Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 05/2012
Rede von Alois Glück im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) -es gilt das gesprochene Wort.
UNKORRIGIERTES
REDEMANUSKRIPT
Es gilt das gesprochene Wort.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
Der Katholikentag versteht sich als Zeitansage. Er soll Orientierung geben in der Unübersichtlichkeit der vielen Krisen, die unsere Gegenwart prägen. In Gesellschaft, Staat und Kirchen verdichten sich langjährige Entwicklungen immer mehr zu Konflikten; der Entscheidungsdruck wächst.
In der letzten Vollversammlung haben wir uns eingehend der Situation und der Zukunftsperspektive Europas gewidmet. Mit unserer Erklärung "Europa ist unsere Zukunft" haben wir einen Akzent gegen den allgemeinen Trend gesetzt.
Die Sorgen um die Entwicklung Europas sind zwischenzeitlich nicht geringer geworden. Die Schuldenkrise erschüttert viele Mitgliedsländer. Bei nationalen Wahlen steht jeweils ein entsprechender Spar- und Konsolidierungskurs zur Disposition. Mit der Sparpolitik sind enorme Belastungen für die Menschen verbunden. Unsere Gesellschaftsmodelle sind auf wirtschaftliches Wachstum ausgerichtet. Wir sind in hohem Maße Gefangene dieser Bedingungen für das Funktionieren unseres Gemeinwesens und unserer Volkswirtschaft und finden schwer einen Weg des Umsteuerns, der tatsächlich der Situation und der Verantwortung gegenüber den Nachkommen gerecht wird und gleichzeitig nicht zu Brüchen führt, die die Gemeinwesen in ihrer Substanz gefährden. Dieses Dilemma haben wir vor einigen Wochen auch bei unserer Fachtagung "Kirche auf dem Weg der Nachhaltigkeit" eingehend besprochen.
Bei all dem ist Deutschland anscheinend eine stabile Insel in einem stürmischen Umfeld. Noch vor einem Jahrzehnt galt Deutschland als das kranke Land Europas. Eine für viele auch sehr schmerzliche und mit vielen politischen Spannungen verbundene Reformpolitik etwa mit der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und einer ersten Anpassung des Rentensystems an die Demografie und vor allem die jahrelange Zurückhaltung bei der Lohnentwicklung haben die jetzige Entwicklung und die heutige Situation Deutschlands eröffnet. Die politische und gesellschaftliche Stabilität unseres Landes in dieser schwierigen Umstellungsphase und in der gegenwärtigen Situation hat wesentlich mit dem lange Zeit von vielen pauschal beschimpften und kritisierten Sozialstaat und mit einer verantwortungsbewussten Politik der Gewerkschaften zu tun. Dies wird mittlerweile sogar international anerkannt, wie auch der Nutzen der Mitbestimmung in den Betrieben.
Die deutsche Sozialverfassung, der lange Zeit belächelte "rheinische Kapitalismus" im Sinne der sozialen Marktwirtschaft hat sich gegenüber den primär markt- und kapitalorientierten angelsächsischen Systemen als überlegen gezeigt.
Anders formuliert: Eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in der nicht die Kapitalrendite sondern der Mensch im Mittelpunkt steht, in der die Innovationskraft von Markt und Wettbewerb mit sozialem Ausgleich gleichberechtigt verbunden ist, hat sich als überlegen und zukunftsweisend erwiesen.
Es gilt festzuhalten: Diese Gesellschaftsordnung hat eine ganz wesentliche Grundlage in der christlichen Soziallehre. Auch dies soll uns ein Impuls sein, die neuen Aufgaben in einer globalisierten Welt entsprechend mutig und kompetent mitzugestalten.
Die gegenwärtige Ausnahmesituation Deutschlands sollte uns aber nicht zu der Illusion führen, dass wir eine Insel der Seligen sein können. Uns kann es auf Dauer nur gut gehen, wenn es unseren europäischen Nachbarn gut geht, weil wir auf deren Märkten und auf den weltweiten Märkten unseren Wohlstand verdienen. Wir sind in einer wechselseitigen Abhängigkeit. In Europa sitzen wir alle in einem Boot. Deutschland ist als finanzstarkes Land nicht einseitig zur Solidarität aufgefordert, sondern es lebt vom Funktionieren des Gesamtsystems. Mit dem Selbstbewusstsein der vorher geschilderten Erfahrungen im Vergleich der Systeme und aus christlicher Verantwortung müssen wir uns gerade in der europäischen Politik noch wirksamer einbringen als früher.
In diesem Sinne ist der sogenannte "politische Katholizismus" wichtig. Aus dieser großen Tradition unserer kirchlichen Gemeinschaften in Deutschland heraus müssen wir uns auch in der heutigen Zeit mit ihren großen Herausforderungen, mit den vielen einander überlagernden Krisen- und Konfliktherden, einbringen und Verantwortung übernehmen. Ich nenne nur in Überschriften die ökonomische Krise, die ökologische Krise, den wachsenden sozialen Sprengstoff durch soziale Ungerechtigkeiten und Perspektivlosigkeit für viele Menschen, die Verknappung der Rohstoffe und die dadurch absehbaren Konflikte, die Zunahme des Hungers in der Welt, die Bedrohung ganzer Regionen durch den Wassermangel, die Ungewissheiten über die künftige Energieversorgung, die wachsenden kulturellen und religiösen Konflikte, die unbewältigten Auswirkungen der lange verdrängten demografischen Entwicklung in den Industrieländern.
Wem dies zu viel auf einmal ist, frage ich, was er guten Gewissens weglassen kann. Es geht nicht um eine Dramatisierung, es geht um den notwendigen Realitätssinn, mit dem die Motivation für schwierige und schmerzliche Entscheidungen und große Anstrengungen überhaupt erst wachsen kann. Warum sollen die Staaten Europas dem Sparkurs folgen, wenn immer wieder suggeriert wird, dass es eigentlich auch anders geht?
Wir haben die Wahl, ob wir diese Entwicklung einfach abwartend und dann leidend hinnehmen wollen, oder ob wir sie aktiv gestalten. In diesem Sinne gilt es eben einen neuen Aufbruch zu wagen.
Meine Damen und Herren,
es ist weithin schick geworden, auch in "kirchlichen Kreisen" über die Politik nur negativ und abwertend zu sprechen.
Die Demokratie und das Staatsgefüge in Deutschland erweisen sich als außerordentlich stabil, besonders bemerkenswert ist vor allem, dass die Menschen in Deutschland bislang gegenüber den in fast allen europäischen Ländern rasch wachsenden rechtspopulistischen Strömungen weithin ablehnend geblieben sind. Ob dies so bleibt, wenn wir in schwierigere wirtschaftliche und soziale Konfliktlagen kommen, muss sich freilich erst erweisen. Die notwendigen schwierigen und anstrengenden Veränderungsprozesse führen die Demokratien in den Härtetest.
Die Testfrage der Christen gegenüber rechtspopulistischen und rechtskonservativen Gruppierungen muss sein: Welches Menschenbild haben sie? Wie halten sie es mit der Würde gerade der Menschen, die nicht ihrer Norm entsprechen, seien es ausländische Mitbürger, seien es beispielsweise homosexuelle Menschen oder andere Gruppen? Christen müssen eine klare Grenze ziehen auch gegenüber Gruppierungen, die die "christlich-abendländischen Werte" im Namen des Konservativen beschwören und gleichzeitig die Würde anderer Menschen nicht achten. In diesem Zusammenhang danke ich den deutschen Bischöfen für ihre deutliche Verurteilung des Internetportals kreuz.net.
Nichts hat die Welt in den letzten 20 Jahren so sehr verändert wie die modernen Kommunikationsmittel, "das Netz". Die bisherige Entwicklung hat vor allem auch international, ich denke zum Beispiel an die Entwicklung in den arabischen Ländern, gezeigt, dass das Internet ein großartiges Mittel für Wissensbeschaffung und Information ist und ebenso für die Mobilisierung von Menschen. Das zeigen auch bei uns Initiativen wie "Stuttgart 21". Zugleich wird daran auch deutlich, dass mit der Mobilisierung noch keine politische Gestaltungskraft verbunden ist. Die Summe von Individualisten, mobilisiert über die Netzwerke der digitalen Kommunikation, ergibt noch nicht eine handlungsfähige Gemeinschaft mit Gestaltungskraft. Um Gestaltungskraft zu erlangen, werden auch am Gemeinwohl orientierte Werte, Sachkompetenz und die Bereitschaft Verantwortung zu übernehmen benötigt. Die Entwicklung der Piratenpartei ist sicherlich Ausdruck eines Unbehagens an der etablierten politischen Kultur. Sie muss aber erst noch den Beweis der politischen Handlungsfähigkeit antreten.
Unabhängig von der aktuellen Entwicklung in der Parteienlandschaft müssen wir uns jedenfalls intensiver mit der Frage befassen, welche Veränderungen in der Gesellschaft und bei den Menschen die modernen Kommunikationsmittel bewirken und wie wir damit sowohl gesellschaftlich wie auch kirchlich und in unserer eigenen Arbeit umgehen.
Zwei Anmerkungen noch zu gesellschaftspolitischen Diskussionen der letzten Monate, die die Familienpolitik und die Solidarität der Generationen, die Generationengerechtigkeit, zentral berühren. Seit Wochen wird in den Medien und der Politik zum Teil erbittert über das sogenannte Betreuungsgeld diskutiert. So berechtigt und sogar wünschenswert eine kontroverse gesellschaftspolitische Debatte ist, weist sie doch hier eine bedenkliche Tendenz auf. Die Art und Weise, wie die Kontrahenten ihren Wahrheitsanspruch zur Geltung bringen, erschwert immer mehr die Möglichkeit eines vernünftigen Kompromisses, in dem die jeweiligen Kernanliegen und -bedenken ernst genommen und verarbeitet werden. Bereits vor vier Jahren hat sich die ZdK-Vollversammlung in ihrer letzten familienpolitischen Erklärung für eine stärkere Anerkennung der Erziehungsleistung aller Eltern von unter dreijährigen Kleinkindern ausgesprochen. Dabei geht es nicht um eine Kompensation für nicht in Anspruch genommene öffentlich geförderte Betreuungsangebote, sondern um die Unterstützung aller Eltern bei der Finanzierung der von ihnen gewählten Betreuungsform in der ersten Lebensphase ihres Kindes. Es wäre eine Diskussion wert, mit welchem Ansatz der Wahlfreiheit junger Eltern mehr gedient wäre. Was wir aber seit Wochen erleben, ist ein Kulturkampf zwischen unterschiedlichen Familienbildern, den viele Eltern selbst gar nicht nachvollziehen können. Denn die Wirklichkeit in den Familien ist nicht schwarz-weiß. Auch die Bundesregierung will die Betreuungsinfrastruktur "nur" soweit ausbauen, dass 35 Prozent der Kinder unter drei Jahren abgedeckt wären, das heißt auch in Zukunft wird weit über die Hälfte der Kinder unter drei Jahren anderweitig, in den meisten Fällen sicherlich in der eigenen Familie, betreut werden. In der öffentlichen Diskussion spielt diese Mehrheit der Familien aber kaum eine Rolle. Über das Ziel hinaus schießt auch die Kritik am Betreuungsgeld, die Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften unisono verkündet haben, dass die jungen Eltern nicht durch eine staatliche Leistung vom Arbeitsmarkt ferngehalten werden dürften. Die Familien benötigen ihre Schutz- und Freiräume, gerade wenn sie kleine Kinder haben. Die Eltern dürfen nicht einseitig als Arbeitskräfte vereinnahmt oder instrumentalisiert werden.
Es hat auch etwas mit politischer Verfahrensethik zu tun, wenn die Bundesregierung nun einen Gesetzentwurf für eine verbesserte Anerkennung der Erziehungsleistung auf den Weg bringt. Schließlich wurde diese Vereinbarung bereits mehrmals und nicht erst von der amtierenden Bundesregierung getroffen, und zwar jeweils als Ergebnis von Verhandlungen, nicht als abwegige Maximalforderung. Im Übrigen gilt auch nach wie vor der Auftrag des Bundesverfassungsgerichts, dass die generative Leistung der Eltern stärker in den Sozialversicherungen, im Generationenvertrag berücksichtigt werden müsse. Auch dieses Thema wurde in den vergangenen Monaten aufgeregt diskutiert. Einige junge Abgeordnete haben mit Blick auf den demografischen Wandel angeregt, Eltern aufgrund ihres ohnehin erbrachten generativen Beitrags nicht zusätzlich zu belasten. Daraus wurde in der öffentlichen Diskussion schnell eine politisch zum Scheitern verurteilte "Strafsteuer für Kinderlose" – damit tut man dem ethisch gehaltvollen Anliegen unrecht. Dem Miteinander der Generationen, das uns allen am Herzen liegen sollte, wird so jedenfalls kein Dienst erwiesen.
Zur Situation in unserer Kirche
Die Situation in unserer Kirche ist mehr als die Summe ihrer Defizite. In unserer Kirche und im Namen der Kirche, aber auch durch Katholikinnen und Katholiken, die in ihrer eigenen Verantwortung als Bürgerinnen und Bürger handeln, geschieht viel Großartiges und gibt es viele positive Entwicklungen.
Es ist wichtig, sich das immer wieder vor Augen zu halten, weil wir sonst zu einer einseitigen und damit auch verzerrenden Betrachtungsweise neigen.
Ich habe in meiner Einleitung gesagt, dass wir auch in der Kirche in einer Phase wichtiger Weichenstellungen mit Langzeitwirkung stehen. Ja, ich komme immer mehr zu der Einschätzung, dass wir in den nächsten Jahren in einem Zeitfenster sind, in dem sich für die weitere Entwicklung der katholischen Kirche in Deutschland viel entscheiden wird. Ich sehe dafür vor allem zwei Entwicklungen: Die weitere Entwicklung bei den Seelsorgestrukturen, insbesondere auf der Gemeindeebene, und den weiteren Verlauf des Dialogprozesses.
Zunächst zur Situation in den Gemeinde: Die Sozialgestalt der Kirche in Deutschland wird sich in den nächsten zehn Jahren ganz erheblich, vielleicht in mancher Beziehung auch drastisch verändern. Die beiden maßgeblichen Entwicklungen dafür sind der Generationenbruch bei den Gläubigen, der sich in einem deutlichen Rückgang der Zahl der Getauften und Gefirmten zeigt, und die immer geringere Zahl von Priestern.
Gerade die Entwicklung bei der Zahl der Priester führt nun zu einem Handlungsdruck, und damit müssen Entscheidungen getroffen werden, die langfristig von Bedeutung sind. Für mich zeigt sich immer mehr, dass sich in den Strukturentscheidungen über die künftigen Gemeindestrukturen die unterschiedlichen theologischen und kirchenpolitischen Richtungen verdichten: Welches Bild von Gemeinde, welches Bild von Kirche, welches Bild von der Rolle der Laien und der Zusammenarbeit von Laien und Priestern, welches Priesterbild prägen die Positionen und damit das Handeln? Und ist die Veränderung in erster Linie eine, die nach den Maßstäben der Effizienz von Organisationen und Personaleinsatz gestaltet wird, oder ist sie von der konsequenten Überlegung geleitet, mit welchen Strukturen und Arbeitsweisen die Kirche ihrer Sendung, den Menschen in ihren jeweiligen Lebenswelten das Evangelium zu verkünden, am besten gerecht wird. (Natürlich werden wahrscheinlich alle dies als ihr Motiv reklamieren, trotzdem kann man bei verschiedenen Entwicklungen auch den Eindruck gewinnen, dass reines Organisations- und Managementdenken dominant ist.)
Klar muss freilich auch sein und auch von uns gesagt werden, dass angesichts der absehbaren Entwicklungen Veränderungen notwendig sind, Veränderungen im kirchlichen Leben und in den Strukturen, die wir gewohnt sind, die uns geprägt haben. Diese Veränderung erfordert einen tiefgreifenden Kulturwandel bei allen Beteiligten – ich betone: bei allen Beteiligten.
Wir müssen uns dabei auch bewusst machen, dass die Mehrheit der Gläubigen von einem Kirchenbild geprägt ist, in dem der Pfarrer, der Priester im Mittelpunkt steht, alles auf ihn ausgerichtet ist und ebenso konsequent die Menschen von ihm alles erwarten. Wenn Dienste und Aufgaben, die prinzipiell auch Nichtgeweihten offen stehen, aber bislang von Geweihten geleistet werden, dann auch in der Praxis für Nichtgeweihte geöffnet werden, wird dies häufig als eine Verlustgeschichte und als ein Abstieg betrachtet. Es geht eben nicht nur darum, dass Priester beispielsweise die Zuständigkeit für Finanzen und Verwaltungsfragen abgeben, um mehr Freiraum für die pastorale Arbeit zu gewinnen. Es geht auch darum, dass dies in den Gemeinden mitgetragen werden muss, dass ein einseitiges Anspruchsdenken an die Priester abzubauen ist.
Die konkreten Strukturen für die Pfarreien werden in den einzelnen Diözesen entschieden und müssen dort mit Leben gefüllt werden. Trotzdem geht es uns alle an, wenn beispielsweise die von der katholischen Kirche in Deutschland gemeinsam in der Würzburger Synode gefundenen Strukturen wie in der Diözese Augsburg als Maßstab einfach ignoriert werden. Es geht hier zentral um die künftige Aufgabenstellung der Laien. Strukturreformen wie in Augsburg widersprechen der Feststellung von Papst Benedikt als Bischof von Rom bei der Diözesansynode, dass die Laien künftig nicht nur Mitarbeiter des Klerus, sondern Mitverantwortliche für das Handeln und die Sendung der Kirche sind. Die Frage der Zukunft der Pfarrgemeinderäte ist nicht irgendeine überflüssige Prestigefrage, sondern eine Grundfrage für das Kirchenverständnis und eine elementare Fragestellung für die Präsenz der Kirche in den Lebenswelten. Zentral erreichbare Eucharistiefeiern sind noch kein Ersatz für die erfahrbare kirchliche Gemeinschaft vor Ort. Es geht nicht um Versorgung mit "seelsorgerlichen Angeboten", sondern darum, dass wir in kirchlicher Gemeinschaft miteinander beten und glauben können, beten und glauben werden.
Wir müssen uns selbst die Frage stellen, wie wir den notwendigen Kulturwandel bei allen Gläubigen und auch bei uns selbst fördern, wie wir den für solche Veränderungen notwendigen Prozess partnerschaftlich unterstützen – was freilich partnerschaftliche Bedingungen voraussetzt.
Nicht nur die Entwicklung in der Diözese Augsburg zeigt mir, dass wir die Würzburger Synode wieder stärker in Erinnerung bringen müssen. Wer soll es tun, wenn nicht wir? Die Würzburger Synode war der Weg der "Übersetzung" des Konzils in die katholische Kirche in Deutschland. Diese Synode war auch im Vergleich zu den Nachbarländern in ihrer Struktur und in ihren Ergebnissen einmalig. Der 50. Jahrestag der Einberufung des Zweiten Vatikanischen Konzils und die verschiedenen damit verbundenen Themen werden beim Katholikentag eine wichtige Orientierung sein und damit auch wieder lebendiger werden. Ich beobachte dies auch in verschiedenen Initiativen in Diözesen. Wir befassen uns aber noch zu wenig mit den Synoden in Würzburg und Dresden und insbesondere mit den sehr konkreten Ergebnissen, den unser Selbstverständnis, unsere kirchlichen Strukturen und unsere Arbeit prägenden Beschlüssen der "Gemeinsamen Synode der Bistümer in der Bundesrepublik Deutschland".
Die Veränderung der Sozialgestalt unserer Kirche wird sich auch auf die Situation der Kirche in Gesellschaft und Staat auswirken. Ich bin ganz sicher, dass wir keine "marginalisierte Randgruppe" werden, wie da und dort schon beschworen wird. Wie wirksam wir morgen und übermorgen in Gesellschaft und Staat sind, hängt ausschließlich von der Qualität unserer Beiträge und von den Menschen ab, die sich im öffentlichen Leben engagieren. Gerade unter diesem Aspekt ist eine neue Ermutigung und Unterstützung für das politische Engagement von Katholikinnen und Katholiken ganz dringlich. Es reicht nicht, aus der eigenen Gesinnungsgemeinschaft heraus "an die da draußen in der Welt" Entschließungen und Belehrungen zu senden. Es muss dort Menschen geben, die sich damit identifizieren, die dies verkörpern und die sich dafür engagieren.
Wir müssen noch mehr lernen, unsere Position und auch unsere legitimen Interessen in einer säkularen und pluralen, gerade auch religiös zunehmend pluralen Welt zu vertreten und zur Geltung zu bringen. Wir müssen selbstbewusst und kompetent in diesen Wettbewerb der Ideen und der Werte eintreten. Die Entwicklung zeigt, dass entgegen vielen früheren Prognosen Religion insgesamt für den Menschen nicht unwichtiger geworden ist. Viele Menschen sind für die Frage der Werte und auch für Glaube und Religion offener als noch vor 10 Jahren. Pessimismus ist der falsche Ratgeber, wenn es um unsere gesellschaftlichen Prägemöglichkeiten geht. Es liegt an uns, glaubwürdig und argumentativ gut zu sein.
Mit der Festlegung der künftigen Gemeindestrukturen, die Ausgangspunkt dieser Überlegungen waren, erfolgt also eine ganz wesentliche und sicher für lange Zeit prägende Weichenstellung für das Leben der katholischen Kirche in Deutschland. Das ist der eine Grund, warum es so sehr auf die allernächsten Jahre ankommt.
Der andere Grund ist der Dialogprozess. Es ist natürlich wichtig, dass nach dem ermutigenden Start und auch vielen lebendigen Entwicklungen in nicht wenigen Diözesen und in unseren Gemeinschaften nun auch eine Konkretisierung spürbar wird. Das haben wir beispielsweise vor wenigen Wochen beim Tag der Diakonin erlebt, für den sich die Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands und der Katholische Deutsche Frauenbund in Kooperation mit dem ZdK sehr engagiert haben. Unsere Pressemeldung dazu begann mit dem Satz: "Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat nochmals für das Anliegen des Diakonats der Frau geworben." Ich finde dies wichtig und bekräftige dies, wann immer ich gefragt werde. Wir haben mit der Führung der beiden großen Frauenverbände vereinbart, dass wir uns noch vor der Sommerpause über das weitere Vorgehen zu diesem Anliegen beraten.
Die gewachsenen Erwartungen im Rahmen des Dialogprozesses werden eine Herausforderung für das zweite Treffen auf der Bundesebene im September in Hannover sein. Wie kommen wir zu konkreten Ergebnissen, wo und wie ist das möglich? Die Frage beschäftigt alle Engagierten, ich weiß das auch von Seiten der Bischöfe. In diesem Zusammenhang ist es mir auch wichtig zu erwähnen, dass ich inzwischen im Namen des ZdK ausführlich auf die Schreiben geantwortet habe, die Erzbischof Zollitsch zu unseren Beschlüssen zur lebensnahen Ökumene und zum partnerschaftlichen Miteinander von Frauen und Männern in der Kirche im Namen der Deutschen Bischofskonferenz an das ZdK gerichtet hat. Sie finden die Antwortschreiben in Ihren Tagungsunterlagen.
Wer einmal mit dem Thema "neue Unternehmenskultur" bei einer Firma in Berührung gekommen ist, weiß, wie schwer es ist, innere Kulturen zu verändern. Insofern müssen wir die notwendige, auch drängende Ungeduld und den langen Atem miteinander verbinden. Aber nur wenn Veränderungsprozesse erlebbar werden, wird die Bereitschaft zur engagierten Mitarbeit auf Dauer erhalten bleiben. Im Dialogprozess ist es wichtig, dass jetzt alle Beteiligten "Farbe bekennen". Mit dieser Feststellung soll nicht Druck ausgeübt werden, es ist schlicht und einfach ein Erfahrungswert aus einem langen politischen Leben.
Liebe Mitglieder der Vollversammlung,
natürlich wären jetzt noch viele Punkte anzusprechen. Alle Themen, die uns in der Kirche und in der Gesellschaft berühren, sind aber auch Thema von Beratungen und Veranstaltungen beim Katholikentag, und natürlich auch in der jetzt folgenden Aussprache. So schließe ich hier und danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Alois Glück Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken