Ausführungen des ZdK-Präsidenten Alois Glück zur Flüchtlingssituation
vor dem Hauptausschuss des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort
In meinem Bericht zur Lage bei der Vollversammlung im Mai dieses Jahres habe ich eingangs formuliert: "Vieles spricht dafür, dass sich jetzt langjährige Entwicklungen zu Krisen und notwendigen Entscheidungen verdichten." Ich habe dann auf den Historiker Heinrich August Winkler hingewiesen, der das Jahr 2014 als ein Jahr der weltpolitischen Zäsuren, als ein Epochenjahr in der Geschichte eingeordnet hat. Zum Zeitpunkt der Vollversammlung habe ich und hat kaum jemand vermutet oder gar gesehen, welche Dynamik die Zunahme der Flüchtlinge in der Welt, vor allem der Menschen, die sich nach Europa auf den Weg machen, innerhalb weniger Monate, ja Wochen, bekommt. Ein Beitrag von Professor Udo di Fabio in der FAZ hat für diese Situation den treffenden Titel "Welt aus den Fugen".
Über die Situation angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen – das sind ja alle, unabhängig davon, aus welchen Gründen sie zu uns kommen – haben wir schon wiederholt diskutiert und auch Stellung dazu bezogen. Zuletzt geschah dies in der Erklärung der Abschlussversammlung des Gesprächsprozesses der Deutschen Bischofskonferenz in Würzburg am vergangenen Samstag.
Die Aufnahme und die Unterbringung ist nach wie vor eine große Herausforderung.
Wir sind dabei nicht an den Grenzen des guten Willens, des Willens zu einer guten Willkommenskultur, wir sind an den Grenzen der logistischen Kapazitäten. Diese Aufgaben sind ja nicht mit der Erstaufnahme bewältigt.
Diese Aufgabe wird uns weiter gestellt bleiben, im ehrenamtlichen und hauptberuflichen Engagement, in Politik und Verwaltung. Unsere Kirchen und unendlich viele Menschen aus unseren Gemeinschaften leisten dabei Großartiges. Dabei sollten wir nie aus dem Auge verlieren, dass dies ebenso viele Menschen leisten, die keine religiöse oder jedenfalls keine kirchliche Bindung haben und die nicht in kirchlichen Strukturen arbeiten. Wir stellen keinen Exklusivanspruch, aber wir haben als Christen aus unserem Glauben heraus natürlich eine besondere Verpflichtung. "Was ihr dem geringsten meiner Brüder getan habt, habt ihr mir getan." (Mt 25, 40)
Als Kirche, insbesondere als engagierte Laien in unserer Kirche sowie in Gesellschaft und Politik sind wir jetzt aber auch besonders gefordert bei den Themen, die über diese erste Phase hinaus von großer Bedeutung sind. Es sind Themen, die die Diskussionen und auch Auseinandersetzungen der nächsten Wochen, Monate und wahrscheinlich Jahre prägen werden.
Ich möchte hier, in aller Vorläufigkeit, sieben Punkte nennen, auf die es jetzt meiner Ansicht nach ankommen wird.
1. Wir müssen immer wieder dafür eintreten, entsprechend Art. 1 unseres Grundgesetzes, dem für alle Bürgerinnen und Bürger unseres Landes verpflichtenden Maßstab, dass die Würde des Menschen der Maßstab für den Umgang mit jedem Menschen ist. Im Alltag ist dies der Respekt vor dem Anderen. Hierin liegt auch das Kriterium für die notwendige und eindeutige Auseinandersetzung mit und Abgrenzung von all den gesellschaftlichen und politischen Gruppierungen, die diesen Maßstab verletzen. Dies betrifft verschiedene gesellschaftliche Gruppierungen und durchaus auch Strömungen in unserer Kirche.
Dabei ist immer zu bedenken: Die Radikalität beginnt mit den Worten. Sie ist der Nährboden für entsprechend aggressives Verhalten. Also: Wehret den Anfängen. Die verbale Gewalt ist die Vorstufe der Gewaltanwendung!
2. Uns steht eine außerordentlich schwierige Debatte über die Möglichkeiten der Steuerung und der Begrenzung der Zuwanderung ins Haus. Was sind die Maßstäbe dafür? Was ist rechtlich und politisch möglich und notwendig? Wo ist die Grenze? (z. B. das individuelle Asylrecht nach unserem Grundgesetz)
3. Was ist notwendig, damit Integration gelingt? Das ist das große Thema für die anstehenden Klärungsprozesse im gesellschaftlichen und politischen Diskurs und für die Entwicklung der notwendigen Maßnahmen. Klar muss sein: Für alle, die zu uns kommen und die in unserem Land leben wollen, gelten die Maßstäbe unseres Grundgesetzes: Die Würde des Menschen, die Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Trennung von Staat und Religion, um nur einige besonders zentrale zu nennen. Hier brauchen wir aber mehr als den Verweis auf Recht und Gesetz. Wir brauchen in diesem Sinne eine "Leitkultur".
Dies bedingt, dass wir unsere eigenen Werte, unsere eigene Kultur schätzen, uns damit identifizieren, auch in der Vielfalt der Möglichkeiten und der individuellen Situationen von Menschen. In diesem Sinne ist Deutschland ja schon in seinen unterschiedlichen kulturellen Ausprägungen in den einzelnen Regionen längst "bunt". Udo di Fabio hat diese Herausforderung in seinem Beitrag in der FAZ sehr tiefgründig und umfassend beschrieben. Wenn wir selbst verkörpern, was wir wollen und dafür aktiv eintreten, müssen wir vor einem Druck oder gar einer "Überfremdung" durch die Zuwanderer aus anderen Religionen und Kulturen keine Angst haben!
In diesem Feld der Wertediskussion, der klaren Orientierungen für uns selbst und für die Zuwanderer entscheidet sich die weitere Entwicklung. Das ist für die Zukunft unseres Landes der Schlüssel, der entscheidende Bereich. Hier wird sich zeigen müssen, welche kulturprägende Kraft die christliche Religion in dieser Situation entwickelt.
4. Bekämpfung der Fluchtursachen
Die Situationen sind verschieden. Dies gilt für die inneren Entwicklungen in jedem einzelnen Herkunftsland, in besonderer Weise in den Ländern, wo kriegerische Auseinandersetzungen die zentrale Fluchtursache sind. Die größte Herausforderung ist die weitere Entwicklung in Afrika. Afrika ist das Schicksal Europas, hat Horst Köhler schon als Bundespräsident formuliert. Im Hinblick auf die innere Entwicklung der Länder haben wir in unserer Kirche mit den verschiedenen Hilfswerken eine besondere Kompetenz und es gilt, diese einzubringen.
5. Der starke Strom von Flüchtlingen zeigt überdeutlich die Schwächen der Europäischen Union und stellt ihre Zukunft in dramatischer Weise in Frage. Der aktuelle politische Handlungsdruck ist die Frage der Solidarität bei der Aufnahme. Ebenso wird sich Europa mehr in den verschiedenen Konfliktregionen engagieren müssen. Auch dort, wo es besonders schwierig wird, bei kriegerischen Auseinandersetzungen. Dabei ist für uns in Deutschland besonders unbequem, dass Deutschland eine Führungsrolle in Europa und für Europa zugewachsen ist und wir dieser Verantwortung gerecht werden müssen.
6. Für den gesellschaftlichen und politischen Diskurs ist es von grundlegender Bedeutung, dass wir die durch den Prozess der Globalisierung grundlegend veränderte Situation unseres Landes verständlich machen. Sonst werden Illusionen einer Abschottung von den Krisen dieser Welt propagiert. Die Situation verlangt Führung! Die Bringschuld der Führungsverantwortlichen in der Politik und in den gesellschaftlichen Gruppierungen ist, verständlich zu machen, dass wir hier in den verschiedensten Formen Verantwortung übernehmen müssen:
- im Hinblick auf die Flüchtlinge,
- im Hinblick auf das Engagement in den Kriegsgebieten,
- im Hinblick auf Aufbauleistungen in den Herkunftsländern.
7. Die Krisen zeigen dramatisch, welche Bedeutung intakte Staatsstrukturen, welche Bedeutung rechtsstaatliche Standards für die Entwicklung der Länder und für die Situation der Menschen haben. Die Fluchtbewegungen führen vor Augen, welche Bedeutung handlungsfähige Staatsorgane haben, wie sehr die Lebensbedingungen der Menschen davon abhängen. Die Menschen wollen vor allem auch deshalb zu uns, weil wir hier die sicheren Lebensbedingungen eines Rechtsstaates haben.
Das sollte uns zu einer neuen Wertschätzung in der Bedeutung staatlichen Handelns, des Rechts, der funktionsfähigen und handlungsfähigen Organe im Rahmen der Demokratie und des Rechtsstaates führen. Immer dann, wenn auch im kirchlichen Raum darüber mäkelnd und unzufrieden und nicht mit der notwendigen Wertschätzung geredet wird, ist es unsere besondere Aufgabe, darauf hinzuweisen, wie anziehend unsere staatliche und gesellschaftliche Ordnung für Flüchtlinge und Zuwanderer sind. Vor allem ist dies aber auch ein Grund zu einem entsprechenden gesellschaftspolitischen und konkreten politischen Engagement. Das Land braucht engagierte Christen!