Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 05/2017

im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren,

liebe Schwestern und Brüder,

Farbe bekennen für die Demokratie – unter diese Überschrift haben wir nicht nur unsere Versammlung am heutigen Vormittag gestellt. Das ist auch ein Leitwort für das Jahr 2017, in dem es um ganz zentrale, weitreichende politische Weichenstellungen geht. Wohin entwickelt sich unser Land, wohin Europa und die Welt? Nach welchen Regeln wollen und werden wir in Zukunft zusammenleben? Gilt das Recht des Stärkeren? Wer immer "ich zuerst" sagt, wird bald sehr einsam sein. Haben und bekommen immer die lautesten und schrillsten Stimmen Recht? Oder gelingt es uns, der demokratischen Kultur, die auf Menschenwürde und Gemeinwohlorientierung fußt, einen neuen Schub zu geben?

Als katholische Christen wollen wir unsere Demokratie stabilisieren und stärken und ein kraftvolles, politisch vielfarbiges Zeichen setzen. Das Bekenntnis zur Demokratie verbindet unsere politischen Farben und Vorlieben. Dieses Bekenntnis ist dringender denn je, wie zunächst der Blick in die Welt zeigt.

Verfassungsreferendum in der Türkei

Die Türkei ist nach dem Verfassungsreferendum auf dem Weg zu einer politischen Ordnung mit stark autokratischen Zügen. In Deutschland hat insbesondere das Abstimmungsverhalten der hier lebenden Türken die Diskussion über das Referendum geprägt. Denn bei den abgegebenen Stimmen lag der Anteil der Befürworter der Verfassungsänderung höher als in der Türkei. Schnell hat sich eine Debatte über Integrationsdefizite entzündet.

Nicht im Blick ist bei diesen Betrachtungsweisen die Mehrheit der in Deutschland lebenden abstimmungsberechtigten Türken: Über 50 Prozent von ihnen haben sich an dem Referendum nicht beteiligt. Ruprecht Polenz hat vorgerechnet, dass von den insgesamt 3,5 Millionen türkischstämmigen Menschen in Deutschland 400.000 für die Verfassungsänderung gestimmt haben. Eine Irritation bleibt dennoch, aber lassen wir nicht zu, dass ein verzerrtes Bild über türkischstämmige Menschen in Deutschland die Debatten prägt!

Viel größere Sorgen muss uns sicherlich die Entwicklung in der Türkei selbst machen. Nicht nur, weil hier eine demokratische Ordnung geschwächt wird – eine Entwicklung, die uns auch in Ungarn und in Polen zu schaffen macht – sondern auch, weil Staatspräsident Erdogan in demagogischer Weise die Errichtung eines autoritären Regimes mit einem islamisch beeinflussten Nationalismus verknüpft. Europäischen Widerstand gegen ihn hält er für einen antiislamischen Kampf. So wird Religion machtpolitisch instrumentalisiert. Wir erleben das ganz ähnlich in Deutschland, wenn von Einigen ein christliches Abendland mit unchristlichen Thesen beschworen wird. Solchen Vereinfachern halte ich entgegen: Das lassen Euch die engagierten katholischen Frauen und Männer nicht durchgehen!

Christlich-islamischer Dialog

Es ist ein Kurzschluss, wenn wir die Instrumentalisierung des Islams für politische Zwecke mit dem Islam in seinen mannigfachen Ausprägungen gleichsetzen. Die Stimmung dem Islam gegenüber in diesem Land machen mir größte Sorge. Wir müssen zusammen mit frommen Muslimen entschieden gegen die Pervertierung der Religion im Islamismus und gegen den Missbrauch des Gottesnamens vorgehen.

In eine sehr schwierige Lage ist durch die Entwicklung in der Türkei die DITIB gekommen. DITIB, die mit Abstand größte Vereinigung von Moscheegemeinden in Deutschland, war über viele Jahre für die Politik und den christlich-muslimischen Dialog ein verlässlicher Ansprechpartner. Nun wird aber offenkundig, dass eine von Weisungen der staatlichen Religions-behörde in der Türkei abhängige Organisation nur schwerlich als Religions-gemeinschaft anerkannt werden kann und jedenfalls nicht ohne Weiteres in das deutsche Religionsverfassungsrecht passt. Aber – und darin sind wir uns mit DITIB einig – der Gesprächsfaden zwischen uns darf nicht reißen. Die Gemeinden müssen finanziell, inhaltlich und organisatorisch selbstständig werden.

Der christlich-muslimische Dialog bleibt unerlässlich, er muss fortgesetzt und intensiviert werden. Das können besonders gut solche Menschen, die wissen, was Frömmigkeit ist und die selbst fest wurzeln, also besonders wir Christen. Papst Franziskus hat auf seiner Reise nach Ägypten vor wenigen Tagen betont, religiöse Verantwortungsträger müssten vermeintlich religiöse Gewalt entlarven und als "götzendienerische Verfälschung Gottes" verurteilen. Die Religionen seien heute wahrscheinlich mehr denn je gerufen, aktiv den Frieden zu fördern. Ich erinnere an unsere Vollversammlung im letzten Jahr und unseren Text "Keine Gewalt im Namen Gottes!". Der Text ist noch viel zu wenig bekannt. Verbreiten wir diesen Text und arbeiten wir in unseren Gremien und Verbänden damit!

Für die Integrationspolitik in Deutschland wird die Integration der Muslime von entscheidender Bedeutung sein. Dazu müssen wir den langen Weg zur Etablierung des islamischen Religionsunterrichts an staatlichen Schulen und der Lehrstühle für islamische Theologie zur Ausbildung deutschsprachiger Religionslehrkräfte und Imame weitergehen. Wichtig ist genau das Gegenteil dessen, was die AfD vor vierzehn Tagen in ihr Programm  geschrieben hat: nicht die Abschaffung des staatlich organisierten islamischen Religionsunterrichts und der Universitätsinstitute für islamische Theologie in Deutschland, sondern deren Förderung. Denn Bildung ist das beste Mittel der Gewaltprävention. 

Ein leider aktuelles Thema im Zusammenleben der Religionen ist ein zunehmender Antisemitismus, der vor allem im rechtsextremen Gedankengut, aber auch bei manchen muslimischen Zuwanderern Nährböden findet. Ein soeben vorgelegter Antisemitismus-Bericht einer vom Bundestag eingesetzten Expertenkommission weist darauf hin, dass sich immer mehr Juden hierzulande Sorgen um ihre Sicherheit machen. Ich möchte den Vorschlag des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden, Josef Schuster, unterstützen, in den Integrationskursen antisemitische Einstellungen zu thematisieren und den Besuch einer KZ-Gedenkstätte oder eines jüdischen Museums einzubeziehen. Ich halte das für einen guten Vorschlag: Wer Deutscher werden will und dauerhaft hier leben will, muss sich auch auf die ganze Breite unserer Geschichte einlassen.

Präsidentschaftswahl in Frankreich

Ich komme zu einem anderen Bewährungsort der Demokratie: Unser größtes Nachbarland Frankreich steht vor einer epochalen Entscheidung: Im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen in zwei Tagen geht es bei der Wahl zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen um sehr viel, um fast alles für Europa. Es geht, verkürzt gesagt, um die Entscheidung zwischen einem verhängnisvollen Nationalismus und dem Weiterbau des gemeinsamen Hauses Europa? Es geht um Weltoffenheit, Reformpolitik und Seriosität oder populistische Versprechungen, Abgrenzung und Ressentiment.

Eine andere epochale Entscheidung hat schon der erste Wahlgang gebracht: Die über Jahrzehnte dominanten politischen Blöcke, das bürgerlich-konservative Lager und das sozialdemokratisch-sozialistische Lager, wurden faktisch abgewählt. Machen wir uns nichts vor: Auch die Wahl von Macron zum Staatspräsidenten würde einen tiefen Einschnitt in der politischen Kultur markieren. Heute hoffen wir für unsere französischen Freunde, aber auch für ganz Europa und uns selbst, dass der Kandidat gewinnt, der den gesellschaftlichen, nationalen wie europäischen Zusammenhalt sichern und vertiefen kann.

Verantwortung für Europa

Am heutigen 5. Mai, dem Europatag, möchte ich hinweisen auf die noch junge Initiative "Pulse of Europe". Bürgerinnen und Bürger, auch viele von uns, gehen aufgrund der Initiative eines Frankfurter Ehepaars Woche für Woche auf die Straße – diesmal nicht gegen etwas, sondern dafür, dass Europa mehr ist als ein Markt. Die Initiative steht für den Willen, zusammen zu leben. "Pulse of Europe" ist ein gutes Zeichen, um das Bewusstsein für die Anfänge in den Römischen Verträgen vor 60 Jahren zu beleben!

Eine handlungsfähige Europäische Union ist dringend nötig – nicht nur nach innen, sondern auch nach außen. Die globalen Herausforderungen können wir in Europa nur gemeinsam meistern. Eine der wichtigsten Herausforderungen ist die Zusammenarbeit mit den Staaten Afrikas. In einigen von ihnen, zum Beispiel in Somalia und im Südsudan, herrscht derzeit eine schlimme Hungersnot. Andere sind politisch instabil, es herrscht Krieg und Gewalt oder es ist sogar die Staatlichkeit in Frage gestellt, aber es gibt ebenso positive Entwicklungen auf diesem großen Kontinent. Für viele Menschen in den Notgebieten ist die einzige Perspektive die Flucht nach Europa.

Wenn es uns nicht gelingt, effektiv die Fluchtursachen in den Herkunftsländern zu bekämpfen und den Menschen in ihren Ländern eine Perspektive zu schaffen, können auch die höchsten Zäune nicht verhindern, dass die Menschen aus Afrika nach Europa kommen. In der Partnerschaft mit den Staaten Afrikas und der Unterstützung der dort lebenden Menschen liegt eine vordringliche Aufgabe für die Europäische Union. Es ist fatal, wenn die europäischen Staaten ihre Aufgaben nur innerhalb ihrer Grenzen sehen. Die Internationale Soziale Frage thematisieren wir in unseren Eine-Welt-Gruppen seit Jahrzehnten. Sie rückt jetzt ins Zentrum der politischen Aufgaben. Wir haben im ZdK – nicht zuletzt mit Minister Müller und Vizepräsidentin Kortmann – Verantwortliche, Kompetenz und viele Aktive zu diesem Komplex, um das Thema weiter zu bearbeiten Das Schicksal der von Hungersnot betroffenen Menschen geht uns nicht nur nah, es ist uns nah!

Deutschland vor der Bundestagswahl

Schwestern und Brüder, gerade die vorhin skizzierte Entwicklung in Frankreich unterstreicht, wie wichtig "funktionierende" Volksparteien für unsere politische Kultur sind. In dieser Hinsicht kann ich dem so genannten "Schulz-Effekt" seit der Nominierung des Vorsitzenden der SPD einiges abgewinnen. Die Konfliktlinien der Wahlkämpfe sind wieder klarer im demokratischen Spektrum und weg von einem Gegensatz "Establishment versus Protestbewegungen", von dem die AfD profitiert hat.   

Im Hauptausschuss haben wir in diesem Jahr bewusst einen inhaltlichen Schwerpunkt auf die Stärkung der demokratischen Kultur gelegt. Zu unserer Demokratie-Initiative gehört nicht nur der "Berliner Aufruf", den wir anschließend beraten werden. Dazu gehört auch die Aktion "Demokratie stimmt!", deren Startschuss heute erfolgen wird. Bereits im März haben wir gemeinsam mit der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland im Französischen Dom hier in Berlin zu einer außerordentlich gut besuchten Veranstaltung eingeladen. Wir haben mit Ihrer großen Unterstützung eine Sammlung und Vernetzungsplattform der Aktivitäten in Verbänden und Diözesen zum Wahljahr 2017 auf den Weg gebracht. (http://www.zdk.de/wahl-2017) Sie finden auch die neueste Ausgabe der Salzkörner vor, die sich gezielt einer Reihe von Themen widmet, um die es bei der Bundestagswahl im September gehen wird.

Ich danke allen, die zu diesen vielfältigen Initiativen beitragen. Sie machen deutlich: Katholische Christen sind ein Stützpfeiler der Demokratie, und katholische Frauen und Männer wollen gute Demokraten sein! Das sind die Wärmeströme der Demokratie – gegen soziale und politische Kälte. Gegen diejenigen, die – wie es in unserem Berliner Aufruf heißt – ihre Ressentiments nur als Sorge tarnen.

Dazu gehört auch, konfliktfähig zu sein und es nicht jedem Recht machen zu wollen. Ja, es ist richtig: die Kirchen – wir als ZdK, viele Bischöfe und viele, viele andere Gläubige – werden deutlich im Umgang mit Feinden des demokratischen Umgangs und des gesellschaftlichen Miteinanders. Ich halte das für richtig. Wir alle stehen öffentlich ein für das, was uns aus unserem Glauben heraus wichtig ist, und halten auch die Kritik an dieser Haltung aus.

Umgekehrt scheint es nicht immer so zu sein. Wenn ich lese, welche Kritik an Kirchen und Christen vom Parteitag der AfD ausging – die Kirchen hätten "durch ihre einseitigen, demokratiefeindlichen Stellungnahmen und Handlungen gegen die legitimen Positionen der AfD" jegliches Anrecht auf Unterstützung durch ein demokratisch organisiertes Gemeinwesen verwirkt – dann finde ich das fast ein wenig weinerlich. Vor allem mit Blick auf die Kübel an Hass, die in den Social Media bei uns ankommen. Viele von Ihnen werden aus eigener Erfahrung wissen, wovon ich rede.

Gesellschaftliche Entwicklung in Deutschland

Ich möchte an zwei gesellschaftspolitische Herausforderungen und Dauerdebatten erinnern. Angesichts der weltpolitischen Krisenherde, die uns in den letzten Jahren mit voller Wucht erreicht haben, haben sie vielleicht momentan nicht die größte öffentliche Aufmerksamkeit. Doch sie betreffen und prägen das Alltagsleben vieler Menschen, gerade vieler Familien in unserem Land.

Zum einen geht es um die Länge der Schulzeit bis zum Abitur – G 8 oder G 9. Hier zeichnet sich, nachdem vor einigen Jahren in fast allen Bundesländern G 8 in Kraft war, inzwischen mehr und mehr ein Flickenteppich unterschiedlicher Regelungen ab. Ausschlaggebend für den gerade von vielen Eltern vertretenen Wunsch nach der längeren Schulzeit dürfte der Wunsch nach mehr Freiheiten und Freiräumen im Schulalltag für Kinder, Jugendliche und Familien trotz des Ganztags sein. Das betrifft aber nicht nur das Gymnasium, sondern auch die in der öffentlichen Debatte so sträflich vernachlässigten andern Schulformen. Offenkundig ist seit Jahren die Bedrohung außerschulischer Jugendarbeit durch die ganztägige Anwesenheit in der Schule. Es geht um die Freiräume für außerschulisches Engagement: Wie können Sport, Musik, Engagement in der Jugendarbeit und bei den Messdienern, in das System Ganztagsschule integriert oder damit vereinbar gemacht werden? Hier liegt eine große Aufgabe für Verbände, Politik und Schulen.

Zum anderen denke ich an die familienpolitische Vereinbarkeitsdebatte. Vor wenigen Wochen erreichte uns aus dem Koalitionsausschuss der Bundesregierung die Nachricht, dass es keine Einigung über einen Gesetzentwurf zum Rechtsanspruch auf befristete Teilzeitbeschäftigung gebe. Ein solcher Anspruch wäre ein Meilenstein auf dem Weg zu einer familiengerechten Arbeitswelt. Es wäre ein gutes Signal, wenn es diese Einigung noch in dieser Wahlperiode geben könnte. Ich hoffe, dass alle Anstrengungen unternommen werden, um zu einer Lösung zu kommen. Anderenfalls muss ein solches Gesetz ein vordringliches Projekt für die nächste Legislaturperiode sein.

Wir haben uns in einem familienpolitischen Kongress unter Leitung von Birgit Mock mit Familienzeit befasst. Es lohnt der Blick auf andere Länder: In Schweden wird zum Beispiel, wo immer es möglich ist, in einem Zeitkorridor am frühen Abend nicht mehr gearbeitet, und es werden auch keine Besprechungen anberaumt. Eltern können gemeinsame Zeit mit ihren Kindern verbringen, ohne dass sie sich als Arbeitnehmer dafür rechtfertigen müssten. Von einer solchen kulturellen Selbstverständlichkeit sind wir weit entfernt. Was können wir tun, um in Wirtschaft und Gesellschaft dahin zu kommen, dass Kinder und Familie kein Störfaktor sind, sondern Rücksicht normal wird?

Normal scheint unterdessen ein ärgerliches Phänomen zu sein: Bundestag und Bundesrat haben in diesem Jahr nach vielen Anläufen und zähem Ringen eine Reform des Unterhaltsvorschussrechts beschlossen. Das ist, so sagen auch die katholischen Frauen- und Familienverbände, ein Meilenstein für die häufig und in aller Regel unverschuldet schwierige Situation alleinerziehender Eltern, wo sich der andere Elternteil der Alimentenzahlung entzieht. Es ist skandalös, dass der Unterhaltsvorschuss in so hohem Maße in Anspruch genommen werden muss. Die Rückholquote bei den säumigen Unterhaltspflichtigen ist erschreckend niedrig. Und das nicht, weil die alle unbekannt verzogen wären. Es handelt sich vielmehr um einen Systemfehler. Die Kommunen, die den Unterhalt einklagen müssten, profitieren von der damit verbundenen, fachlich anspruchsvollen Arbeit nicht. Sie müssen eingeholten Unterhalt dem Land und dem Bund rückerstatten. Hier bräuchte es eine intelligentere Regelung, die nicht nur Steuergeld zu sparen hilft, sondern die Zahlungssäumigen verbindlich in die Pflicht nimmt. Nicht zu den Kosten für die eigenen Kinder zu stehen, ist alles andere als ein Kavaliersdelikt!

Schutz des Lebens

Während die einen vor der mit Elternschaft verbundenen Verantwortung ausweichen, gibt es viele andere, die sich nichts mehr wünschen als Eltern zu sein. Daran erinnern in dieser Woche die katholische und evangelische Kirche in Deutschland mit der "Woche für das Leben", die das Spannungsfeld zwischen Kinderwunsch und "Kind nach Wunsch" aufgreift.

Das kommt zur rechten Zeit, denn in den letzten Wochen wurde in der Öffentlichkeit wieder einmal der Eindruck erweckt, das Embryonenschutzgesetz sei angesichts der Entwicklungen in der Genetik und der Reproduktionsmedizin nicht mehr zeitgemäß. Wir werden diese Debatte sehr aufmerksam verfolgen und uns auch einschalten, wenn die grundlegende Prämisse des Embryonenschutzes in Frage gestellt wird. Ja, man kann Gesetze ändern, und manchmal muss man sie auch ändern. Aber wir sollten immer dafür eintreten, dass der Schutz des menschlichen Lebens und damit auch schon des Embryos, vorrangig ist und bleibt. Hier werden wir nicht nachlassen! Bei allfälligen Novellierungen gilt: Es muss auf jeden Fall ein Gesetz zum Schutz der Embryonen bleiben und darf kein allein die Technik regulierendes Reproduktionsmedizingesetz werden. Der manchmal verzweifelte Kinderwunsch vieler Menschen ist gut nachvollziehbar, aber er ist nicht absolut zu setzen. Er stößt an Grenzen, wenn es um den Schutz des menschlichen Lebens geht.

Ein wichtiges Thema war und ist für uns die Inklusion von Menschen mit Beeinträchtigungen in die Gesellschaft, auch an den Schulen. Wir haben nach einer sehr eingehenden Diskussion zu diesem Thema 2012 in Mannheim einstimmig ein Papier beschlossen: Die Erklärung nennt Kriterien für die Gestaltung der Veränderungsprozesse, damit Inklusion gelingen kann. Dazu gehören vor allem die Qualitätssicherung der förderpädagogischen Fachlichkeit, aber auch die Wahrung des Erziehungsrechts der Eltern, die Aus- und Fortbildung der Lehrenden und die räumlichen, finanziellen und personellen Rahmenbedingungen. Durch die oft übereilte und mangelnd vorbereitete Auflösung von Förderschulen und die konzeptlose Einfügung von beeinträchtigten Kindern in Klassen anderer Schultypen droht aus dem wichtigen Jahrhundertthema Inklusion für viele Eltern, Lehrer und Kinder ein Schimpfwort zu werden. Dieses Thema verträgt keine Übereilung!

Beim Schutz von Menschen am Lebensende haben wir nach allen Bemühungen und auch großen politischen Erfolgen der letzten Jahre vor kurzem einen herben Rückschlag erfahren. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das staatliche Behörden verpflichtet, lebensbeendende Betäubungsmittel in Ausnahmefällen an schwerstkranke und unheilbare Personen auszugeben, steht nach meiner Überzeugung in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zu der Entscheidung des Deutschen Bundestags, organisierte Beihilfe zum Suizid zu verbieten. Der Hauptausschuss hat dazu bereits eine Stellungnahme veröffentlicht, ich möchte auf diese Problematik aber auch hier noch einmal hinweisen. Es kann und darf nicht sein, dass Richterrecht den Willen des Gesetzgebers unterläuft.         


Entwicklungen in der Kirche

In Ergänzung der zahlreichen gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen, auf die einzugehen mir hier wichtig ist, möchte ich zu unserem innerkirchlichen Engagement hier schlaglichtartig drei Bereiche aufrufen.

Die Finanzierung überdiözesaner Aufgaben der Kirche ist in einer schwierigen Phase. Über die Verwendung der "Kirchensteuer", bei der es sich ja um die Mitgliedsbeiträge der katholischen Frauen und Männer handelt, liegt aus der Mitte der Vollversammlung ein eigener Antragstext vor, über den wir noch ausführlich sprechen werden. Völlig unstrittig und für jeden einleuchtend sollte sein, dass die gemeinsamen Aufgaben der Kirche in Deutschland angemessen, und das heißt auskömmlich, ausgestattet sein müssen – gerade in einer Zeit nach wie vor steigender Einnahmen. Sie lagen 2015 25 % über denen von 2010, allerdings regional unterschiedlich. Ich favorisiere ein Modell, das den Beitrag aus Kirchensteuermitteln an der Finanzierung überdiözesaner Aufgaben – auch unserer Finanzierung – prozentual an die Entwicklung der Einnahmen bindet.

In den vergangenen Wochen und Monaten wurde immer wieder, nach meinem Empfinden intensiver als zuvor, über Konsequenzen aus dem kommenden, dramatischen Priestermangel debattiert. Ich habe den Eindruck, dass sich insbesondere in der Frage der "viri probati", also der Zulassung verheirateter Männer zur Priesterweihe, Bewegung andeutet, nicht zuletzt durch die Äußerungen von Papst Franziskus in seinem ZEIT-Interview. Nicht allein das Priesteramt in seiner Verschränkung von Leitung und Seelsorge muss neu gedacht werden.

Wo immer ich in den vergangenen Monaten Begegnungen mit Bischöfen hatte, habe ich diesen Punkt und auch unseren Wunsch der Weihe von Diakoninnen angesprochen. Am Festtag der Heiligen Katharina von Siena fand zum 20. Mal der "Tag der Diakonin" statt, diesmal in Stuttgart. Mit den anderen Veranstalterinnen haben wir unseren Wunsch und unsere Forderung bekräftigt. Die Frage des Frauendiakonats löst sicher nicht alle Fragen der Beteiligung von Frauen in unserer zunehmend weiblichen, aber männergeleiteten Kirche, ist aber ein wichtiger Schritt.  

Das alles sind für die Zukunft unserer Kirche wichtige Fragen. Aber wir dürfen uns nichts vormachen: Sie stehen bei den meisten Gläubigen vor Ort in der Dringlichkeit hinter der Frage nach der Zukunft ihrer Gemeinden zurück. Auch dies ist eine Erfahrung, die mir fast überall begegnet, wo ich zu Vorträgen eingeladen bin und engagierten Katholiken begegne.

Die Rezepte in den Diözesen sind so vielfältig wie die Namen der neuen Einheiten und Zusammenschlüsse oberhalb der alten Kirchengemeinden. Man müsste auf 27 und mehr Konzepte eingehen, denn mitunter gibt es auch innerhalb einer Diözese unterschiedliche Entwicklungen und Formationen. Wenn ich vorhin vom föderalen Flickenteppich in der bildungspolitischen Landschaft gesprochen habe, ist das für die Wirklichkeit der Pfarreien in der katholischen Kirche Deutschlands noch ein zu harmloser Begriff.

Das Thema wird uns noch sehr lange beschäftigen. Da gärt etwas, da entwickelt sich Neues, das noch nicht fixiert ist. Ich will heute nur drei Punkte nennen:

  • Erstens: Bei aller Euphorie über neue "Orte von Kirche" sollte die Bedeutung des Ortes, an dem Menschen leben, ihre Kinder erziehen und Freundschaften finden, also die Territorialgemeinde nicht unterschätzt werden.
  • Zweitens: Wenn Laien Gemeinden leiten sollen – und ich spreche hier von Letztverantwortung –, dann muss das auch im Kirchenrecht verankert werden. Es wird auf Dauer nicht reichen, wenn es eine Gemeindeleitung in Abhängigkeit von einem vor Ort nicht präsenten, übergeordneten Pfarrer ist. Das wäre keine Leitung, die auch im Konfliktfall trägt!
  • Drittens und im unmittelbaren Zusammenhang damit: Subsidiarität darf nicht nur für Politik und Staat gelten. Wir müssen sie zum kirchlichen Strukturprinzip machen. Oder, um es mit den Worten unserer letzten Vollversammlung und vor allem auch von Papst Franziskus zu sagen: Lasst uns eine synodale Kirche werden!

Lassen Sie mich abschließen mit einem Hinweis auf das Reformationsjahr 2017, das unsere evangelischen Glaubensgeschwister so konsequent ökumenisch ausrichten. "Erinnerung heilen – Christus bezeugen" war das Thema des Versöhnungsgottesdienstes am 11. März in Hildesheim, nach dessen Texten hoffentlich noch häufig ökumenische Gottesdienste gefeiert werden. Erinnerung heilen – da wissen viele Ältere, die in heute so genannten "konfessionsverbindenden" Ehen leben und nicht selten viel für ihre Entscheidung zur "Mischehe" zu leiden hatten, was damit gemeint ist. Nächster ökumenischer Meilenstein wird unsere gemeinsame Veranstaltung mit DEKT, EKD und der Bischofskonferenz am 16. September in Bochum sein. Und ich hoffe auch auf weitere Schritte zur offiziellen Zulassung von nicht-katholischen Ehepartnern zur Eucharistie.

So sind wir unterwegs als aktive Christen in Gesellschaft und Kirche.

Farbe bekennen für die Demokratie – das ist eine Aufgabe für jeden Tag.

Farbe bekennen für eine synodale Kirche und für Veränderungen in unserer Kirche – wann war eigentlich eine günstigere Zeit, um wichtige Reformschritte anzugehen?

Der Mut, den Bundespräsident Steinmeier zu seinem Leitwort gemacht hat, gilt für alle – er gilt auch für uns als Glieder des Volkes Gottes!

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

 

Prof. Dr. Thomas Sternberg Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken

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