Menschen vor Profit: Den Finanzsektor als Hebel in die Sorgfaltspflichtenrichtlinie einbeziehen

Erklärung der Initiative Christen für Europa (IXE)

Die Globalisierung darf nicht zu Wohlstand für einige wenige führen, sondern muss Gerechtigkeit für alle schaffen. Motiviert durch die tiefe Sehnsucht nach einer gerechten und nachhaltigen Welt, inspiriert durch unseren gemeinsamen christlichen Glauben und die umfassenden Erfahrungen unserer christlichen Entwicklungsorganisationen, hat IXE - Initiative der Christen für Europa - diese Erklärung abgegeben.

Die Sektoren sind zahlreich, die Beispiele unzählig: In vielen Textilfabriken werden die Arbeitsrechte missachtet, auch zehn Jahre nach dem Einsturz des Rana-Plaza-Gebäudes in Savar, Bangladesch, der tödlichsten Katastrophe in der Geschichte der Bekleidungsindustrie. Mehrere Bergbauprojekte schneiden der lokalen Bevölkerung das Wasser ab. Oft weidet das Vieh auf illegal abgeholzten Regenwaldflächen. In einer postpandemischen Zeit, in einer Zeit der Kriege und Konflikte, in der die Armut zunimmt, in der sich die Klima- und Biodiversitätskrise verschärft, brauchen wir dringend einen fairen und ökologischen Handel. Viele Produkte, die in Europa zum Alltag gehören, enthalten Verstöße gegen Menschenrechte und Umweltschutz. Ergänzend zu individuellem Verhalten braucht Gerechtigkeit einen verbindlichen Rechtsrahmen. Deshalb haben mehrere Mitgliedstaaten der Europäischen Union nationale Sorgfaltspflichtengesetze verabschiedet. Die Kommission hat im Februar 2022 ihren Vorschlag für eine europäische Richtlinie vorgelegt. Im institutionellen Trilog, der im Juni 2023 begann, besteht die Chance, einen europäischen Paradigmenwechsel in den Handelsbeziehungen zu erreichen. Es ist die Chance, die Menschenwürde zu wahren, Menschenrechte und unsere Umwelt konsequent entlang von Wertschöpfungsketten zu schützen - durch eine starke EU-Gesetzgebung, die einen wichtigen Beitrag zu einer verantwortungsvollen Globalisierung leistet. Ein Rechtsrahmen, der Unternehmen zur Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards im Ausland verpflichtet, ist ein Instrument, um globale Ungleichheit zu verringern, Fluchtursachen zu verhindern und die ökologische Krise einzudämmen.

Daher fordert IXE als supranationales europäisches Netzwerk den Rat der Europäischen Union, das Europäische Parlament und die Europäische Kommission auf, eine ehrgeizige Richtlinie nach dem Vorbild der Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschenrechte zu erlassen. Unsere Forderung, die im Einklang mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) und mehreren Grundsätzen der katholischen Soziallehre, der Menschenwürde, der Option für die Armen und der Nachhaltigkeit steht, schließt sich der Forderung vieler EU-Bürger, Unternehmen, Investoren und internationaler Organisationen wie der OECD1, OHCHR2 und ILO3 an.

Aus unserer Sicht sind die folgenden Meilensteine für die Trilogverhandlungen entscheidend:

  1. Menschenrechtsverletzungen bekämpfen: Die Richtlinie muss Verstöße gegen die Menschenrechte sowie die grundlegenden Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und die freie, vorherige und informierte Zustimmung (FPIC) bekämpfen, die insbesondere für indigene Völker von großer Bedeutung ist. Schutzbedürftige Gruppen, insbesondere Frauen, Kinder und Wanderarbeitnehmer, benötigen den Schutz der Richtlinie.
     
  2. Umweltauswirkungen bekämpfen: In der Klima- und Biodiversitätskrise muss die Bewahrung der Schöpfung im Mittelpunkt aller unternehmerischen Aktivitäten stehen. Die europäischen Unternehmen haben erheblich zum Klimawandel beigetragen. Daher muss der Rechtsrahmen ein breiteres Spektrum von Umweltrisiken und -auswirkungen abdecken, um die zahlreichen negativen Umweltauswirkungen der unternehmerischen Tätigkeiten zu bewältigen. Unternehmen müssen verpflichtet werden, ehrgeizige und überprüfbare Klimaschutzpläne mit konkreten Reduktionszielen und Zeitplänen aufzustellen. Wir brauchen Anforderungen an Klimaziele und entsprechende Sanktionen, um Greenwashing zu vermeiden.
     
  3. Gesamte Wertschöpfungskette abdecken und Finanzsektor einbeziehen: Viele Verstöße gegen den Umweltschutz und die Menschenrechte finden am Anfang der Wertschöpfungskette statt. Wir befürworten einen risikobasierten Ansatz. Der Sorgfaltspflichtprozess eines Unternehmens muss für seine Geschäftspartner gelten und allgemeine Bereiche mit erheblichen Risiken in ihrer gesamten Geschäftstätigkeit abdecken. Um Schlupflöcher zu schließen, muss die Richtlinie die gesamte Wertschöpfungskette, einschließlich der vor- und nachgelagerten Risiken und Auswirkungen, von Unternehmen mit 250 Mitarbeitern sowie von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in Risikosektoren mit angemessenen Schwellenwerten abdecken.4 Aufgrund seiner Rolle bei der Finanzierung verheerender globaler Wirtschaftsaktivitäten ist es von größter Bedeutung, den Finanzsektor zu berücksichtigen. Gleichzeitig ist der Finanzsektor ein wichtiger Hebel für die Mobilisierung von Investitionen in die nachhaltige Entwicklung und für Desinvestitionen zur Förderung des Wandels. Wir widersprechen Versuchen, den Finanzsektor von der Richtlinie auszuschließen und unterstützen die Position des Parlaments und der Kommission in dieser Hinsicht.
     
  4. Umfassende und praktikable Berichtsanforderungen: Der Rechtsrahmen muss eine detaillierte Berichts- und Dokumentationspflicht enthalten, um mehr Transparenz und Rückverfolgbarkeit zu erreichen. Je größer das Unternehmen und je risikoreicher der Sektor, desto strenger und umfangreicher müssen die Anforderungen der Richtlinie sein.
     
  5. Rechtlichen Zugang für die Opfer sicherstellen: Die Bestimmungen zur zivilrechtlichen Haftung und zum Zugang zum Recht sind im Vorschlag der Europäischen Kommission nicht stark genug. Die Betroffenen müssen die Möglichkeit haben, vor Gerichten in den EU-Mitgliedstaaten zu klagen. Wir fordern beide Institutionen, sowohl den Rat als auch das Parlament, das das ehrgeizigste Verhandlungsmandat hat, mit Nachdruck dazu auf, die entsprechenden Paragraphen zu verbessern. Wenn Unternehmen einen Schaden verursachen oder dazu beitragen, sollte es nicht allein in der Verantwortung der Opfer liegen, Beweise zu erbringen. Die Gerichte sollten die Möglichkeit haben, ein angeklagtes Unternehmen anzuweisen, zusätzliche Beweise vorzulegen, wenn dies zum vollständigen Nachweis eines Anspruchs erforderlich ist. Die Richtlinie sollte sich mit den praktischen Hürden befassen, mit denen sich Opfer konfrontiert sehen, die Gerechtigkeit suchen, wie z. B. unzureichender Zugang zu wichtigen Informationen, Verjährungsfristen und Hindernisse beim Zugang zu Sammelklagen. Die umfassende Beteiligung der Betroffenen an der Umsetzung der Richtlinie und der Schutz schutzbedürftiger Gruppen sind entscheidend für die Wirksamkeit der Richtlinie.

Wir fordern die Entscheidungsträger in den drei Institutionen der EU auf, eine wirksame und durchsetzbare EU-Richtlinie zur Sorgfaltspflicht zu schaffen. Um es mit den Worten von Papst Franziskus zu sagen: “Die größte Sorge eines Politikers sollten nicht sinkende Umfragewerte sein, sondern vielmehr, dass er keine wirksame Lösung findet, um das Phänomen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ausschließung (…) zu überwinden.“5

  • Josian Caproens, BELGIUM, Interdiocesan Pastoral Council (IPB) / European Forum of National Laity Committees (ELF) 
  • Raphael de Araújo Bittner, GERMANY, Zentralkomitee der deutschen Katholiken 
  • Isabelle de Gaulmyn, FRANCE, Semaines Sociales de France  
  • Dr Stefan Eschbach, GERMANY, Zentralkomitee der deutschen Katholiken 
  • Dr Fr Roman Fihas, UKRAINE, Institute of Ecumenical Studies, Lviv 
  • Claudia Gawrich, GERMANY, Zentralkomitee der deutschen Katholiken 
  • Janko Korošec, SLOVENIA, Socialnaakademija 
  • Norbert Kreuzkamp, GERMANY, Acli Deutschland 
  • Fr Benoit Willemaers, BELGIUM, Jesuit European Social Centre 
  • Mary McHugh, UNITED KINGDOM, National Board of Catholic Women of Englandand Wales& RENATE (Religious in Europe Network Against Trafficking and Exploitation) 
  • Petr Mucha, CZECH REPUBLIC, Czech Christian Academy  
  • Théo Péporté, LUXEMBOURG, Journées sociales de Luxembourg ASBL 
  • NevenŠimac, CROATIA, Centre d'etudes et de documentation européennes R. Schuman 
  • Sabine Slawik, GERMANY, ANDANTE. European Alliance of Catholic Women Associations 
  • Marie Louise van Wijk-van de Ven, NETHERLANDS, Network of Catholic Women in the Netherlands 
  • Benoit Willemaers, sj, BELGIUM, Jesuit European Social Centre 
  • Henryk Woźniakowski, POLAND, Znak Christian Culture Foundation 

 

1 OECD = Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
2 OHCHR = Büro des Hohen Kommissars der Vereinten Nationen für Menschenrechte.
3 ILO = Internationale Arbeitsorganisation.
4 In der Richtlinie sollten Textilien, Landwirtschaft, Rohstoffe, Finanzwesen, Bauwesen, Verkehr und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften als Hochrisikosektoren ausgewiesen werden.
5 Enzyklika ´Fratelli tutti´, Paragraf 188.

Die Initiative Christen für Europa (IXE) ist ein Zusammenschluss von Laienorganisationen und engagierten Christen aus verschiedenen europäischen Ländern. Allgemeines Anliegen von IXE ist es, ein lebendigeres Bewusstsein für ein vereintes Europa in die nationalen Debatten einzubringen. Ziel der Initiative ist es, die Begegnung von Christen in Europa zu fördern und die Soziallehre der Kirche voranzubringen, um ein besseres gegenseitiges Kennenlernen und Verständnis der historischen und kulturellen Unterschiede zu erreichen. Mehr Informationen finden Sie unter christiansforeurope.com.

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