Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 05/2009
Rede von Prof. Dr. Hans Joachim Meyer im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.
Bei unserer letzten Vollversammlung im November vorigen Jahres standen wir unter dem Eindruck einer beginnenden und sich rasch ausbreitenden Krise des internationalen Finanzsystems. Deren negative Auswirkungen auf die Realwirtschaft waren bereits unübersehbar. Und in der öffentlichen Debatte brach eine Götterdämmerung herein, durch die vieles von dem in Frage gestellt wurde, was fast zwei Jahrzehnte lang als richtig galt. Dass sich nämlich alles den beiden großen Veränderungsprozessen der Globalisierung und der Individualisierung unterzuordnen hätte. Und dass der den Wandel vorantreibende Wettbewerb möglichst unbeschränkt sein müsse, weil dies gut sei für den Fortschritt. An dem sich daraus ergebenen Wohlstand hätten schließlich – irgendwann – alle mehr oder weniger Anteil. Inzwischen sind diese Behauptungen fragwürdig geworden. Jetzt wird wieder über die Bedeutung des Gemeinwohls gesprochen und über die gesellschaftliche und mitmenschliche Verantwortung, die mit der Freiheit des Einzelnen stets verbunden sein muss. Jetzt erwartet man wieder von der Politik den Mut zu entscheiden und zu handeln. Sie muss jetzt jene Rahmenbedingungen schaffen, deren der Wettbewerb bedarf, um wirklich dem Wohl der Menschen zu dienen.
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken kann für sich in Anspruch nehmen, an den dafür notwendigen geistigen Vorbedingungen mitgewirkt zu haben, als dies vielen überhaupt nicht zeitgemäß erschien – und zwar durch solide und durchdachte Überlegungen. Ich erinnere an unsere Erklärungen zur Gerechtigkeit auf den internationalen Finanzmärkten, zum ethischen Investieren, zum europäischen Sozialstaatsmodell, zum Zusammenhang von Sozialpolitik und Bildungspolitik und nicht zuletzt zur Familienpolitik in einer Gesellschaft der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Und ich erinnere an unsere jahrelange Arbeit an einem Netzwerk europäischer Katholiken für ein freiheitliches und gerechtes Europa.
Auf dieser Grundlage konnten wir in die aktuelle Debatte eingreifen. Unser Arbeitskreis für Gesellschaftliche Grundfragen unter Hermann Kues veröffentlichte einen Zwischenruf für eine Marktwirtschaft nicht ohne Ethik und nicht ohne Regeln. Auf einem gut besuchten Par-lamentarischen Abend in Berlin stellte Peter Weiß unsere Position zum ethischen Investieren vor. In Brüssel präsentierte ich zusammen mit Jérôme Vignon, dem Präsidenten unserer Partnerorganisation Semaines Sociales de France, die Erklärung unserer europaweiten Initiative "Christen für Europa" zu den Europawahlen. Im Gesprächspodium waren das Europäische Parlament durch prominente Abgeordnete der drei großen Fraktionen und die Europäische Kommission durch ihren Vizepräsidenten Jacques Barrot vertreten. Nicht zuletzt engagieren wir uns ständig in der bioethischen Debatte, so zur Problematik der sogenannten Spätabtreibungen und der Patientenverfügung. Hier danke ich insbesondere Prof. Andreas Lob-Hüde-pohl für seinen kompetenten Einsatz.
In den nächsten Wochen steht endlich ein Antrag zur Vermeidung von Spätabbrüchen zur Abstimmung, der geeignet ist, den fortwährenden Skandal der Schwangerschaftsabbrüche bei zu erwartender Krankheit oder Behinderung des Kindes bis unmittelbar vor der Geburt ein-zudämmen. Wir danken ausdrücklich den Abgeordneten, insbesondere Johannes Singhammer und Kerstin Griese, die diesen Antrag in schwierigsten Verhandlungen zustande gebracht haben. Wir appellieren an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die sich jetzt bietende Chance nicht ungenutzt verstreichen zu lassen und dem Antrag zuzustimmen.
Auch diese Vollversammlung wird sich mit zwei wichtigen politischen Texten befassen – der Erklärung "Ohne Wahlen keine Demokratie" zu den bevorstehenden Bundestagswahlen und der Erklärung zur Europäischen Identität. Hierfür danke ich insbesondere Karin Kortmann und unserem Berater Prof. Karl-Rudolf Korte sowie Prof. Hans Maier und Hubert Tintelott. Eine besondere Freude ist für uns, dass der Präsident des Deutschen Bundestages, Prof. Nor-bert Lammert, vor der Vollversammlung des ZdK sprechen wird.
Das ZdK braucht seine politischen Leistungen nicht unter den Scheffel zu stellen. Es ist nicht der politische Arm, der die Entscheidungen anderer umsetzt. Sondern es ist ein dialogisches Forum von Katholiken im Engagement für Kirche und Gesellschaft, das in seiner Repräsenta-tivität und demokratischen Legitimation von keinem anderen katholischen Gremium in Deutschland übertroffen wird. Unsere Positionen erarbeiten wir uns aus eigener Einsicht und Erkenntnis und in eigener Verantwortung. Was wir sagen, mag nicht immer der Auffassung jedes Katholiken im Lande entsprechen, auch nicht jedes Bischofs, denn es gibt bekanntlich, wie die Konzilskonstitution "Gaudium et Spes" dargelegt hat, eine legitime katholische Pluralität. Aber von der Qualität unserer Debatten könnten sich manche eine Scheibe abschneiden. Und was die politische Bedeutung des ZdK anbetrifft, so erfahren wir seit vielen Jahren eine zunehmende Achtung unserer Arbeit in der deutschen Öffentlichkeit und ein zunehmendes Interesse aus Politik und Gesellschaft, mit uns zu sprechen.
In diesem und im kommenden Jahr gedenken wir in Deutschland der revolutionären Wende im östlichen Teil Deutschlands und Europas vor zwanzig Jahren und des dadurch möglich gewordenen Weges zur deutschen und zur europäischen Einheit. Daran haben die deutschen Katholiken in Ost und West einen namhaften Anteil. Ein bewegendes Ereignis war der Katholikentag 1990 in Berlin – der erste gesamtdeutsche Katholikentag nach dreißig Jahren Trennung. Ich hoffe, wir werden in diesem und im kommenden Jahr das Unsere tun, um die deutsche Öffentlichkeit an den katholischen Beitrag zur Wende und zur Einheit zu erinnern. Auf eine herausragende Leistung will ich schon jetzt verweisen. Es ist die Gründung von Re-novabis, der bedeutsamen Aktion für die Katholiken im östlichen Teil Europas. Es war Fried-rich Kronenberg, der damalige Generalsekretär des ZdK, von dem der Impuls dazu ausging. Und ohne das nachdrückliche Engagement des ZdK wäre diese Gründung Anfang der neunzi-ger Jahre wohl nicht zustande gekommen. Renovabis ist eine große Hilfe zu einem neuen katholischen Leben in Mittel- und Südosteuropa.
Eine schmerzliche Erfahrung für uns Katholiken waren in den vergangenen Monaten die Aus-einandersetzung um die Pius-Brüder und deren Beziehung zu unserer Kirche. Selbstverständ-lich gehört die Wahrung oder die Wiederherstellung der kirchlichen Einheit zu den wichtigs-ten Aufgaben des Petrusamtes. Leider war und ist jedoch unübersehbar, dass die Pius-Bruder-schaft ihre Ablehnung des II. Vatikanischen Konzils der gesamten Kirche aufzwingen will. Der Antisemitismus von Richard Williamson war ja nur der Lichtkegel, der die politisch und kulturell zutiefst reaktionären Auffassungen dieser Gruppierung ins öffentliche Licht ge-rückt hat. Diese erklären auch ihr borniertes Festhalten an theologischen und kirchlichen Positionen des 19. Jahrhunderts, die das II. Vatikanische Konzil überwunden hat. Wer heute die frohe und freimachende Botschaft Jesu Christi glaubhaft leben und verkünden will, der muss sich auf die geistige und politische Freiheit unserer Zeit einlassen. Sie ist Chance und Herausforderung für den christlichen Glauben. Allerdings ersetzt die Akzeptanz der Freiheit nicht das Bekenntnis zum Glauben. Überzeugend wird der Glaube – wie zu allen Zeiten – allein durch unser persönliches Zeugnis.
Was viele Katholiken in diesen Monaten bewegte, war die Sorge, dass die ermutigende Vision des Konzils beeinträchtigt werden könnte. Nicht wenige fragten sich, wie und warum es zur Aufhebung der Exkommunikation der vier traditionalistischen Bischöfe gekommen war. Manche werden sich der Warnungen unseres langjährigen Präsidenten Hans Maier erinnert haben, dass die Führungs- und Kommunikationsstrukturen der römischen Kurie nicht auf der Höhe der Zeit sind. Schockiert waren nicht zuletzt viele aber auch über die Heftigkeit antikirchlicher Attacken, die weit über eine Kritik am konkreten Vorgang hinausgingen. Deshalb haben ich und andere Repräsentanten des ZdK einerseits die Art des Umgangs mit den Traditionalisten kritisiert und mögliche Motive dieser Entscheidung hinterfragt; zugleich haben wir den Heiligen Vater entschieden gegen den ungerechtfertigten und verletzenden Vorwurf des Antisemitismus verteidigt.
Auch schmerzliche Erfahrungen können positive Ergebnisse haben. Der unbestreitbare Ge-winn dieser Auseinandersetzungen ist das überwältigende Bekenntnis der deutschen Katholi-ken zum II. Vatikanischen Konzil. In der Zeit davor konnte man auch ganz andere Meinungen hören und lesen. Besonders dankbar bin ich für den klaren Beschluss der Deutschen Bi-schofskonferenz bei ihrer Tagung in Hamburg und für die offenen und hilfreichen Erklärungen ihres Vorsitzenden, Erzbischof Robert Zollitsch. Das war für die innere Stimmung der Katholischen Kirche in Deutschland von großer Bedeutung. In der Bejahung des Konzils zeigt sich unter den deutschen Katholiken wieder ein hohes Maß an Einmütigkeit. Ganz ausdrücklich danke ich auch unserem Geistlichen Assistenten, Bischof Gebhard Fürst, für seine mutigen und unmissverständlichen Worte in dieser Sache.
Zu einer Kontroverse hat leider die Erklärung unseres Gesprächskreises Juden und Christen "Nein zur Judenmission – Ja zum Dialog zwischen Juden und Christen" geführt. Bekanntlich hat dieser seit fast vierzig Jahren bestehende Gesprächskreis wichtige Beiträge zu einem neu-en Verhältnis zwischen Juden und Christen geleistet. Im Dialog zwischen den jüdischen und den christlichen Mitgliedern dieses Gesprächskreises werden gemeinsame Erklärungen erar-beitet, über deren Veröffentlichung, nicht aber über deren Inhalt das Präsidium des ZdK ent-scheidet. Da ich keine maßgebliche Persönlichkeit der Katholischen Kirche kenne, welche dem Nein zu einer Judenmission und dem Ja zum jüdisch-christlichen Dialog widerspricht, sah ich keinen Grund, dieser Veröffentlichung nicht zuzustimmen. Das kann keine Zustimmung zu bestimmten theologischen Argumenten bedeuten, über deren Richtigkeit das ZdK in der Tat nicht zu befinden hat. Der Text erhebt auch keineswegs den Anspruch auf kirchliche Verbindlichkeit. Zugleich sollte klar sein, dass die Erörterung theologischer Themen nicht dem kirchlichen Amt vorbehalten ist. Wenn nun der Vorsitzende der Bischofskonferenz und der Vorsitzende der Ökumene-Kommission der DBK diesem Text widersprechen, so kann ich nur hoffen, dass es zu einem angemessenen theologischen Disput kommt, durch den nicht aus dem Blick gerät, was, wenn ich recht sehe, überhaupt nicht strittig ist, nämlich die Ablehnung einer kirchlich organisierten Judenmission.
Ende April gab es ein Ereignis, das nachdrücklich zeigte, wie wertvoll und wichtig der öffentliche Einsatz christlicher Laien ist. Ich meine den Berliner Volksentscheid für einen Wahlpflichtbereich Ethik / Religion. Das von der Bürgerinitiative "Pro Reli" vorgeschlagene Gesetz bietet eine zeitgemäße Regelung für Menschen unterschiedlicher Religion und für nichtreligiöse Menschen. Achtung der Pluralität ist in einer freiheitlichen Gesellschaft der beste Weg zu einem toleranten Zusammenleben. Dagegen setzt das Modell eines für alle verpflichtenden Ethikunterrichts auf eine staatlich vorgegebene Wertesicht und begründet den Verdacht, hier solle Religion in den privaten Bereich abgedrängt werden. Der Konflikt zwischen diesen beiden Optionen ist also von grundsätzlicher Bedeutung für unser ganzes Land. Daher muss diese Debatte auch weitergeführt werden, obwohl die Entscheidung am 26. April gegen "Pro Reli" gefallen ist. Sehr dankbar bin ich daher unserem Mitglied Winfried Kretschmann, dem Vorsitzenden der Grünen-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, für seine klare und überzeugende Antwort auf die Frage in der Berliner Zeitung "Der Tagesspiegel" vom 3. Mai: "Kann sich die Kirche im säkularen Staat behaupten?" Wir stellen diesen Text allen zur Verfügung.
Bewusst stelle ich an den Schluss meines Berichts den Gemeinsamen Studientag "Seid Zeugen der Hoffnung" des Ständigen Rates der Deutschen Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken am 26. und 27. April in Würzburg. Sein vereinbartes Ziel war es, "sich in der Perspektive der gemeinsamen Hoffnung aus dem Glauben über die Einsichten auszutauschen", zu denen Bischofskonferenz und ZdK jeweils bei ihren Beratungen zur Zukunftsgestaltung gefunden hatten, und "mögliche gemeinsame Perspektiven zu beraten". Über den Sinn und die Form einer solchen Begegnung war lange und intensiv gerungen worden. Umso wichtiger ist, dass sie jetzt zustande kam und zu vertrauensvollen und fruchtbaren Gesprächen führte. An der Vorbereitung und Durchführung dieser Zusammenkunft und an ihrem Erfolg waren viele beteiligt. Bei der Bischofskonferenz denke ich vor allem Kardinal Karl Lehmann, Erzbischof Robert Zollitsch, Bischof Gebhard Fürst, Bischof Franz-Josef Bode und Pater Langendörfer. Auf Seiten des ZdK nenne ich mit herzlichem Dank insbesondere Vizepräsident Heinz-Wilhelm Brockmann und Generalsekretär Stefan Vesper. Selbstverständlich sind wir uns der Unterschiede im Status, in den Aufgaben und in der Verantwortung der Bischofskonferenz und des ZdK bewusst. Angesichts der gemeinsamen Herausforderungen sollte die Begegnung in Würzburg trotz der unmittelbar darauf folgenden Enttäuschung der erste Schritt sein auf dem Weg eines intensiven gemeinsamen Nachdenkens und einer engeren Zusammenarbeit. Denn, wie es in der Zielstellung des Studientages heißt: "Uns allen liegt am Herzen, wie die katholische Kirche in Deutschland sich in den nächsten fünfzehn Jahren entwickeln soll."
Prof. Dr. Hans Joachim Meyer Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken