Segen schenken – Segensfeiern für gleichgeschlechtliche Paare

Beschluss der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Segnungen und Segensfeiern sind eine alte Tradition in der Kirche. Sie wenden sich in der Regel an bestimmte Personen, um diese unter Gottes Segen zu stellen. In der katholischen Kirche wächst gegenwärtig an vielen Orten das Bewusstsein, dass heute eine neue differenzierte Sicht auf zwischenmenschliche Beziehungen und Partnerschaften notwendig ist. Hier sieht die ZdK-Vollversammlung eine besondere Verantwortung und bringt ihre Position als Konkretisierung ihres Beschlusses zum Thema „Zwischen Lehre und Lebenswelt Brücken bauen. Familie und Kirche in der Welt von heute“ vom 9. Mai 2015 ein. In diesem Beschluss ist als eine der Konkretisierungen benannt, für „eine Weiterentwicklung von liturgischen Formen, insbesondere Segnungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, neuer Partnerschaften Geschiedener und für wichtige Weichenstellungen im Familienleben“ Sorge tragen zu wollen.

Nach unseren bisherigen Erkenntnissen sehen wir als ZdK die Möglichkeit und das Erfordernis, die vielfältige Segenspraxis in unserer Kirche zu stärken und zu erweitern. Wir denken dabei insbesondere an Paare, denen eine kirchliche Eheschließung nicht möglich ist, wie zum Beispiel gleichgeschlechtliche Paare, die aber aufgrund ihrer Gottesbeziehung um den Segen Gottes für das Gelingen ihrer Partnerschaft bitten. Ausgangspunkt soll diese Bedeutung der Segensfeiern für die bittenden Paare sein. Ihre Lebenssituation muss im liturgischen Ritus ernst genommen werden. Die Gefahr einer Verwechslung von Segenshandlungen mit der Feier der Sakramente – vor allem der Eheschließung – sieht die ZdK-Vollversammlung nicht. Bereits heute verfügt unsere Kirche über eine reiche Vielfalt bei liturgischen Feiern.  

Warum wir handeln

Im Mai 2015 brachte die ZdK-Vollversammlung im Vorfeld der Weltbischofssynode „Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute“ in einer Erklärung ihre Wertschätzung für die Ehe und für die vielfältigen Formen gemeinschaftlichen Lebens zum Ausdruck, in denen Erwachsene in liebender Weise sowohl Verantwortung füreinander als auch für ihre Schutzbefohlenen und ihr soziales Umfeld übernehmen. Festgehalten wurde in der ZdK-Erklärung von 2015, dass auch in verbindlichen und auf Dauer angelegten nichtehelichen Partnerschaften Werte, die wie in einer sakramentalen Ehe gelebt und vermittelt werden, zum Ausdruck kommen. Im Einzelnen haben wir uns ausgesprochen für: eine Achtung des Zusammenlebens in dauerhaften nichtehelichen Partnerschaften sowie die vorbehaltlose Akzeptanz fester gleichgeschlechtlicher Partnerschaften; das Ringen um eine neue Sprachfähigkeit hinsichtlich der Sexualität im Rahmen einer verbindlich gelebten Partnerschaft; die Frage nach kirchlichen Segensfeiern in der Kirche für solche Paare, die ihre Partnerschaft unter Gottes Segen stellen wollen. In der ZdK-Erklärung werden eine „Spannung und vielfach eine Kluft zwischen Aussagen des päpstlichen Lehramtes zu Ehe und Familie und der von pluralen Familienformen geprägten heutigen Lebenswelt der Gläubigen“ benannt.

Es ist wichtig, die vor Ort in der Seelsorge Tätigen in diesem Spannungsfeld und in ihrer Entscheidungssituation nicht alleine zu lassen, wenn Paare mit dem Wunsch nach einer Segenshandlung auf sie zukommen. Das ZdK betont daher die Notwendigkeit, einen wertschätzenden Blick auf konkrete Beziehungen zu fördern. Hier setzt die ZdK-Vollversammlung im Jahr 2019 erneut an. Sie steht damit auch im Vorfeld des Synodalen Wegs der katholischen Kirche in Deutschland. Sie bringt Votum und Argumente in die noch offenen Beratungen des Synodalen Weges für kirchliche Segensfeiern für Paare, die um einen Segen für sich und das Gelingen ihrer Beziehung bitten, ein. Die im Folgenden aufgeführten Argumente nehmen die gleichgeschlechtlichen Paare in den Blick. Viele von ihnen lassen sich aber auch auf andere Partnerschaften anwenden, denen eine kirchliche Trauung nicht offensteht, z. B. neue Partnerschaften von geschiedenen Gläubigen, auch wenn die theologischen Zusammenhänge in Unterscheidung zwischen der Schöpfungsordnung und der Erlösungsordnung jeweils zueinander zu betrachten sind.

Die ZdK-Vollversammlung betrachtet die theologischen Argumente, auf deren Grundlage gleichgeschlechtliche Paare, die in einer auf lebenslange Dauer angelegten Beziehung leben, nicht nur von der sakramentalen Eheschließung, sondern auch von den Segenshandlungen der Kirche ausgeschlossen werden, als nicht mehr dem Stand der Erfahrung sowie der Reflexion entsprechend.

Wo Paare sich für ihr gemeinsames Leben den kirchlich vermittelten Segen Gottes erbitten und aufgrund ihrer Beziehungsform abgewiesen werden, schafft die Kirche in jedem Fall pastorale Härten, mitunter auch existentielle Notsituationen. Diesen Situationen fühlen wir uns als gläubige Christinnen und Christen im ZdK aus dem Evangelium heraus verpflichtet. Der kirchliche Blick auf diese Paare muss ein evangeliengemäßer Blick werden, der auf die gelebte Liebe fokussiert und der diese liebende Verbindung im Zusammenhang der Heilsgeschichte verortet.

Gute Gründe für den Segen

Biblischer Befund: Im Neuen Testament wird die Grundbotschaft der gesamten Bibel zusammengefasst: „Gott ist Liebe“ (1 Joh 4,8.16). Der Gott der jüdisch-christlichen Überlieferung ist ein Gott der Beziehung. Jesus von Nazareth bringt uns diese Liebe in Taten und Worten als unbedingte Bejahung nahe, die zum Leben befreit. Wenn Menschen sich in Paarbeziehungen in Liebe und Treue, in Respekt und Fürsorge füreinander begegnen und sich aus dieser Liebe auch anderen öffnen, dann können sie das Geheimnis Gottes erspüren. 

Gerade in den weltweiten ökumenischen Gesprächen ist sehr bewusst, wie groß die Herausforderung ist, den Sinngehalt der biblischen Texte angesichts des kulturell geprägten Entstehungskontextes theologisch angemessen zu deuten.  Die Inkulturation damals wie heute ist notwendig, damit das Wort Gottes bei den Menschen ankommen kann. So müssen wir uns in jedem neuen Kontext je neu der Bedeutung vergewissern. Eine wortidentische Auslegung der Bibel, etwa in Fragen der Homosexualität, verengt die Sicht auf die Botschaft. In der Exegese besteht ein weitgehender Konsens, dass der biblischen Überlieferung homosexuelle Beziehungen, wie wir sie heute kennen, unbekannt sind.  Wenn biblische Texte Homosexualität verurteilen, haben sie andere Phänomene vor Augen, als sie heute in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung partnerschaftlich gelebt werden. Von gleichgeschlechtlichen Veranlagungen wissen die biblischen Texte nichts. Lesbische Beziehungen werden nirgends behandelt. Männliche Homosexualität wird im Kontext von Gewalthandlungen verurteilt (Gen 18,16-29,26). Paulus beurteilt praktizierte Homosexualität, die nicht einer Veranlagung folgt, sondern willkürlich ist, als „widernatürlich“ (Röm 1,27), verwendet hier aber einen Begriff der „Natur“, der zeitbedingt ist.

Segen als Vergegenwärtigung des Wortes Gottes: Die Kirche ist berufen, Menschen zu segnen, nicht sie zu verfluchen. Der Segen kommt nicht aus ihr selbst, sondern von Gott, dessen Präsenz wir als Kirche erkennen und bekennen. Der biblische Segen ist eine wirksame Handlung, die Gottes Wort vergegenwärtigt, so dass Leben entsteht und Gnade erfahren wird. Ein Segen bejaht im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes, was gut ist, und führt es über sich selbst hinaus zu Gott. Die Beziehungs-Realitäten drücken die Segensbedürftigkeit der Menschen und ihre Angewiesenheit auf Gott aus. Paare, die um den Segen bitten, bekennen diese Situation und bringen gleichzeitig zum Ausdruck, ihre Beziehung im Horizont Gottes gestalten zu wollen. Als Kirche sind wir aufgerufen, uns das Gespür für das Wirken Gottes zu bewahren und diese „Fundstätten“ durch Segenshandlungen zum Ausdruck zu bringen.

Was Offenheit für das Leben meint, erschöpft sich nicht in einer Kategorisierung in heterosexuelle, potentiell generative und homosexuelle, nicht generative Partnerschaften, sondern sie ist zuerst und ganz grundlegend eine intersubjektive, soziale Haltung, die verschiedene Ausdrucksformen kennt: natürlich in der Verantwortung für Kinder, für leibliche Kinder und für Kinder, für die wir Verantwortung tragen; aber auch in Verantwortung für die Gemeinschaft, in der wir leben.

Bei Paaren, die ihr Glück finden und in Liebe verbunden sind, erleben wir, dass sie etwas erfahren und entstehen lassen, was über die Beziehung hinausreicht. Ihre Offenheit füreinander und der Raum ihrer Liebe erlaubt eine Offenheit für andere und für die Gemeinschaft. Auch der Zölibat dient ja der Weitergabe des Lebens – auf eine spirituelle Weise. Immer dann, wenn wir in der eigenen Lebensführung eine Option für das Leben anderer entdecken und es mit dem eigenen Leben verbinden, sind das Formen der Fruchtbarkeit, die die Gesellschaft und uns als Kirche reich beschenken.

Vielfältige Sinngehalte von Sexualität: Jede Liebe ist auf Ausdrucksformen angewiesen. So wie die Menschen in ihrer Einheit von Körper und Geist existieren, ist die Sexualität ein ganz wesentlicher Teil des Menschen. Sie reicht in ihrer Wertigkeit (Valenz) noch über die leibliche Weitergabe des Lebens hinaus: sie schafft Identität und stiftet Beziehung; sie ist Ausdruck von Zuneigung, Lust, Zärtlichkeit und Verbundenheit; in ihr verwirklichen sich Menschen miteinander im gegenseitigen Geschenk tiefster Freundschaft. Solche Liebe genügt sich nicht selbst, sondern strahlt auf andere aus. Selbst wenn eine biologische Weitergabe des Lebens ausgeschlossen ist, kann sie sich in einer sozialen Generativität niederschlagen. Wir sprechen daher von Polyvalenz von Sexualität. Es eröffnen sich neue Chancen, wenn wir als Kirche Sexualität in ihren vielfältigen Wertigkeiten begreifen und sie daher nicht nur in der Ehe von Mann und Frau verorten. Liebe und die unbedingte Anerkennung der Würde des anderen und meiner selbst sind dafür essentielle Bedingungen. Dem können Paare auch aus ihrem Glauben kompetent nachkommen. Sie sind in der Lage, ihr Glaubens- und ihr Erfahrungswissen sowie ihre Sinn- und Lebenserfahrungen zu integrieren; diese Fähigkeit muss auch durch die Morallehre wertgeschätzt werden.

Den Weg der Kirche neu denken: Die pastorale Praxis der Kirche braucht mehr als die Anwendung lehramtlicher und kirchenrechtlicher Vorgaben. Eine maßgebliche Rolle spielt die Aufmerksamkeit für die Zeichen der Zeit und den Glaubenssinn der Gläubigen. Wo Menschen nach der Bedeutung des Evangeliums für ihr Leben suchen und ihr Leben danach ausrichten, ereignet sich Kirche. Wo Seelsorgerinnen und Seelsorger, Gläubige, Priester und Bischöfe in sorgfältiger Prüfung ihres Gewissens die Lebenswirklichkeit der Menschen und ihre Suche ernst nehmen und darauf antworten, können Spuren für unsere Kirche entstehen. Wenn sie sich im Lichte der Tradition, der theologischen Einsichten und der pastoralen Praxis bewähren, tragen sie zur Entwicklung der Kirche und ihrer Lehre bei. „Prüft alles und behaltet das Gute.“ (1 Thess 5,21)

Konsequenzen

Die ZdK-Vollversammlung ermutigt und unterstützt die Diözesanbischöfe zu einer gemeinsamen, pastoral sensiblen und theologisch begründeten Neubesinnung auf das Wesen menschlicher Beziehungen, um ihre pastorale Verantwortung für die Gläubigen wahrzunehmen und Möglichkeiten von Segensfeiern für alle Paare, die den Segen Gottes für ihre Partnerschaft erbitten, zu öffnen. Kirchenrechtlich sieht CIC can. 838 § 4 vor, dass es „dem Diözesanbischof (zu)steht (…), in der ihm anvertrauten Kirche innerhalb der Grenzen seiner Zuständigkeit Normen für den Bereich der Liturgie zu erlassen, an die alle gebunden sind“.

Jedes Paar ist in seiner verantwortlich gelebten Liebe ein Segen für uns als Kirche. Als Gemeinschaft gläubiger Christinnen und Christen blicken wir als ZdK auf die gelebten Werte der Paare. Als Gemeinschaft gläubiger Christinnen und Christen machen wir als ZdK die Qualität einer Beziehung an der gelebten Liebe fest. Als Gemeinschaft gläubiger Christinnen und Christen wollen wir als ZdK Paare auf ihren zuweilen auch zerbrechlichen und gefährdeten Wegen begleiten und unterstützen. Als Gemeinschaft gläubiger Christinnen und Christen im ZdK wollen wir, dass Paaren, ihren Familien und Freundeskreisen ebenso der Reichtum und die Wirkmächtigkeit von Segensritualen nicht vorenthalten werden. Für uns bringt eine Segnung des Liebes-Paares das ins Wort, was längst Wirklichkeit ist. Deshalb setzen wir uns als ZdK dafür ein, dass in naher Zukunft ein offizieller Ritus für die Segnung homosexueller Paare erarbeitet wird.

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