Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde gegen § 21 Abs. 1 Nr. 3, § 22 Abs. 3 PStG

von Dr. Stefan Vesper, Generalsekretär des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort

Die vorliegende Verfassungsbeschwerde sieht in den genannten Regelungen des Personenstandsgesetzes (PStG) das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland verletzt und zielt darauf, dass im Personenstandsrecht neben den Geschlechtsangaben "männlich" und "weiblich" auch eine dritte Geschlechtsangabe "inter/divers" eingeräumt wird.

 

Dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) wurde Gelegenheit zur Stellungnahme als sachkundiger Dritter gegeben, wofür wir sehr dankbar sind. Als Generalsekretär des ZdK reiche ich diese Stellungnahme im Namen des ZdK und im Einvernehmen mit seinem Präsidenten ein.

 

  1. Vorbemerkung: Das ZdK ist der repräsentative, von den deutschen Bischöfen anerkannte Zusammenschluss der in Gesellschaft, Politik und Kirche engagierten Katholikinnen und Katholiken. Es setzt sich zusammen aus Vertreterinnen und Vertretern der Diözesanräte, der katholischen Verbände und Organisationen sowie weiteren Persönlichkeiten aus Kirche und Gesellschaft.

Wenn ich hier für das ZdK Stellung nehme, so nicht mit einer verfassungsrechtlichen Bewertung und auch nicht allein auf der Grundlage der katholischen Glaubenslehre. Es geht vielmehr um eine annähernde Einschätzung, wie die gesellschaftliche Gruppe der Katholikinnen und Katholiken in Deutschland, als deren Vertretung das ZdK sich versteht, das Anliegen bewertet, im Personenstandsrecht und mittelbar in vielen daran geknüpften alltags- und lebensweltrelevanten Fragen eine dritte Möglichkeit der Geschlechtszugehörigkeit einzuführen.

  1. Eine einschlägige Positionierung seitens des ZdK gibt es bislang nicht. Auch seitens der deutschen Bischöfe und auf der Grundlage der biblischen Offenbarung oder des päpstlichen Lehramtes sind keine Festlegungen bekannt, die in dieser Frage einen eindeutigen Rückschluss erlauben. Um dennoch die durch die Verfassungsbeschwerde aufgeworfene Frage beantworten zu können, hat das Generalsekretariat des ZdK Sondierungen bei denjenigen im ZdK vertretenen katholischen Personalverbänden vorgenommen, die am ehesten mit den ethischen, rechtlichen und geschlechterpolitischen Implikationen von Intersexualität konfrontiert sind und in denen zum Teil bereits eine Meinungsbildung erfolgt ist. Befragt wurden die Verbände Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands (kfd), Katholischer Deutscher Frauenbund (KDFB), Gemeinschaft katholischer Männer Deutschlands (GKMD), SKM - Katholischer Verein für soziale Dienste (vormals: Sozialdienst katholischer Männer), Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) mit dem Mitgliedsverband Katholische junge Gemeinde (KjG). Das aus den Rückmeldungen erschlossene Meinungsbild ist in die Stellungnahme eingegangen. Ein wichtiger Bezugspunkt ist auch die Stellungnahme "Intersexualität" des Deutschen Ethikrats von 2012, an der zwei im Einvernehmen mit der Deutschen Bischofskonferenz in den Deutschen Ethikrat berufene Personen mitgewirkt haben.
  1. Als gemeinsamer Nenner der Einschätzungen aus den befragten katholischen Verbänden ist zunächst festzuhalten, dass Intersexualität und die Frage nach einem dritten Geschlecht in den katholischen Gemeinschaften nur sehr wenig diskutiert wurden und auf der Agenda der Verbände allenfalls nachrangig zu anderen geschlechterpolitischen Fragen vorgekommen ist.[1] Zugleich wurde eine Offenheit und ein Interesse signalisiert, unvoreingenommen auf diese Thematik zuzugehen und sie in Zukunft verstärkt in den Blick zu nehmen, z.B. im Rahmen von Fachtagungen, insbesondere als nicht zu vernachlässigender Aspekt der innerhalb der katholischen Kirche und der katholischen Verbände sehr kontrovers geführten Debatten über Gender als analytische Kategorie und Gender Mainstreaming in Kirche und Gesellschaft.
  1. Es ist unstrittig, dass Intersexualität ein biologisches Phänomen ist. Es bezieht sich auf Menschen, die sich aufgrund körperlicher Besonderheiten nicht eindeutig als männlich oder weiblich einordnen lassen. Ein Teil der Betroffenen wünscht sich und setzt sich dafür ein, das ihre weder weibliche noch männliche Geschlechtsidentität eine Entsprechung im Personenstandsrecht findet, in Form einer dritten Möglichkeit der positiven Zuordnung. In der Vergangenheit wurden insbesondere an vielen Kindern, bei denen nach der Geburt eine eindeutige Zuordnung zum männlichen oder weiblichen Geschlecht nicht möglich war, vorschnell geschlechtsanpassende Operationen vorgenommen, ohne die Identitätsentwicklung der Betroffenen ausreichend zu berücksichtigen. Dies geschah auch vor dem Hintergrund einer normativen Ordnung der Zweigeschlechtlichkeit, die keinen Raum für Personen ließ, die sich weder als männlich noch als weiblich identifizieren können.[2] In einer solchen Ordnung mit eng gefassten Grenzen liegt es möglicherweise nahe, Intersexualität als körperlichen Defekt zu verstehen. Eine solche Einschätzung teilt das ZdK indes ausdrücklich nicht. In einschlägigen Publikationen zur Genderdebatte, die in den vergangenen Jahren im katholischen Raum erschienen sind, wird Intersexualität demnach auch als Faktum verstanden und anerkannt[3] und nicht als medizinisch behandlungs- und anpassungsbedürftige Normabweichung. 
  2. In der biblisch fundierten christlichen Anthropologie ist der Aspekt der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen von sehr hoher Bedeutung ("Als Mann und Frau schuf er sie." Gen 1,27). Schöpfungstheologisch geht es allerdingsum mehr: die Gottebenbildlichkeit des Menschen ("Gott schuf also den Menschen als sein Abbild", Gen 1,26) und die Norm der von Gott geschaffenen Wirklichkeit ("Er schaute alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut." Gen 1,31), auch wenn sie von den menschlichen Normalitätsvorstellungen abweicht. Auf unsere gesellschaftliche Situation bezogen bedeutet dies aus Sicht des ZdK: Auch in einer an der Zweigeschlechtlichkeit des Menschen orientierten Geschlechterordnung verbietet die unbedingte Personenwürde jedes einzelnen Menschen die Diskriminierung aufgrund körperlicher Merkmale. Intersexuelle Personen haben dieselbe unverfügbare Würde und die gleichen Rechte und Pflichten wie alle anderen Menschen.
  1. Durch die operativen Eingriffe um der eindeutigen geschlechtlichen Zuordnung willen ist manchen geholfen, vielen Betroffenen aber auch großes Leid angetan worden. Auch wenn man vormals davon ausging, mit der frühen operativen Anpassung dem Kindeswohl zu dienen, ist dieser Umgang mit schicksalhaften Abweichungen von der Norm der Zweigeschlechtlichkeit aus heutiger Sicht als schwer menschenrechtsverletzend zu verurteilen. Verletzt wurden das Recht auf körperliche Unversehrtheit, die Wahrung der geschlechtlichen und sexuellen Identität, das Recht auf eine offene Zukunft und vielfach auch das Recht auf Fortpflanzungsfreiheit. Der Empfehlung des Deutschen Ethikrates, eine auch finanzielle Entschädigung für die Menschen vorzusehen, deren Rechte schwer verletzt wurden[4], schließt das ZdK sich an.
  1. Die einmütige Stellungnahme des aus Angehörigen unterschiedlicher wissenschaftlicher Professionen und heterogener gesellschaftlicher Gruppen zusammengesetzten Deutschen Ethikrates basiert auf dem gemeinsamen Nenner, dass kein Mensch genötigt werden dürfe, sich im Standesamt einem Geschlecht zuzuordnen (bzw. im Fall von Neugeborenen zuordnen zu lassen), das nicht der eigenen geschlechtlichen Identität entspreche. Dazu waren dem Gesetzgeber unterschiedliche Umsetzungsempfehlungen und -optionen vorgelegt worden.[5] Für eine davon, die Möglichkeit, den Personenstand ohne Angabe eines Geschlechts zu registrieren, hat sich im Jahr 2013 der Gesetzgeber im Rahmen seines Ermessensspielraums bei der Reform des PStG durch die Ergänzung von § 22 Abs. 3 entschieden. Die vom Deutschen Ethikrat favorisierte weitergehende Option, als dritte Geschlechtsoption "anderes" eintragen zu können[6], wurde vom Gesetzgeber nicht aufgegriffen. In der Verfassungsbeschwerde ist im Kern zu klären, inwiefern der Gesetzgeber hier einen Ermessensspielraum nutzen konnte oder ob das Grundgesetz zwingend die Ermöglichung einer dritten positiven Geschlechtsangabe vorschreibt.
  1. Der Wandel des Rechts folgt dem Wandel gesellschaftlicher Wertvorstellungen. Mit dieser Prämisse kann für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden, dass sich die gesellschaftlichen Wertvorstellungen dahingehend ändern, dass sich wie in einigen anderen Staaten auch in Deutschland eine politische Mehrheit für die personenstandsrechtliche Option eines dritten Geschlechts ergibt. Aktuell lässt sich aber jedenfalls für die gesellschaftliche Gruppe der in Deutschland in katholischen Verbänden und Gemeinschaften organisierten Christinnen und Christen sagen, dass sie nicht erkennbar für die Schaffung dieser Option votieren. Es gibt zwar gerade durch die bessere gesellschaftliche Sichtbarkeit der kleinen Gruppe intersexueller Menschen eine zunehmende Sensibilität in der Gruppe der Katholikinnen und Katholiken für die Grenzen der Norm der Zweigeschlechtlichkeit. Die Nichtdiskriminierung intersexueller Menschen wird aber aus Sicht des ZdK auch mit dem geltenden Personenstandsrecht gewährleistet. Weitergehende personenstandsrechtliche Änderungen halten wir nicht für geboten.
  1. Ein zentrales Argument gegen die von den Vertreterinnen der Verfassungsbeschwerde vorgetragene Forderung liefern diese selbst. Sie schreiben: "Mit dieser Kategorie würde der Gesetzgeber nicht notwendig ein 'drittes Geschlecht‘ schaffen, wie der Bundesgerichtshof suggeriert, sondern eine Sammelbezeichnung für alle Personen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen, aber nicht dauerhaft als 'geschlechtslos' registriert sein möchten." (S. 35f.) Hier stellt sich aus Sicht des ZdK die Frage, ob mit einer Sammelbezeichnung – im Unterschied zu einer Bezeichnung der Geschlechtsidentität – wirklich ein qualitativer Unterschied zum Verzicht auf eine Geschlechtsangabe erreicht würde.

 

Der Verzicht auf eine Geschlechtsangabe betrifft zunächst vor allem die personenstandsrechtliche Erfassung von Neugeborenen. Wenn und solange keine geschlechtliche Zuordnung erfolgen kann, darf niemand zu einer der tatsächlichen körperlichen Konstellation nicht angemessenen Geschlechtsangabe genötigt werden. Es gibt aber keine Frist, bis wann eine entsprechende Zuordnung erfolgen müsste. Wenn sich keine männliche oder weibliche, sondern möglicherweise eine andere Geschlechtsidentität herausbildet und von geschlechtsanpassenden Maßnahmen abgesehen wird, kann es auf unbestimmte Zeit, auch lebenslang, bei der Nichteintragung des Geschlechts bleiben.

 

Diese Option wollen die Vertreterinnen der Verfassungsbeschwerde nicht beschneiden. Es ist auch davon auszugehen, dass es Betroffene gibt, deren Geschlechtsidentität der rechtlich mögliche Verzicht auf die Geschlechtsangabe besser gerecht wird als eine weitere Möglichkeit der Zuordnung. Die Beschwerdeführerinnen und die von ihnen vertretene Person setzen sich für eine zusätzliche Option neben der Nichteintragung, also faktisch für eine vierte Option ein.

 

 

Wenn diese vierte Option aber – ebenso wie der Verzicht auf eine Angabe –

eine Sammelbezeichnung ist, die weitere spezifische, hochgradig individuelle Geschlechtsidentitäten umfasst, bleibt die Frage, was damit für die adäquate Abbildung der jeweiligen Geschlechtsidentität gewonnen wäre. Die Konsequenz wäre vielmehr die Auflösung einer binär orientierten Geschlechterordnung, für deren Aufrechterhaltung das ZdK sich im Lichte der von Katholikinnen und Katholiken mehrheitlich vertretenen Wertvorstellungen ausspricht.[7]

 

In Anbetracht dieser Erwägungen komme ich für das ZdK zu dem Schluss, dass das Erfordernis der Nichtdiskriminierung nicht erst durch eine zusätzliche Option der Geschlechtsangabe, die eine Sammelbezeichnung bliebe, eingelöst würde, sondern durch die bereits vollzogene Änderung des PStG schon angemessen berücksichtigt wurde.

  1. An mehreren Stellen wird im Text der Verfassungsbeschwerde auch auf die Implikationen für die Rechtsinstitute Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen. Auch der Deutsche Ethikrat hatte sich dazu in seiner Stellungnahme geäußert. Denn auf diesem Gebiet sind Menschen ohne Geschlechtsangabe tatsächlich von einer Ungleichbehandlung betroffen. Eine Ehe kann in Deutschland nach geltendem Recht nur von einem Mann und einer Frau geschlossen werden. Das noch junge, eheähnliche Rechtsinstitut der eingetragenen Lebenspartnerschaft steht nur für gleichgeschlechtliche Partner mit weiblicher oder männlicher Einordnung zur Verfügung. Nach unserer Überzeugung müsste es auch für intersexuelle Menschen, deren Personenstand ohne Geschlechtsangabe registriert ist, die Möglichkeit geben, eine rechtlich verbindliche und abgesicherte, auf lebenslange Dauer angelegte Lebenspartnerschaft einzugehen. Wir sprechen uns daher analog zur Empfehlung des Deutschen Ethikrates[8] für die Öffnung des Rechtsinstituts der eingetragenen Lebenspartnerschaft für Menschen ohne Geschlechtseintrag aus.

 

Bonn, 11. Januar 2017

Dr. Stefan Vesper
Generalsekretär


[1] Eine Ausnahme stellt hier der katholische Kinder- und Jugendverband Katholische junge Gemeinde (KjG) dar. Seine Leitungsgremien haben 2014 eine Stellungnahme mit Berührungspunkten zur Situation intersexueller Menschen beschlossen: "Geschlechtervielfalt in Rede, Schrift und Bild" (http://kjg.de/fileadmin/user_upload/kjgfolder/2014-04-05_Beschluss_Geschlechtervielfalt_in_Rede_Schrift_und_Bild.pdf, dieser und alle weiteren erwähnten Links abgerufen am 20.12.2016) mit dem Postulat einer geschlechtersensiblen Sprache, die "alle Menschen - auch und vor allem jenseits der Zweigeschlechtlichkeit - einschließt und adressiert".
[2] Vgl. Marianne Heimbach-Steins (2015), Die Gender-Debatte – Herausforderungen für Theologie und Kirche, Band 422 der Reihe "Kirche und Gesellschaft", hrsg. von der Katholischen Sozialwissenschaftlichen Zentralstelle, Mönchengladbach, S. 8
[3] Vgl. neben Heimbach-Steins die Broschüren, die von den Arbeitsstellen für Frauen- und Männerseelsorge der Deutschen Bischofskonferenz und vom Katholischen Deutschen Frauenbund herausgegeben wurden: In der Broschüre der bischöflichen Arbeitsstellen "Gender – katholisch gelesen" (http://www.dbk.de/fileadmin/redaktion/diverse_downloads/presse_2015/2015-187a-Flyer-Gender.pdf) wird festgehalten: "Es gibt auch Menschen, die sich trotz eindeutigem Chromosomensatz nicht einem der beiden Geschlechter zuordnen lassen – sie haben körperliche Merkmale beider Geschlechter. Dies kann genetische, anatomische oder hormonelle Gründe haben. Hier spricht man von Intersexualität." In der Arbeitshilfe "Gender, Gender Mainstreaming und Frauenverbandsarbeit" (https://www.frauenbund.de/fileadmin/user_upload/Downloads/pdf/KDFB_Gender_2015.pdf) heißt es in einer Erläuterung zur Intersexualität: “'Was ist es, Junge oder Mädchen?' Bei einigen Neugeborenen muss diese Frage offen bleiben, weil das Körpergeschlecht intersexueller Menschen aufgrund genetischer, anatomischer oder hormoneller Ursachen nicht eindeutig bestimmbar ist. Nach einem halben Jahrhundert geschlechtsangleichender, oft traumatisierender Operationen ist es seit November 2013 für die Eltern von intersexuellen Kindern wieder möglich, den Eintrag in das Geburtenregister ohne die Angabe weiblich oder männlich vorzunehmen (§ 22 Abs. 3 Personenstandsgesetz).”
[4] Vgl. Deutscher Ethikrat, Intersexualität, Stellungnahme, Berlin 2012 (http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/stellungnahme-intersexualitaet.pdf), S. 164ff., 176
[5] Vgl. ebd. S. 138ff.
[6] Vgl. ebd. S. 177
[7] Vor diesem Hintergrund wäre aus Sicht des ZdK eine andere, hier aber nicht verhandelte dritte Option einer positiven geschlechtlichen Zuordnung eher denkbar: die Zuordnung zu beiden Geschlechtern, männlich und weiblich, als Alternative zu der bestehenden Option, sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuzuordnen. Zur Doppeltgeschlechtlichkeit von Menschen gibt es biologische Entsprechungen bei Pflanzen und Tieren (Hermaphroditismus, Zwittertum).
[8] Vgl. ebd. S. 177

Dr. Stefan Vesper

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