Zwischen Lehre und Lebenswelt Brücken bauen – Familie und Kirche in der Welt von heute

Erklärung der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) anlässlich der XIV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode im Vatikan 2015

Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) begrüßt den Aufruf von Papst Franziskus an alle Gläubigen, zur Lage der Familie in Kirche und Welt von heute Stellung zu nehmen. Die weltweiten Reaktionen auf diesen Aufruf werden in der Generalversammlung der Bischofssynode im Herbst 2015 zusammenzuführen sein. Das ZdK weiß um den weltkirchlichen Kontext der Thematik und achtet zugleich in besonderer Weise auf die eigenen regionalen Anliegen.

Im Zentralkomitee der deutschen Katholiken ist seit jeher die Stärkung der Familie und die Anwaltschaft für ihre Interessen in Politik und Kirche ein wichtiges Arbeitsfeld. In den letzten Monaten hat das ZdK unter den katholischen Laien, in den Räten, den katholischen Verbänden und Organisationen die Gespräche über die Fragen intensiviert, welche Unterstützung Familien heute in unserer Gesellschaft und Kirche benötigen und wie wir dem in Deutschland im Grundgesetz verankerten besonderen Schutzauftrag für Ehe und Familie (Art. 6 GG) gerecht werden können.

Mit den folgenden vier zentralen Botschaften möchte das ZdK im Vorfeld der Beratungen der XIV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode einen  Beitrag zu dieser Debatte leisten, zur Auseinandersetzung mit seinen Positionen anregen und Verbündete für die anstehenden Herausforderungen suchen.

 

1. In der sakramentalen Ehe als Modell für eine lebenslange Bindung sehen wir eine Verheißung für ein gelingendes Leben mit Gottes Hilfe. Wir bekennen uns zu diesem Lebensmodell und ermutigen Paare zum Eheversprechen und zur Gründung einer Familie. Zugleich achten wir die Lebensgemeinschaften, in denen für uns wichtige Werte verwirklicht werden: verlässliche Verantwortung füreinander, Treue in der Beziehung, Weggemeinschaft in Verbindlichkeit.

2. Als Kirche in der Welt setzt das ZdK sich in besonderer Weise für die Stärkung und Förderung von Ehe und Familie in Gesellschaft und Staat ein. Unter Familie verstehen wir auch nichteheliche Formen von verbindlich gelebter Partnerschaft und von Generationenverantwortung, die einen großen Beitrag für den gesellschaftlichen Zusammenhalt leisten und gerecht zu behandeln sind.

3. Die kirchliche Lehre muss im Dialog mit den Gläubigen unter Einbeziehung ihrer jeweiligen Lebenswelt weiterentwickelt werden. Als den Menschen, ihren Sorgen und Hoffnungen zugewandte Kirche sind wir beauftragt, uns mit Zuversicht auf die Gegenwartsgesellschaft mit vielfältigen sozial anerkannten Lebensformen einzulassen und selbst zu Brückenbauerinnen und Brückenbauern zwischen Praxis und Lehre zu werden.

4. In unserer Kirche unterstützen wir eine hohe pastorale Aufmerksamkeit für Ehe und Familie, die auch in veränderten Seelsorgestrukturen ein überzeugendes personales Angebot vor Ort erfordert. Die Kirche muss in diesen existenziellen Fragen mit einer Grundhaltung des Zuhörens nah an den Menschen sein.

 

Dies bedeutet im Einzelnen:

 

1. Gelebte Werte in der Ehe und in anderen Lebensgemeinschaften

Wann immer wir in Kirche und Gesellschaft für das Gelingen von Beziehungen konkrete Orientierungshilfen anbieten, besteht die Gefahr, dass sich Menschen ausgegrenzt fühlen. Ohne Orientierungsangebote wiederum, das ist die andere Gefahr, wird Verunsicherung spürbar, fehlt wichtigen Entscheidungen eine Zielgröße.

In einer auf Liebe gegründeten Beziehung zwischen zwei Menschen sind Werte wie Würde, Treue, Verlässlichkeit, Solidarität und die Übernahme von Verantwortung wesentlich. In der Ehe finden diese Werte hohe Achtung. Die Ehe bietet den Partnern einen besonderen Schutz- und Entfaltungsraum. Das Eheversprechen ermöglicht in einer unübersichtlichen Welt Verbindlichkeit und Sicherheit.

Wenn ein Brautpaar kirchlich heiratet und sich das Ehesakrament spendet, erfährt es in dieser Zeichenhandlung die Nähe Gottes auf seinem Lebensweg. Indem der sakramentale Ehebund die Liebe Gottes zu den Menschen und seinen unauflöslichen Bund mit ihnen abbildet, können sich die Eheleute in ihrer Beziehung für die Herausforderungen des Lebens gestärkt und getragen fühlen.

Die Analogie zum unauflöslichen Bund Gottes mit den Menschen gibt den Eheleuten Halt und Orientierung bei der Umsetzung der für sie maßgeblichen Werte wie Liebe, Treue und Verlässlichkeit.

Auch in anderen Formen gemeinschaftlichen Lebens werden Werte gelebt, welche die Ehe als Bild für den Bund zwischen Gott und Menschen auszeichnen: das unverbrüchliche Ja zu der anderen Person, die stete Bereitschaft zur Versöhnung sowie die Aussicht auf eine fruchtbare Beziehung im Austausch der Gaben der Personen.

Diese Lebens- und Familienformen gilt es ausdrücklich wertzuschätzen, auch wenn sie nicht der Form einer sakramentalen Ehe entsprechen. Wir denken hier an auf Dauer angelegte Partnerschaften, an standesamtlich geschlossene Ehen sowie an eingetragene Lebenspartnerschaften.

Es gilt das zu achten, was Menschen in ihre Beziehungen einbringen können. Es bedarf eines Blickwechsels weg von einer Defizitorientierung hin zu einer Orientierung an den in den ganz unterschiedlichen Lebensformen realisierten Werten. Immer steht jede menschliche Beziehung vor einem Anspruch unbedingter Liebe, dem kein Mensch jemals ganz gerecht werden kann. Ein solches Verständnis stärkt die Partnerschaft, indem es sie von uneinlösbaren Erwartungen der Partner aneinander entlastet.

 

2. Familien politisch stärken und unterstützen

In Ehe, festen Partnerschaften und Familie verwirklichen Frauen und Männer, Eltern und Kinder in guten wie in schlechten Tagen eine Solidargemeinschaft der Geschlechter und der Generationen. Sie dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden, denn diese Solidargemeinschaft ist nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Gesellschaft gut. Durch eine für die Bedürfnisse von Familien sensible Politik und spezifische familienpolitische Maßnahmen müssen die Familien nach Kräften unterstützt werden, damit das immer auch verletzliche Familienleben gelingen kann. Als gesellschaftlich engagierte Katholikinnen und Katholiken machen wir uns in der Politik für Familien stark. Wir klagen strukturelle Rücksichtslosigkeiten gegenüber den Familien, zum Beispiel in der Arbeitswelt oder in der sozialen Absicherung, an und engagieren uns für förderliche gesellschaftliche und rechtliche Rahmenbedingungen, damit junge Frauen und Männer sich das unbedingte Ja zueinander und zu Kindern zutrauen. Das ist ein konkreter Beitrag zur Offenheit für das Leben, die für die Kirche mindestens so sehr eine sozialethische wie eine moraltheologische Herausforderung sein sollte.

Ehe und Familie bilden einen besonders stabilen Rahmen für die Entwicklung der Persönlichkeit der Kinder. Die verlässliche Verbundenheit in Ehe und Familie ist auch heute das mehrheitlich gewünschte Lebensmodell in unserem Land. Zugleich stellen wir in unserer Gesellschaft eine Pluralisierung und Ausdifferenzierung der Familienformen fest. Sie steht keineswegs im Widerstreit zu dem von vielen Untersuchungen belegten verbreiteten Wunsch der meisten jungen Frauen und Männer nach Kindern und ihrer Orientierung an einem Leitbild verbindlichen Lebens, sondern bestätigt diese. Auch nichteheliche Formen verbindlich gelebter Partnerschaft und Generationenverantwortung sind in ihrem Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt zu würdigen.

 

 

3. Brücken zur Lebenswelt der Gläubigen bauen

Wir stellen eine Spannung und vielfach eine große Kluft zwischen den Aussagen des päpstlichen Lehramts zu Ehe und Familie und der von pluralen Familienformen geprägten heutigen Lebenswelt der Gläubigen fest. Es geht uns darum, statt eines defizitorientierten einen ressourcenorientierten Zugang zu dieser gesellschaftlichen und pastoralen Wirklichkeit zu finden, der auf den Glaubenssinn der Gläubigen vertraut und Paaren und Familien ein Wachstum und eine Reifung ihrer Beziehung zutraut. Familien und Partnerschaften sollten in ihrer Vielfalt von der Seelsorge der Kirche angesprochen und begleitet werden.

Es müssen Brücken zwischen der Lehre der Kirche zu Ehe und Familie und der heutigen Lebenswelt der Gläubigen gebaut werden durch

  • den Ausbau der guten Vorbereitung von Brautleuten und der Begleitung und Beratung von Ehepaaren, auch in Krisenzeiten;
  • Angebote für (junge) Paare, die nicht verheiratet sind, sowie insgesamt eine einladende Haltung und Bereitschaft zum Gespräch "auf Augenhöhe" mit jungen Menschen, die auf der Suche nach gelingenden Beziehungen sind;
  • eine Achtung des Zusammenlebens in festen nichtehelichen Partnerschaften;
  • das Wiedergewinnen von kirchlicher Sprachfähigkeit durch einen unbefangenen Zugang zur menschlichen Sexualität und die Anerkennung, dass diese – im Respekt vor der Selbstbestimmung und Würde des und der Einzelnen – ihren Ort im geschützten und verbindlichen Raum einer Partnerschaft hat;
  • eine Neubewertung der Methoden der künstlichen Empfängnisregelung, da in keinem anderen Lebensbereich eine vergleichbar große Differenz zwischen dem päpstlichen Lehramt und den persönlichen Gewissensentscheidungen im Alltag auch der meisten gläubigen Katholikinnen und Katholiken zu konstatieren ist;
  • eine Weiterentwicklung von liturgischen Formen, insbesondere Segnungen gleichgeschlechtlicher Partnerschaften, neuer Partnerschaften Geschiedener und für wichtige Weichenstellungen im Familienleben;
  • die konsequente Einbeziehung von Singles und von alleinerziehenden Eltern und ihren Kindern in das kirchliche Leben;
  • eine Einbindung von Ehepartnern, die nach einer Scheidung in einer zweiten Zivilehe leben, in das kirchliche Leben sowie auf der Grundlage einer fundierten Gewissensentscheidung auch ihre Zulassung zu den Sakramenten;
  • die vorbehaltlose Akzeptanz des Zusammenlebens in festen gleichgeschlechtlichen Partnerschaften und eine klare Positionierung gegen noch bestehende Ausgrenzungen und Abwertungen homosexueller Menschen;
  • den Mut, alle Gläubigen unabhängig von ihrer Lebensform zum Miteinander einzuladen, damit sie in der Gemeinschaft der Kirchengemeinde eine Heimat finden können.

 

 

4. Für ein starkes personales Angebot in der Ehe- und Familienpastoral

Unterstützung erfahren Paare und Familien in der Form geteilten Lebens und wechselseitiger Anteilnahme oft vor allem im sozialen Nahraum, zu dem auch die Kirchengemeinde vor Ort zählt. Die Seelsorge muss die Familien nicht nur zu gezielten Anlässen (zum Beispiel in der Sakramentenkatechese und mit Angeboten der Familienbildung) erreichen, sondern den Menschen in ihrem Alltag vor Ort nah sein – im Familien ansprechenden und einladenden Sonntagsgottesdienst, in Familienkreisen, in der katholischen Kindertagesstätte, mit vertrauenswürdigen Ansprechpartnern in Krisensituationen der Partnerschaft und der Erziehung. Es geht darum, Menschen mit Wertschätzung zu begegnen, sie in ihrer Beziehungskompetenz zu stärken und ihnen gezielt Unterstützung anbieten zu können. Dieser Dienst erfordert in den sich gegenwärtig verändernden Seelsorgestrukturen ein überzeugendes personales Angebot vor Ort, das sich subsidiär versteht – Seelsorgerinnen, Seelsorger und weitere glaubwürdige und lebenserfahrene Ansprechpersonen, die den suchenden Menschen das Evangelium von der Familie unaufdringlich vermitteln können.

Wir werben für eine pastorale Haltung, die sich bemüht, mit der Spannung zwischen dem päpstlichen Lehramt und der Lebenswelt der Katholiken konstruktiv umzugehen. Einfühlung in die jeweilige Situation, Respekt vor freiheitlichen Entscheidungen, konkrete Angebote für die Gestaltung des Alltags und Authentizität in der Verkündigung des Evangeliums sind wichtige Elemente einer von den Menschen als hilfreich erfahrenen Familienpastoral.

 

5. Ausblick

Das ZdK wird auch nach der XIV. Ordentlichen Generalversammlung der Bischofssynode im Oktober 2015 die Herausforderungen für die "Familie in Kirche und Welt von heute" vorrangig im Blick behalten und sowohl pastorale als auch politische Optionen formulieren.

Konkret bedeutet dies für unsere Kirche,

  • im menschlichen Miteinander Räume zum Gespräch zu eröffnen, in denen die individuellen Lebensgeschichten im christlichen Glauben eine Deutung erfahren;
  • in Kirche und Gesellschaft auf Formen der sozialen Ausgrenzung und moralischen Abwertung von Menschen, die nicht dem Ideal einer lebenslangen ehelichen Gemeinschaft entsprechen, kritisch aufmerksam zu machen und diesen Tendenzen entschieden entgegenzutreten;
  • familiengerechte Regelungen in der Gesetzgebung zu unterstützen und zu einem gesellschaftlichen Klima beizutragen, das die Übernahme von verbindlicher Verantwortung in Ehe, Partnerschaft und Familie ermöglicht und ökonomischen, politischen und gesellschaftlichen Druck von den Familien nimmt;
  • in kirchlichen Arbeitsverhältnissen für eine gute Vereinbarkeit von Familienverantwortung und beruflichem Engagement zu sorgen;
  • nach liturgischen Formen Ausschau zu halten, in denen die Klage und Trauer über eine zerbrochene Beziehung, das Eingeständnis eines möglichen Fehlverhaltens, die Bereitschaft zu einer neuen verbindlichen Beziehung oder die Suche nach dem rechten Weg lebensnah Aufnahme finden;
  • die von Papst Franziskus angestoßene pastorale Wende als Ermutigung und Chance der Bischofskonferenzen wahrzunehmen, angemessene und theologisch verantwortbare Wege in der Ehe- und Familienpastoral zu entwickeln und zu gehen.

Als Papst Franziskus alle Katholikinnen und Katholiken gebeten hat, sich zur "Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute" zu äußern, hat er einen mutigen Weg eingeschlagen. Die XIV. Generalversammlung der Bischofssynode im Oktober 2015 in Rom bezieht damit ausdrücklich den Glaubenssinn des ganzen Gottesvolkes mit ein. Nun ist es Aufgabe der Bischöfe, in den Beratungen an den Sensus Fidelium anzuknüpfen. Als Stimme der deutschen Katholikinnen und Katholiken nimmt das ZdK das Anliegen von Papst Franziskus auf und will mithelfen, ein Fundament für fruchtbare Diskussionen zu legen. Es muss jetzt gelingen, zwischen der Lehre der Kirche zu Ehe und Familie und der heutigen Lebenswelt der Gläubigen Brücken zu bauen.

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