Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 11/2011

Rede von Alois Glück im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.



Vollversammlung, 18./19.November 2011                                                                                                            
TOP 1.
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UNKORRIGIERTES
REDEMANUSKRIPT
Es gilt das gesprochene Wort.

Alois Glück
Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

seit unserer letzten Zusammenkunft in Erfurt gab es eine sich steigernde Folge von Krisen und Umbrüchen, in Europa und weltweit. Mitten in diesen Entwicklungen durften wir im Spätsommer vier Tage erleben, an denen es nicht zuerst um den Euro oder die Bankenkrise ging. Der Besuch von Papst Benedikt XVI. in unserem Land hat uns innehalten lassen und die Frage nach Gott und seiner Präsenz in unserem Leben und in unserer Welt in den Mittelpunkt gerückt.

Besuch von Papst Benedikt XVI. in Deutschland

Der Besuch von Papst Benedikt XVI. war Stärkung und Herausforderung zugleich. Der große Zuspruch zu den Gottesdiensten und das große öffentliche Interesse sind Ausdruck der Erwartungen vieler Menschen an die Kirche. Der Papstbesuch ist zu einem großen geistlichen Ereignis geworden. Dabei hatte der Besuch mit den Reden und Predigten von Papst Benedikt an jedem Ort seine besondere Prägung. Es würde jetzt den Rahmen sprengen, darauf im Einzelnen einzugehen.

Von besonderer Bedeutung war nicht nur für die Delegation des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, sondern für das gesamte ZdK die Begegnung mit dem Heiligen Vater in Freiburg. Es war im Besuchsprogramm das einzige Treffen des Papstes mit Repräsentanten der katholischen Laien in Deutschland. Schon dieser Sachverhalt zeigt eine besondere Anerkennung des ZdK als die repräsentative und legitimierte Vertretung der katholischen Laien in Deutschland, in der sich, wie ich es in der Begegnung zum Ausdruck brachte, die Vielfalt des kirchlichen Lebens und der Glaubenswege, der Spiritualität und des Handelns der Laien als Getaufte und Gefirmte in unserer katholischen Kirche in Deutschland versammelt. Das ZdK steht für die breite Mitte in unserer Kirche.

Ich habe gegenüber dem Heiligen Vater zum Ausdruck gebracht, dass wir als ermutigend und wegweisend empfinden, was er als Bischof von Rom bei der Eröffnung der Pastoraltagung der Diözese Rom am 26. Mai 2009 formuliert hat, wonach die Laien "nicht mehr nur als Mitarbeiter des Klerus betrachtet werden dürfen, sondern als wirklich mitverantwortlich für das Sein und Handeln der Kirche erkannt werden müssen, um die Festigung eines reifen und engagierten Laiendienstes zu fördern".

Genauso verstehen wir unseren Auftrag und unsere Aufgabe. Papst Benedikt XVI. würdigte die Arbeit des Zentralkomitees mit den Worten: "Gerne bekunde ich Ihnen meine Wertschätzung für Ihr Engagement, mit dem Sie die Anliegen der Katholiken in der Öffentlichkeit vertreten und Anregungen für das apostolische Wirken der Kirche und der Katholiken in der Gesellschaft geben." Damit greift Papst Benedikt übrigens ausdrücklich eine Formulierung aus unserem Statut auf.

Mit besonderer Freude hörten wir, dass Papst Benedikt bei der Begegnung mit den Vertretern des Judentums unseren Gesprächskreis "Juden und Christen" als gutes Beispiel für das langjährige Bemühen um gute Zusammenarbeit nannte. Im Übrigen verweise ich auf die Dokumentation der beiden Reden in der Tagungsmappe. Und beide Reden sind auch im offiziellen Berichtsband der Deutschen Bischofskonferenz enthalten.

Es war und bleibt bemerkenswert, dass Papst Benedikt mit der ökumenischen Begegnung an einer Wirkungsstätte von Martin Luther ein wichtiges, ja historisches ökumenisches Zeichen gesetzt hat. Die Person Luthers wurde vom Papst gewürdigt – das ist die "Überschrift" der gesamten Begegnung, das sollten wir nicht gering achten. Es ist wahr: Manche hatten sich mehr, konkretere Schritte der Annäherung von Katholiken und Protestanten erhofft. Trotzdem und gerade jetzt dürfen wir nun in unserem gemeinsamen Bemühen um die Einheit nicht nachlassen und müssen, ganz wie es Erzbischof Zollitsch nach der Herbstvollversammlung der deutschen Bischöfe auf den Punkt gebracht hat, nun als katholische und evangelische Kirche in Deutschland die Impulse aus Erfurt aufnehmen und weiterverfolgen. Es ist eine wichtige und unverzichtbare Aufgabe aller Gläubigen, den ökumenischen Dialog, die Kooperation und das gewachsene Vertrauen weiter zu pflegen und zu intensivieren.

Es gab dafür seit dem Papstbesuch schon einige ermutigende Erfahrungen. So haben die EKD und das ZdK nur eine Woche nach dem Besuch des Papstes –  abermals in Erfurt –  ihre zweite gemeinsame Tagung zum ehrenamtlichen Engagement in Kirche und Gesellschaft mit über 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durchgeführt. Wir haben gemeinsam deutlich gemacht, dass in diesem für die Lebensqualität unserer Gesellschaft maßgeblichen Feld ohne die christlichen Kirchen nur wenig auszurichten wäre. Wenig später hat Bischof Gerhard-Ludwig Müller in einer Laudatio für den scheidenden Landesbischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern eine Würdigung der evangelischen Kirchen ausgesprochen und sie gegen eine verzerrte Auslegung des Dokuments der Glaubenskongregation "Dominus Iesus" in Schutz genommen. Ich erinnere auch an unser viel beachtetes "Plädoyer für eine lebensnahe Ökumene" aus der Frühjahrsvollversammlung in Erfurt. Erwähnen will ich auch meine von großem gegenseitigen Respekt und Wohlwollen geprägte Begegnung mit der Präsidialversammlung des Deutschen Evangelischen Kirchentages vor einigen Wochen. Diese jüngsten Erfahrungen zeigen: Wir sind gemeinsam auf dem Weg, und wir sind auf einem guten Weg.

Zu den besonderen Herausforderungen in den Botschaften des Papstes zählen die Akzente der Rede im Konzerthaus in Freiburg und die Feststellung, dass die katholische Kirche in Deutschland einen Überhang an Organisation und im Vergleich dazu ein Defizit an Geist habe. In der Begegnung mit dem Heiligen Vater habe ich für das Zentralkomitee formuliert: “In unserem kirchlichen Engagement geht es uns nicht um eine vordergründige Modernisierung oder Anpassung in der Kirche. Uns bewegt vielmehr die Frage, wie wir Jesus Christus und seine Botschaft den Menschen von heute vermitteln können. Die Anziehungskraft und die Strahlkraft unserer Kirche wird auf Dauer von ihrer geistlichen Ausstrahlung abhängen.”

Das haben wir auch im Rahmen des Dialogprozesses immer wieder betont. Wir sehen keinen Gegensatz zwischen Glaubensvertiefung und notwendigen Reformen in unserer Kirche. Ämter und Strukturen haben immer nur Dienstcharakter und sind nicht Selbstzweck. Das gilt für alle Ausprägungen, für traditionelle und konservative Positionen wie auch für Reformvorschläge.

Alle Institutionen gehorchen gewissermaßen einem inneren Gesetz und stehen in der Gefahr, immer mehr mit sich selbst beschäftigt zu sein, sich zu verfestigen und Selbstzweck zu werden. Das gilt auch für uns als katholische Kirche in Deutschland, es gilt für unsere Vereinigungen als Laien und es gilt ebenso für die ganze Weltkirche und die Kirche in Rom.

Und immer wieder aufs Neue ist, wie der Heilige Vater bei der Konzerthausrede in Freiburg gefordert hat, eine Überprüfung unserer Beziehung zur Welt notwendig. Glaube und Kirche können nur dann als Sauerteig wirken, wenn sie sich nicht vordergründig anpassen, sondern immer wieder Herausforderung und nötigenfalls auch Provokation gegenüber Strömungen und Kräften sind, die beispielsweise den Menschen auf seinen Nutzen oder seine Leistung reduzieren und den Materialismus in den Mittelpunkt aller Anstrengungen und Werte stellen.

Ganz ausdrücklich sei aber auch festgestellt, dass Papst Benedikt XVI. bei seiner Rede in Freiburg eben nicht für den Rückzug aus der Welt plädiert hat. Bei der ZdK-Vollversammlung vor einem Jahr haben wir ganz in diesem Sinne gemeinsam über Worte von Pater Alfred Delp nachgedacht, der von seiner Kirche die bedingungslose Rückkehr zum Dienst am Menschen, die Rückkehr in die Diakonie forderte. Das heißt aber eben nicht, wie Delp es ausgedrückt hat, "die Welt freiwillig zu räumen", sondern sich ihr umso entschiedener zuzuwenden.

Gerade im nächsten Jahr, in dem der Dialogprozess den Schwerpunkt "Diakonia" haben wird, können und müssen wir selbstbewusst unsere diakonische Präsenz in Gesellschaft, Politik und Kultur als unverzichtbaren Teil unseres Glaubens zeigen und in der Welt darlegen. Dies gilt für die Wahrnehmung von diakonischen Aufgaben im umfassenden Sinn als Dienst für den Menschen in allen Lebensbereichen und Situationen. Dieser diakonische Dienst schließt auch das politische Handeln in einer offenen und liberalen Gesellschaft mit ein. Dazu gehört, dass wir offen, aber auch selbstbewusst Themen wie die Rolle der Religion in der modernen Gesellschaft und im weltanschaulich neutralen Staat darlegen und vertreten. In diesen Rahmen gehört natürlich auch das Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland.

Über uns gegenwärtig wichtige Fragen in der innerkirchlichen Entwicklung werden wir im Rahmen dieser Vollversammlung noch intensiv beraten, etwa heute am Nachmittag zum Themenkreis "Partnerschaftliches Miteinander von Frauen und Männern in der Kirche" und morgen zum Dialogprozess insgesamt.

Viele Menschen erwarten von ihrer Kirche –  und von allen, die hier Verantwortung tragen  – "ein hörendes Herz", wie es Papst Benedikt in seiner Bundestagsrede den politischen Führungspersönlichkeiten anempfohlen hat. Gerade in diesem Zusammenhang bin ich Erzbischof Zollitsch sehr dankbar, dass er als eine Konsequenz aus dem ersten Treffen im Dialogprozess im vergangenen Juli in Mannheim die pastorale Notwendigkeit einer einladenden Haltung gegenüber Menschen mit Brüchen in ihrem Leben, namentlich wiederverheirateten Geschiedenen, hervorgehoben hat.


Europäische und globale Herausforderungen

Wir erleben bei uns und weltweit eine immer dichtere Folge von Krisen, deren Quellen eine einseitige Ausrichtung auf materielle Werte, ein egoistischer Anspruch auf Freiheit ohne Verantwortung und ein kurzfristiges Erfolgsdenken sind. Aktuell beunruhigt uns alle die anhaltende Krise in der Europäischen Union.

Der europäische Einigungsprozess hat Europa zu einer weltweit bewunderten und beispielhaften Region der Freiheit, des Friedens, der gesellschaftlichen und politischen Stabilität geformt. Jetzt spüren wir, vor allem im Zusammenhang mit der Schuldenkrise und den damit verbundenen ökonomischen Auswirkungen, dass der Bestand dieser Errungenschaften keine Selbstverständlichkeit ist. Und für die Weltwirtschaft ist in der europäischen Schuldenkrise die Schwerfälligkeit der politischen Entscheidungsprozesse in der Europäischen Union zu einem Risiko geworden.

Die Europäische Union ist in ihrer größten Krise seit ihrem Bestehen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Da sind die ökonomischen Gründe durch die Überschuldung mehrerer Mitgliedsstaaten. Hier zeigt sich besonders drastisch ein Grundübel und eine zunehmende Selbstgefährdung der westlichen Zivilisation: Wir geben ständig mehr aus als wir erarbeiten und einnehmen. Wenn wir uns vor Augen halten, dass wir trotz Rekordeinnahmen im Staatshaushalt mit einer höheren Verschuldung für das kommende Jahr planen, haben auch wir keinen Grund zu deutscher Überheblichkeit.

Ein weiterer Grund für die Krise sind die unendlich mühsamen und schwerfälligen politischen Entscheidungsprozesse auf europäischer Ebene, mit denen die Unsicherheit noch verstärkt wird.

In diese Situation hinein ist die Eigendynamik der ökonomischen Krise, insbesondere die Verselbständigung der Finanzwirtschaft zum politisch kaum mehr beherrschbaren Problem geworden. Aber wir dürfen nicht alle Schuld den Akteuren in den Märkten zuschieben. Die Marktkräfte haben, mit harter Klarheit und Konsequenz erzwungen, was die Politik seit Jahren nicht schafft, nämlich die Folgen der Überschuldung und die damit verbundenen Konsequenzen offengelegt.  Dies ist eine letztlich positive Wirkung.

Die Herrschaft der Märkte mit dem Maßstab des augenblicklichen Nutzens und der Möglichkeit der strategischen Spekulation auf potenzielle Gewinne ist zu einem zentralen Problem des politischen Handelns und des weiteren Vertrauens in die Demokratie und die politischen Akteure geworden. Mittlerweile haben wir eine Situation, dass gewissermaßen die oberste und wirksamste Instanz für die Bewertung von politischen Entscheidungen und Zukunftsstrategien Rating-Agenturen sind, die keinerlei Verantwortung für ihr Tun zu tragen haben und die ausschließlich den momentanen Nutzen als Kompass haben. Damit sind Banken nicht mehr, wie früher, Partner für die längerfristigen Sanierungsaufgaben. Die einflussreichsten Akteure im Geschehen tragen keinerlei Verantwortung!

Diese Entwicklungen sind für die Demokratie zerstörerisch!

Das darf nicht so bleiben! Auch nicht, dass die Gewinne privatisiert und ohne eigene Risiken eingefahren werden, Verluste aber von allen anderen getragen werden müssen. Solche Situationen und Entwicklungen hält auf Dauer kein Gemeinwesen aus!

Zu den Quellen der Krise der Europäischen Union zählt aber auch, dass wir das Projekt Europa seit Jahren nur noch in den Kategorien von Binnenmarkt und Handelsplatz diskutieren, wobei jeder seinen Vorteil sucht. Deshalb ist es so wichtig, dass wir eine umfassende öffentliche Debatte über die künftigen Aufgaben der Europäischen Union und die damit verbundenen Konsequenzen führen.

Das Fundament der Europäischen Union sind unsere gemeinsamen Werte, wie sie im Entwurf der Entschließung, die wir heute beraten, beschrieben sind. Gerade wegen dieser grundlegenden Werteorientierung ist ein verstärktes Engagement auch der Kirchen dringend notwendig. Die Erfahrung lehrt: Eine Gemeinschaft ohne starke Werte und Leitbilder ist bald eine schwache Gemeinschaft, die sich in den Verstrickungen unterschiedlicher Interessen lähmt.

Unsere Einstellung zur Europäischen Union und die für die Weiterentwicklung notwendigen Konsequenzen müssen sich aber auch an den gravierenden weltweiten Veränderungen orientieren. Die Dominanz der westlichen Welt geht zu Ende! Dies zeigt exemplarisch die Entwicklung von den G8-Konferenzen zu den G20-Konferenzen. Und als Europäer müssen wir unseren notwendigen Beitrag leisten zu weltweiten Aufgabenstellungen wie Armutsbekämpfung, Welthandel, Klimawandel, Energieversorgung. Grundlage dafür muss unser Einsatz für universelle Werte wie Menschenwürde, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit sein.

Zu den für alle Menschen wichtigen Werten zählt auch die Religionsfreiheit. Dies geltend zu machen möchten wir als Aufgabe der Europäischen Union und der deutschen Politik gerade im Hinblick auf die Veränderungen im arabischen Raum, den dort stattfindenden Gärungs- und Klärungsprozess, anmahnen.

Im globalen Rahmen hat sich das ZdK mit seiner Erklärung vor einem Jahr erneut für die Umsetzung der Millenniumsentwicklungsziele und dabei besonders für die Bekämpfung des Hungers in der Welt eingesetzt. Dieses Papier ist durch die Zuspitzung der Hungersnot in Ostafrika von bedrückender Aktualität. Bundesministerin Ilse Aigner hat unsere politischen Forderungen für eine bessere Regulierung und höhere Transparenz auf den Agrarmärkten sowie für eine Eindämmung der Nahrungsmittelspekulation aufgegriffen und auf der Ebene der G20 aktiv eingebracht. Auch unsere damalige Forderung einer Finanz-transaktionssteuer wird heute von vielen politischen Kräften geteilt. Nicht nur Bundestag und Bundesregierung wollen sie, auch der "Päpstliche Rat Justitia et Pax" hat sich unlängst unter Leitung seines Präsidenten Kardinal Turkson in einem bemerkenswerten Papier zum internationalen Finanz- und Währungssystem dieser Forderung angeschlossen. Es ist aber auch ein Teil unserer europäischen und globalen Realität, dass weiterhin einzelne Staaten die wirksame Einführung dieses Instruments blockieren. Wir haben dies jüngst beim G20-Gipfel in Cannes ebenso erleben müssen wie auf europäischer Ebene. Ich frage: Wie soll die europäische Politik die allseits geforderte Handlungsfähigkeit demonstrieren, wenn es auf diesem Feld schon keine Einigkeit gibt?

Blockade ist auch ein Stichwort, das vor zwei Jahren mit dem Klimagipfel der Vereinten Nationen in Kopenhagen verknüpft war, als keine Nachfolgeregelung für das Kyoto-Protokoll vereinbart werden konnte. Nun steht in Kürze die nächste UN-Klimaschutzkonferenz in Durban (Südafrika) bevor, und die Notwendigkeit eines wirkungsvollen Klimaschutzes ist angesichts des Rekordwertes an weltweit gemessenen CO2-Emissionen im Jahr 2010 so groß wie nie zuvor. Vor einem Jahr wurde immerhin als gemeinsame Absicht verankert, den globalen Temperaturanstieg auf unter 2 Grad Celsius gegenüber vorindustriellem Niveau zu begrenzen. Damit dieses Ziel noch erreicht werden kann, müssen die CO2-Emissionen stärker zurückgehen als bisher absehbar. Für einen erfolgreichen Abschluss des Klimagipfels müssen viele Interessen einbezogen werden. Es wird darauf ankommen, dass die Schwellenländer einem Verhandlungsmandat für ein rechtlich verbindliches Abkommen zustimmen können, das in einigen Jahren auch sie mit verbindlichen Verpflichtungen einschließt. Die Entwicklungsländer erwarten Unterstützung bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels. Die Industrienationen stehen damit in einer mehrfachen Verantwortung als Vorreiter. Die Staaten der Europäischen Union sind gefordert, ihr gemeinsames Gewicht zu Gunsten eines ehrgeizigen Klimaziels zur Geltung zu bringen und sich konsequent daran zu halten.


Schutz des menschlichen Lebens und der Menschenwürde

An dieser Stelle komme ich vom Schutz der Umwelt zum Einsatz für das menschliche Leben – zwei Themen, die auch Papst Benedikt in seiner Rede im Deutschen Bundestag als untrennbar beschrieben hat. Wir blicken auf die Entscheidung des Deutschen Bundestags zur PID im Juli 2011 zurück. Alle Bemühungen und Überzeugungsversuche haben nicht vermocht, das Blatt zu wenden. Der Bundestag hat in seinem Beschluss bei einem grundsätzlichen Verbot der PID erhebliche Ausnahmen von diesem Verbot zugelassen. Nach unseren Informationen steht die Ausfertigung des Gesetzes durch den Bundespräsidenten noch aus.

Es bleiben Lücken und Widersprüche im Gesetzeswerk. So wird bis heute keine Antwort auf die Frage nach dem künftigen Umgang mit der so genannten "Dreierregel" gegeben. Weiterhin gibt es einen Wertungswiderspruch zwischen dem geltenden Schwangerschaftskonfliktgesetz und dem neuen PID-Gesetz. Wir bleiben dabei: Eine mögliche Behinderung des Kindes darf weder der Grund für den Abbruch einer Schwangerschaft noch für das Verwerfen eines Embryos nach der PID sein.

Doch nicht nur die politische Mehrheit für eine weit gefasste, im Verhältnis zu anderen Gesetzen nicht widerspruchsfreie Ausnahmeregelung beim Zugang zur PID macht uns Sorgen, sondern auch neue Entwicklungen im Bereich der Pränataldiagnostik während einer Schwangerschaft. Hier ist absehbar, dass demnächst auch in diesem Bereich der selektive Blick noch stärker auf die Vermeidung von kranken und behinderten Kindern gerichtet sein wird. Dies können wir angesichts der mühsam errungenen Kompromisse im Schwangerschaftskonfliktgesetz und der jüngst erwiesenen parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse politisch kaum verhindern. Umso wichtiger wird für uns die Aufgabe der öffentlichen Aufklärung und der Beratung und Begleitung der Betroffenen.

In jüngster Zeit hat der Einsatz der Kirche für die Würde des menschlichen Lebens von Beginn an allerdings dort Unterstützung und Bekräftigung erfahren, wo viele sie nicht unbedingt vermutet hätten, nämlich vor den höchsten europäischen Gerichten. Der Europäische Gerichtshof hat in einem vielbeachteten Urteil der Patentierung von Erfindungen widersprochen, bei denen menschliche Embryonen verbraucht werden. Mit Blick auf die im Zusammenhang mit PID geführte Auseinandersetzung, wann der Würdeschutz des Embryos einsetzt, ist bemerkenswert, wie grundsätzlich und über den konkreten Fall hinausweisend das Gericht in Luxemburg sich hier festgelegt hat. Es bekräftigt: Nach EU-Recht gilt die Menschenwürde nicht nur für das geborene Kind, auch nicht nur für das ungeborene Leben im Mutterleib, sondern schon für den menschlichen Körper vom ersten Stadium seiner Entwicklung an, also auch für die befruchtete Eizelle in der Petrischale. An dieser Stelle gingen in Deutschland bislang die Rechtsauffassungen auseinander. Für diese Klarstellung sind wir außerordentlich dankbar.

Dieses unmissverständliche Urteil muss sich in der künftigen Forschungsförderung der EU auswirken. Für das ZdK habe ich mich beim Kommissionspräsidenten Barroso und bei Kommissar Oettinger dafür eingesetzt, dass sowohl Forschungstätigkeiten, die die Zerstörung von menschlichen Embryonen beinhalten, als auch die Forschung mit menschlichen embryonalen Stammzellen von der EU-Förderung ausgeschlossen werden sollten.

In die Linie des EuGH-Urteils gegen die Verzweckung des menschlichen Lebens passt auch die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dass ein nationales Verbot der Eizellspende nicht im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Den Mitgliedsstaaten muss in dieser ethisch strittigen Frage ein ausreichender Beurteilungsspielraum verbleiben.

Es ist gerade in der aktuellen Krise der europäischen Politik und angesichts eines verbreiteten Unbehagens gegenüber den europäischen Institutionen von großer Bedeutung, dass der Begriff der europäischen Wertegemeinschaft keine Worthülse ist, sondern wie in vielen Lebensbereichen auch in der höchstrichterlichen Rechtsprechung konkret wird.

Abschließend will ich noch einen weiteren Aspekt des Urteils des Europäischen Gerichtshofs hervorheben: Die Klageinitiative kam nicht aus den christlichen Kirchen, sondern sie ging von der Umweltorganisation Greenpeace aus. Das zeigt auch, dass es wichtig für die Kirche ist, um der Sache willen neue Allianzen einzugehen – wie wir es bereits in der PID-Debatte erlebt haben. Auch bei der Anfang dieses Jahres veröffentlichten gemeinsame Stellungnahme einiger katholischer Organisationen, darunter das ZdK, zum Themenbereich Biopatentierung hat ein Experte von Greenpeace unterstützend mitgewirkt. Bei dieser konkreten Kooperation mit den nicht-kirchlichen Umweltorganisationen schließt sich der Kreis zur Würdigung der Ökologiebewegung durch Papst Benedikt.

 

Rückblick und Ausblick

Ich komme zu einigen Punkten aus unserer Arbeit seit der letzten Vollversammlung. Mir ist wichtig, dass Sie wissen, was in der Nacharbeit unserer Erklärungen und was grundsätzlich zwischen den Vollversammlungen geschieht, auch wenn ich hier nur wenige Stichworte nennen kann:

- Beschlüsse der Frühjahrsvollversammlung 2011 in Erfurt:

Über die umfassende Weiterarbeit am Antrag zum partnerschaftlichen Zusammenwirken von Frauen und Männern in der Kirche wird uns heute Nachmittag Vizepräsidentin Karin Kortmann bei ihrer Einführung in den Antrag informieren.

Bei der Frühjahrsvollversammlung haben wir einen eindrucksvollen Bericht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer am Exposure- und Dialog-Programm in Südafrika gehört. Dabei haben wir unsere Verantwortung angesichts HIV/Aids anhand konkreter Schlussfolgerungen und politischer Forderungen bekräftigt. Das dort angekündigte Gespräch mit Vertretern der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz konnte noch nicht stattfinden, ist aber in Vorbereitung.

- Rückblick und Ausblick auf politische Kontaktgespräche:

Das ZdK-Präsidium verfolgt das Ziel, nicht nur mit den kirchen- und religionspolitischen Sprecherinnen und Sprechern der Bundestagsfraktionen, sondern in gewissen Abständen auch mit den Präsidien der politischen Parteien im direkten Gespräch zu stehen. So tauschten sich das Präsidium des ZdK und das Präsidium der SPD in einer intensiven Begegnung im Juni 2011 u. a. zu den Themen Präimplantations-diagnostik, islamischer Religionsunterricht, Bundeswehrreform und Bundesfreiwilligendienst aus. Im März 2012 wird ein Gespräch mit dem CDU-Präsidium folgen.

Ein besonderes Erlebnis war darüber hinaus die Begegnung des ZdK-Präsidiums mit Bundespräsident Christian Wulff Anfang September 2011. Der Bundespräsident hatte um ein Gespräch im Vorfeld des Papstbesuchs gebeten. Er bekundete große Wertschätzung für den deutschen Laienkatholizismus, die auch seinen Ansprachen an Benedikt XVI. wenige Wochen später anzumerken war.

- Entwicklung auf der Website "Einen neuen Aufbruch wagen":

Sie wurde im ersten halben Jahr seit ihrer Freischaltung um Ostern 2011 gut 37.000 Mal aufgerufen. Ich bin froh, dass es dieses Forum gibt. Die Website soll nicht nur dokumentieren, sondern auch gute Ideen und bewährte Ansätze bekannt machen, dadurch weitere Aktivitäten anregen und die Engagierten miteinander vernetzen. Sie kann diese Funktionen nur erfüllen und damit dem Dialogprozess umso besser dienen, je stärker sie von den Akteuren gefüllt und frequentiert wird. Schon jetzt wird aber deutlich: Der Dialogprozess findet nicht nur punktuell in den Gesprächsforen der Deutschen Bischofskonferenz statt, sondern kontinuierlich in den Verbänden und Diözesen.

- Auf dem Weg zum Katholikentag in Mannheim (16. bis 20. Mai 2012):

Heute auf den Tag genau in sechs Monaten hat der Mannheimer Katholikentag "Halbzeit". In den Tagen um den 18. Mai 2012 werden wir hoffentlich alle in der berühmten kurpfälzischen Quadratestadt sein, um dort gemeinsam mit mehreren zehntausend Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus allen Teilen Deutschlands und darüber hinaus den 98. Deutschen Katholikentag zu erleben.

Derzeit laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. In 16 Arbeitskreisen und zahlreichen weiteren Gremien ist in den zurückliegenden Monaten ein umfangreiches Programm entworfen worden, mit dem wir unserem Leitwort "Einen neuen Aufbruch wagen" gerecht werden wollen. Dies gilt gleichermaßen für die Diskussionsveranstaltungen in den vier Themenbereichen und in den verschiedenen Zentren wie für die zahlreichen großen und kleineren Gottesdienste, für das Kulturprogramm und die vielen Angebote unter freiem Himmel. Insgesamt sind etwa 1200 Einzelveranstaltungen entstanden, für die in diesen Tagen und Wochen mehr als 4000 Mitwirkende eingeladen werden. Etwa 70 Prozent der Einladungsbriefe wurden bereits verschickt.

Auch nahezu 100.000 Einladungen an Teilnehmer und Teilnehmerinnen früherer Katholikentage sollten ihre Empfänger inzwischen erreicht haben. Dankbar bin ich auch, dass wir in fast allen unseren Diözesen Menschen als Multiplikatoren für den Katholikentag gewinnen konnten, die nun dort fleißig die Werbetrommel für das große Mannheimer Ereignis rühren.

Bis zum kommenden Mai gibt es für die inzwischen etwa 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die in der Mannheimer Geschäftsstelle und im ZdK-Generalsekretariat für den Katholikentag arbeiten, noch viel zu tun. Aber wir sind auf einem sehr guten Weg, und wir liegen gut in der Zeit. Besonders erfreulich ist auch, dass das Projektmanagement der Geschäftsstelle in Mannheim erstmals zertifiziert worden ist. Die Prüfer haben dem Projektteam um Geschäftsführer Dr. Martin Stauch das Prädikat "Sehr gut" zuer-

kannt und gleichzeitig damit bescheinigt, die DIN-Norm für professionelles Projektmanagement in ausgezeichneter Weise anzuwenden. Ich wünsche dem Projektteam weiterhin alles Gute, viel Kraft und Erfolg auf dem Weg zum Katholikentag.

Wenn Sie Fragen zum Katholikentag haben, wenden Sie sich bitte an die freundlichen Damen und Herren, die am Infostand im Foyer gerne mit Ihnen ins Gespräch kommen.

 

Schlussbemerkung

Wir leben in einer bewegten Zeit. Insbesondere die letzten Punkte zeigen aber auch, wie sehr wir selbst in Bewegung sind und die Herausforderungen unserer Zeit aktiv annehmen. Ich danke allen, die sich an vielen unterschiedlichen Stellen in Kirche, Gesellschaft und Politik engagieren und so jeden Tag aufs Neue, beharrlich und prophetisch, mit unruhigem Herzen und doch voller Zuversicht, Zeugnis von ihrer Hoffnung ablegen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

Alois Glück, Präsident des ZdK

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