Um der Menschen willen! – Plädoyer für eine lebensnahe Ökumene

Erklärung der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Nach dem 2. Ökumenischen Kirchentag in München schaut das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) auf die Situation der Ökumene in Deutschland. Bis zur Einheit ist es noch ein langer Weg. Was sind aber mögliche nächste Schritte? Im Sinne einer lebensnahen Ökumene formuliert das ZdK folgende Antworten :

1. Sehen
1.1
Die ökumenische Bewegung ist "wetterfest", vielen Menschen aus ganz unterschiedlichen Altersgruppen sind Fortschritte in der Ökumene eine echtes Herzensanliegen, und sie sind bereit dafür sehr viel auf sich zu nehmen.
In einer besonderen Situation sind häufig vor allem ältere Christinnen und Christen, die in Deutschland oft noch in sehr lebendigen konfessionellen Bezügen, aber auch entsprechenden Konflikten aufgewachsen sind. Die Autorität kirchlicher Regelungen ist für viele von ihnen von großer Bedeutung. Sie leiden an den trennenden Gräben zwischen den Konfessionen, vor allem zwischen der katholischen und der evan-gelischen Kirche. Besonders diejenigen aus dieser Generation, die in konfessionsverbindenden Ehen leben, hoffen noch, in der Eucharistiefeier mit ihrem Ehepartner gemeinsam die Kommunion empfangen zu dürfen. Mit zunehmender Frustration und Unwillen erleben sie aber auch, wie die Jahrzehnte dahin-gehen und sich trotz theologischer Fortschritte und Klärungen nichts verändert.

1.2
Mit Blick auf die Situation vor Ort nehmen wir aber auch mit großer Sorge wahr:
Viele Christinnen und Christen heute sind nicht mehr länger bereit, auf offizielle ökumenische Ergebnisse zu warten. Ihre Lebensthemen und ihre gelebten Glaubens- und Gemeinderealitäten sind andere.
Sie leben ihren Glauben da, wo sie selbst es als hilfreich empfinden oder für richtig erachten, sehr bewusst als mündige Christen in ökumenischer Eintracht, wenn es sein muss auch im Widerspruch zu den offiziellen Regelungen.
Sie leben ihren Glauben oft auch in Unkenntnis der eigenen konfessionellen Eigenheiten und öku-menischer Herausforderungen. Sie wissen es nicht anders, aber es interessiert sie auch nicht.
Manche setzen sich nicht nur über konfessionelle, sondern auch über religiöse Schranken hinweg und suchen sich eine Patchwork-Religiosität zusammen. Gut ist für sie, was ihnen zu leben hilft.

1.3
Andere Gruppen leben eine sehr enge, konfessionalistische Form ihres Glaubens und stehen jeder Öku-mene ablehnend gegenüber, weil sie sich davon in ihrer eigenen Identität bedroht sehen.

1.4
Im kirchlichen Leben vor Ort gibt es ganz viel gelebte, lebendige Ökumene. Doch im Blick auf die Zukunft treibt viele Gläubige nicht in erster Linie "die ökumenische Frage" um, sondern vor allem die Suche nach Formen authentisch gelebten Glaubens. Dabei sind sie überzeugt, dass ein Zeugnis gelebten Glaubens am besten als gemeinsames Zeugnis wirklich gelingen kann, selbst wenn darum noch theologisch ge-rungen werden muss.

2. Urteilen
2.1
In dieser Situation fragt eine "Ökumene der Zukunft" aus unserer Sicht nicht als erstes: Wer hat recht? Und schon gar nicht: Wer gewinnt? Die Frage nach der Wahrheit darf nicht mit Machtfragen verquickt werden. Zur Wahrheit bekennt sich der Mensch in Freiheit und nicht, weil es so von einer Macht ent-schieden wurde. Zur tieferen Erkenntnis der Wahrheit Gottes sind wir stets unterwegs. Darum kann auch die ökumenische Suche nach dem wahren Kirchesein nicht mit einer fertigen Antwort beginnen. Das zeigen die Blockaden im ökumenischen Dialog der letzten Jahrzehnte. Vielmehr müssen wir darum rin-gen, aus der überlieferten Wahrheit zu neuen Einsichten zu kommen, um unsere gemeinsame Zukunft im Auftrag des Herrn gestalten zu können.

2.2
Eine Ökumene der Zukunft muss sich auf die Sorgen und Probleme der Menschen einlassen. Es geht dabei zunächst darum, sich gegenseitig als Gemeinschaft von Gläubigen wahrzunehmen, die je auf ihre Weise das Reich Gottes sucht und der deshalb alles andere dazugegeben wird. Auf diesem Weg kann man voneinander lernen, sich gegenseitig stützen, Mut machen und die Vielfalt gelebten Glaubens als Reichtum und Kraftquelle erleben.

2.3
Die eigentliche Frage lautet: Was ist nötig um der Menschen willen? Wo brauchen sie in den Nöten un-serer Zeit die frohe Botschaft des Evangeliums, die gelebte Zuwendung in Pastoral und Diakonie, die ihre Ängste und Sorgen ernst nimmt? Denn "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen unserer Zeit sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi" – dies hat Sorge und Sendung aller Christinnen und Christen, egal welcher Konfession, zu sein.

2.4
Nächste ökumenische Schritte sind damit Schritte einer Kirche, die lebensnah und den Menschen zuge-wandt ist. So wichtig eine theologisch gründliche Aufbereitung aller ökumenischen Fragen ist, so sehr geht es heute auch um Ökumene als Bedingung der Möglichkeit, Menschen unserer Zeit eine überzeu-gende Antwort als Christinnen und Christen vorzuleben; es geht um eine gelebte Ökumene, die nach-drücklich zeigt, dass die Trennung der Kirchen dieses Lebenszeugnis zutiefst unglaubwürdig macht.

3. Handeln
Damit ist die Frage, die unser Handeln bestimmt: Was tut not im ganz konkret gelebten Miteinander der Konfessionen?

3.1.
Das ZdK regt an, die ganze Fülle gemeinsamer Gebete, liturgischer Texte und Gottesdienstformen zu erschließen und diese mit Leben zu erfüllen: Das Vater unser, ökumenische Stundengebete, ökumenische Wortgottesdienste am Sonntag (und dies dann nicht gebunden an eine Uhrzeit, sondern angemessen in Blick auf die Situation) und zu besonderen Anlässen.
Wir wünschen gegenseitige Einladungen zur Predigt und damit die Ausübung des Predigergastrechts.
Wir unterstützen neue Formen von (ökumenisch gestalteten) Segnungen (z. B. früh Verwitweter), die in besonderen Lebenssituationen die Zuwendung Gottes zeigen.
Insbesondere gehört aus unserer Sicht zur geistlichen Ökumene das (gemeinsame) Lesen der Bibel.
Ausdrücklich setzt sich das ZdK dafür ein, dass das Patenamt zur Taufe und Firmung bzw. Konfirmation in den Mitgliedskirchen der ACK wechselseitig anerkannt wird und gültig ausgeübt werden kann, denn uns verbindet die eine Taufe über alle Konfessionen hinweg.

3.2
Das ZdK stellt fest, dass die christlichen Kirchen heute gemeinsam vor der Herausforderung stehen, den Menschen deutlich zu machen, was sie tun, wenn sie das Mahl des Herrn feiern, und warum diese Feier für Christen so zentral ist. Eine solche gemeinsame Sorge zeigt auch, was die unterschiedlichen Konfes-sionen trotz aller noch vorhandenen Unterschiede bereits miteinander verbindet und wo bisher als tren-nend empfundene Fragen inzwischen aufgearbeitet worden sind.
Die Sehnsucht der Menschen, gemeinsam das Mahl des Herrn feiern zu wollen, verlangt nach einer glaubensstärkenden, biographierelevanten Antwort.
Die seit den Anfängen der Kirche selbstverständliche "pastorale Klugheit" hat im Blick, dass in "Notsitua-tionen" ein Empfang des Abendmahls und eine Einladung zur Eucharistiefeier konfessionsübergreifend möglich sind. Dies beschränkt sich nicht nur auf Momente von Tod und Sterben, sondern gilt immer dann, wenn pastorale Not herrscht. Die geltenden römisch-katholischen Vorgaben (UR 8; CIC can. 844; Enzyklika "Ecclesia de eucharistia" Nr. 45) ermöglichen bereits die Zulassung eines nichtkatholischen Christen zur Eucharistie im begründeten Einzelfall. Damit die hierdurch eröffneten pastoralen Wege die Gläubigen nicht abhängig machen von dem Gutdünken einzelner Seelsorger und Gemeinden, braucht es allgemein geltende, rechtlich verbindliche Regelungen. Dies gilt besonders für die sog. konfessionsver-bindenden Ehepaare. Sie sind der Ernstfall der ökumenischen Herausforderung. Wir hoffen und erwar-ten, dass hier bald eine Lösung gefunden wird, die diese Notlage beendet.

3.3
Eine zukunftsfähige Ökumene, die zuerst Antwort geben will auf die Not der Menschen, darf die Nöte des Alltags nicht außer Acht lassen:
Wir sollten verstärkt in ökumenischem Miteinander diakonische Anliegen gemeinsam – arbeitsteilig oder in Zusammenarbeit – aufgreifen, vor allem solche, die sich sorgen um Kinder in Armut, Fremde, die bei uns Heimat suchen, alte Menschen in Einsamkeit und Menschen, die der Pflege und Zuwendung bedür-fen.
Gemeinsam wollen wir uns wichtige Anliegen in Erinnerung bringen und feiern, z. B. die ökumenische Zeit der Schöpfung zwischen dem 1. September und dem 4. Oktober, die von der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK) auf Bundesebene am 1. Freitag im September begangen wird, sowie den Pfingstmontag als Tag der Einheit der Kirche.

3.4
Wir wollen diese Schritte nicht blind für die eigene Geschichte und die unterschiedlichen Traditionen gehen, sondern wertschätzend für diese. Dafür halten wir ökumenische Bildung für wichtig – nicht nur, aber besonders auch für Multiplikatoren. Dazu gehört auch, die ernsthafte und ehrliche Neubewertung der Reformation und der Person Martin Luthers aus katholischer Sicht mutig fortzuführen, wie sie schon vor dem 2. Vatikanischen Konzil begonnen wurde.

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