Bericht zur Lage Teil 2, Rede des ZdK-Präsidenten 05/2011

Rede von Alois Glück im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,

das Jahr 2011 wird für die katholische Kirche in Deutschland von entscheidender Bedeutung für ihren weiteren Weg sein. Wird es das Jahr der fruchtbaren und nachhaltigen Aufarbeitung des großen Vertrauensverlustes – oder stehen wir vor einer neuen Welle der Frustration, der Enttäuschungen und in der Folge vor einer noch größeren Abwanderung in die Distanz, vor einer neuen Austrittswelle?

Fragen wie diese wurden mir in den vergangenen Monaten in sehr vielen Interviews gestellt. Ich habe in vielen Gesprächen und Artikeln beschrieben, welche sozusagen „methodischen“ Voraussetzungen dieser Dialogprozess haben muss. Dazu gehört vor allem, dass wir eine Debatten- und Streitkultur auf der Basis gegenseitigen Respekts haben müssen. Die hier immer wieder auftauchende Angst ist und bleibt der denkbar schlechteste Ratgeber.

Der Beratungsprozess innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz hat einige Zeit in Anspruch genommen und erst mit dem Beschluss der Frühjahrsvollversammlung seine feste Verankerung erhalten.

Ich möchte an dieser Stelle Erzbischof Zollitsch nochmals herzlich danken, dass er diese mutige Initiative zum Dialogprozess ergriffen hat und dass nun nach langen und offensichtlich schwierigen Beratungen auch ein konkretes Ergebnis vorliegt.

Dabei möchte ich in Erinnerung rufen, dass Erzbischof Zollitsch schon im Herbst 2010 von drei Ebenen des Dialogprozesses gesprochen hat: Von der Ebene der Bischofskonferenz (a) und einem offenerem vertrauensvolleren Gespräch innerhalb der Bischofskonferenz, von dem (b), was zweitens in den Diözesen an Dialogen läuft – hier hören wir von unterschiedlichen Prozessen, solchen mit großer und solchen ohne Dynamik – und drittens (c) von dem, was mit dem ZdK zusammen erarbeitet werden soll.

Auf dieser dritten Ebene sind wir zunächst einmal dankbar für die geplante Zusammenarbeit mit der Bischofskonferenz. Die beiden Sitzungen der Gemeinsamen Konferenz haben bereits zu ersten fruchtbaren Ergebnissen geführt. Über den gegenwärtigen Sachstand aus den beiden Arbeitsgruppen folgen gleich zwei kurze Berichte.

Die Arbeit in den beiden Arbeitsgruppen ist ein wichtiger Teil unseres Engagements im Dialogprozess, aber unser Engagement kann und wird sich nicht darauf begrenzen.

Es steht für uns außer Zweifel, dass wir sozusagen „mehrspurig“ fahren müssen. Wir werden uns in den Arbeitsgruppen mit der DBK stark engagieren. Aber wir werden als ZdK auch eigene Akzente setzen. Drei davon will ich hier nennen:

Zunächst einmal ist wichtig, dass wir deutlich stärker zur Vernetzung all dessen beitragen, was auf der Ebene der Räte und Verbände geschieht. In allen unseren Gemeinschaften muss die Auseinandersetzung auf Augenhöhe, der Dialog lebendig werden. Als Zentralkomitee wollen wir dafür Impulsgeber und Plattform für Meinungsaustausch und Inspiration sein. Dem dient auch unsere neue Homepage www.einen-neuen-Aufbruch-wagen.de.

Ich bitte Sie alle herzlich, diese Möglichkeit zu nutzen. Auf diese Weise können wir uns auch gegenseitig helfen, neue Impulse bekommen und voneinander lernen.

Zweitens: Die Katholikentage 2012 und 2014 sind ausdrücklich im Beschluss der Bischofskonferenz als Ereignisse im Dialogprozess genannt. Es liegt in unserer Kompetenz und in unserer Verantwortung, dass der nächste Katholikentag in Mannheim, den wir gegenwärtig ja schon konkret vorbereiten, diesem Anspruch gerecht wird und wir diese Chance nutzen. Das muss uns Selbstverpflichtung und Maßstab sein.

Drittens - und ebenfalls sehr wichtig - werden wir aber auch eigene Akzente setzen, werden wir in eigener Verantwortung diejenigen Themen angehen, die unserer Meinung nach den Blick auf das Wesentliche behindern oder verstellen. Man fragt uns ja: „Was wollt Ihr denn im ZdK ganz konkret im Dialogprozess erreichen? Was sind Eure Themen, was sind Eure Konzepte, was sind Eure Positionen, was erwartet Ihr vom Dialogprozess - und was können wir von Euch erwarten?“

Ich möchte dazu zwei Vorbemerkungen machen und dann einige erste inhaltliche Markierungen versuchen.

Erste Vorbemerkung (die manchen enttäuschen mag): der Dialogprozess ist kein am Reißbrett geplantes Unternehmen. Er ist ein Prozess, er ist ein Weg. Er ist keine Synode, er ist ein von vielen Chancen und Gefahren begleitetes Geschehen. Wir müssen von den realen Voraussetzungen ausgehen. Man kann es sich anders wünschen. Aber aus der Politik kenne ich solche Prozesse und weiß: man muss sie mit ganzer Kraft voranbringen, auch wenn solches nur in kleinen Schritten gelingt.

Zweite Vorbemerkung: Solche Prozesse entwickeln eine Eigendynamik, und das ist eine Chance. Wir haben in den letzten Monaten schon erlebt, wie sich ungeplant und unerwartet Themen stellen, durch Texte, Memoranden, auch durch Entscheidungen, Erfahrungen, und, und, und. Ich bin überzeugt: In dieser Eigendynamik wirkt auch der Geist Gottes. Diese Eigendynamik gehört selbst zu den „Zeichen der Zeit.“

Nun einige erste inhaltliche Markierungen.

1. Ausgangspunkt war und ist der dramatische Vertrauensverlust durch den Skandal des Missbrauchs. Alle haben beschworen, dass alles getan werden muss, um das Vertrauen wieder zurückzugewinnen. Das ist aber nur möglich, wenn die Erfahrung und die Perspektive der Enttäuschten ernstgenommen werden. Mit Selbstgerechtigkeit kann kein Vertrauen zurückgewonnen werden. Voraussetzung für Vertrauen ist auch Transparenz, Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen und der richtige Umgang mit Macht und Machtausübung.

2. Darum brauchen wir in der Kirche wirklich den Dialog, nicht nur das Gespräch. Dialog ist eine Haltung, zu der zuhören, ernst nehmen, Bereitschaft zur Veränderung gehört. Wir werden nicht nachlassen, echten Dialog einzufordern. Das ist aber ebenso eine Herausforderung für uns selbst, unsere Bereitschaft zum Hören und zur Veränderung.

3. Die weitere Entwicklung wird entscheidend davon abhängen, dass eine kultivierte, konstruktive De-battenkultur auf der Basis des gegenseitigen Respekts gepflegt wird. Wenn dem kritischen, dem unbequemen Partner im Dialog die Verankerung im Glauben und in der Kirche abgesprochen wird, ist ein fruchtbarer Austausch nicht möglich.

4. Die Vertiefung des Glaubens und die Reform von Strukturen sind kein Gegensatz. Natürlich lösen Strukturveränderungen nicht gewissermaßen automatisch die Probleme und die Krise der Kirche. Das behauptet auch niemand. Aber die Kirche wird mit ihren Strukturen erlebt und sie lebt in diesen Strukturen. Sie sind die Behausung, der Raum für die innere Entwicklung. Die Menschen von heute müssen sich in diesen Strukturen wiederfinden können. Neuer Wein gehört in neue Schläuche!

5. Wenn ich „die Kirche“ sage, dann meine ich die großartige Gemeinschaft des Volkes Gottes, für die die Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils die fundamentale Orientierung sind. Das muss die von allen akzeptierte Grundlage für das Gespräch sein.

6. Für uns alle ist immer wieder wichtig, dass die Kirche und ihre Gemeinschaften und Strukturen nicht Selbstzweck sind. Wir müssen uns immer wieder auf die Kernaufgabe besinnen und daran Maß nehmen: die Botschaft des Evangeliums den Menschen in ihrer jeweiligen des Lebenssituation, in der jeweiligen Zeit zugänglich zu machen. Dieser Aufgabe müssen wir alles zu- und unterordnen.

Unsere Vizepräsidentin Claudia Lücking-Michel hat, sicher stellvertretend für viele von uns, bei der Ge-meinsamen Arbeitstagung von ZdK und DBK in Bensberg eine Reihe von Forderungen aufgestellt, denen ich mich in vollem Umfang anschließe und die ich bewusst hier noch einmal nennen will. Die Langfassung ihrer bewegenden Rede finden Sie auf unserer Website. 1. Wir müssen mit aller Macht Lebendige Gemeinden erhalten. Wir dürfen sie nicht rein versorgungsstrategischen Überlegungen opfern. Kirche muss vor Ort erfahrbar sein und als Volk Gottes zusammenkommen. 2. Wir müssen in unserer Kirche Frauen mehr Verantwortung geben. Die als Lehrerin der Kirche gewürdigte Theresia von Avila bringt es auf den Punkt. Sie sagt: „Ich werfe unserer Zeit vor, dass sie starke und zu allem Gutem begabte Geister zurückstößt, nur weil es sich um Frauen handelt." Dem kann ich nur zustimmen. Die Charismen von Frauen kommen nach wie vor in unserer Kirche nicht ausreichend vor. Vieles davon werden wir heute weiter beraten. 3. Wir brauchen Fortschritte in der Ökumene, auch dies steht heute auf der Tagesordnung. 4. Wir müssen darüber reden, wie wir die Sprach- und Handlungsunfähigkeit in Fragen der kirchlichen Sexualmoral überwinden. Menschen brauchen Rat, Hilfe und Orientierung, wie sie ihre Sexualität verantwortlich, menschenwürdig in gelingenden Partnerschaften leben können. Heute ist es eine große Frage, wie Kirche hier neues Vertrauen bei den Menschen bekommen kann. Das gilt auch für die Menschen, deren Ehe gescheitert ist und die mit einem neuen Partner einen neuen gemeinsamen Weg gewagt haben. Darum 5.: Wie kann unsere Kirche Wege der Barmherzigkeit finden für Menschen, die geschieden und wiederverheiratet sind. Und ein letzter Punkt: 6. Wir wollen, dass die Laien in ihrer Stellung als mündige Christen ernst genommen werden, und zwar erst genommen werden in ihrer Kirche. Viele Katholikinnen und Katholiken finden sich in einem tiefgreifenden Identitätskonflikt wieder. In beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Zusammenhängen wird von ihnen Mündigkeit, Eigenständigkeit und Selbstverantwortung erwartet, im Raum der Kirche aber erfahren sie sich gleichzeitig als Objekt einer Leitung und Belehrung, auf die sie keinerlei Einfluss haben und die zu oft nur sehr zögerlich zu Gesprächen bereit ist.

Das sind einige Fragen, denen wir uns als ZdK stellen werden, ob gelegen oder ungelegen. Dass wir uns mit ihnen auseinandersetzen, gehört zum Kernbestand unserer innerkirchlichen Identität und zu unserer Aufgabe, denkenden und fragenden Menschen in dieser Kirche eine Heimat zu geben. Mit zwei dieser Fragen, der Frauenthematik und der Ökumene, beginnen wir in dieser Vollversammlung. Weitere Fragen werden in den nächsten Vollversammlungen hinzukommen. Ich halte es dabei aber für besonders wichtig, und hier appelliere ich an Sie alle, dass wir uns als ZdK nicht nur mit innerkirchlichen Themen beschäftigen, sondern auch mit den politischen Fragen unserer Zeit, mit allem, was uns als Kirche und als Christen gesellschaftlich herausfordert – auch übrigens im Dialog mit der Bischofskonferenz. Es geht um unser Zeugnis in der Welt und mitten unter den Menschen!

Diesen verschiedenen und wichtigen Bemühungen muss der Dialogprozess dienen. Er ist eine Chance. Es ist ein Kairos! Lassen Sie uns dazu unseren Beitrag leisten, Schritt für Schritt. Mit Mut und Gelassenheit.
Ich danke Ihnen.

Alois Glück Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken

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