Eckpunkte zur aktuellen Fragen der Fortpflanzungsmedizin

Kindeswohl und Elternwünsche

Erklärung der Gemeinsamen Konferenz von Deutscher Bischofskonferenz und Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)

Fragen der Fortpflanzungsmedizin rücken aufgrund sich ändernder gesellschaftlicher Lebensverhältnisse sowie der sich rasant wandelnden technologischen Entwicklungen verstärkt in den Fokus öffentlicher und politischer Debatten. Die katholische Kirche sieht sich deshalb in der Pflicht, auf der Grundlage des christlichen Menschenbildes zu einem verantwortungsvollen Umgang mit diesen Themen beizutragen und nachfolgend einige Eckpunkte, die für die Debatte wichtig sind, zu erläutern.

(1)           Ethische Orientierung: Kindeswohl als zentrales Kriterium

Die unverlierbare und unverletzliche Würde des Menschen, das damit verbundene fundamentale Recht auf Leben und Schutz vor Verletzung, das Wohl des Kindes und das Recht jedes Menschen, als individuelle Person wahrgenommen und gewürdigt zu werden, sind für die ethische Orientierung in diesen Fragen von besonderer Bedeutung.

Grundsätzlich ist daran zu erinnern, dass Fragen der Fortpflanzungsmedizin immer im Zusammenhang von Sinn und Gestaltung menschlicher Sexualität zu würdigen sind. Der erste Ort für die Weitergabe menschlichen Lebens ist die zwischenmenschliche, als Ausdruck ehelicher Liebe sich manifestierende Sexualität.

Auch die Situation derer ist sehr ernst zu nehmen, die an einem unerfüllten Kinderwunsch leiden oder sich um das gesundheitliche Wohl ihrer zukünftigen Kinder sorgen. In diesem Wunsch manifestiert sich die tiefe Sehnsucht, die Freude und das Glück, menschliches Leben weiterzugeben und Eltern zu werden.

Im Wissen darum, dass in diesem Zusammenhang unterschiedliche normative Kategorien und Geltungsansprüche relevant sind, ist es dennoch moralisch erstrangig verpflichtend, die Perspektive der Schwächsten einzunehmen, nämlich der ungeborenen Kinder. Sie müssen in ihrer extremen Verletzlichkeit besonders bedacht und geschützt werden. Daran muss sich die Anwendung neuer Technologien und Techniken auch im Rahmen der Reproduktionsmedizin ausrichten.

Zum Kindeswohl gehört das Geborenwerden in eine Lebenswelt, in der das Kind leiblich wie seelisch möglichst unversehrt zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit wachsen kann. Voraussetzung ist die Erfahrung einer starken Zugehörigkeit in der Familie wie in der Gesellschaft, die nicht aufgrund eines besonderen, sei es eines körperlichen oder eines sozialen Merkmals des Kindes beeinträchtigt werden darf. Ein Gefühl starker Zugehörigkeit verlangt die Erfahrung unbedingter Annahme durch die Eltern, die Familie und die Gesellschaft. Es verlangt auch das Wissen um die eigene Herkunft. Deshalb umfasst das Wohl des Kindes auch sein Recht auf Wissen um seine biologische Abstammung.

(2)       Festhalten am Verbot der Eizellspende

Der Schwerpunkt kinderwunscherfüllender Fortpflanzungsmedizin hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verlagert. Zu Beginn diente die extrakorporale Befruchtung (IVF) hauptsächlich der Therapie einer grundsätzlichen Infertilität der Frau oder des Mannes. Heute überwiegt die Therapie altersbedingten Nachlassens der weiblichen Fertilität. Solche so genannte „altersassoziierte Subfertilität“ ist oftmals die Konsequenz der Entscheidung, die Erfüllung des eigenen Kinderwunsches in eine spätere Lebensphase aufzuschieben („postponement“). In vielen Fällen könnte eine ungewollte Kinderlosigkeit vermieden werden, wenn Paare ihren Kinderwunsch früher im Lebensverlauf realisieren würden. Dazu benötigen sie förderliche gesellschaftliche Rahmenbedingungen insbesondere hinsichtlich der ökonomischen Absicherung und der Vereinbarkeit einer Familiengründung mit der Berufstätigkeit, der beruflichen Entwicklung oder dem Studium beider Elternteile.

Noch stärker als die homologen Formen der assistierten Fortpflanzung werfen die heterologen Formen (durch Samenspende und Eizellspende von Dritten) wegen der mit ihnen verbundenen gespaltenen Elternschaft große grundsätzliche Probleme auf. Hier müssen auch die Rechte der betroffenen Kinder im Blick sein, deren Zugehörigkeit zu ihren genetischen, biologischen, sozialen und rechtlichen Eltern komplexe Anforderungen an sie stellt.

Derzeit wird erneut die Forderung erhoben, im Rahmen fortpflanzungsmedizinischer Kinderwunschbehandlung die so genannte Eizellspende zu legalisieren. Im Unterschied zur Samenspende ist sie – abweichend von einer Reihe europäischer Länder – in Deutschland verboten. Dieses Verbot ist beizubehalten. Bei der Eizellspende handelt es sich für die Spenderin um ein keinesfalls risikofreies invasives Verfahren (hormonelle Stimulation, Follikelpunktion). Hinsichtlich der Risiken herrscht oft Unklarheit. Durch eine Legalisierung würde zudem die Kommerzialisierung der Fortpflanzungsmedizin einen weiteren Schub erfahren. Die Erfahrungen in anderen Ländern zeigen: Die Gefahr wäre erheblich, dass auch soziale Schieflagen zwischen potenziellen Spenderinnen und eizellerwerbswilligen Eltern ausgenutzt würden.

Trotz des sehr verständlichen Wunsches nach eigenen Kindern bleibt – nicht zuletzt angesichts der bei vielen Paaren mit Kinderwunsch vergeblichen Versuche, mittels Reproduktionsassistenz Eltern zu werden – festzuhalten, dass das letzte Glück und das Heil des Menschen nicht an einer ganz bestimmten Form der Lebensgestaltung hängen, und sei es auch das hochgeschätzte Leben in einer Familie. Die Entscheidung, auf dem Weg der Adoption eine Familie zu gründen, verdient mehr gesellschaftliche Anerkennung, ebenso aber auch das Akzeptieren der eigenen Kinderlosigkeit.

(3)       Adoption so genannter überzähliger Embryonen 

Eine besondere ethische und rechtliche Herausforderung stellt in der Reproduktionsmedizin der Sonderfall des Umgangs mit so genannten überzähligen Embryonen (im Unterschied zu Vorkernstadien) dar. Da gemäß Embryonenschutzgesetz bis zu drei Embryonen eingesetzt werden, entstehen bei assistierter Fortpflanzung gehäuft Mehrlingsschwangerschaften. Eltern müssen sich ihrer Verantwortung für alle von ihnen gezeugten Embryonen bewusst sein. Wenn die Zahl der Embryonen zum Schutz vor einer Überlastung oder aus anderen Gründen durch einen Schwangerschaftsabbruch reduziert wird, ist diese Folgehandlung der IVF, wie jede Abtreibung, in aller Deutlichkeit abzulehnen. Auch der oft als Ausweg vorgeschlagene elektive Single-Embryo-Transfer führt in eine Selektionsproblematik, denn hierbei wird im Regelfall vor dem Transfer der vielversprechendste aus einer ganzen Reihe in vitro gezeugter Embryonen ausgewählt, damit aber das Absterben der restlichen Embryonen in Kauf genommen.

Einen Ausweg könnte in Ausnahmefällen die Option einer Embryoadoption bieten. Hierbei handelt es sich um das Implantieren von überzähligen Embryonen, die einer extrakorporalen Befruchtung entstammen, aber nicht (mehr) in die genetische Mutter transferiert werden (können). Grundsätzlich ist dafür die Bezeichnung Embryonenspende abzulehnen. Embryonen sind vom Zeitpunkt ihres Zustandekommens menschliches Leben. Als solche können sie nie wie eine Sache gespendet werden. Solche Transfers ausdrücklich und bewusst als Spende zu bezeichnen, missachtet den Status, den diese Embryonen haben. Vielmehr gibt es bei der Weitergabe von Embryonen Analogien zur Kindesadoption.

Embryonenadoptionen sind in Deutschland geduldet – vor allem deshalb, weil solche Embryonen dann nicht verworfen werden, sondern ausgetragen und geboren werden können. Gleichwohl ist auf zwei Bedenken aufmerksam zu machen: Zum einen werden in Deutschland Frauen und Paare, die sich mit dem Gedanken tragen, ihr Kind zur Adoption freizugeben, in diesem Prozess intensiv beraten und begleitet. Zudem gelten in Deutschland aus guten Gründen für adoptionsbereite Eltern hohe Standards, die das Kindeswohl der zur Adoption freigegebenen Kinder schützen sollen. Es müssen daher auch bei der Weitergabe von Embryonen feste Grundsätze eingehalten werden. Sie sollten sich an den bewährten Standards von Regeladoptionen orientieren, soweit diese auf die Situation einer Adoption vor Beginn der Schwangerschaft sinnvoll zu übertragen sind. Die Herausforderung, die passenden Eltern für ein genetisch nicht mit ihnen verwandtes Kind zu finden, gehört zu jeder Adoptionsvermittlung. Gelingt die Vermittlung, sodass es zur Annahme eines Embryos durch ein Paar mit Kinderwunsch kommt, könnte sich die Erfahrung der miterlebten Schwangerschaft durchaus zusätzlich positiv auf die Eltern-Kind-Bindung auswirken.

Es wäre daher wünschenswert, mittels einer gesetzlichen Regelung die Weitergabe von Embryonen aus einer rechtlichen Grauzone herauszuholen. Keinesfalls darf die Embryonenadoption aber dazu führen, dass im Rahmen von primären extrakorporalen Befruchtungen bedenkenlos überzählige Embryonen produziert werden – mit dem Hinweis auf eine dann mögliche, ja sogar gewünschte weitere Verwendung für die kinderwunscherfüllende Behandlung adoptionswilliger Eltern.

(4)       Gegen Selektionsoptionen nichtinvasiver pränataler Diagnostik

Im September 2019 hat der Gemeinsame Bundesausschuss für bestimmte Fallgruppen von Genvariationen/-anomalien nichtinvasive genetische Diagnostikverfahren in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen. Es ist mit großer Sorge zu beobachten, dass eine zunehmende Zahl nichtinvasiver Tests keine therapeutischen, sondern selektive Ziele verfolgen: für das ungeborene Leben mit unerwünschten Merkmalen erfolgt mittlerweile zumeist der Abbruch der Schwangerschaft. Dies ist mit der Würde des ungeborenen Lebens absolut unvereinbar. Auch bei einer schweren genetisch präfigurierten Schädigung müssen die Eltern das Lebensrecht des Embryos achten. Eine qualifizierte psychosoziale Beratung vor der Diagnostik und im Falle eines auffälligen Befundes ist in diesem Zusammenhang eine unverzichtbare Notwendigkeit.

Schon die generelle Zulassung solcher Testverfahren ist aus weiteren Gründen problematisch. Mittlerweile werden Tests für alle derzeit nachweisbaren Chromosomenanomalien angeboten. Zudem kommen noch ganz andere unerwünschte genetisch bedingte Eigenschaften des ungeborenen Kindes in den Blick, die Gegenstand von Selektionsoptionen werden können.

Die Tests sind für die meisten Schwangeren inzwischen zu erschwinglichen Preisen erwerbbar. Dies senkt die Schwelle zur Durchführung dieser Tests dramatisch. Die Kassenzulassung bei Risikoschwangerschaften verschärft die Tendenz zur Normalisierung solcher Tests erheblich. Sie erzeugt den Eindruck, es handle sich um eine ganz gewöhnliche medizinisch-diagnostische Regelleistung für jede Schwangerschaft. Damit verbreitet sich zunehmend eine persönliche, familiäre und nicht zuletzt gesellschaftliche Erwartungshaltung, eine solche unproblematisch verfügbare und prinzipiell erstattungsfähige Regelleistung in Anspruch zu nehmen und – nach positivem Befund – die Schwangerschaft abzubrechen.

Die Kassenzulassung begünstigt auch die Ausweitung auf andere unerwünschte genetische Eigenschaften. Es droht die Tendenz einer ausufernden Eugenik, die sich an der Fiktion eines reibungslos gelingenden, perfekten Lebens orientiert. Demgegenüber erscheint alles, was dieser Norm nicht entspricht, automatisch als Defizitvariante eines vollgültigen und als lebenswert beurteilten Lebens.

Eine solche Tendenz gefährdet nicht nur Ungeborene, sondern auch geborene Menschen mit Behinderungen. Denn sie verstärkt nicht nur den Rechtfertigungsdruck derer, die sich für ein Zusammenleben mit besonders vulnerablen Menschen entschieden haben. Sondern sie verstärkt generell eine gesellschaftliche Defizitperspektive auf Behinderung. Damit trägt sie zum Gegenteil dessen bei, worauf sich unsere Gesellschaft in der vor zehn Jahren in Kraft getretenen UN-Behindertenkonvention ausdrücklich verpflichtet hat: den Abbau von negativen Vorurteilen der Mehrheitsgesellschaft gegenüber behinderten Menschen, die Wertschätzung dessen, was diese Mitbürgerinnen und Mitbürger zum Reichtum und zur Vielfalt der Gesellschaft beitragen und die Stärkung von umfänglichen Teilhabemöglichen als gleichberechtigte Mitglieder der Gesellschaft.

Daraus ergibt sich die Forderung, dass die Zulassung neuer Tests politisch bzw. gesetzlich geregelt werden muss. Einen Automatismus auf dem Verwaltungsweg darf es nicht geben. Bei der Anwendung von Tests sind die Vorgaben des Gendiagnostikgesetzes einzuhalten. Es ist zudem deutlich darauf hinzuweisen, dass Tests immer nur eine vermeintliche Sicherheit vermitteln. Über später eintretende Erkrankungen und über tatsächliche Krankheitsverläufe können diese Tests in der Regel keine gesicherte Auskunft geben. Umso mehr gilt es den Stellenwert einer (pädiatrisch qualifizierten) psychosozialen Beratung bei auffälligem Befund zu stärken. In diesen Fällen wäre eine regelhafte Beratung wünschenswert. Ziel muss es sein, dass mehr Frauen und Eltern die Beratung in Anspruch nehmen.

(5)       Genchirurgische Eingriffe in die menschliche Keimbahn: für ein internationales Moratorium ihrer Anwendung

Die in ethischer wie wissenschaftlicher Sicht überaus fragwürdigen und daher inakzeptablen Menschenversuche eines chinesischen Wissenschaftlers, dessen Experimente an menschlichen Embryonen zur Veränderung des menschlichen Erbgutes Ende 2018 öffentlich wurden, haben weltweit einer breiten Öffentlichkeit die ethische Brisanz bewusst gemacht, die die enormen technischen Fortschritte im Bereich genchirurgischer Eingriffe – wie beispielsweise mittels Genscheren wie CRISPR et al. –  in die menschliche Keimbahn bergen. Manche Erkenntnisse und Techniken der Molekularbiologie, Genetik und Proteomik mögen geeignet sein, den Menschen zu nützen. Dennoch geben die vorliegenden Entwicklungen Anlass zu großer Sorge. Denn sie entfalten mittlerweile eine Eigendynamik, die alle ethische Sorgfalt außer Acht zu lassen scheint.

Angesichts dessen ist es zu begrüßen, dass sich der weit überwiegende Teil der Wissenschaftsgemeinschaft gegen diese Eigendynamik stellt und mit Blick auf die Anwendung genchirurgischer Eingriffe in die menschliche Keimbahn ein möglichst sanktionsbewehrtes Moratorium fordert. Ein solches Moratorium, wie es etwa der Deutsche Ethikrat gefordert hat, ist uneingeschränkt unterstützenswert. Es muss vor allem dazu dienen, die ethischen Implikationen gentechnischer Eingriffe in die menschliche Keimbahn sorgfältig auszuloten. Dabei sind insbesondere folgende Aspekte unverzichtbar:

Erstens entfalten Eingriffe in die menschliche Keimbahn – im Unterschied zur somatischen Gentherapie, die den üblichen medizinethischen wie -rechtlichen Kriterien unterliegen – ihre Wirkungen nicht in bereits geborenen Menschen, so dass sie hinsichtlich ihrer Belastungen und Risiken auf diese beschränkt werden könnten. Stattdessen präfigurieren sie die genetisch bedingten Lebensoptionen ungeborener beziehungsweise zukünftiger Menschen. Diese können nicht gefragt werden, ob sie solche künstlichen Festlegungen wollen oder nicht. Solche Festlegungen könnten – wenn überhaupt – nur dann gerechtfertigt sein, wenn deren zukünftige Zustimmung zum jetzigen Zeitpunkt nahezu zweifelsfrei unterstellt werden könnte. Dies ist allenfalls bei der Minderung des Risikos schwerster Erkrankungen vorstellbar.

Zweitens müssen genchirurgische Eingriffe in die menschliche Keimbahn ausreichend sicher und wirksam sein. Diese Voraussetzungen sind angesichts der überaus komplexen Zusammenhänge zwischen Geno- und Phänotyp bzw. Genetik und Epigenetik und damit implizierten Fragen der Genregulation im Gesamtsystem derzeit nicht zu erfüllen.

Drittens dürfen Forschungen, die der Sicherheit und Wirksamkeit dienen, keinesfalls dazu führen, dass dabei Embryonen verbraucht werden. Die Festlegungen im deutschen Embryonenschutzgesetz gehen zu Recht davon aus, dass menschliches Leben ab der vollständigen Verschmelzung von Ei- und Samenzelle, also nach erfolgter Rekombination der vormals haploiden Chromosomensätze, beginnt und umfassende Schutzrechte genießt.

Für genchirurgische Eingriffe gilt wie für alle anderen Anwendungsgebiete moderner Fortpflanzungsmedizin: Menschliches Leben ist und bleibt in jedem Augenblick seiner Existenz unverfügbar.

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