Den Synodalen Weg mutig weitergehen

Beitrag von Erzbischöfin Dr. Antje Jackelén im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder in Christus,

vielen Dank für den warmen Willkommensgruß und die freundliche Vorstellung. Und vor allem, ein herzliches Dankeschön für die Einladung, aus meiner Perspektive zu Ihren Überlegungen beizutragen. Ich freue mich über diese Offenheit und das Vertrauen. Selbstverständlich wäre ich gern auch physisch bei Ihnen in Berlin dabei, aber schätze nun auch die digitale Gemeinschaft in hybriden Begegnungen.

Ein Wort der Entschuldigung vorweg: Deutsch ist zwar meine Muttersprache, aber nach fast 40 Jahren in Schweden und sechs Jahren in den USA liegt Deutsch einfach nicht mehr obenauf bei mir. Bitte haben Sie Nachsehen mit Holperigkeiten und dem Suchen nach Worten.

Wie bekannt, wurden die ersten Christen auch „der Weg“ genannt, Apg 22,4 und 24,14.

Der Name Synodaler Weg ist zwar einerseits ein bisschen wie ein weißer Schimmel, weil synodos ja schon „gemeinsamer Weg“ bedeutet. Andererseits ist diese doppelte Markierung des Weges höchst angebracht: Nach 2000 Jahren ist der Weg der Kirche an zentralen Stellen eher Zustand als Weg geworden, besonders wenn es um Ordnungen geht. Wir können die doppelte Markierung der Bedeutung des Weges in unserer Zeit gut gebrauchen, und zwar auf allen Ebenen der Kirche. Denn als Christen können wir nur dann wirklich ein Volk der Hoffnung sein, wenn wir auch ein Volk des Weges sind.

Nur dann also sind wir Volk der Hoffnung, wenn wir uns nicht davor scheuen, uns in Bewegung zu setzen und in Bewegung zu bleiben. Wenn wir uns nicht davor scheuen, aus gewohnten Positionen herauszutreten, sie als ein Minimum wenigstens von außen zu umschreiten, um neue Perspektiven zu gewinnen. Und diese Positionen auch zu verlassen, wenn sie im Wege stehen dafür, dass Menschen Kontakt mit dem Evangelium bekommen. Volk der Hoffnung sind wir, wenn wir uns nicht davor scheuen, uns den Unbilden und dem Schmutz von Wetter und Weg auszusetzen.

Die Sustainable Development Goals, mit denen die Welt in dieser Dekade arbeitet, haben als Devise „No One Left Behind“ – alle sollen mit. Das gilt eigentlich auch für den synodalen Weg einer Kirche. In der Devise der SDGs höre ich nämlich ein Echo aus einem der Bibeltexte, die zum morgigen Sonntag gehören: Matthäus 25,40: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder (und Schwestern) getan habt, das habt ihr mir getan. Es geht bei Jesus immer um die jeweils Kleinsten und Schwächsten. Im Reich Gottes steht eben nicht die Erzbischöfin oder der Bischof im Mittelpunkt, sondern das Kind, Matthäus 18,1-5; im Reich Gottes wird von dem, der viel Macht hat auch viel Rechenschaft gefordert Lukas 12,48. Für Leitung im Sinne Jesu gilt immer, dass sie Dienst an der Gemeinschaft ist. Echter Dienst, kein kosmetischer. Ich denke, das schwebte Papst Franziskus vor, als er davon sprach, dass Hirten nach Schaf riechen müssen. Eine Kirche, die meint, sie brauche die Gemeinde eigentlich gar nicht, wäre keine Kirche in der Nachfolge Christi mehr.

Deshalb glaube ich, dass der Synodale Weg ein Weg ist, der in Augenhöhe gegangen werden muss. Sonst wäre er Laientherapie aber nicht wirklicher Dienst für Gott, der nach Johannes 3,16 die Welt so geliebt hat, dass Gott uns Jesus Christus gesandt hat, nicht zur Legitimierung innerkirchlicher Ordnungen, sondern zur Rettung eben dieser gottgeliebten Welt. WIR brauchen die Welt nicht zu retten, aber wir dürfen dem fortwährenden Liebesprojekt Gottes nicht im Wege stehen.

Unser Sündenbewusstsein sagt uns, dass wir das gerade immer wieder tun. Weil wir in unserer Sprache und unseren Arbeitsformen nicht hellhörig und flexibel genug sind. Weil wir Handlungsweisen im Gepäck haben, die Vertrauen zerstören, statt aufzubauen. Weil es nicht gelingen will, solchen Handlungsweisen den Nährboden zu entziehen. Weil Menschen aus der Kirche austreten, nicht weil sie den christlichen Glauben oder eine christlich geprägte Kultur verringern oder bekämpfen wollen, sondern weil sie die Hoffnung auf Veränderung verloren haben.

Als Kirchen in weiten Teilen der Welt und allemal in Europa stehen wir vor großen Herausforderungen. Ich will nur ein paar nennen. Der Wissensstand, was christlichen Glauben, Bibel und Kirche anbelangt, sinkt kräftig. Das Säkulare ist nicht nur Partner des Religiösen, wie es bei uns seit der Aufklärung der Fall war und auch bei Ernst-Wolfgang Böckenförde und Jürgen Habermas vorkommt, sondern das Säkulare kann auch zum Feind werden. Migration und weltanschauliche Diversität stellen höhere Anforderungen an das, was der 1 Petrusbrief (3,15) beschreibt als die stetige Bereitschaft, jedem und jeder Rede und Antwort zu stehen, die von uns Rechenschaft fordern über die Hoffnung, die uns erfüllt. In der Klimakrise wächst der Seelsorgebedarf. Jüngere Menschen erleben Klimaangst, Zorn und Frustration, ältere werden von Klimaschuld befallen. Unsicherheit, wachsende Ungerechtigkeiten, Angst vor dem Rückschritt, Eltern, die nicht mehr davon ausgehen können, dass ihre Kinder es besser haben werden, Pandemie und resistente Bakterien …. Und das in einer Welt, die von fünf giftigen Ps geplagt wird: Polarisierung, Populismus, Protektionismus, Postfaktizität und Patriarchat. Dieser gefährliche Cocktail ist im Zeitalter des Internet im Grunde überall zu haben. Und die Welt betrinkt sich dran.

Zudem befinden wir uns mitten in einer massiven technischen Entwicklung. Der Durchbruch der Buchdruckerkunst hatte in der Zeit der Reformation großen Einfluss auf die Geschichte, nicht zuletzt auf die Kirchengeschichte! Der Durchbruch der Digitalisierung in unserer Zeit wird weitreichende Konsequenzen haben: Neue, atemberaubende Möglichkeiten, die durchaus die Merkmale des Reiches Gottes tragen können, indem sie dazu beitragen, dass wie in Matthäus 11 Blinde sehen und Lahme gehen, Taube hören und Armen das Evangelium verkündet wird. Aber auch Integritäts- und Freiheitsverlust, soziale Unruhe, wenn viele Arbeitsplätze verschwinden und neue Arbeitsplätze auf sich warten lassen. Und wenn besonders die geringsten Brüder und Schwester Jesu unter die Räder der Geschichte geraten.

Das ist die Landschaft, in der Christen den gemeinsamen Weg des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe finden und gehen müssen. Das ist die Landschaft, in der auch der synodale Weg gegangen werden muss. Der synodale Weg kann ja kein Holzweg sein, auf dem sich Christen über den Staub der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft erhoben fühlen.

Kirche lebt in der Welt und muss das tun. Auch Jesus hatte schmutzige Füße. Kirche trägt die Wunden der Welt an ihrem Körper und muss das tun. Der Auferstandene ist trotz allem als Gekreuzigter auferstanden. Nach Johannes 20 waren es ja gerade seine Wunden, an denen die Jünger den Auferstandenen wiedererkannten!

Die fünf gefährlichen P verwunden auch die Kirche. Das Gift von Polarisierung, Populismus, Protektionismus, Postfaktizität und Patriarchat findet sich auch im Blutkreislauf der Kirche. Und es gilt nicht nur für das Christentum, sondern auch für andere Religionen, dass gerade patriarchale Strukturen tief sitzen. So tief, dass sie mit dem „Wesen“ des Glaubens verwechselt werden. Oder so, dass patriarchale Strukturen religiös überhöht werden und damit unantastbar erscheinen. An anderen Religionen fällt uns das oft mehr auf als an unserer eigenen ...

Heutzutage ist es vielleicht deutlicher als zuvor: wenn ein Glied leidet, leiden alle. Wenn es in einer Kirche kriselt, trifft es auch die anderen. Die Zeit ökumenischer Schadenfreude ist definitiv vorbei. Wir sitzen ja doch in einem Boot. Was wir inner- und zwischenkirchlich nicht immer vermögen, tut manchmal die Umwelt für uns durch die Art, wie sie uns sieht und beurteilt. Oder vielleicht ist es ja der Heilige Geist, der uns aus der Welt her zuweht? Der zum Aufbruch und Weitergehen drängt?

Gerade beim Heiligen Geist ist aber auch Vorsicht geboten! Ist doch gerade der Heilige Geist immer wieder auch in Anspruch genommen worden, um reine Herrschertechniken zu legitimieren. Der Satz „Der Heilige Geist erlaubt uns dies und das nicht“ fußt nicht immer auf glockenreiner Hermeneutik.

Wenn wir uns auf den Weg begeben, haben wir ja immer auch irgendwie ein Ziel vor Augen. Das muss auch für einen synodalen Weg gelten. Es wäre natürlich anmaßend von mir, ein solches Ziel zu beschreiben. Dass aktives Zuhören elementar ist, dürfte unumstritten sein. Wem aktiv zuzuhören ist und was aktives Zuhören auf echter Augenhöhe bedeutet, mag etwas weniger selbstverständlich sein. Am schwierigsten ist vielleicht die Frage, wie Verbindlichkeit geschaffen werden kann. Wenn status quo keine Alternative ist, einfache Mehrheitsabstimmungen aber auch nicht die volle Lösung darstellen, was machen wir denn dann?

In der Kirche von Schweden haben wir natürlich auch nicht die perfekte Lösung. Aber ich kann kurz skizzieren, wie das bei uns aussieht. Wir sprechen von zwei gemeinsamen „Verantwortungslinien“. Einerseits die episkopale Linie mit Bischöfen, Priestern und Diakonen. Bischöfe und Bischöfinnen werden in den Diözesen von Priestern, Diakonen und gleicher Anzahl Laien gewählt, von Erzbischof oder Erzbischöfin in Uppsala geweiht und in der jeweiligen Diözese feierlich empfangen.  Andererseits die synodale Linie, deren Vertreter in direkten demokratischen Wahlen gewählt werden, lokal, regional in der Diözese und auf nationaler Ebene (Generalsynode, kyrkomöte). Jede Diözese wird geleitet von einem Domkapitel als „Aufsichtsbehörde“ und einem Vorstand für Fragen der Förderung des kirchlichen Lebens in der Diözese. In beiden Gremien sitzen Laien und Vertreter des Klerus zu gleichen Bedingungen. Und in beiden führt der Bischof/die Bischöfin den Vorsitz. Dementsprechend bin ich als Erzbischöfin Vorsitzende des Leitenden Vorstands der Schwedischen Kirche, der außer mir aus vierzehn von der Synode gewählten Mitgliedern besteht. In dieser gemeinsamen Arbeit vereinen sich also die beiden Verantwortungslinien.

Es erstaunt viele, die es hören, dass wir Bischöfe und Bischöfinnen in der Generalsynode zwar Anwesenheitspflicht, Rede- und Vorschlagsrecht haben, aber kein Stimmrecht. Wir arbeiten in Ausschüssen mit, haben aber auch dort kein Stimmrecht, sondern überzeugen allein auf Grund von Vertrauen und guten Argumenten. Allerdings kann die Synode in theologischen und Lehrfragen nichts beschließen, ohne vorher die Lehrkommission zu hören, die aus allen vierzehn Bischöfen und acht von der Synode gewählten Theologen besteht. Sollte es trotzdem schiefgehen, gibt es eine Art Vetofunktion. Der Schlüsselbegriff ist also die gemeinsame Verantwortung.

Lassen Sie mich abschließend ein paar Worte zur Hoffnung sagen. Die Frage nach der Hoffnung treibt heute viele Menschen um. Was ist glaubwürdige Hoffnung, sowohl für den synodalen Weg in der katholischen Kirche als auch für den Weg der Menschheit? Ich bin überzeugt davon, dass eine glaubwürdige Hoffnung mindestens drei Zutaten hat. Erstens: Zorn oder Frustration. Glaubwürdige Hoffnung muss auch den Zorn und den Frust über alles, was nicht recht ist und der Liebe Gottes im Wege steht, beherbergen. Zweitens: Demut oder Realismus. Das heißt, das Vermögen, klug nicht nur mit unserer Stärke, Macht und Kreativität umzugehen, sondern ebenso klug auch mit unserer Schwäche, Endlichkeit und Sterblichkeit umzugehen. Der Realismus, der so entsteht, kann auch kirchliche Machtstrukturen entgiften. Drittens: Mut. In den meisten Situationen, auch wenn sie verfahren anmuten, haben wir immer noch die Möglichkeit, einen mutigeren Weg zu wählen statt eines anderen.

Sie haben einen synodalen Weg begonnen, der die Veränderungen bringen kann, zu der uns das Evangelium sowie die Sehnsüchte und Nöte der Menschen drängen. Zu diesen Weg möchte ich Ihnen hoffnungsvollen Mut wünschen!

Erzbischöfin Dr. Antje Jackelén

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