Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 11/2014

im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder!

Wir haben seit unserer letzten Vollversammlung im Mai dieses Jahres bewegte Monate erlebt. Bedeutende Jahrestage haben uns innehalten lassen: 100 Jahre sind seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs vergangen, 25 Jahre seit dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch des Kommunismus. Die prägende internationale Entwicklung der letzten Monate ist die zuvor unvorstellbare Eskalation der Gewalt im Irak und in Syrien. Innenpolitisch sind wir mit Fragen der Wahrung der Menschenwürde konfrontiert, einerseits bei der rechtlichen und ethischen Debatte über ein Sterben in Würde, andererseits bei der Herausforderung der Aufnahme von Flüchtlingen. In der Kirche blicken wir auf die außerordentliche Weltbischofssynode zurück, die ein wahrhaft außerordentlicher Vorgang ist. Mit ihr beginne ich meinen Bericht.

1. Rückblick auf die außerordentliche Weltbischofssynode zur Ehe- und Familienpastoral

Im bisherigen Pontifikat von Papst Franziskus hat sich Erstaunliches in unserer Kirche getan. Das ist gerade in den vergangenen Wochen bei der außerordentlichen Weltbischofssynode zu Fragen von Ehe, Familie und Sexualität deutlich geworden. Was wir dort erlebt und beobachtet haben, ist doppelt bemerkenswert: Neben diesen uns alle drängenden Fragen, über die wir ja auch noch im Rahmen eines eigenen Tagesordnungspunktes morgen reden werden, ist der Verlauf der Synode von grundsätzlicher Bedeutung für die weitere Entwicklung in unserer Kirche und die Beratung anderer Themen und Aufgaben.

Es gibt eine neue Offenheit des Diskurses. Eine neue Diskussionskultur, ja auch Streitkultur entwickelt sich. Papst Franziskus setzt offensichtlich darauf, dass dann, wenn der Geist wehen kann, wo er will, der Heilige Geist der Kirche den rechten Weg weisen wird. Der Prozesscharakter ist außerordentlich wichtig, und ich plädiere ganz nachdrücklich dafür, deshalb nicht ungeduldig zu werden. Das ist wichtig für die innere Qualität, und es ist wichtig für den notwendigen Prozess der Verständigung in unserer Kirche. Für den Brückenbau, der uns ja in diesem Jahr beim Katholikentag in Regensburg ein besonderes Anliegen war. Es ist von ganz besonderer Bedeutung, dass diese Offenheit in unserer Kirche Schule macht und zum Standard wird.

Nur so können schwere Verwerfungen vermieden werden. Nicht gemieden werden darf aber die faire Auseinandersetzung mit den unausweichlich und unabweisbar vorhandenen Spannungen. Zumal gerade diejenigen Gruppen und Strömungen in unserer Kirche, die zuvor weitgehend den Kurs der Weltkirche bestimmt haben, sich plötzlich in der Defensive sehen. Ich plädiere auch nachdrücklich dafür, deren Überzeugungen weiter ernst zu nehmen. Ebenso nachdrücklich will ich freilich auch ansprechen, dass ich über manche Nachrichten, wie abwertend, wie hämisch da und dort über den Heiligen Vater gesprochen wird, wie versucht wird, Kardinal Walter Kasper abzuqualifizieren, erschüttert bin. Kardinal Walter  Kasper hat sich vielfach um unsere Kirche verdient gemacht! Dies ist nicht leidenschaftliches Ringen um den richtigen Weg auf der Basis des wechselseitigen Respekts, sondern ein Machtkampf, bei dem jedes Mittel recht ist.

Natürlich muss der Weg des offenen Dialogs weitergegangen werden, in der Weltkirche und bei uns. Es ist ein großer Fortschritt und ein Segen für unsere Kirche, dass Meinungsverschiedenheiten nicht mehr verdrängt, verdeckt und auf nicht nachvollziehbaren Wegen geregelt werden, sondern offen zur Sprache kommen. Dabei werden dann auch die sehr unterschiedlichen Situationen der Kirche in den jeweiligen Kulturen und Lebensräumen sichtbar.

Ein Zeichen der Offenheit war unter anderem die Veröffentlichung der einzelnen Abstimmungsergebnisse zum Abschlussdokument der diesjährigen Synode. Niemand hätte vor dieser Synode dieses offene Ringen um Positionen und diese Ergebnisse für möglich gehalten. Darum komme ich zu einer ähnlichen inhaltlichen Bewertung der Ergebnisse wie Kardinal Marx: Das Glas ist nicht halb leer, sondern halb voll.

Noch ein Wort zu unserem Heiligen Vater: Dieser Papst passt nicht in unsere gewohnten Schubladen mit den Etiketten konservativ oder liberal. Das zeigt sich vor allem in seiner Ansprache zum Abschluss der Synode, in der er die Spannungen und Versuchungen beschreibt.

"Die Versuchung der feindlichen Erstarrung: Das ist der Wunsch, sich im Geschriebenen einzuschließen und sich nicht von Gott überraschen lassen wollen, vom Gott der Überraschungen, dem Geist. […]

Die Versuchung des zerstörerischen Gutmenschentums, das im Namen einer falschen Barmherzigkeit die Wunden verbindet, ohne sie zuvor zu behandeln. […]

Die Versuchung, Steine in Brot zu verwandeln, um ein langes, schweres und schmerzhaftes Fasten zu beenden (Lk 4, 1-4). Eine weitere Versuchung: Brot in Steine zu verwandeln und sie auf die Sünder zu werfen, die Schwachen und die Kranken (Joh 8, 7) und ihnen so unerträgliche Lasten aufzubinden (Lk 11, 46)."

Papst Franziskus sprengt des Weiteren auch unser europäisch fixiertes Denken. Das ist eine wichtige Lernerfahrung für uns. Wie schon in der übrigen globalisierten Welt haben wir auch hier die Entwicklung, dass Europa eben nicht mehr der Mittelpunkt ist, nach dem sich alle zu richten haben.

Wir sollten uns auch mit seiner starken Betonung der Volksreligiosität auseinandersetzen. "Wenn Du wissen willst, was die Mutter Kirche glaubt, wende Dich an das Lehramt […]. Wenn Du aber wissen willst, wie die Kirche glaubt, halte Dich an das gläubige Volk." (zitiert nach: Daniel Deckers, Papst Franziskus. Wider die Trägheit des Herzens) Ähnlich lesen wir es auch in Evangelii Gaudium.

Die außerordentliche Bischofssynode war ein Zwischenschritt in einem längeren Prozess. Es ist mir ein Anliegen, hier festzuhalten: Wir, die Katholikinnen und Katholiken im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, wollen Papst Franziskus auf dem Weg, den er mit großer Umsicht, Klugheit, Liebe und Zuwendung zu den Menschen unmissverständlich eingeschlagen hat, nach all unseren Kräften unterstützen. Wir beten für Papst Franziskus, dass er unsere Kirche auf diesem Weg in eine gute Zukunft führen kann.

Für uns kommt es jetzt entscheidend darauf an, dass wir die Zwischenzeit bis zur ordentlichen Bischofssynode bei uns nutzen. Wir wollen sie gemeinsam mit den Bischöfen und der Bischofskonferenz nutzen. Zugleich dürfen wir jetzt nicht nur auf die Bischöfe schauen – wir alle sind jetzt auch selbst gefordert!

Der Themenkreis der Teilhabe von geschiedenen und wiederverheirateten Menschen ist wichtig und ein Prüfstein für den Erfolg des Prozesses. Wir dürfen unsere Aufmerksamkeit aber bei weitem nicht nur darauf begrenzen. Im Kern geht es um eine umfassende, die ganze kirchliche Tradition erfassende theologische Reflexion der Lehre der Kirche zur Ehe, um die Einstellung der Kirche zur Bedeutung der Sexualität für den Menschen. Wir müssen sie ganzheitlich betrachten, nicht nur im Hinblick auf die Fortpflanzung. Die damit verbundenen kasuistischen Denkweisen und Regelwerke sind ein Irrweg.

In dieser Situation ist vor allem auch die wissenschaftliche Theologie gefragt, an diesen Fragestellungen konzeptionell zu arbeiten. Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern möchte ich zurufen: Das ist Ihre Stunde, das ist Ihre Aufgabe, im Geiste der Wissenschaft und der Loyalität zur Kirche, mutig und gründlich! Das gilt ebenso für andere Themen und Aufgabenbereiche. Ich nenne beispielhaft eine Neuordnung der Aufgaben und der Kompetenzen zwischen der Leitung der Weltkirche und den Ortskirchen. Dies kann ein wichtiger Beitrag aus Deutschland zur weiteren Entwicklung sein.

2. Herausforderungen für die Kirche in Deutschland

Wir sind momentan in einer besonderen Situation, in einem besonderen Zeitfenster der Kirche, gerade auch der Kirche in Deutschland. Vor mehr als 20 Jahren (!) hat sich das ZdK sehr intensiv mit dem Thema Dialog in unserer Kirche auseinandergesetzt. 1991 hat die damalige Kommission "Pastorale Grundfragen" nach einem langen Arbeitsprozess unter Beteiligung renommierter Theologen das Diskussionspapier "Dialog statt Dialogverweigerung. Wie in der Kirche miteinander umgehen?" vorgelegt. Die Vollversammlung hat dieses intensiv und kontrovers diskutierte programmatische Papier aufgegriffen und am 7. Mai 1993 einen eigenen Beschluss dazu gefasst und veröffentlicht.

Diese Papiere haben großes Aufsehen erregt, zu massiven innerkirchlichen Konflikten und vor allem auch zu Spannungen mit der Deutschen Bischofskonferenz geführt. Einige Themen aus dieser Zeit wurden mittlerweile aufgegriffen, etwa die Rolle der Frauen in unserer Kirche. Auch der Dialogprozess seit 2010 entspricht in mancher Hinsicht dem damals vorgetragenen Anliegen.

Sehr viele Themen und Schlussfolgerungen stehen aber weiter zu einer ernsthaften Beratung an. Auf der Tagesordnung bleiben auch notwendige Schlussfolgerungen aus den Erfahrungen in Limburg. Mehr Transparenz bei den Finanzen ist ein wichtiges Thema, das ja in der Bearbeitung ist. Die notwendigen Konsequenzen dürfen sich aber nicht darauf begrenzen.

Die Entwicklung in Limburg und all die schmerzhaften Erfahrungen für die ganze katholische Kirche in Deutschland legen offen, welche strukturellen Gegebenheiten, welche innere Verfassung diese Entwicklung erst ermöglicht und gefördert haben. Diese strukturellen Bedingungen gelten aber nach wie vor für die ganze katholische Kirche in Deutschland. Ich nenne beispielhaft die Frage der Gremienkultur, der Führungskultur, des Amtsverständnisses, der Transparenz von Entscheidungen.

Limburg hat auch zu einem Handeln geführt, das für die katholische Kirche in Deutschland allgemein Standard werden sollte. In diesem hoch aufgeladenen Konflikt ist durch eine unabhängige Kommission mit einem entsprechenden Untersuchungsauftrag und einem unabhängigen und hoch qualifizierten Untersuchungsbericht Beispielhaftes geleistet wurden. Dieser Bericht wurde veröffentlicht und ist im Internet allgemein zugänglich. Diese Leistung gilt es anzuerkennen. Diese Art, mit Konflikten umzugehen, ist das beste Mittel gegen schleichende Vergiftungen, Denunziation und Willkür.

Weitere Schritte, wie zum Beispiel eine kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit, stehen noch bevor. Nicht zu vernachlässigen ist der Gedanke, dass eine offene, qualitätsvolle Bera-tungs-, Gremien- und Führungskultur die Kirche auch wieder anziehender für Frauen und Männer machen würde, die im Beruf oder im öffentlichen Leben verantwortliche Positionen ausfüllen.

Zu den Aufgaben der Stunde gehört auch, die Zeit nach dem bis 2015 laufenden Dialogprozess auf der Bundesebene in den Blick zu nehmen und einen Weg für die weitere Zusammenarbeit zwischen Bischöfen und Laien zu entwickeln. Was ist dafür in der gegenwärtigen Situation der richtige und praktikable Weg? Welche Themen müssten aufgegriffen und konkretisiert werden, welche Strukturen sind dafür geeignet? Darüber haben wir im Rahmen der gemeinsamen Konferenz am letzten Freitag auch mit den Bischöfen gesprochen. Jetzt ist ganz dringlich, dass wir zeitnah unsererseits konkrete Vorschläge entwickeln und dann mit den Bischöfen beraten. Damit wird sich auch der nächste Hauptausschuss Anfang des kommenden Jahres befassen.

Zu den ganz dringlichen Aufgaben zählt auch die künftige Pfarrstruktur unserer Kirche. Die Pfarrgemeinden sind entscheidend für die Präsenz der Kirche in den Lebensräumen der Menschen. Wir wissen, dass dies nach unserer kirchlichen Verfassung im Konkreten immer eine Entscheidung der jeweiligen Diözese ist. Im Kern geht es dabei aber um grundsätzliche Fragen der Verkündigung und der Liturgie, die wir bei den letzten beiden Dialogveranstaltungen in Stuttgart und Magdeburg erörtert haben. Und es geht um die Aufgabenverteilung und die Zusammenarbeit von Priestern und Laien, für deren künftige Gestalt die Gemeinsame Konferenz schon vor zwei Jahren mit dem Arbeitspapier "Das Zusammenwirken von Charismen und Diensten im priesterlichen, prophetischen und königlichen Volk Gottes" einen starken Impuls gegeben hat.

Zusammengefasst: Wir haben seit dem Dialogpapier von 1991 vieles ausgesät, und immer wieder haben wir auch ermutigende Entwicklungen erlebt. Es ist nun an der Zeit, daran weiterzuarbeiten mit dem Ziel konkreter Ergebnisse.

Wir müssen dabei unserem Verständnis und Maßstab als Getaufte und Gefirmte, mit Selbstbewusstsein und mit Loyalität zur Kirche, gerecht werden.

Wir verstehen dies als Dienst und nicht als Machtanspruch. Aber die Kirche braucht auch die leidenschaftliche Ungeduld und das Drängen.

Wir tun es aus der Verpflichtung, möglichst allen Menschen die Frohbotschaft zugänglich zu machen, und aus Liebe zur Kirche.

Wir wollen es tun in Zusammenarbeit mit unseren Bischöfen, und wir hoffen auf entsprechende Kooperationsbereitschaft.

3. Organisierte Suizidbeihilfe und Verbesserung der Palliativversorgung

Das bestimmende gesellschaftspolitische Thema für das ZdK ist seit mehreren Monaten die Diskussion um ein Verbot der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung und – in notwendiger Verknüpfung damit – unser Einsatz für den flächendeckenden Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung. Bereits vor eineinhalb Jahren haben wir bei der Vollversammlung in Münster – weit vor der öffentlichen Debatte – diesen Schwerpunkt gewählt und eine vielbeachtete Erklärung beschlossen. Wir haben vor wenigen Wochen, rechtzeitig vor der bemerkenswerten Orientierungsdebatte des Deutschen Bundestages, mit der Stellungnahme des Hauptausschusses zur aktuellen Debatte um die Suizidbeihilfe nahtlos an dieses Papier angeknüpft. In einer ersten vorsichtigen Zwischenbilanz können wir festhalten, dass es – auch durch unser Dazutun – gelungen ist, dass inzwischen die Themen "Verbot der organisierten Suizidbeihilfe" und "Ausbau der Palliativversorgung" meist in einem Atemzug genannt werden. Wir sind noch lange nicht am Ziel, aber in der politischen und gesellschaftlichen Meinungsbildung schon ein gutes Stück in die richtige Richtung vorangekommen. Ich danke allen, die dazu beigetragen haben, diesen Impuls zu verstärken. Auch der heutige Vormittag mit dem Beitrag von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe vor unserer Vollversammlung ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg.

Es geht um mehr als um Medizin und Pflege, es geht um eine gesellschaftliche Debatte und darum, in einer Tabufrage sprachfähig zu werden. Leiden und Sterben, auch der Wunsch zu sterben, dürfen nicht als Tabuthemen verdrängt werden, sondern müssen in die Gesellschaft geholt werden.

Wir müssen über Selbstbestimmung reden. Kann denn Selbstbestimmung heißen, dass jeder für sich allein lebt und stirbt? Der Anspruch auf Selbstbestimmung ohne die Dimension der sozialen Verantwortung ist für jede Gesellschaft Gift. Kein Mensch ist er selbst ohne soziale Bindungen. Deshalb hat der Suizid auch eine Auswirkung auf andere Menschen.

Wir müssen über Suizidprävention reden. Sie wird erschwert, wenn nicht unmöglich, wenn die Selbsttötung eine gesellschaftlich akzeptierte gleichwertige Alternative zum Weiterleben und zur Entscheidung wird, den Weg einer Krankheit bis zum Ende zu gehen.

Wir müssen über unser Bild von den Ärzten reden: Was verändert sich am Bild vom Arzt bei den Menschen und im Selbstverständnis der Ärzte, wenn der ärztlich assistierte Suizid gesetzlich geregelte "Normalität" wird?

Wir müssen darüber nachdenken, welche Auswirkungen die Entwicklungen in der Hochleistungsmedizin in der letzten Lebensphase eines Menschen haben. Über den Sinn und die Grenzen von medizinischen Maßnahmen in der Endphase von Erkrankungen, über Behandlung und Behandlungsverzicht, über die Einstellung oder Umstellung von Therapien in dieser Endphase des Lebens.

Wir müssen uns mit der Sterbe- und Trauerkultur in der heutigen Zeit auseinandersetzen und sie auch für die säkulare Gesellschaft entwickeln.

4. Religion und Gewalt

Ich komme zu einem anderen, sehr bedrückenden Thema. In der kurzen Zeitspanne seit der letzten Vollversammlung ist es zu einer regelrechten Explosion der Gewalt und des Hasses, insbesondere im Irak und in Syrien, gekommen. Mit dem Kürzel IS verbinden sich unvorstellbare Grausamkeiten und eine beispiellose humanitäre Katastrophe. Die Ausbreitung des IS bedroht die staatliche Ordnung im Vorderen Orient und berührt auch unsere Sicherheitsinteressen. Im Kern handelt es sich um einen Kampf gegen "westliche Werte", um eine Mischung aus Kulturkampf und Terror. Die Anziehungskraft des Fanatismus, der Gewalt und des Terrors auf junge Menschen ist erschreckend und macht uns ratlos. Es ist unsere gesamtgesellschaftliche Aufgabe, jegliche Art von Extremismus, religiös oder politisch motiviert, entschieden zu bekämpfen.

Die Entwicklung für die Menschen in den betroffenen Regionen ist dramatisch. Zugleich handelt es sich in besonderer Weise auch um eine dramatische Entwicklung für den Islam. Wir haben aufmerksam registriert und sind vielen Muslimen in Deutschland und weltweit dankbar für ihre klare Verurteilung der grausamen Verbrechen. Es ist gewiss auch keine einfache Situation für die Muslime, wenn religiöse Fanatiker die Religion missbrauchen und sie in barbarischer Weise gegen die Menschen wenden.

Für den Islam ist es eine historische Herausforderung, wenn von fanatischen Gruppen – es gilt ja auch für die Salafisten – zur Legitimation der Anwendung von Gewalt Bezugspunkte aus dem Koran angeführt werden. Solche Grundsatzfragen kann und muss die Glaubensgemeinschaft der Muslime in den eigenen Reihen klären. Das ist sicher mit inneren Spannungen und Konflikten verbunden. Es ist eine vordringliche Aufgabe für die islamische Theologie zu verdeutlichen, dass und warum das Vorgehen des IS nicht im Einklang mit dem Koran steht.

Angesichts unserer eigenen Religionsgeschichte haben wir hier zu Überheblichkeit keine Berechtigung. Der Klärungsprozess im Christentum mit den fürchterlichen Erfahrungen der Religionskriege war auch sehr schmerzhaft und langwierig. Dennoch war und ist ein solcher Klärungsprozess dringend notwendig.

Unsere Aufgabe ist es, in dieser schwierigen Phase alles für die Unterscheidung der Geister zu tun und entschieden gegen die verallgemeinernde Gleichsetzung von Islam und Gewalt zu argumentieren. Die überwältigende Mehrheit der Muslime in Deutschland steht zu den Werten unseres Grundgesetzes und darf nicht mit einer kleinen, aber gefährlichen Gruppe gleichgesetzt werden.

Dafür treten wir ein und bieten unsere Zusammenarbeit an, wie sie unter anderem seit 15 Jahren in unserem Gesprächskreis "Christen und Muslime" geschieht. So ist es vor wenigen Wochen auch durch unsere unmissverständliche Solidaritätsgeste auf dem bundesweiten Aktionstag der Islamverbände gegen Hass und Unrecht in Deutschland geschehen. Gleichzeitig appellieren wir an die muslimische Gemeinschaft, sich immer wieder in diesem Sinne entschieden öffentlich zu engagieren.

Nicht unerwähnt bleiben soll in diesem Zusammenhang auch die bedrohliche Zunahme des Antisemitismus. Wir haben auch der jüdischen Gemeinschaft versichert, dass wir an ihrer Seite stehen. In einem Brief an alle jüdischen Gemeinden habe ich im Namen des Zentralkomitees jegliches antisemitische Reden und Handeln scharf verurteilt.

5. Unsere christliche Verantwortung im Einsatz für den Frieden und für Flüchtlinge

Die dramatischen Zuspitzungen der letzten Monate führen uns auf die grundlegende He-rausforderung zunehmender kultureller Konflikte in einer globalisierten Welt. Ohne tieferes Verständnis der verschiedenen Kulturen, ihrer Werte und der sich daraus ergebenden Haltungen und Handlungen werden wir die Entwicklungen in der Welt nicht besser verstehen und die Konflikte werden weiter zunehmen. Nicht wenige Fehlentwicklungen und Konflikte in der Welt haben ja ihre Ursache gerade darin, dass wir unsere kulturellen Muster und Schlussfolgerungen einfach auf die Menschen anderer kultureller und religiöser Prägung übertragen, einschließlich unserer damit verbundenen Erwartungen.

Unsere Aufgabe ist nun, uns damit auseinanderzusetzen, was unser besonderer Beitrag und Auftrag als Kirche und als katholische Laien ist. Denn es ist ja unstrittig, dass diese Konflikte, auch wenn sie weit weg von uns eskalieren, mit uns zu tun haben, dass wir mehr und mehr eine weltweite Schicksalsgemeinschaft sind. Die Konflikte in der Welt haben früher oder später auch Auswirkungen auf uns.

Mit ihren Hilfswerken verbinden sich die Katholiken in Deutschland seit vielen Jahrzehnten mit den Menschen in anderen Regionen der Welt und nehmen in einer Weise weltkirchliche und globale Verantwortung wahr, die weltweit ihresgleichen sucht.

Heute befinden wir uns auf einer neuen Etappe, auf der wir darüber hinaus über unsere Rolle und Aufgabe in der internationalen Politik, über unseren Beitrag zum Frieden in einer unübersichtlichen, in ihren Sicherheiten leicht zu erschütternden Welt weiter nachdenken müssen.

Immer wieder wird in vielen Ländern der Welt auch das Menschenrecht auf Religionsfreiheit verletzt. Wir wollen heute Nachmittag eine Erklärung verabschieden, um unsere Solidarität mit all den Menschen zu erklären, die aufgrund ihrer Religion oder Weltanschauung bedrängt und verfolgt werden. Was hier in vielen Ländern geschieht, berührt uns zutiefst.

Die Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist ein unveräußerliches Menschenrecht! Während es für uns eine Selbstverständlichkeit ist, uns hier als ZdK öffentlich zu versammeln, heute Abend gemeinsam Gebet zu halten, ist dies vielerorts undenkbar. Das Menschenrecht auf Religionsfreiheit wird weltweit zunehmend verletzt und mit Füßen getreten. Seit Jahren müssen wir eine erhebliche Zunahme der Diskriminierung, der Bedrohung bis hin zur Tötung von Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit feststellen. Uns Christen berührt es insbesondere, dass es unsere Schwestern und Brüder im christlichen Glauben sind, die weltweit am stärksten leiden.

Der Terror und die Brutalität, mit der religiöse Extremisten, wie der Islamische Staat in Teilen Syriens und im Irak oder Boko-Haram in Nigeria, Christen und andere religiöse Minderheiten verfolgen, vertreiben und ermorden, sind unsagbar. Die Ermordung und Verbrennung eines christlichen Ehepaars in Pakistan durch Lynchjustiz macht uns fassungslos.

Unsere Solidarität und Unterstützung gilt allen aus religiösen Gründen bedrängten und verfolgten Menschen! Wir werden uns immer dafür einsetzen, dass das Menschrecht auf freie Religionsausübung bewahrt wird, bei uns in Deutschland und weltweit!

Eine große Herausforderung, die sich für uns in unserem Land stellt, ist die Aufnahme von immer mehr Menschen, die in ihren Heimatländern nicht bleiben können. Sie sind von Verfolgung und Vertreibung bedroht oder betroffen, viele von ihnen wegen ihrer Religion.

Die meisten Flüchtlinge wurden in den Anrainerstaaten der Konfliktregionen aufgenommen. Die Anzahl der in Deutschland Schutz Suchenden haben wir dennoch vielerorts unterschätzt. Viele Kommunen waren und sind auf die Aufgabe der Unterbringung der Flüchtlinge nicht vorbereitet.

Gleichzeitig sehen wir eine große Welle der Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung. Ich erlebe ein großes, vielfältiges Engagement in der Bevölkerung, diese Menschen, die so viel Schlimmes erleiden mussten, hier gut aufzunehmen, sie willkommen zu heißen und die Integration zu ermöglichen. Das Engagement in den Kirchen ist hier besonders wichtig. Viele Bistümer, Pfarrgemeinden und Ordensgemeinschaften stellen Unterkünfte zur Verfügung. Verbände, Gemeinden und Caritaseinrichtungen sind initiativ geworden und leisten über Spenden oder persönliche Begleitung vor Ort konkrete Hilfe, sei es Kinderbetreuung, Sprachkurse, Behördengänge. Als Kirche können wir in dieser Vielfalt ein Motor für die gesellschaftliche Bewältigung dieser großen, auf Jahre hin anhaltenden Herausforderung sein. Vielen Flüchtlingen werden wir eine dauerhafte neue Lebensperspektive bei uns ermöglichen müssen. Ich danke allen, die sich hier so segensreich einbringen, sehr herzlich! Es handelt sich hier um ein ganz konkretes Zeugnis für die unverletzliche Würde des Menschen.

Dazu gehört auch, eine ehrliche gesellschaftliche Debatte über Aufnahmekapazitäten und mitmenschliche Verantwortung zu führen, um das Thema nicht populistischen und extremen Parteien zu überlassen.

Am Ende dieses Berichts bliebe noch vieles Weitere zu sagen. Auf viele unserer Aktivitäten der letzten Monate konnte ich nicht näher eingehen. Nach dem Regensburger Katholikentag stehen wir bereits mitten in den Vorbereitungen für den Leipziger Jubiläumskatholikentag 2016. Das Leitwort, das wir für diesen Katholikentag gefunden haben, bildet auch eine gute Klammer für diesen Bericht: Seht, da ist der Mensch!

Ich freue mich auf die Aussprache zum Bericht und danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Alois Glück Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken

 

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