Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 05/2007
Rede von Prof. Dr. Hans Joachim Meyer im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.
Entwicklungen in Darfur/Sudan
Bereits mehrfach mussten wir uns mit der Krisenregion Darfur im westlichen Sudan beschäftigen. In dem seit 2003 eskalierenden Konflikt wurden bereits mehr als 200.000 Menschen getötet und Schätzungen zufolge sind drei Millionen Menschen auf der Flucht. Der politische Hintergrund für diese humanitäre Katastrophe ist die Marginalisierung der Region durch die arabisch dominierte, islamistisch fundamentalistische Regierung in Khartum, was wiederum zu einem Aufstand schwarzafrikanischer Rebellengruppen geführt hat. Die sudanesische Regierung geht dagegen mit einer gezielten Vertreibungs- und Vernichtungspolitik vor. Es ist also ein Kampf um knappe Ressourcen, ein Konflikt von Volksgruppen, aber kein Religionskrieg: Alle Beteiligten sind Muslime.
Inzwischen hat die sudanesische Regierung zwar die Verstärkung der Darfur-Friedenstruppe der Afrikanischen Union durch UN-Soldaten akzeptiert. Die Geschichte der letzten vier Jahre macht jedoch skeptisch, ob der sudanesischen Zusage getraut werden kann. Wir unterstützen deshalb mit Nachdruck die Initiative von Bundesaußenminister Steinmeier, von Seiten der Europäischen Union eigene Sanktionen gegen den Sudan zu verhängen, falls die Regierung in Khartum keine größere Kooperationsbereitschaft gegenüber der UN-Mission in Darfur zeigt und der UN-Sicherheitsrat wegen der zögernden Haltung Chinas nicht zu schärferen Maßnahmen fähig ist. Jedenfalls muss der öffentliche Druck auf die sudanesische Regierung verstärkt werden, damit der Völkermord in Darfur endlich beendet wird.
Klimaschutz
Ökologische Themen nehmen schon seit langem einen zentralen Platz in der öffentlichen Debatte ein. Dennoch wird man sagen müssen, dass die unlängst veröffentlichten wissenschaftlichen Voraussagen über die klimatische Entwicklung unserer Erde einen neuen dramatischen Höhepunkt darstellen. Im Rahmen dieses Berichts kann ich darauf nur kurz hinweisen, aber ich bin sicher, dass die neuen Herausforderungen für das gesellschaftliche Engagement katholischer Christen von unmittelbarer Bedeutung sind. Das muss auch Konsequenzen für unsere Arbeit haben. An dieser Stelle will ich davon nur zwei benennen. Erstens müssen wir alle Anstrengungen unterstützen, die mit Hilfe ökonomischer und technologischer Maßnahmen wie auch rechtlicher und finanzieller Regelungen versuchen, auf die Klimaveränderung Einfluss zu nehmen bzw. sich auf deren Folgen einzustellen. Denn das wird nicht ohne ernsthafte Auseinandersetzungen durchzusetzen sein. Zweitens müssen wir zugleich, auch wenn dies ein Widerspruch zu sein scheint, nachdrücklich vor der Illusion warnen, der Klimawandel und seine Folgen wären allein eine Sache von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft. Ohne eine Änderung der je individuellen Lebensweise in den westlichen Gesellschaften gibt es keine Aussicht, den Klimawandel abzumildern oder seine Folgen in den Griff zu bekommen. Und ohne eine neue Art der Menschen in unseren Gesellschaften, ihr Leben zu führen und zu gestalten, wird der freiheitliche Westen keinen moralischen Anspruch und keine politische Chance haben, die Menschen in den anderen Teilen der Welt, also in Südostasien, Lateinamerika, im Nahen und Mittleren Osten und in Afrika dazu zu bewegen, die Verantwortung der Menschheit für das Weltklima mit uns zu teilen. Denn es bedeutet für sie, etwas nicht zu tun, was wir im Westen schon seit mindestens 150 Jahren ganz selbstverständlich für uns in Anspruch nehmen. Wer, wenn nicht wir Christen, muss über diese ethische Herausforderung sprechen und entsprechend handeln?
Europapolitik
Ein herausragendes Ereignis im politischen Leben Europas war der 50. Jahrestag der Unterzeichnung der Römischen Verträge. Die Jubiläumsfeiern und deren Vorbereitung bezeugten den geschichtlichen Fortschritt zu einer Gemeinschaft des Friedens und der Zusammenarbeit, den die Völker der Europäischen Union im Prozess der Einigung bisher erreicht haben und der nicht wieder verloren gehen darf. Die Feiern machten aber auch die Spannungen deutlich, die zwischen den verschiedenen Dimensionen der europäischen Wirklichkeit bestehen. Einerseits erinnerte dieses Jubiläum an die Tatsache, dass es neben der schmerzlichen geschichtlichen Erfahrung zweier Weltkriege das gemeinsame christliche Erbe war, das die Gründungsväter des vereinten Europas zu diesem mutigen Neuanfang motivierte. Andererseits gibt es in Europa keine Einmütigkeit über das europäische Selbstverständnis und die Perspektive der gemeinsamen Entwicklung. Es war eine große Leistung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, der gegenwärtigen Präsidentin des Europäischen Rates, dennoch alle Mitgliedsstaaten zur Berliner Erklärung zusammenzuführen.
Ob es gelingt, die dringend notwendige Erhöhung der Handlungsfähigkeit der Europäischen Union dadurch zu sichern, dass das Projekt des Verfassungsvertrages – jedenfalls als erster Schritt – auf einen Grundlagenvertrag reduziert wird, bleibt abzuwarten. Auch dies wäre ein bedeutsamer Gewinn gegenüber dem jetzigen Zustand. Die umstrittene Frage, wie weit sich die Europäische Union dem Ideal der sozialen Gerechtigkeit verpflichtet fühlt, wird jedoch auf der Tagesordnung bleiben, weil dies viele Menschen in Europa bewegt. Sie steht überdies in Zusammenhang mit der Grundfrage nach den geistigen Quellen, welche die europäische Geschichte geprägt haben und die bis heute das Gesicht Europas bestimmen. Die Antwort darauf gibt die europäische Wirklichkeit selbst: Die drei wesentlichen Quellen Europas sind das geistige Erbe der griechisch-römischen Antike, die jüdische und christliche Glaubenstradition und die Ideale der Freiheit und Aufklärung. Der Versuch, unter diesen geistigen Quellen das Christentum zu verschweigen oder seine herausragende Rolle hinter der allgemeinen Formel von der religiösen Vergangenheit zu verstecken, sind realitätsfremd. Ganz unabhängig davon, was künftig in einer europäischen Verfassung oder in einem vergleichbaren Rechtsdokument steht, werden wir nicht aufhören, an die fortdauernde christliche Prägung der europäischen Wirklichkeit zu erinnern und deren gegenwärtige Bedeutung zu betonen. Das ist eine gemeinsame Aufgabe der Christen in Europa.
Darum waren wir dankbar, dass die ComECE, also die Kommission der Europäischen Bischofskonferenzen bei der EU, aus Anlass des 50. Jahrestages der Römischen Verträge und zeitgleich zum Berliner Gipfel in Rom einen Kongress durchführte, der Repräsentanten der Kurie und der ComECE, namhafte katholische Laien und führende katholische Politiker in Europa vereinte und deren gemeinsamen Position in einer Erklärung zum Ausdruck brachte. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken und wichtige katholische Verbände waren an der Vorbereitung und Gestaltung des Kongresses aktiv beteiligt. Im Vorfeld des Kongresses hatten wir eine Erklärung der Initiative Christen für Europa mit unterzeichnet, in der die Herausforderungen für die europäische Entwicklung klar benannt werden. Die neu entstandene Initiative ist eine Frucht der Zusammenarbeit, die uns seit vielen Jahren mit den Semaines Sociales de France sowie katholischen Organisationen und Persönlichkeiten in anderen europäischen Ländern verbindet. Dem Kongress lag auch der Bericht eines aus führenden europäischen Persönlichkeiten bestehenden "Rates der Weisen" vor, an dem auch unser Mitglied Erwin Teufel mitgewirkt hatte. Die Bedeutung des Kongresses in Rom wurde durch die Tatsache unterstrichen, dass der Heilige Vater die Teilnehmer empfing und bei dieser Gelegenheit in einer eindrucksvollen Erklärung unterstrich, dass Europa vor allem "eine geschichtliche, kulturelle und moralische Identität" darstellt, "zu deren Formung das Christentum beigetragen hat; somit hat es nicht nur eine historische, sondern eine gründende Rolle gegenüber Europa übernommen".
Wir sind allen deutschen Politikern dankbar, die diese Erklärung würdigten. Aber wir haben auch jene nicht überhört, welche in Europa Religion in den privaten Raum verbannen wollen. Das zeigt uns aktuell eine Auseinandersetzung im Europäischen Parlament. Dessen Präsident, Prof. Hans-Gert Pöttering, hatte seine Teilnahme am Kongress dazu genutzt, den Papst zu einer Rede ins Europäische Parlament einzuladen. Dagegen hat eine Gruppe europäischer Abgeordneter protestiert, weil dies der strikten Trennung von Kirche und Staat widerspräche, die zu den Prinzipien der Europäischen Union gehöre. Es ist dies einer der vielen Versuche, das sich integrierende Europa der ideologischen Doktrin des Laizismus zu unterwerfen.
Auch wir sind für die wechselseitige Unabhängigkeit von Kirche und Staat, aber wir sind gegen eine radikale Trennung, weil es Staat und Kirche um die gleichen Menschen geht. Auch für uns gehört die Religions- und Gewissensfreiheit zum Kern der Menschenrechte. Aber die Religionsfreiheit wird halbiert, wenn man sie auf den privaten Raum des Individuums beschränkt. Daher halten wir es für unlogisch, wenn bei einer Umfrage in den Niederlanden zwar 75 % der Befragten die Kirche als "moralischer Anker" wichtig ist, aber nicht viel weniger dagegen sind, dass die Kirchen öffentlich zu Themen wie Abtreibung, Ehescheidung oder Sterbehilfe Stellung nehmen. Religion ist und bleibt Teil des gesellschaftlichen Lebens. Darum müssen die Kirchen am öffentlichen Diskurs teilnehmen. Daher ist ein Ausdruck dieser Wirklichkeit, wenn Papst Benedikt XVI. eingeladen wird, vor dem Europäischen Parlament zu sprechen. Die Feiern zum 2. Jahrestag seines Pontifikats und seines 80. Geburtstages haben erneut die hohe Wertschätzung gezeigt, die ihm weltweit entgegengebracht wird. Wir ermutigen Präsident Pöttering nachdrücklich, an seiner Einladung festzuhalten. Wir wollen kein laizistisches Europa. Und ein christentumsfreies Europa gibt es nicht und wird es nicht geben.
Familienpolitik
In den letzten Wochen erlebten wir in Deutschland eine heftige Debatte zur Familienpolitik. Sie entzündete sich wieder einmal an der Frage, ob Angebote zur Kinderbetreuung und zur ergänzenden Kindererziehung die Wahlfreiheit der Eltern beeinträchtigen oder gar aufheben. Tatsächlich sind solche Angebote notwendige Voraussetzungen einer wirklichen Wahlfreiheit. Wenn heutzutage so gut wie alle jungen Frauen über eine Berufsausbildung verfügen, ist es eine selbstverständliche Konsequenz, dass eine größere Zahl von ihnen sich dafür entscheidet, zugleich Mutter und berufstätig zu sein und in beidem ihre persönliche Erfüllung zu suchen. In unserer Zeit raschen wissenschaftlichen und technologischen Wandels kann dies auch bedeuten, dass eine längere Unterbrechung der Berufsarbeit für ein solches Lebensziel ungünstig, ja, schädlich ist. Das gilt nicht nur für akademische Berufe. In jedem Falle verlangt die Berufstätigkeit einer Mutter, dass der Vater und Ehepartner seine Mitverantwortung für die Kindererziehung akzeptiert, so dass es nicht auf eine Doppelbelastung für die Frau hinausläuft.
Wie sich Mütter und Eltern in Bezug auf ihre berufliche Tätigkeit entscheiden, ist allein ihre Angelegenheit. Daher bedarf es dafür auch keiner besonderen Begründung, etwa durch das Argument, die berufliche Arbeit der Frau sei für die Familie finanziell unabdingbar. Ich sage dies mit solchem Nachdruck, weil solche Begründungen faktisch immer wieder eingefordert werden, so auch in der letzten Debatte. Einer der Grundwerte dieser Gesellschaft ist die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Eine wesentliche Dimension dieser Gleichberechtigung ist es heute für viele Frauen, Anteil an der Berufswelt zu haben. Also muss sich die Gesellschaft und müssen sich in ihr die Männer auf diese Konsequenz der Gleichberechtigung einstellen. Die demographische Krise dieser Gesellschaft ist nach meiner Überzeugung ganz wesentlich ein Resultat der jahrzehntelangen Verweigerung dieser Realität.
Zugleich gehört es zur Freiheit des Menschen, nach seinen Idealen zu leben. Und es gehört zur Freiheitlichkeit dieser Gesellschaft, das nicht nur zu akzeptieren, sondern auch faktisch zu ermöglichen. Sich zeitweise ganz der Erziehung seiner Kinder zu widmen, ist eines der Ideale, die von allen Respekt und Unterstützung verdienen. Das will ich hier ausdrücklich betonen. Meist werden es Frauen sein, die eine solche Entscheidung treffen. Aber auch Männer, die sich so entscheiden, haben Anspruch auf Respekt und Unterstützung. Wahlfreiheit heißt, dass die strukturellen und mentalen Bedingungen in einer Gesellschaft tatsächlich ermöglichen, sich für unterschiedliche Lebensideale zu entscheiden und diese zu praktizieren. In weiten Teilen der Bundesrepublik gibt es solche Bedingungen für berufstätige Mütter bis heute nicht. Solche Bedingungen zu schaffen ist überfällig und daher jetzt die Hauptaufgabe. Zugleich müssen wir aber darauf achten, dass für jene Mütter und Väter die Wahlfreiheit erhalten bleibt und verbessert wird, die sich zeitweise ganz der Erziehung ihrer Kinder widmen wollen. Ganz unabhängig davon, welches Familienmodell praktiziert wird, gibt es ganz generell noch viel zu tun für die Förderung der Familien in Deutschland. Denn sie sind die Grundlage der Gesellschaft. Und Kinder sind die Zukunft unseres Landes.
Deshalb begrüßen wir nachdrücklich den ausgewogenen und verantwortungsvollen Beschluss der letzten Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz zur Familienpolitik. Dieser Beschluss hat umso größeres Gewicht, als die katholische Kirche schon bisher einen bedeutenden Beitrag zum Angebot von Kinderbetreuung und Kindererziehung leistet. Bekanntlich ist dem Beschluss eine lebhafte Debatte vorausgegangen. Das halte ich für kein Unglück. Das ZdK scheut bekanntlich seinerseits auch keine Konflikte und Kontroversen. Und dabei können zugespitzte Formulierungen das Salz in der Suppe sein. Gleichwohl gilt für jedermann die Regel, dass eine verletzende Wortwahl keiner Sache bekommt, und sei sie die Beste der Welt.
Gelegentlich waren in der Debatte auch Verweise auf die DDR zu hören. Mir schienen sie abwegig. Denn die DDR war eine politisch-ideologische Diktatur und die Bundesrepublik ist eine freiheitliche Demokratie. Außerdem gibt es bei uns die Pluralität der Träger, die jedes Erziehungsmonopol ausschließt. Mir waren die Verweise auf die DDR jedoch ein Grund, einmal nachzulesen, was die etwa zeitgleich zur Würzburger Synode in Dresden tagende Pastoralsynode der Jurisdiktionsbezirke in der DDR zu den Themen Gleichberechtigung und Familienleben zu sagen wusste. So verweist der Synodenbeschluss "Vorbereitung auf die Ehe" einerseits auf den Glaubensgrund christlicher Ehe, andererseits aber auch auf die "sozialen und kulturellen Gegebenheiten", die – sicher für den einen oder anderen überraschend – unaufgeregt wie folgt beschrieben werden:
"Die in der gesellschaftlichen Wirklichkeit der DDR geltende Gleichberechtigung von Mann und Frau, der allgemein hohe Lebensstandard und die sozialen und wirtschaftlichen Strukturen beeinflussen die Weise der Partnerwahl, der Eheführung und des Ehelebens."
Dem fügt die Synode erläuternd hinzu:
"Die rechtliche und berufliche Gleichstellung von Mann und Frau bildet eine wichtige Voraussetzung für personale Partnerschaft, stellt aber bei Berufstätigkeit beider Ehepartner höhere Anforderungen an die rechte Gestaltung des ehelichen Lebens, an die gemeinsame Bewältigung häuslicher Pflichten und an die verantwortliche Führung des Familienlebens."
Das scheint mir eine nüchterne Ermutigung. Und in Bezug auf die Ehevorbereitung sagt die Synode nach einer Erwähnung der staatlichen Aktivitäten auf diesem Gebiet:
"Die Kirche selbst weiß sich verpflichtet, auf der Grundlage ihrer Glaubens- und Sittenlehre die jungen Katholiken auf Ehe und Familie vorzubereiten, damit sie gegenüber anderen Einstellungen der Umwelt zu einem katholischen Verständnis der Ehe finden und ihr Leben in christlicher Verantwortung gestalten. Der Verweis auf historisch bedingte Leitbilder der Eheführung, die sich nicht notwendig aus der kirchlichen Lehre ergeben, reicht nicht aus. Vielmehr ist ein Dialog zwischen den Generationen erforderlich im gemeinsamen Suchen nach den Möglichkeiten, wie Ehe und Familie aus christlichem Glauben in dieser Zeit gelebt werden können."
Mir scheint, heute könnte auch unter ganz anderen gesellschaftlichen Bedingungen ein Dialog zwischen Anhängern unterschiedlicher Familienideale mehr zur katholischen Weite beitragen als jede Art von wechselseitiger Verhärtung und Verletzung. Das wäre ein Dienst, den wir Katholiken auch der ganzen Gesellschaft erwiesen. Beim Kampf um das allein richtige Familienmodell würden letztlich alle Familien verlieren. Auf die Frage, wie Familie gelingen kann, gibt es eben mehr als eine Antwort.
Vorfahrt Bildung: Perspektiven für benachteiligte Jugendliche
Die Zukunft unserer Gesellschaft wird entscheidend davon abhängen, inwieweit es gelingt, jungen Menschen zu ermöglichen, ihre Fähigkeiten selber zu entwickeln und ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft zu bestreiten. Voraussetzung dafür ist, die Benachteiligung von Jugendlichen entschlossen zu überwinden. Zurzeit wächst die Zahl derjenigen, die aufgrund von Lernbehinderungen und nicht ausreichender Qualifikation kaum eine Chance am Arbeitsmarkt haben. Das zeigt uns: Bildung ist die neue soziale Frage unserer Zeit. Die große Herausforderung der kommenden Jahre besteht darin, schlüssige und tragfähige Konzepte zu entwickeln, um die von Ausbildungsmangel und Arbeitslosigkeit betroffenen Jugendlichen in ihren persönlichen Kompetenzen zu stärken, ihre Eigenständigkeit zu fördern und individuelle Benachteiligungen durch angemessene Förderung auszugleichen. In der Vollversammlung vor dem Katholikentag in Saarbrücken haben wir dazu die Erklärung verabschiedet "Benachteiligte Jugendliche gerecht beteiligen! Antwort auf eine neue soziale Frage". Unsere Vorstellungen von einer vorsorgenden Bildungssozialpolitik haben wir in unsere Gespräche mit den Spitzen von CDU und SPD eingebracht. Sie werden auch beim für Juni geplanten Parlamentarischen Abend des ZdK in Berlin im Mittelpunkt der Gespräche stehen.
Parteiengespräche
Christliche Wertüberzeugungen vermitteln sich in politische Entscheidungen durch konkrete Personen und in Bezug auf konkrete Sachfragen. Deshalb liegt uns als ZdK sehr viel am Gedankenaustausch mit verantwortlichen Akteuren in den politischen Parteien. Eine Möglichkeit dazu waren zu Beginn des Jahres die Begegnungen mit den Präsidien der CDU und der SPD sowie mit der Führung der SPD-Bundestagsfraktion. Im Mittelpunkt der Gespräche standen die Arbeit an den neuen Parteiprogrammen, sozial- und bildungspolitische Fragen und Themen der Entwicklungszusammenarbeit. Dabei betonten wir vor allem, dass der dringend notwendige Ausbau der Kinderbetreuung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und nicht zu Lasten bestehender ehe- und familienpolitischer Leistungen finanziert werden darf. Beim Lebensschutz konzentrierten sich die Gespräche auf die rechtliche Regelung der Patientenverfügung, die Vermeidung sogenannter Spätabtreibungen sowie auf Konflikte in der europäischen Forschungsförderung. Nach unserer Überzeugung ist der Verbrauch menschlicher Embryonen für Forschungszwecke nicht hinnehmbar; daher lehnen wir eine Änderung der deutschen Stammzellgesetzgebung ab und fordern, die Forschung mit ethisch unbedenklichen adulten Stammzellen verstärkt zu unterstützen.
Wir werden die kritisch-konstruktive Begleitung der Großen Koalition fortsetzen, weil deren vorzeitiges Scheitern die Demokratie schwächen und die politischen Extremisten stärken würde. Die begonnenen Reformschritte müssen mit Nachdruck weiter verfolgt werden. Wir freuen uns über die sichtbare Verbesserung der wirtschaftlichen Lage und die steigende Zahl sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze. Aber verstärkte Anstrengungen sind erforderlich, um Beteiligungsgerechtigkeit auch für Geringqualifizierte zu erreichen. Gleichwohl dürfen die höheren Steuereinnahmen nicht dazu verleiten, das vorrangige Ziel des Schuldenabbaus zu vernachlässigen, denn das wäre gegen die Interessen der nachkommenden Generationen. Stattdessen müssen bei der zweiten Stufe der Föderalismusreform Wege gefunden werden, um auf allen öffentlichen Ebenen weitere Schuldenaufnahmen möglichst zu unterbinden.
Kirchliche Projekte und Ereignisse
Seit längerem verfolgen wir die Idee, die derzeitigen Reformprozesse in den deutschen Bistümern durch ein Pastorales Zukunftsgespräch als ein gemeinsames Projekt von Bischöfen und Laien zu unterstützen. Dabei geht es uns um einen thematisch und zeitlich klar begrenzten Vorgang, der durch Erfahrungs- und Gedankenaustausch die übereinstimmende pastorale Perspektive in den sich naturgemäß unterscheidenden Planungen der verschiedenen Bistümer verdeutlicht. Das gemeinsame Ziel muss ja darin bestehen, aus den sich verändernden Bedingungen und unbestreitbaren Schwierigkeiten neue und weiterführende Impulse zu gewinnen, welche den Anzeichen neuer religiöser und kirchlicher Vitalität gerecht werden. Bei der letzten Sitzung der Gemeinsamen Konferenz war eine Arbeitsgruppe gebildet worden, die aus Bischof Wanke als dem Vorsitzenden der Pastoralkommission der DBK und P. Dr. Langendörfer als Sekretär der DBK sowie aus unserem Vizepräsidenten Heinz-Wilhelm Brockmann und unserem Generalsekretär Dr. Stefan Vesper besteht. Deren Vorüberlegungen sowie Ergebnisse eines vorbereitenden Gesprächs mit dem Vorsitzenden der DBK, Kardinal Lehmann, werden jetzt zu einer Vorlage verarbeitet, die bei der nächsten Sitzung der Gemeinsamen Konferenz am 1. Juni in einer ersten Lesung beraten werden soll. Wir hoffen, dass es im Zusammenwirken von Bischöfen und Laien gelingt, möglichst viele vom Nutzen und von der Sinnhaftigkeit dieses partnerschaftlichen Projekts zu überzeugen und dafür ein überzeugendes Konzept zu erarbeiten. Allen Beteiligten ist dabei klar: Wir werden nur erfolgreich sein, wenn bei einem solchen Pastoralen Zukunftsgespräch in den praktischen Herausforderungen die spirituelle Chance deutlich wird.
Wir gratulieren missio, dem Internationalen Katholischen Missionswerk in Aachen, zu seinem 175. Jubiläum. Missio ist hervorgegangen aus einer 1832 von dem Aachener Arzt, Politiker und Sozialreformer Heinrich Hahn gegründeten Laien- und Bürgerinitiative. Ihr Ziel war, Katholikinnen und Katholiken in Deutschland zu einer weltweiten Missionsbewegung zusammenzuführen, die durch Gebet und Gabe getragen wird. Bis heute hält missio die Verantwortung für Mission als Globalisierung der guten Nachricht in der deutschen Ortskirche lebendig und erinnert daran: Der Glaube des einen lebt vom Glauben des anderen. Wir freuen uns über dieses Jubiläum und werden seiner bei der Herbst-Vollversammlung im Gottesdienst besonders gedenken.
Bei Künstlerinnen und Künstlern gibt es ein neues Interesse an religiösen Fragen und an den Antworten aus christlicher Tradition. Freilich tritt das große kulturelle Engagement der Kirche, das von vielen Laien mitgetragen und verwirklicht wird, nur langsam in das öffentliche Bewusstsein. Diese Aufgabe innerkirchlich wie öffentlich stärker zu profilieren, ist ein Ziel des kulturpolitischen Engagements des ZdK. Hierzu diente das Künstlertreffen im Haus der Stille der Benediktinerabtei Königsmünster in Meschede, das unter der Leitung von Prof. Sternberg, unserem Sprecher für kulturpolitische Grundfragen, im vergangenen Sommer 20 Künstlerinnen und Künstlern ein Forum bot. Hieran wollen wir anknüpfen und haben deshalb für September 2007 erneut zu einem Künstlertreffen eingeladen. Dazu hatte uns das positive Echo auf das vorjährige Treffen ermutigt.
In etwas mehr als einem Jahr, in der Zeit vom 21. bis 25. Mai 2008, werden wir uns zum 97. Deutschen Katholikentag in Osnabrück versammeln. Er wird unter dem Leitwort "Du führst uns hinaus ins Weite" stehen, und wir wollen uns in diesen Tagen unserer Verantwortung für die Zukunft unserer Kirche und unserer Gesellschaft neu und ausdrücklich stellen. Insbesondere wollen wir dieses Ereignis so gestalten, dass es für junge Menschen interessant und anziehend wird.
Die Vorbereitungen auf dieses Ereignis sind nun auf einem sehr guten Weg. Es ist beeindruckend, immer wieder zu erleben, mit welchem Engagement man sich in diesem – gemessen an der Zahl der Katholiken – kleinen Bistum in diesen Prozess einbringt. Dies gilt gleichermaßen für die Bistumsleitung – und an erster Stelle möchte ich hier noch einmal Bischof Dr. Franz-Josef Bode und seinem Generalvikar Theo Paul danken – wie für zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des bischöflichen Seelsorgeamtes und für die vielen, die sich haupt- und ehrenamtlich vor Ort und in der Region engagieren. Wo immer unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hinkommen, erfahren sie große Aufgeschlossenheit und eine hohe Bereitschaft mit anzupacken, um den nächsten Katholikentag zu einem wirklich besonderen Ereignis werden zu lassen.
Ich selbst bin dankbar und erleichtert darüber, dass wir konstruktiv und beherzt Lehren aus mancher Erfahrung beim zurückliegenden Katholikentag gezogen haben. Damit meine ich zuvorderst Ihre Bereitschaft, sich bei der Gestaltung des Programms in den beiden Themenbereichen durch Kooperation mit anderen, aber auch durch den einen oder anderen Verzicht, an einer Verdichtung des Programms zu beteiligen. Es war für uns alle ein Wagnis, denn wir haben hier wirklich Neuland betreten. Heute können wir feststellen, dass, abgesehen von wenigen Ausnahmen, dieses Experiment gelungen ist. Sofern sich an dieser Feststellung in den kommenden Monaten nichts ändert, haben wir damit gemeinsam eine für den Katholikentag überfällige Reform durchgeführt.
Natürlich gäbe es viele andere Dinge aus dem derzeitigen Vorbereitungsprozess zu berichten. Sie werden verstehen, dass ich aus zeitlichen Gründen auch dieses wichtige Thema nur anreißen kann. Als Ihre Gesprächspartner für Fragen rund um den Katholikentag stehen Ihnen wie üblich während dieser beiden Tage die im Generalsekretariat des Zentralkomitees zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerne zur Verfügung. Ich freue mich, unter uns außerdem einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus unserer Osnabrücker Geschäftsstelle begrüßen zu können, die ebenfalls Auskunft geben können. Es sind dies neben dem Leiter der Geschäftsstelle, Dr. Martin Stauch, Christina Hartmann, Anke Leusch und Clemens Göbel.
Einen wichtigen Aspekt möchte ich dennoch an dieser Stelle noch erwähnen: Ich sprach schon von den Konsequenzen, die der Klimawandel für uns alle hat. Zwar haben wir uns auf den Katholikentagen der letzten Jahre immer wieder mit dem Thema Bewahrung der Schöpfung auseinandergesetzt. Der Katholikentag 2008 geht jedoch dieses Mal auch praktisch noch einen großen Schritt weiter. Die leitenden Gremien haben beschlossen, ihn klima-neutral zu gestalten. Dies bedeutet, dass die im Zusammenhang mit einer solchen Großveranstaltung entstehenden klimaschädlichen Emissionen so weit wie möglich reduziert werden. Der unvermeidlich entstehende Rest an CO2-Ausstoß wird durch Investitionen in Projekte zur Förderung erneuerbarer Energien kompensiert werden.
Wiederbestellung des Generalsekretärs
An den Schluss dieses Berichts möchte ich eine Personalmitteilung stellen: Nach § 14, Absatz 1 unseres Statuts wird der Generalsekretär bzw. die Generalsekretärin auf Vorschlag des Präsidenten mit Zustimmung der Deutschen Bischofskonferenz für acht Jahre bestellt. Einige von Ihnen werden sich dessen entsinnen, dass es im September dieses Jahres acht Jahre her sein wird, dass der Hauptausschuss meinem Vorschlag folgte und Dr. Stefan Vesper zum Generalsekretär gewählt hat. Eine Wiederbestellung oder eine Neuwahl lagen also an. Nach einem Gespräch mit den Vizepräsidentinnen und Vizepräsidenten habe ich dem Hauptausschuss Dr. Stefan Vesper zur Wiederwahl vorgeschlagen. Er hat sein Amt in den vergangenen acht Jahren mit großem persönlichen Einsatz, im angemessenen Verhältnis von Kontinuität und Innovation und mit strategischer Umsicht erfolgreich geführt. Insbesondere bei den Katholikentagen von Hamburg 2000, Ulm 2004 und Saarbrücken 2006 sowie beim 1. Ökumenischen Kirchentag Berlin 2003 und bei der Vorbereitung des 2. Ökumenischen Kirchentages München 2010 hat er mehr als eine Meisterprüfung bestanden. Nicht zuletzt hat er das ZdK und seine Anliegen bei vielfältigen Ereignissen und Anlässen in der Öffentlichkeit wirkungsvoll vertreten. Daher bin ich sehr froh, dass der Hauptausschuss auf seiner Sitzung im März meinem Vorschlag mit großer Mehrheit gefolgt ist. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, mit dem ich mich vorher abgestimmt hatte, war so freundlich, die Sitzung des Ständigen Rates bei dessen Israelreise dazu zu nutzen, die Zustimmung der Bischöfe einzuholen. So kann ich Ihnen rechtzeitig vor dem Ablauf der ersten Amtszeit mitteilen, dass Dr. Stefan Vesper im September seine zweite achtjährige Amtsperiode in dieser
überaus wichtigen Aufgabe beginnt. Darüber bin ich sehr froh, und ich bitte Sie, unserem Generalsekretär weiterhin Ihr Vertrauen zu schenken und ihn in seiner wichtigen Arbeit zu unterstützen. Zu dieser Arbeit wünsche ich Ihnen, lieber Stefan Vesper, von ganzem Herzen Gesundheit und Gottes Segen.
Prof. Dr. Hans Joachim Meyer, Präsident des ZdK