Jérôme Vignon (Präsident Semaines Sociales de France)
anlässlich des 100jährigen Jubiläums des Katholikentags von 1913 in Metz - es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Mgr. Lagleize, sehr geehrter Herr Weihbischof Brahm,
Liebe Freunde aus Metz und Saarbrücken,
Liebe Brüder und Schwestern vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken,
im Namen der Semaines sociales de France will ich mich zunächst herzlich bedanken. Für den Empfang in der Union Stiftung anlässlich unserer bedeutungsvollen Versammlung in Erinnerung an den sechzigsten Deutschen Katholikentag in Metz herzlichen Dank.
Wenn wir uns die damaligen Ereignisse ernsthaft und wissenschaftlich, wie sie uns gerade von Professor Becker vorgetragen wurden, ins Gedächtnis rufen, dann kommen uns gemischte Gedanken. Positiv können wir uns vorstellen, wie schon vor dem ersten Weltkrieg, in diesen Grenzregionen zwischen Saarland, Luxemburg, Elsass und Lothringen, eine gemeinsame, sozial geprägte und bürgerorientierte katholische Kultur Form annahm. Negativ dagegen ist die Feststellung einer tiefen gegenseitigen Feindseligkeit, welche die deutsch-französische Rivalität entfacht hatte. Aber das Wunder, das wir heute gemeinsam feiern wollen, besteht darin, dass aus dieser Feindseligkeit Versöhnung entstanden ist.
Ich möchte nur auf eine Begebenheit hinweisen: die von französischer Seite abgesagte Beerdigung Bischof Benzlers in seinem ehemaligen Bistum zeigt uns, wie tief damals der Geist der Revanche verwurzelt war. Doch war dieser mönchische deutsche Bischof gerade derjenige, der Robert Schuman ermutigt hat, seinen christlichen Glauben zu vertiefen, und die daraus resultierenden konkreten Folgen konsequent voranzutreiben. Für Robert Schuman war, wie erwähnt wurde, die Konsequenz aus seinem Glauben, die deutsch- französische Versöhnung voranzubringen. Aber ohne Bischof Benzler hätte es vielleicht keinen Schuman gegeben. Heute früh, in der Stille des beginnenden Tages hat Bischof Lagleize die Heilige Messe unter dem Motto Versöhnung gefeiert.
Aber nicht nur Erinnerung bringt uns, wie mehrmals gesagt, heute zusammen. Es geht sogar mehr um die gegenwärtige Zeit für unser Europa. Erlauben Sie mir, liebe deutsche Freunde, jetzt den Focus auf Europa zu legen. Als bedeutungsvolles Signal für Heute, als Aufruf gegen eine Art von Europamüdigkeit, von Europanachlässigkeit, wie sie sich so deutlich spüren lässt, soll unsere Versammlung wirken.
In einer in Wien 1935 vorgetragenen Rede, drückte sich der berühmte deutsche Philosoph, Edmund Husserl folgendermaßen aus: " Die größte Gefahr für das heutige Europa besteht in der Müdigkeit (auf Französisch lassitude )"[1].
Zum Glück, dank Schuman, Adenauer und deren Nachfolger drohen uns nicht mehr wie damals der Hass und die Rache. Versöhnung und Zusammenarbeit sind die Schätze unseres gemeinsamen Erbes. Uns droht viel mehr die Stimmung der Europamüdigkeit, die die Herzen und den Willen unserer Mitbürger mehr und mehr gewinnt. Europafeindseligkeit kann man immer mit Ehrlichkeit und Dialog entschärfen. Europamüdigkeit lässt uns entmutigt und kraftlos zurück - angesichts der erneuten Herausforderungen, vor denen wir gemeinsam Frankreich und Deutschland stehen. Ich wage es, liebe deutsche Freunde, es Euch offen und ehrlich zu sagen: in der aktuellen Stunde hat Deutschland eine gewisse Führungsrolle zu schultern. Zu Recht dürft Ihr von euren Partnern in Europa Verantwortlichkeit fordern. Aber von Euch wird auch Solidarität und Kreativität erwartet, wie Schuman es gesagt hat: "Gemäß der Herausforderungen unserer Zeit. A la mesure des défis de notre temps ".
Liebe Freunde, möge diese außergewöhnliche Erwähnung des langen Weges vom Krieg zum Frieden, zur Anerkennung eines gemeinsamen Schicksales unserer Völker, uns den Mut geben, die Europäische Müdigkeit zu überwinden.
Jérôme Vignon
Président des Semaines sociales de France
[1] Zitat aus einer Konferenz "Die Krise des europäischen Humanismus und die Philosophie" in Wien 13. Mai 1935