Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 05/2006
Rede von Prof. Dr. Hans Joachim Meyer im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.
UNKORRIGIERTES REDEMANUSKRIPT
Familienpolitik - Elterngeld
An die Spitze meines Berichts stelle ich die Familienpolitik, die derzeit zu unserer Freude einen hohen Stellenwert innehat.
Am 1. Mai einigten sich die Regierungsparteien beim Elterngeld. Das Elterngeld wird danach ab dem 1. Januar 2007 als Lohnersatzleistung für zwölf Monate ausbezahlt und beträgt 67 Prozent des letzten Nettoeinkommens des betreuenden Elternteils, maximal 1.800 Euro pro Monat. Für zwei weitere Monate wird das Elterngeld bezahlt, wenn sich auch der zweite Elternteil mindestens zwei Monate um die Erziehung des Kindes kümmert. Das Modell sieht einen Sockelbetrag von 300 Euro pro Monat vor, der einkommensunabhängig an Eltern bezahlt wird, die nicht erwerbstätig sind. Eine Anrechnung auf andere Sozialleistungen wie beispielsweise das Arbeitslosengeld II findet dabei nicht statt.
Einerseits überbrückt das Elterngeld den finanziellen Engpass, der bei Familien mit der Geburt eines Kindes durch das Wegfallen eines Einkommens eintritt, andererseits schafft es Anreize für die (Wieder)Aufnahme der Erwerbstätigkeit. Damit trägt das Elterngeld der heutigen Lebenssituation junger Eltern Rechnung, die bei der Geburt des ersten Kindes oft beide erwerbstätig sind. Es ist deshalb ein sozialpolitisch richtiger Schritt.
Der Sockelbetrag in Höhe von 300 Euro pro Monat und dessen Anrechnungsfreiheit auf Sozialleistungen ist eine sinnvolle Ausgestaltung des Elterngeldes. Eine solche Maßnahme wurde von vielen katholischen Verbänden gefordert, um das Eintreten einer befürchteten sozialen Schieflage zu vermeiden.
Die so genannten Partnermonate zeigen, dass Kindererziehung Aufgabe beider Elternteile ist. Insbesondere mit Blick auf die Väter gilt es, diese Regelung als Chance zu begreifen. So schafft sie ein verändertes Klima und erleichtert es Vätern, das Aufwachsen und die Erziehung ihrer Kinder aktiver zu begleiten. Die Regelung verhilft zu gesellschaftlicher Akzeptanz und Wertschätzung eines neuen Männerideals, das ein zugewandtes und fürsorgliches Leben für wertvoll und erstrebenswert hält. Ausdrücklich ermutigen wir an dieser Stelle die Arbeitgeber, Väter bei ihrem Wunsch nach aktiver Elternzeit zu unterstützen und Erziehungsleistungen positiv zu bewerten. Wir treten ein für ein neues, realitätsnahes Familienbild, das die Eltern nicht auf Rollen festlegt, sondern jeweils wesentliche und bereichernde Lebensbereiche eröffnet: Väter wollen Familie leben und erfahren, Mütter wollen ihre Qualifikationen im Beruf einbringen. Die Teilhabe an Beruf und Familie für Mann und Frau ist letztlich eine Gerechtigkeitsfrage, an der sich maßgeblich unsere Zukunft entscheiden wird.
Zusätzlich plädieren wir für den Ausbau der Betreuungsmöglichkeiten, bei denen großer Wert auf klare Bildungsstandards und Qualitätskriterien gelegt werden muss.
In unserer anspruchsvollen Arbeitswelt wird für viele Menschen die Zeit knapp – Zeit, die für Familie fehlt bzw. an ihr eingespart wird. Deswegen ist es für die Realisierung von Beziehungen zwischen den Menschen und für eine Zugewandtheit in den Familien nötig, eine flexible Zeitgestaltung zu unterstützen, die selbstbestimmt ist und sich an der Familiendynamik orientiert. Eine Arbeitswelt, die auf den unbedingten, permanenten Zeiteinsatz junger Menschen setzt, erschwert dagegen das Eingehen und Aufrechterhalten von Partnerschaften und Ehen sowie die Entscheidung für Kinder. Wir trauen den Arbeitgebern kreative Zeit-Lösungen zu – diese werden sich auch positiv auf die Arbeitsleistung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auswirken.
Mit großer Sorge beobachten wir allerdings, dass sich junge Menschen der so genannten "Generation Praktikum" ohne sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz in einer derart unsicheren Lage befinden, dass sie sich oft nicht für eine Familiengründung entscheiden. Das tatsächliche Einhalten der tariflichen bzw. vertraglichen Vereinbarungen zur Wochenarbeitszeit wäre aus unserer Sicht gewinnbringend für eine kinderfreundliche Lebensplanung und Lebensführung.
Ganz generell erscheint es uns wichtig, die gesellschaftlichen Zielvorgaben, Leitbilder und Maßstäbe zu überdenken, die zunehmend geprägt sind von Erfolgsstreben, Karriere, Profit und Rentabilität. Wir rufen zu neuen Modellen auf, zu einer Kultur des Lebens, die sich nicht mit rein Materiellem zufrieden gibt, sondern zwischenmenschliche Beziehungen wertschätzt und Kinder um ihrer selbst willen liebt.
Der 96. Deutsche Katholikentag
Der 96. Deutsche Katholikentag, zu dem diese Vollversammlung des ZdK den Auftakt bildet, findet in einer Zeit großer gesellschaftlicher Herausforderungen statt. Herausforderungen sind stets risikoreich. Und wir würden unserer Verpflichtung als Christen für unsere Mitmenschen nicht gerecht, würden wir diese Risiken übersehen wollen oder sie klein reden. Vor allem aber sind Zeiten des geschichtlichen Wandels für die Christen und für die Kirche eine große Chance. Denn es geht ja darum, den Weg in die Zukunft zu finden und zu gestalten. Wer sich dabei engagiert, wird selbst Teil der Zukunft. Mit seinem Leitwort „Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht“ greift der Katholikentag mitten hinein in die brennenden Probleme der Gegenwart, wird er zum Ort der deutschen wie der europäischen Debatte.
In Deutschland wie in der Europäischen Union stehen wir vor der Frage: Welchen Stellenwert kann, welchen Stellenwert muss in einer freiheitlichen Gesellschaft die Gerechtigkeit haben. Das Gerechtigkeitsthema wirft Fragen auf, hinter denen widerstreitende Gesellschaftskonzepte stehen: Ist Gerechtigkeit Ergebnis staatlichen Handelns, besteht Gerechtigkeit aus einer Anhäufung von Rechtstiteln? Oder wird Gerechtigkeit hinter unserem Rücken durch Markt und Wettbewerb hergestellt, ist also Gerechtigkeit für den Einzelnen nur die Summe unserer je eigenen Verantwortung? Allgemein gefragt: Ist Gerechtigkeit ein Anliegen, das die Menschen vereint oder das die Menschen trennt?
Gewiss ist Gerechtigkeit meist das, was einzelne Menschen für sich erwarten. Dennoch bezieht sich jeder Akt von Gerechtigkeit auf die Beziehung zwischen Menschen. Gerechtigkeit ist also ihrer Natur nach zwischenmenschlich, ist eine gesellschaftliche Angelegenheit und also ein gesellschaftliches Anliegen. Gerechtigkeit ist einerseits ein Ideal, das jeden Einzelnen verpflichtet und so im Denken und Handeln der Menschen verankert sein muss. Gerechtigkeit kann aber andererseits nur durch mitmenschliches, durch gesellschaftliches Handeln in die Realität umgesetzt werden kann. Der Begriff der Gerechtigkeit liegt also quer zu den typischen Argumenten und Positionen unserer gegenwärtigen Debatte.
Wir wissen, dass der gesellschaftliche Anspruch auf Gerechtigkeit auch geschichtlich belastet ist. Viel Unrecht geschah im Namen vorgeblicher Gerechtigkeit! In ihrem Streben nach Gerechtigkeit dürfen Menschen nie ihre Unvollkommenheit vergessen. Denn wie Menschen Gerechtigkeit definieren und praktizieren – das hängt von der sich wandelnden Wirklichkeit ab. Gottes Gerechtigkeit ist immer größer als die Gerechtigkeit von Menschen. Gerechtigkeit ist also nicht nur ein aktuelles, sondern auch ein spannungsvolles, ja, ein brisantes Thema. Denn in ihrem Engagement für Gerechtigkeit müssen sich die Christen stets von den beiden Grundgeboten des christlichen Glaubens leiten lassen: Von der Verantwortung dafür, dass unsere Mitmenschen ein Leben in Menschenwürde führen können. Und von der Frohen Botschaft, dass Gott uns durch Jesus Christus erlöst hat und er unser Streben nach Gerechtigkeit vollenden wird. Darum sorgen sich Christen um die Gerechtigkeit unter den Menschen und jagen doch keinen gesellschaftlichen Utopien nach. Im Einsatz für die Gerechtigkeit erweist sich der Wirklichkeitssinn der Christen.
Ein Dokument solchen Wirklichkeitssinns im Einsatz für eine gerechte Gesellschaft will unser Beschlussvorschlag „Benachteiligte Jugendliche gerecht beteiligen“ sein. Er fügt sich ein in eine Reihe von Texten, die das ZdK zu den Herausforderungen des gesellschaftlichen Wandels in den letzten Jahren erarbeitet und beschlossen hat. Wir sollten überlegen, wie es uns gelingen kann, den großen Anspruch der Gerechtigkeitsthematik bei diesem Katholikentag durch eine zusammenfassende Herausgabe dieser Texte der Öffentlichkeit stärker zu vermitteln.
Der 96. Deutsche Katholikentag findet nicht nur in einer Zeit tiefgehenden gesellschaftlichen Wandels statt, sondern auch in einer Zeit neuer Bewegung in der Kirche und einer neuen Offenheit für Kirche und Glauben. Papst Benedikt XVI. praktiziert eine Kultur des Zuhörens, der Gesprächsbereitschaft und des nachdenklichen und differenzierten Argumentierens, was zu einer geistigen Atmosphäre der behutsamen und nach vorn gerichteten Aufmerksamkeit geführt hat. Das gilt für die Situation in der Kirche, wie auch für die Ökumene und für die Beziehung zwischen Kirche und Gesellschaft. Zugleich vermehren sich seit einiger Zeit Hinweise auf ein neue Zuwendung zur Religion oder jedenfalls auf ein neues Verständnis für die Bedeutung von Religion. Dass sich solche Beobachtungen besonders auf junge Menschen beziehen, ist ein Zeichen von Hoffnung. Im großen Erlebnis des Weltjugendtages in Köln vereinte sich eine beeindruckende Zahl junger Menschen mit dem Heiligen Vater im Bekenntnis zu Christus und seiner Kirche. An das Erlebnis des Weltjugendtages wollen wir im Katholikentag anknüpfen.
Bei alledem sind und bleiben wir als Katholiken auch stets Realisten. Es gibt nicht die Jugend, sondern in der Jugend gibt es höchst unterschiedliche, ja durchaus auch widerstreitende Tendenzen. Was den Reflex des neuen Interesses an Religion in den Medien anbetrifft, so gewinnt man manchmal den Eindruck, dass die zum Klischee erstarrte Behauptung, die Kirchen würden immer leerer, nun durch ein weiteres, dem widersprechendes Klischee ergänzt wird. Vor allem sind wir uns dessen bewusst, dass ein neues Interesse für Religion nicht notwendigerweise eine Zuwendung zum christlichen Glauben und zur Kirche bedeuten. Gleichwohl bedeutet Realismus nicht, das Neue gering zu schätzen oder gar zu ignorieren.
Denn die Kirche muss eine missionarische Gemeinschaft sein; sie muss Menschen anziehen und für sich gewinnen wollen. Gerade in einer Zeit, da die Gesellschaft sich neu formiert und nach neuer Orientierung sucht, ist das Zeugnis der Kirche und jedes Christen um so dringender gefordert. Seit den Tagen der Apostel gilt, dass es der Umgang der Christen miteinander ist, welcher am ehesten Menschen überzeugt. Hier steht die Kirche in Deutschland vor der großen Herausforderung, dass ihr die unausweichliche innere Umstrukturierung gelingen und sie sich zugleich energisch darum mühen muss, bei der Vermittlung des Glaubens und bei ihren Aufgaben in der Gesellschaft und in der öffentlichen Debatte frisch und ideenreich zu sein. Nichts wäre verhängnisvoller, als der defensive Weg in eine möglichst ruhige Nische neben dem Strom der Geschichte. Eine offensive Strategie der Ermutigung zum Glauben, des Zusammenstehens in der Kirche und des Einsatzes für eine gute Zukunft der Gesellschaft wird uns nur gelingen, wenn dies im guten Zusammenwirken von Bischöfen, Priestern und Laien geschieht.
Dafür gibt es viele gute Beispiele in Deutschland. Jeder Katholikentag zeigt dies durch die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen dem gastgebenden Bischof und uns. Gern danke ich an dieser Stelle unserem Gastgeber für Saarbrücken, Bischof Dr. Reinhard Marx. Vertrauensvolle Beziehungen zur Deutschen Bischofskonferenz sind eine Konstante unserer Arbeit. Die Würdigung, die der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, zu seinem 70. Geburtstag in der Kirche, in der Ökumene und in der Gesellschaft erfahren hat, galten zugleich seiner Persönlichkeit und seiner Rolle als Brückenbauer. Dankbar sind wir nicht zuletzt Bischof Fürst für seinen hilfreichen Vermittlungsdienst zwischen DBK und ZdK.
Der Konflikt im Bistum Regensburg
Um so schmerzlicher waren und sind die rückwärtsgerichteten Aktivitäten des Bischofs von Regensburg gegen die auf der Grundlage der Gemeinsamen Synode in Würzburg geschaffenen Strukturen des Laienapostolats in seinem Bistum. Das Ergebnis ist keineswegs, wie von ihm und ihm nahestehenden Medien behauptet, eine Modernisierung der Laienstrukturen, sondern ein Schritt weit hinter das II. Vatikanische Konzil zurück. Offenbar versteht er nicht den großen Wert eigenständiger und durch Wahlen legitimierter Laienvertretungen für die Existenz der Kirche in einer freiheitlichen Gesellschaft. Damit hat sich der Bischof von Regensburg ohne Not aus der Gemeinsamkeit der rechtlichen Regelungen entfernt, die im Ergebnis der Würzburger Synode überall in Deutschland entstanden sind und die seine Vorgänger im Amt des Regensburger Bischofs praktiziert und jederzeit beachtet haben. Dankbar stellen wir fest, dass sich kein deutscher Bischof diesem Vorgehen angeschlossen hat. Vielmehr hat die Deutsche Bischofskonferenz im November 2005 das dreißigjährige Jubiläum der Würzburger Synode feierlich begangen.
Offenbar fühlt sich jedoch der Bischof von Regensburg in seiner Haltung bestärkt durch ein Dekret der Kleruskongregation, das unlängst in einem Rechtsstreit mit einer Privatperson ergangen ist. Das Präsidium des ZdK sieht in diesem Dekret keinen Grund, seine Haltung im Regensburger Konflikt zu ändern. Erstens wird im Dekret behauptet, dass der CIC von 1983 die Beschlüsse der Würzburger Synode aufgehoben habe. Diese Behauptung ist abwegig. Nach allgemeinen rechtlichen Prinzipien könnte sie nämlich nur zutreffen, wenn ein vorher partikularrechtlich geregeltes Gebiet durch universalkirchliche Normen neu geregelt und damit eine partikularrechtliche Norm ausdrücklich aufgehoben würde. Das trifft jedoch auf die von der Gemeinsamen Synode geschaffenen Katholikenräte der Diözesen nicht zu, da es sich dabei nicht um Pastoralräte handelt, sondern um Strukturen des Laienapostolats. Deshalb hat nach dem Inkrafttreten des CIC von 1983 die Gemeinsame Konferenz – also das von der Gemeinsamen Synode geschaffene Beratungsgremium von gewählten Vertretern der Deutschen Bischofskonferenz und des ZdK – bereits im Jahre 1987 nach gründlicher Prüfung explizit festgestellt, dass die in Deutschland bewährten Strukturen des Laienapostolats dem CIC von 1983 nicht widersprechen. Zweitens beschäftigt sich die sog. Laieninstruktion von 1997, die im Dekret als zweiter Grund angeführt wird, im erwähnten Passus überhaupt nicht mit den Laienräten im Sinne der Würzburger Synode. Vielmehr handelt es sich bei den nach Art. 5 §5 abzuschaffenden Parallelorganen um von Ordinarien eingesetzte „Studien- oder Expertengruppen für besondere Fragen“.
Ungeschadet dieser unserer Rechtsposition sind das Präsidium und der Hauptausschuss des ZdK bereits vor Bekanntwerden dieses Dekrets nach eingehender Prüfung zu der Auffassung gelangt, dass das gegenwärtige Diözesankomitee im Bistum Regensburg dort derzeit, wie es im §4 Absatz (1) Abschnitt (a) unseres Statuts heißt, „das von dem Diözesanbischof gemäß Nr. 26 des Konzilsdekrets über das Apostolat der Laien anerkannte Gremium ist“ und daher die von diesem gewählten Delegierten Mitglieder des ZdK sind. Unser Statut sieht also nicht vor, dass das ZdK oder eines seiner Gremien die Wahl der Diözesanvertreter prüft und nach dieser Prüfung zulässt. Vielmehr werden neu gewählte Diözesanvertreter ohne weiteren Rechtsakt in das Mitgliederverzeichnis des ZdK aufgenommen. Dass wir in dieser Weise auch mit den vom Regensburger Diözesankomitee gewählten Vertretern im ZdK verfahren, ändert nichts an unserer Position, dass dieses Gremium weder in seinem Zustandekommen, noch in seiner Zusammensetzung den Beschlüssen der Gemeinsamen Synode in Würzburg entspricht. Zur Klarstellung halte ich Folgendes fest: Erstens: Nicht wir sind es, die rechtliche Regelungen missachten. Zweitens: Unsere Position richtet sich nicht gegen die Laien im Diözesankomitee Regensburg. Drittens: Ob es klug war, in Rom Rechtsmittel einzulegen, wird sich zeigen. Wir machen uns jedenfalls vom Ergebnis dieses Vorgangs nicht abhängig. Viertens: Unsere Aufforderung, diesen schädlichen und absolut überflüssigen Konflikt zu beenden, richtet sich ausschließlich an den, der ihn begonnen hat, nämlich an Bischof Gerhard Ludwig Müller.
Daher appelliere ich an Sie hier im Saal: Lassen wir uns bei dieser Vollversammlung unsere Tagesordnung und das Zeitbudget unserer Beratungen nicht von diesem Konflikt diktieren.
Verhöhnung Christi und der Kirche: Popetown
Dass es wichtige Dinge für alle Katholiken gemeinsam zu tun gäbe, das hat uns gerade jetzt der Konflikt mit dem privaten Fernsehsender MTV gezeigt. Dieser Sender veröffentlichte zu Beginn der Karwoche in Fernsehzeitschriften eine ganzseitige Werbung folgenden Inhalts: Unter der Aufforderung „Lachen statt Rumhängen“ sieht man ein leeres Kreuz und darunter im Vordergrund des Bildes einen lauthals lachenden Christus mit Dornenkrone und Wundmalen, der vor einem Fernsehgerät in einem Sessel sitzt und die Fernbedienung in der Hand hat. Geworben wird, wie unten auf der Werbung zu lesen ist, für die Serie „Popetown“, die wie folgt charakterisiert wird: „Der Papst-Cartoon. Böse und gut – und nur auf MTV.“ Die Fernsehserie selbst ist eine dümmlich-widerwärtige Verhöhnung des Papstes und der Katholischen Kirche. Es handelt sich dabei keineswegs um eine kritische Auseinandersetzung mit Kirche und Religion, die sich überspitzender Bilder und Formen bedient, also nicht um eine Satire, sondern um ein alberne Geschichte, der man dadurch faden Witz zu geben versucht, dass man die Handlungsfiguren kirchlich verkleidet. Man fragt sich, was die Absicht ist: Sind es nur kommerzielle Interessen oder will man die Kirche als eine Institution, die für ethische Werte steht, in den Dreck ziehen.
Selbstverständlich haben wir gegen diese Werbung und gegen diese Fernsehserie energisch protestiert. Denn die weit gestreute Werbung zielte auf den Kern unseres christlichen Glaubens und sollte diesen verhöhnen. Damit enthüllten die Verantwortlichen des Fernsehsenders zugleich ihre Absicht bei der Übernahme und Aussendung dieser Serie: Es geht nämlich nicht um Spaß schlechthin, sondern um Spaß zu Lasten der Kirche. Dass die Werbung nach den Protesten zurückgezogen wurde, besagt gar nichts. Erstens wurde dies mit der Behauptung verbunden, man hätte keine religiösen Gefühle verletzen wollen. Zweitens war ganz offensichtlich mit Bedacht die Karwoche für diese Werbung ausgewählt worden, um uns Christen zu verletzen.
Wir sind den vielen im Lande dankbar, die unseren Protest unterstützt haben. Selbstverständlich stießen wir auch auf Kritik und Gegenwehr. Dass jene wütend reagierten, welche solche Art von Unterhaltung lieben, erwähne ich nur kurz. Denn diese Art von Protest betrachten wir als Erfolg. Was sind nun aber die Gegenargumente, mit denen man sich auseinandersetzen muss. Da ist zunächst die Sorge, Protest erhöhe nur den Erfolg der Provokation. Das ist gewiss ein bedenkenswertes Argument. Nur darf es nicht zur bequemen Ausrede werden. Bei dieser Serie ist insbesondere zu bedenken, dass sie in Großbritannien schon auf Grund von Protesten abgesetzt werden musste. Sie ist also ein Testfall, was man den Christen in Deutschland zumuten kann – ein Test, der durch die den Glauben direkt angreifende Werbung noch verschärft wurde. Darauf zu reagieren, ist schon eine Sache der Selbstachtung. Und wären wir so von allen guten Geistern verlassen gewesen, nicht zu protestieren, dann hätten sich andere der Sache angenommen.
Viele weisen – und dies gewiss nicht zu Unrecht – darauf hin, dass ein juristisches Vorgehen gegen Schmutz und Schund, auch wenn dieser blasphemisch ist, nur wenig Aussicht auf Erfolg hat. Denn der Gesetzgeber hat in den siebziger Jahren festgelegt, für ein richterliches Einschreiten müsse der öffentliche Frieden gestört sein. Wie die Dinge liegen. ist dies eine Art Mühlespiel. Entweder man protestiert im Rahmen der Rechtsordnung. Dann gilt dies weithin nicht als eine Störung der öffentlichen Ordnung. Oder man protestiert gewalttätig. Dann stellt man sich selbst außerhalb der Rechtsordnung. In einer solchen Situation sollte man sich dessen erinnern, dass Richter bei unbestimmten Rechtsbegriffen meist im Einklang mit dem entscheiden, was in der Gesellschaft gedacht wird. Also darf man sein Handeln nicht vom jetzt wahrscheinlichen Richterspruch abhängig machen, sondern muss entschlossen das Ziel verfolgen, durch streitbare Debatten das öffentliche Denken zu beeinflussen. Wenn die ethischen Grundlagen unserer Gesellschaft angegriffen werden, dann – so unsere Überzeugung - wird auch der öffentliche Frieden gestört. Denn an der Spitze unseres Grundgesetzes steht die Achtung vor der Menschenwürde. Erst aus diesem Grundsatz werden die Freiheiten abgeleitet. Also ist die Verletzung unserer Menschenwürde durch die Verhöhnung unserer religiösen Überzeugung eine gravierende Störung des öffentlichen Friedens.
In einer solchen Debatte müssen wir uns vor allem mit jenen auseinandersetzen, die uns wegen unseres Protests von hoher Warte Fundamentalismus, Scheinheiligkeit und Intoleranz vorwerfen. Übrigens war man meist so unredlich, bei solcher Kommentierung die Werbung einfach zu ignorieren. Das machte es leichter, Menschen, die sich über eine dumme Geschichte erregen, selbst für dumm und niveaulos zu erklären. Letztlich läuft es im Grunde stets auf das gleiche Argument hinaus, dass nämlich wahre Freiheit sich dadurch erwiese, dass man sie missbrauchen kann. Darauf kann wohl nur ein hemmungsloser Individualismus verfallen, dem die Gesellschaft nichts gilt. Denn eine freiheitliche Gesellschaft ist mehr als jede andere Gesellschaft darauf angewiesen, dass die Menschen nach ethischen Prinzipien handeln und in wechselseitiger Achtung zu einem die Gesellschaft tragenden Wertekonsens zusammenfinden. Wer sich in einer freiheitlichen Gesellschaft über „Werterhetorik“ mokiert und uns in ethischen Streitpunkten stattdessen Indifferentismus empfiehlt, der zerstört letztlich die Voraussetzungen seiner und unserer Freiheit. Gerade in Zeiten radikalen gesellschaftlichen Wandels sind ethische Orientierungen unverzichtbar. Toleranz ist eben nicht identisch mit Beliebigkeit und Auflösung aller Bindungen, sondern bedeutet Respekt vor den Überzeugungen anderer.
Deshalb ist für uns der Protest gegen diese Fernsehserie und gegen diese Werbung eine politische Auseinandersetzung. Wenn wir Christen nicht lernen, entschiedener und hartnäckiger für unsere Überzeugungen einzutreten, werden wir unserer Verantwortung in dieser Gesellschaft nicht gerecht. Denn in dem wir Achtung vor unserem Glauben einfordern, sichern wir zugleich das humane Miteinander unterschiedlicher Religionen und Überzeugungen. Darin besteht auch der Zusammenhang mit unserem Einsatz für mehr Gerechtigkeit in der Gesellschaft. Wer zulässt, dass die Gesellschaft ethisch versaut wird, den interessiert auch keine gerechte Gesellschaft. Wer eine mitmenschliche Gesellschaft will, der braucht die Christen. Mit dieser Wahrheit müssen wir wieder offensiv in die Öffentlichkeit gehen.
Lassen Sie uns den 96. Deutschen Katholikentag zu einer überzeugenden Manifestation unseres Glaubenszeugnisses und unseres Willens zur gesellschaftlichen Verantwortung machen.
Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, Präsident des ZdK