auch der grundgesetzlich verbürgten Verpflichtung des Staates zum Schutz des menschlichen Lebens. Auch hier kommt es darauf an, neue Entwicklungen präzise zu erfassen, deren ethische Tragweite zu erkennen und aus unseren Grundüberzeugungen heraus an der politischen Willensbildung für ein angemessenes Handeln des Staates mitzuwirken.

Das Bundesverfassungsgericht hat bekanntlich keinen Zweifel daran gelassen, dass die Verpflichtung des Staates zum Schutz des menschlichen Lebens auch für das ungeborene Leben gilt. Auf Grund der besonderen Verbindung von Mutter und Kind in der Schwangerschaft hat sich der Gesetzgeber dazu entschlossen, dieser Schutzpflicht durch ein Beratungskonzept zu entsprechen, das an der Rechtswidrigkeit des Schwangerschaftsabbruchs festhält und zugleich die in Not und Konflikt geratenen Frauen zu einem Leben mit ihrem Kind ermutigen soll. Für die Durchführung des Beratungsverfahrens im Rahmen des gesetzlich geregelten Beratungskonzepts trägt der Staat die volle Verantwortung. Allerdings gibt es Tendenzen in der öffentlichen Meinung wie auch in der Rechtssprechung, die der vom Bundesverfassungsgericht und vom Gesetzgeber festgelegten Sinnrichtung der gesetzlich geregelten Schwangerschaftskonfliktberatung widersprechen oder diese nicht klar erkennen lassen. Andererseits zeigt der öffentliche Widerstand gegen den Verbrauch menschlicher Embryonen zur Forschung und Therapie eine wachsende Sensibilität im Umgang mit dem menschlichen Leben. Außerdem gibt es in der deutschen Gesellschaft ein wachsendes Bewusstsein vom Wert der Familie. Das Präsidium des ZdK ist daher zu der Auffassung gelangt, dass die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, darzulegen, wie der Staat seiner Verantwortung für die Durchführung des Beratungskonzepts nachkommt, insbesondere, ob und wie er die rechtlichen, gesellschaftlichen und finanziellen Rahmenbedingungen so gestaltet, dass sie positive Voraussetzungen für ein Handeln der Frau zugunsten des ungeborenen Lebens schaffen. Ein entsprechender Antrag liegt der Vollversammlung für TOP 5 vor. Mit diesem Vorschlag greift das Präsidium eine frühere Anregung von Prof. Sutor sowie weitere sich darauf beziehende Anträge auf und integriert diese in einen breiteren Forderungskatalog, der u. E. alle Aspekte dieser Problematik umfassen sollte.

Nicht minder wichtig für den Schutz des Lebens ist der Umgang mit außerhalb des Mutterleibes gezeugten Embryonen, für deren Schutz der Staat ebenfalls die Verantwortung trägt. Aus diesem Grunde gilt seit 1990 das Embryonenschutzgesetz, das sich inzwischen als ausgesprochen hilfreich erwiesen hat, weil es die Verschmelzung von Ei- und Samenzelle zur befruchteten Eizelle mit doppeltem Chromosomensatz als Beginn des menschlichen Lebens feststellt und dem Embryo von diesem Zeitpunkt an auch in vitro staatlichen Schutz garantiert. In die Debatten, die sich um die bioethischen Konsequenzen dieses Gesetzes für die seitdem erkannten biowissenschaftlichen Möglichkeiten entwickelten, hat das ZdK bekanntlich früh und klar eingegriffen, zunächst durch seinen kulturpolitischen Arbeitskreis und das von diesem durchgeführte Berliner Kolloquium, dann durch den Beschluss der Vollversammlung über „Die biomedizinische Entwicklung und ihre ethische Bewertung“. Wir haben uns nach Abwägung aller Argumente auch deutlich gegen die Zulassung des Imports von aus menschlichen Embryonen gewonnenen Stammzellen nach Deutschland ausgesprochen. Die Kolpingfamilie und die Katholische Deutsche Frauengemeinschaft sowie weitere katholische Organisationen haben in beeindruckender Weise ihre Mitglieder für eine Unterschriftensammlung mobilisiert. Die Vorsitzenden, Heinz Schemken und Magdalena Bogner, konnten dem Bundestagspräsidenten Listen mit über 400 000 Unterschriften übergeben. Unser gesellschaftspolitischer Sprecher, Dr. Hermann Kues MdB, initiierte zusammen mit Dr. Wolfgang Wodarg, Monika Knoche und Jochen Borchert im Deutschen Bundestag einen Antrag für das Importverbot, welcher die Unterschrift aller Mitglieder des ZdK trug, die dem Deutschen Bundestag angehören. Und dieser Antrag erhielt dann über 260 Stimmen bei den beiden Abstimmungen am 30. Januar 2002. Mir scheint diese fraktionsübergreifende Initiative ein bemerkenswertes Beispiel für gemeinsames politisches Handeln aus gemeinsamen ethischen Überzeugungen.

Nun hat der Deutsche Bundestag am 25. April ein Gesetz beschlossen, dessen Inhalt man wie folgt zusammenfassen könnte: Es gibt keine verbrauchende Embryonenforschung. Der Import humaner embryonaler Stammzellen ist grundsätzlich verboten, jedoch vor einem gesetzlich definierten Stichtag und unter engen Voraussetzungen, d.h. in Ausnahmefällen, zugelassen. Selbstverständlich halte ich die mit diesem Gesetz getroffene Entscheidung, in Ausnahmefällen einen solchen Import zuzulassen, für falsch. Dennoch möchte ich ausdrücklich meinen Respekt zum Ausdruck bringen vor der erkennbar gewissenhaften Abwägung, die auch dem jetzt beschlossenen Gesetz zu Grunde liegt. Bei aller Kritik an diesem Gesetz sollten wir nicht vergessen, dass ein Nicht-Zustande-Kommen eines solchen Gesetzes den Import von aus menschlichen Embryonen gewonnenen Stammzellen ohne Einschränkung erlaubt hätte, da dieser Fall in der bisherigen Gesetzgebung nicht geregelt war. Deswegen wird es jetzt darauf ankommen, darauf zu achten, dass das beschlossene Gesetz nicht zu einem Dammbruch führt. Wir werden nachdrücklich und dauerhaft einfordern, dass die im Gesetz formulierten Bedingungen zum Schutz weiteren menschlichen Lebens in der Praxis eingehalten werden.

Insgesamt dürfen wir uns nicht der Illusion hingeben, dass wir die Herausforderung des Lebensschutzes bestehen könnten, ohne aufmerksam neu entstehende Entscheidungssituationen sorgfältig zu beobachten und notfalls entschlossen zu handeln. Insbesondere muss unser Augenmerk darauf gerichtet sein, dass beim Embryonenschutz nicht auf europäischer Ebene Fakten geschaffen werden, die im Widerspruch stehen zu gesetzlichen Regelungen in Mitgliedsstaaten. Wer weiß, wie schwierig die bioethische Debattenlage im Europäischen Parlament ist und wie aggressiv dort laizistische, wenn nicht antichristliche Positionen formuliert werden, wird mir zugeben, dass meine Warnungen berechtigt sind. Darum habe ich auch der Bundesforschungsministerin, Frau Edelgard Bulmahn MdB, in einem Brief vom 3. Dezember 2001 meine Sorgen im Blick auf das Europäische Forschungsförderprogramm für die Jahre 2003 bis 2006 mitgeteilt. Es muss klar sein und klar bleiben, dass die deutschen gesetzlichen Bestimmungen eine finanzielle Förderung aus deutschen Steuergeldern medizinischer Forschungsprojekte auch auf europäischer Ebene ausschließen, wenn dabei Embryonen zur Gewinnung von Stammzellen je neu vernichtet werden sollen.

Neue Herausforderungen werden also in Zukunft nicht ausbleiben. Dies gilt auch für die Klonierung menschlicher Embryonen. Hier bedarf es dringend eines weltweiten, rechtsverbindlichen Verbots, weil die Erzeugung von Embryonen durch Klonierung fundamental gegen die individuelle und allgemeine Würde des Menschen verstößt. Und dieses Verbot muss sowohl für das so genannte reproduktive als auch für das so genannte therapeutische Klonen gelten.

Auf die Gefahren, die sich bei der Zulassung der Präimplantationsdiagnostik ergeben, haben wir schon wiederholt hingewiesen. Auch hier muss am geltenden Verbot in Deutschland unbedingt festgehalten werden. Ganz neue Möglichkeiten ergeben sich durch die so genannten prädiktiven genetischen Tests. Diese können legitimen Interessen der Gesundheitsvorsorge und der Lebensplanung dienen. Ergebnisse der genetischen Diagnostik können jedoch so einschneidende Konsequenzen für die Betroffenen haben, dass eine solche Diagnose nur nach Einwilligung erfolgen darf, und es das Recht geben muss, solche Untersuchungen abzulehnen. Wegen der Gefahr des Missbrauchs beim Abschluss von Versicherungen und Arbeitsverträgen bedarf es hier dringend neuer rechtlicher Regelungen.

Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang noch den Hinweis auf die ausgelegte Sonderbeilage zum Katholischen Sonntagsblatt der Diözese Rottenburg-Stuttgart unter dem Titel „Aufstehen für das Leben“. Darin finden Sie Texte unseres neuen Geistlichen Assistenten, Bischof Dr. Gebhard Fürst, der wegen Verpflichtungen in seiner Diözese an dieser Vollversammlung nicht teilnehmen kann. Seine Ausführungen erweisen ihn als guten Mitstreiter für den Schutz des menschlichen Lebens. Dafür möchte ich ihm ausdrücklich danken.

Zwei wichtige Aufgabenfelder des ZdK wurden im Bericht nicht erwähnt: Unsere familienpolitischen Aktivitäten und unsere ökumenische Zusammenarbeit. Beides wird, wie Sie wissen, im Verlauf dieser beiden Tage noch eine wichtige Rolle spielen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken

 

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