Grußwort von Ministerpräsident Winfried Kretschmann MdL

im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort

Zunächst möchte ich Sie alle in Baden-Württemberg und hier in Stuttgart willkommen heißen! Als früherem ZdK-Mitglied ist es mir eine Ehre, die Vollversammlung im Vorfeld des 102. Deutschen Katholikentags hier begrüßen zu dürfen. Wir feiern in diesem Jahr das 70-jährige Bestehen des Landes Baden-Württemberg. Theodor Heuss hat es einmal, ein „Modell deutscher Möglichkeiten“ genannt. Insofern können Sie es sehr genießen, und es lohnt sich immer, hier zu sein. Und das waren die Katholikentage schon sehr oft. Bereits zum sechsten Mal findet der Katholikentag in Baden-Württemberg statt. Dafür bin ich sehr dankbar, denn solche kirchlichen Großereignisse tun uns gut.

Und mit „uns“ meine ich nicht nur uns Christinnen und Christen, sondern unsere ganze Gesellschaft, unser ganzes Land. Solche kirchlichen Treffen tun uns allen gut, weil dort nicht Spaltung und Ausgrenzung den Umgang prägen, sondern Miteinander und Toleranz. Nicht Oberflächlichkeit und Sensationslust die Themen beherrschen, sondern Tiefgang und Nachdenklichkeit. Und weil dort nicht nur der Debatte und dem Disput Raum gegeben wird, sondern auch dem Gebet und dem gemeinsamen Feiern.

Dabei ist es natürlich kein Geheimnis, dass auch der Katholikentag in schwieriges Fahrwasser geraten ist. Die Teilnehmerzahlen werden wohl nicht die Größe früherer Katholikentage erreichen. Manche sind noch vorsichtig nach Corona bei Großveranstaltungen. Aber hauptsächlich, weil die katholische Kirche in einer großen Krise steckt. Katholisch zu sein, hat gerade keinen besonders guten Leumund. Und das lässt auch den Katholikentag nicht unberührt. Das schmerzt natürlich umso mehr, als es doch gerade das ZdK war und ist, das längst überfällige Reformen einfordert, sich mit den Bischöfen – und manchmal auch ein bisschen gegen einzelne Bischöfe – auf den mühsamen Reformweg macht und mit Leidenschaft und Ausdauer an tragfähigen Lösungen arbeitet, die ich wirklich bewundere. Und die Katholikentage immer ein Ort waren, wo diese Reformbereitschaft praktiziert wurde.

Die Krise der Kirche schmerzt mich als Katholik und als Politiker. Weil ich mich frage, womit beschäftigen wir uns in den letzten Jahrzehnten? Fehlt bei den Verantwortungsträgern der Kirche die Reformbereitschaft, der Mut?

So quälen wir uns nun mit denselben Fragen: der Weihe für Frauen, dem Zölibat, dem Umgang mit Homosexuellen, gemeinsames Abendmahl mit anderen Christen. Und sehen oft kaum Fortschritte.

Das Problem dabei ist: Es zieht Kraft ab für die Aufgaben, für die wir eigentlich da sind als Christen: Salz der Erde zu sein, Sauerteig zu sein, Licht auf dem Scheffel zu sein. Wir sollen eigentlich orientieren. Und das ist das Problem, das ich daran sehe. Deswegen schadet das alles nicht nur der Kirche, sondern meiner Ansicht nach auch der ganzen Gesellschaft. Weil ohne starke Kirchen auch unsere Gesellschaft insgesamt viel schwächer würde und wird: Ohne ihren grundsätzlichen Impuls für die Suche nach Sinn und Hoffnung. Ohne ihren kulturellen Beitrag zum Zusammenhalt. Ohne ihren sozialen Einsatz für die Menschen am Rande. Das versperrt dann oft den Blick für das Gute, das von vielen Gemeinden und Gruppen geleistet wird. Auf den Kern des Christlichen und seinem Beitrag für unsere Welt: Menschenwürde, Nächstenliebe, Bewahrung der Schöpfung. Und auf die großen Herausforderungen unserer Zeit: Glauben in der Moderne, Klimawandel, globale Gerechtigkeit. Und jetzt: Frieden. Und Freiheit.

Angesichts des mörderischen Angriffskriegs Putins mitten in Europa, direkt vor unserer Haustüre, in einer unvorstellbaren Brutalität. Wenn Millionen Menschen in der Ukraine durch zerbombte Städte und Dörfer irren, verletzte und tote Angehörige beklagen müssen und aus ihrer Heimat fliehen müssen. Das Leid dieser Menschen ist unvorstellbar groß. Und zugleich wird uns allmählich bewusst, dass sich dadurch nicht nur das Leben der Menschen in der Ukraine ändert. Wir fangen an zu begreifen, dass Putin damit auch auf uns zielt: auf unsere Art zu leben, auf unsere Demokratie, auf unsere internationale Friedensordnung. Und es dämmert uns, wie tiefgreifend und langwierig die Konsequenzen all dessen sind und sein werden. Was Freiheit betrifft, Menschenwürde, staatliche Souveränität, die Anerkennung von Regeln und Verträgen. Wir spüren, das alles ist nicht mehr selbstverständlich.

Und auch unsere christliche Friedensethik ist infrage gestellt. Für Jesus war Gewalt keine Option. So lesen wir es in der Passionsgeschichte. Weil sein Reich nicht von dieser Welt ist, wie er es vor Pilatus begründet hat. Er wurde gekreuzigt, er ist auferstanden und wir feiern in Bälde seine Himmelfahrt. Aber was gilt im Angesicht des Ukrainekriegs für die Reiche dieser Welt?

Der Journalist Reinhard Bingener hat das in der Osterausgabe der FAZ eindrücklich dargestellt. Ich zitiere: „Pazifismus funktioniert als Existenzform, nicht als politische Theologie.“ Will heißen: Solange es um meine eigenen Belange geht, kann ich als Christ versuchen, als Pazifist zu leben, Gewalt nicht mit Gewalt zu beantworten, sondern zu erdulden. Sobald aber Interessen Dritter ins Spiel kommen, von Schutzbefohlenen, von Schwachen oder von Menschen, für die ich politische Verantwortung trage, muss das Recht des weltlichen Reichs, des Staates zur Geltung gebracht werden. Nötigenfalls mit Gewalt, wenn alle anderen Mittel nicht mehr helfen. Aber eben ohne es für eine politische Theologie zu missbrauchen. Wir haben das oft in unserer Geschichte erlebt. So wie der russische Patriarch Kyrill das tut. Und sich, um den Papst zu zitieren, dadurch zum „Ministranten Putins“ macht. Ist christliche Gewaltlosigkeit also nur was für den privaten Gebrauch?

Das ist eine große Frage, die man sich als Christ in der Politik stellt. Zumindest ist klar: Gewalt ist auch im staatlichen Handeln nur legitim zur Verteidigung und als ultima ratio für vom UN Sicherheitsrat beschlossene humanitäre Interventionen. So wie es im genannten FAZ-Beitrag heißt: „Auch in Kriegszeiten muss die Gesinnung zum Frieden leitend sein.“ In den meisten Demokratien hat sich ja Gottseidank dieser Gesinnungspazifismus durchgesetzt. Ich habe das jetzt etwas ausführlicher beschrieben, aus meiner Sicht.

Weil für solche Fragen, die ans Eingemachte gehen, braucht es eben die Stimme der Kirchen in der Gesellschaft. Und deshalb bin ich sehr froh, dass sich das ZdK auf seiner Vollversammlung und dann auch der Katholikentag nicht nur mit innerkirchlichen Problemen beschäftigen. Sondern auch solche Themen anpacken, die die Menschen zutiefst umtreiben. Etwa der Kampf gegen die Erderhitzung. Das bedeutet ja für uns, die wir die Natur als Gottes Schöpfung betrachten, dass dies etwas Unbedingtes ist, für das wir uns einsetzen müssen.

Und das heißt dann wirklich, das zeigen all diese Beispiele: „leben teilen“. Und darum ist das ein ganz gutes Motto in diesen Zeiten von Aggression und Spaltung an vielen Orten. Ich persönlich jedenfalls freue mich jetzt am meisten darauf, am Katholikentag öffentlich die Schrift auslegen zu dürfen und somit am allgemeinen Priestertum aller Gläubigen teilhaben zu dürfen.

Und in diesem Sinne wünsche ich Ihnen gute Beratungen und Gespräche. Und gute Ergebnisse und auch Erfolg dabei. Gutes Gelingen und Gottes Segen!

Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg Winfried Ketschmann MdL

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