ZdK-Präsidentin kritisiert „Schieflage zwischen Wirtschafts- und Sozialpolitik“

Familienministerin Paus verteidigt „Kindergrundsicherung als Systemwechsel“

Die „große Bedeutung der Familienpolitik für ein gelingendes Miteinander in der Gesellschaft“ hat die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Dr. Irme Stetter-Karp, hervorgehoben. Beim Besuch von Bundesfamilienministerin Lisa Paus auf der Vollversammlung des ZdK würdigte Stetter-Karp, dass bei der Kindergrundsicherung „nun Leistungen gebündelt werden und auf einfacherem Wege als bisher beantragt werden können. Das ist ein Fortschritt vor allem für die mehr als 5 Millionen armutsbedrohten Familien in Deutschland.“ Dennoch bleibe die Kindergrundsicherung hinter den Erwartungen des ZdK zurück.

„Sie selbst sprechen davon, dass Familienpolitik in einem guten Gleichklang aus ‚Zeit, Geld und Infrastruktur‘ gestaltet werden muss. Die Debatten zur Familien- und Sozialpolitik zeigen aber, dass es gegenwärtig eine deutliche Schieflage gibt: Wirtschaftspolitik wird nicht als unterstützendes Moment der Sozialpolitik angesehen“, monierte Stetter-Karp.

Bundesfamilienministerin Lisa Paus begrüßte, dass das ZdK nach seiner jahrzehntelangen Arbeit in Bonn in Berlin angekommen sei. „Hier schlägt das parlamentarische Herz des politischen Diskurses. Hier gehören Sie hin.“ Der „familienpolitische Dreiklang aus Geld, Zeit und Infrastruktur“, von dem die Rede sei, müsse „immer wieder neu ausbuchstabiert werden. Denn die Zeiten ändern sich – und mit ihnen die Lebensrealitäten. Die Jahre der Pandemie und die Preissteigerungen sind eine enorme Herausforderung. Die multiplen, sich überlappenden Krisen belasten und verunsichern.“ Mit der Kindergrundsicherung schließe die Bundesregierung eine große Gerechtigkeitslücke. „Es geht darum, armutsgefährdete Kinder besser abzusichern. Die Kindergrundsicherung ist ein Systemwechsel!“

Irme Stetter-Karp zog das Gelingen dieses von der Ministerin wie auch vom ZdK gewünschten Systemwechsels in Frage. In einem Beschluss der Vollversammlung forderte diese anschließend, an der angedachten Rücknahme der Einsparungen im Kinder- und Jugendplan des Bundes festzuhalten. Wo „jedes fünfte Kind von Armut bedroht“ sei, seien „die Haushaltsmittel für die neue Grundsicherung dringend anzuheben“. Ein zweiter Beschluss der Vollversammlung rief die Bundesregierung dazu auf, in der Krise eine klare Priorisierung vorzunehmen: „Die anstehenden Haushaltsprobleme dürfen nicht zu Lasten derer gehen, die in unserer Gesellschaft ohnehin schlechter gestellt sind. Der Sozialstaat darf nicht zur Disposition stehen. Die Teilhabe aller in unserer Gesellschaft muss zentrales Ziel sein.“

Sorge äußerte die ZdK-Präsidentin zur Debatte um eine mögliche Abschaffung des Paragrafen 218 im Strafgesetzbuch, den man „leichtfertig in Frage stellt. Wir sehen in der doppelten Anwaltschaft für die Mutter und das ungeborene Kind einen auch im europäischen Vergleich sehr wirksamen und erfolgreichen Ansatz, um der Selbstbestimmung von Frauen und dem Schutz des Lebens bestmöglich gerecht zu werden. Wir halten insbesondere die Beratung vor einer Entscheidung für sehr wichtig und sind überzeugt, dass die gesetzlich verankerte Beratungspflicht bleiben muss. Deshalb setzen wir uns als ZdK für die aktuelle Regelung ein.“

Lucia Lagoda, Sprecherin des ZdK-Sachbereichs „Familie, Generationen, Geschlechtergerechtigkeit“, sagte in der anschließenden Debatte mit der Ministerin, die Kindergrundsicherung in der jetzigen Form sei nicht dazu angetan, „den dringend benötigten Paradigmenwechsel in der Familienpolitik“ zu leisten. „Erwerbsanreize für Alleinerziehende setzen ohnehin schon stark belastete Familien unnötig weiter unter Druck.“ Zudem wünsche sich das ZdK, dass Kinder mit Asylbewerberleistungsberechtigung auch Kindergrundsicherung erhalten könnten. „Eine Neuberechnung des soziokulturellen Existenzminimums für Kinder und junge Menschen, die sich an den tatsächlichen Bedarfen orientiert und nicht nur an einem absoluten Minimum sozialer Teilhabe“, sei zwingend. Ministerin Paus antwortete, die Kindergrundsicherung könne Kinderarmut nicht sofort abschaffen, sei aber bereits jetzt eine große Verbesserung: „Sie ist einfach zu beantragen, entlastet die Eltern von Bürokratie. Das ist wichtig. Wir machen in Zukunft viel digital, viel einfach, und wir kommen hin zu den Menschen. Dafür brauchen wir viele Berater*innen. Auch dieser Ausbau von Beratungskapazitäten ist im Plan.“

Der Sozialethiker Prof. Bernhard Emunds, Mitglied des ZdK, forderte in der Debatte mit der Ministerin, die Bedingungen für die Familienpflege zu verbessern: „Bei hohem Sorgebedarf müssen Männer und Frauen ihre zeitliche Beanspruchung durch den Beruf reduzieren können, ohne in finanzielle Probleme zu geraten. Deshalb bedarf es dringend der Einführung eines existenzsichernden Familienpflegegeldes, wie es die Ampel in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hat.“ Die Ministerin sagte, man werde die bereits angelaufene Pflegereform nicht nochmal neu anfassen. Sie fügte aber hinzu: „Auch wir wollen mehr zeitliche Flexibilität für Pflegende erreichen. Wir wollen Nahestehende einbeziehen, denn das entspricht den gelebten sozialen Beziehungen. Wir wollen Brücken zur Erwerbstätigkeit neben der Pflege bauen, denn Pflege soll nicht zum dauerhaften Ausstieg aus dem Beruf führen.“

Lena Bloemacher, Bundesvorsitzende des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) und ebenfalls Mitglied im ZdK, erwartet eine Rücknahme der Kürzungen bei der Jugendarbeit und Demokratieförderung. „Gerade in diesen herausfordernden Zeiten braucht es politische Bildung. In der außerschulischen Jugendarbeit – wie bei uns in den katholischen Jugendverbänden – gibt es Räume, in denen junge Menschen ihre Interessen selbstorganisiert und -verwaltet vertreten. Diese müssen gerade jetzt gestärkt werden. Konkret bedeutet das, dass sie im politischen Fokus liegen und finanziell bedarfsgerecht und zukunftsfest ausgestattet sein müssen. Wir bieten uns als Partner*innen an, um gemeinsam eine jugend- und generationengerechte Politik zu gestalten.“ Die Ministerin bedauerte, dass sie angesichts der Haushaltsvorgaben „die Kürzungen im Jugendbereich“ habe vornehmen müssen. „Es ist Ihnen, den Jugendverbänden, zu verdanken, dass diese Kürzungen jetzt zurückgenommen werden.“

Caritas-Präsidentin und ZdK-Mitglied Eva Welskop-Deffaa forderte eine zukunftsweisende Engagement-Strategie des Bundes: „In den Mitglieds-Organisationen des ZdK engagieren sich viele Hundertausende Menschen ehrenamtlich für eine bessere Welt. Wir brauchen eine Engagement-Strategie des Bundes, die dieses Engagement absichert, gerade auch, indem sie für die Coproduktion von freiwillig und beruflich Engagierten in den Wohlfahrtsverbänden eine Lanze bricht.“ Die Ministerin versicherte, dass ihre „Guideline“ sei, „dass die vorhandenen Strukturen nicht angetastet werden.“ Wie die Engagement-Strategie konkret ausgestaltet werde, sei noch offen. „Bis zum 5. Dezember können noch Vorschläge eingereicht werden.“

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