„Ernährungs- und Agrarwende jetzt!“

Beschluss der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln und die ökologischen Anstrengungen der Landwirtschaft verdienen Anerkennung. Allerdings besteht angesichts der enormen externalisierten Kosten unserer Landwirtschaft ein hoher Handlungsdruck, die Agrarwende auf allen Ebenen als Teil der sozial-ökologischen Transformation umzusetzen. Nur innerhalb der planetaren Grenzen und mit funktionierenden Ökosystemen können alle Menschen Zugang zu gesunden Lebensmitteln erhalten: Ernährungssicherheit bedarf der Ernährungs- und Agrarwende. Dies erfordert aber einen sozialverträglichen Umbau.

Der Fußabdruck unserer Ernährung in Deutschland beträgt ca. 177 Mio. t CO2-Äquivalente jährlich. Dies umfasst neben Produktion, Verarbeitung, Verpackung und Vertrieb auch importierte Futter- und Lebensmittel. Somit essen wir nicht nur das Brot unserer Felder, sondern auch das fremder Äcker. Vor allem für Futtermittelimporte werden im Globalen Süden Wälder gerodet. Damit sind die durch Ernährung verursachten Emissionen von hoher Relevanz für den Klimawandel. Nahrungsmittel sind jedoch durch nichts zu ersetzen und können nur langfristig ohne fossilen Aufwand produziert, verpackt und vertrieben werden. Es gibt allerdings erhebliche CO2-Einsparpotenziale im Ernährungs-und im Agrarsektor, die dringend aktiviert werden müssen. Das sind im Ernährungsbereich die Abschaffung der Lebensmittelverschwendung, die generelle Umstellung auf eine stärker pflanzenbasierte Ernährung – mit dem zusätzlichen Nutzen gesundheitlicher Förderung und entsprechender Kostenreduktion im Gesundheitswesen - sowie auf Futter- und Lebensmittel, die vorrangig regional und saisonal produziert werden sowie den Standards des fairen Handels entsprechen.

Außerdem können wir im Agrarsektor den fossilen Ressourcenverbrauch reduzieren, indem wir weniger energieintensive Düngemittel und Pestizide nutzen. Durch Agrarökologie erreichen wir mehr Fruchtbarkeit in den Böden sowie mehr Biodiversität. Darüber hinaus sind eine veränderte Tierernährung durch Fokussierung auf Futtermittel aus Biomasse, die für den Menschen nicht verwertbar sind, sowie eine Stärkung der Grünlandregionen als natürliche Standorte für die Rinderhaltung bzw. Milchproduktion anzustreben.

Letztlich wird nur das produziert, was nachgefragt wird. Ernährungswende und Agrarwende sind sehr eng miteinander verbunden. Deshalb stellen wir Forderungen in beiden Sektoren und fordern globale Solidarität ein:

Ziele einer Ernährungswende

  • Wir fordern gesetzliche Regelungen, um die Verschwendung von Lebensmitteln weitestgehend zu reduzieren, sowie bessere Aufklärung bei Einkauf und Lagerung in Haushalten zu beenden. Für die bessere Transparenz für Verbraucher*innen ist es unumgänglich, eine Herkunftskennzeichnung auch bei der Außer-Haus-Verpflegung zu etablieren. In Kantinen und Gaststätten ist es notwendig, regionale, saisonale, biologische und fair gehandelte Herkunft zu labeln. Wir plädieren dafür, Lebensmittelgeschäfte ab einer bestimmten Größe gesetzlich dazu zu verpflichten, Lebensmittel mit überschrittenem Mindesthaltbarkeitsdatum an gemeinnützige Organisationen wie Food-Sharing, Tafeln u. a. kostenlos abzugeben.
  • Wir setzen uns dafür ein, die Umstellung auf eine gesündere Ernährung, z. B. die „Planetary Health Diet“1, zu fördern, vor allem durch vielfältige vegetarische und vegane, regionale, saisonale, fair gehandelte Angebote und mehr frisches Obst und Gemüse in Kantinen, Kitas, Schulen, Krankenhäusern sowie kirchlichen Bildungs- und Tagungseinrichtungen. Als Anreiz für eine gesündere Ernährung plädieren wir für eine Streichung des Mehrwertsteuersatzes auf frisches, unverarbeitetes Obst und Gemüse. Eine Ernährungserziehung (Food Education nach finnischem Vorbild) trägt in Schulen und Kitas ebenfalls dazu bei, ebenso wie Werbung und informelle Bildung für gesünderes und frisches Essen. Insbesondere kirchliche Einrichtungen werden aufgefordert, eine Umstellung des Lebensmittelangebots entsprechend einzuleiten.

Ziele einer Agrarwende:

  • Wir fordern die Transformation durch konsequente Umsetzung des in der „Zukunftskommission Landwirtschaft“ mühsam erreichten Kompromisses. Dieser ist unter Beteiligung vieler Akteure entstanden und zeigt planbare Schritte und den Weg in eine nachhaltigere Landwirtschaft einschließlich Tierschutz konkret auf.
  • Wir fordern die Umgestaltung der Förderung für die europäische Landwirtschaft hin zu einem System mit „Gemeinwohlprämie“. Die Gemeinwohlleistungen der landwirtschaftlichen Betriebe müssen honoriert werden. Viele bäuerliche Familien sind auf dem Weg dahin auf einen sozial gerechten Umbau im Zuge der Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik angewiesen, um weitere Strukturbrüche zu vermeiden.
  • Wir drängen auf die Berechnung der „wahren Kosten“ von Nahrungsmitteln. Anzustreben wäre die Einbeziehung der externen Kosten in die Bilanzierungsregeln der Unternehmen.
  • Wir fordern eine Finanzierung für den dringend notwendigen Humusaufbau in den Böden – eine erforderliche Maßnahme, um die Bodenfruchtbarkeit im Zuge des Klimawandels zu erhalten und die Ausgasung von CO2 aus Böden zu mindern bzw. zu vermeiden. Moorschutz ist die wichtigste Baustelle bei der Reduzierung von
    CO2-Emissionen in der Landwirtschaft. Die Wiedervernässung der Moore ist proaktiv zu fördern; der Ackerbau auf Moorböden ist hingegen schnellstmöglich zu stoppen. Auch die Senkenfunktion der Böden wird dadurch aktiviert und belohnt.
  • Wir setzen uns für „faire Preise“ für Erzeuger*innen ein, um die ländlichen Räume zu stärken und Lebensmittel verlässlich regional zu erzeugen, was insbesondere in Krisenzeiten auch in geopolitischem Interesse liegt.

Globale Solidarität:

  • Wir fordern einen globalen Ausgleich klimabedingter Verluste und Schäden
    bei der Klimakonferenz COP 28 in Dubai. Diese treffen gerade die bäuerliche und kleinbäuerliche Landwirtschaft. Der Loss-and-damage-Fonds sollte einen jährlichen Umfang von mindestens 400 Milliarden Dollar umfassen, damit Klimagerechtigkeit im Sinne des Verursacherprinzips Wirklichkeit werden kann.
  • Alle Akteur*innen, auch marginalisierte bäuerliche Gruppen, sollen an der Planung und Durchführung mitwirken. Insbesondere Frauen sichern Ernährung durch ihre Arbeit in der kleinbäuerlichen Landwirtschaft weltweit und leisten so wichtige Arbeit gegen Hunger und Armut und müssen auch deshalb in besonderer Weise bei der Implementierung berücksichtigt werden.2 Nicht nur Staaten, sondern auch Kommunen und lokale Gemeinschaften sollten Gelder aus dem Fonds möglichst unbürokratisch, zielgerichtet und wenn nötig kleinteilig erhalten können. 
  • Neben der Kompensation für Schäden und Verluste braucht es auch eine aufgestockte Klimafinanzierung für Anpassung an die klimakrisenbedingten Veränderungen in der Landwirtschaft.
  • Die Mittel für das Welternährungsprogramm zum Kauf von Getreide müssen solange auf einem hohen Niveau bereitgestellt werden, wie sie in den vulnerablen Staaten gebraucht werden. 

1: Die Planetary Health Diet ist eine Strategie für eine gesunde und nachhaltige Ernährung, welche zur menschlichen und zur planetaren Gesundheit beiträgt. Sie geht auf die Eat-Lancet-Kommission zurück und zeigt einen Weg auf, wie im Jahr 2050 zehn Milliarden Menschen innerhalb der ökologischen Belastungsgrenzen der Erde mit einer gesundheitsfördernden Ernährung versorgt werden können. Bestandteile der Strategie sind ein verdoppelter Konsum von Obst und Gemüse, Hülsenfrüchten sowie Nüssen und ein halbierter Konsum von Fleisch und Zucker.

2: Hunger und Armut sind zwei Treiber von gesellschaftlicher Ungleichheit und bewaffneter Konflikte. Doch obwohl weltweit knapp die Hälfte aller Arbeitskräfte in der Landwirtschaft weiblich ist, besitzen Frauen nur etwa 20 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Fläche. Die Ressource Land muss vor allem auch Frauen weltweit zur Verfügung stehen. Dafür ist es notwendig, dass Landbesitzrechte in allen Ländern der Welt auf Frauen übertragen werden können. Frauen müssen Land erwerben können, Witwen müssen das Recht haben, Land zu erben. Außerdem müssen Frauen das Recht haben, alleine wirtschaftlich geschäftsfähig zu sein. 

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