Bericht zur Lage, Rede des ZdK-Präsidenten 11/2018
im Rahmen der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) - es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Kardinal Woelki,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Schwestern und Brüder,
es ist selten der Fall, dass gleich zwei Erzbischöfe in einer Vollversammlung des ZdK sind. Ich danke Ihnen beiden, Kardinal Woelki und Erzbischof Heße, sehr herzlich für Ihre Worte, die uns in den heutigen Tag begleiten.
101. Deutscher Katholikentag
Beginnen möchte ich mit einem Rückblick auf den 101. Deutschen Katholikentag in Münster. Zwar sind Zahlen kein entscheidender Indikator für den Erfolg eines Katholikentags, aber 90.000 Teilnehmende – das hat uns alle positiv überrascht, wie so vieles Andere bei diesem stimmungsvollen und ermutigenden Ereignis. Ich danke Ihnen allen hier, die Sie mit Ihren Verbänden, Organisationen, Gemeinschaften und Räten mitgewirkt haben: in den vorbereitenden Arbeitskreisen, in der Durchführung von Veranstaltungen, mit ihrer Präsenz und Aktivität auf Podien, in Zentren und an Ständen, in Gebet und Gottesdienst haben Sie als das ZdK zum Gelingen seines Katholikentags beigetragen. Wir waren gemeinsam als Frauen und Männer, als Junge und Alte, als Laien oder Bischof gemeinsam Kirche. Es waren gute, schöne Tage, die Mut machten unter dem treffenden Leitwort "Suche Frieden". Man sieht also: der Katholikentag lebt, er wächst und gedeiht!
Sexueller Missbrauch / MHG-Studie
Leider blieb uns nicht lange Zeit, uns am Bild der jungen, aktiven und vielfältigen Kirche zu erfreuen; es ging nicht so erfreulich weiter. Im September stellten die deutschen Bischöfe die bedrückenden, beschämenden, uns als Kirche existenziell in Frage stellenden Ergebnisse einer Studie über den sexuellen Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz vor, die nach den Orten ihrer Erarbeitung, Mannheim, Heidelberg und Gießen, so genannte "MHG-Studie". Wir haben für diese Thematik einen eigenen Tagesordnungspunkt im Anschluss vorgesehen. Darum möchte ich an dieser Stelle nur schlaglichtartig fünf Forderungen nennen, die ich gleich nach dem Erscheinen der Studie und am Anfang dieser Woche in einem Artikel in der FAZ an die deutschen Bischöfe gerichtet habe:
- Es muss eine unabhängige Kommission geben, die die Einhaltung der Ziele und Regelungen für Aufarbeitung und Prävention durch die 27 Diözesen kontrolliert. Diese Kommission berichtet jährlich an die Gemeinsame Konferenz von ZdK und Deutscher Bischofskonferenz.
- Damit Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit in der Kirche nicht länger in einer Hand liegen, muss eine unabhängige kirchliche Verwaltungsgerichtsbarkeit eingeführt werden – dies war schon ein drängendes Thema der Würzburger Synode vor über 40 Jahren.
- Nicht verjährte Straftaten oder Beschuldigungen müssen den Staatsanwaltschaften und der öffentlichen Gerichtsbarkeit übergeben und von ihnen untersucht werden, sofern die Staatsanwaltschaften nicht schon von sich aus tätig geworden sind.
- Auf der Grundlage einer grundständigen theologischen Reflexion ist auch das Wesen von Kirche heute zu reflektieren. Das bedeutet in der Konsequenz, diejenigen Strukturen aufzubrechen, die den tiefgehenden Skandalen Vorschub leisten. Echte Synodalität auf allen Ebenen und echte Verantwortung für alle Gläubigen, für Männer und Frauen zählt dazu.
- Die Kirche muss nach den früheren Zeiten einer restriktiven Sexualmoral und einer schon viel zu lange anhaltenden Sprachunfähigkeit dringend ihr Verständnis von Sexualität neu formulieren.
All dies sind Elemente der notwendigen Überwindung jeder Art von Klerikalismus, der nach wie vor das Denken bestimmt. Die jüngsten Ankündigungen der deutschen Bischöfe wecken die vorsichtige Hoffnung, dass nun endlich auch konkrete Schritte folgen. Insbesondere die Absicht, ein verbindliches überdiözesanes Monitoring für die Bereiche der Intervention und der Prävention zu etablieren, und die Bereitschaft zum Aufbau einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit weisen in die Richtung im Sinne unserer Erwartungen. Vor all dem steht die konsequente Orientierung an den Opfern, die unter den Verbrechen zu leiden hatten und haben. Und zugleich bleiben wir auch angesichts der bedrückenden und beschämenden Erkenntnisse gemeinsam Kirche.
Wir werden hierzu gleich unser früheres Mitglied Pater Klaus Mertes mit weitergehenden Forderungen hören. Doch schon jetzt will ich ganz klar sagen: Es ist jetzt und nicht irgendwann die Zeit zum Handeln! Wenn sich in der nächsten Zeit nicht Entscheidendes und Einschneidendes tut, wer soll denn dann noch von der katholischen Kirche erwarten, dass sie sich ändern kann, dass sie sündhafte, für unermessliches Leid mitverantwortliche Strukturen erkennen und sich aus ihnen befreien kann?
Freiheit der wissenschaftlichen Theologie
Zu häufig war der vermeintliche Schutz der Institution Kirche der alleinige Maßstab kirchlichen Handelns. Das gilt auch dort, wo die Freiheit der wissenschaftlichen Theologie in Frage gestellt wird. Auch wenn das Nihil obstat für den wiedergewählten Rektor der Hochschule der Jesuiten in Sankt Georgen, Pater Ansgar Wucherpfennig, inzwischen endlich erteilt ist, wissen wir doch, dass es weitere Betroffene in der theologischen Wissenschaft gibt, denen kritische Äußerungen zum Vorwurf gemacht werden. Ich wiederhole, was ich dazu gesagt habe: "Man hat den Eindruck, je liberaler dieser Papst ist, desto schärfer werden die Zügel in der Kurie angezogen." Mit Einschüchterungen derer, die für Kirche und Theologie voraus denken, kann man weder die Einheit sichern, noch die Zukunft gestalten.
Kirchliches Arbeitsrecht
Meine Damen und Herren, die institutionelle Geschlossenheit der katholischen wie auch der evangelischen Kirche gerät an einer anderen Stelle massiv unter Druck, nämlich durch die jüngste Rechtsprechung zum kirchlichen Arbeitsrecht. Der Europäische Gerichtshof und das Bundesarbeitsgericht haben – im Konflikt mit dem Bundesverfassungsgericht – angeordnet, dass letztlich ein staatliches Gericht beurteilen kann, was eine "kirchennahe" Aufgabe ist, bei der der Dienstgeber die Konfessionszugehörigkeit zur Einstellungsvoraussetzung machen kann.
Ich bin der Auffassung, dass wir einen solchen Eingriff in die im Grundgesetz verbürgte Selbstbestimmung des kirchlichen Dienstgebers nicht einfach hinnehmen können. Aber zugleich müssen wir noch viel stärker beherzigen und umsetzen, was die Änderung der kirchlichen Grundordnung ermöglicht hat: Eine Einrichtung wird nicht dadurch katholisch, dass die Übereinstimmung der – zumeist nur auf die Ehe bezogenen – Lebenssituation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der kirchlichen Lehre überprüft wird. Katholisch ist sie nicht durch den Taufschein und die Heiratsurkunde der Mitarbeiterschaft, sondern wenn die, die dort tätig sind, erkennbar mit dem christlichen Menschenbild, den Prinzipien der katholischen Soziallehre und damit der gleichen Würde aller Menschen Ernst machen.
Mitverantwortung der Laien
Von "Klerikalismus" ist neuerdings von ganz unerwarteter Seite zu hören. Klerikalismus ist auch die treffende Charakterisierung für die Haltung mancher Bistumsleitung bei der Neuordnung von Seelsorgestrukturen. Denn dabei werden nicht selten die Mitwirkungs- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Laien ausgetrocknet. Darum muss man alarmiert sein, wenn die NRW-Diözesen daran arbeiten, die staatskirchenrechtlich verankerten Kirchenvorstände in eine dem Kirchenrecht unterliegende Konstruktion umzuwandeln. Wenn dabei die Räte nicht beteiligt werden, ist das Klerikalismus reinsten Wassers!
Und wenn in einem Bistum ein Kirchenvorstand, der nach der Verwendung der freizugebenden Mittel nachfragt, mit dem barschen Hinweis auf die Alleinzuständigkeit des leitenden Pfarrers für Fragen der Pastoral zurechtgewiesen wird, dann zeigt dies, dass wir 50 Jahre nach der Einrichtung von Pfarrgemeinderäten und 40 Jahre nach der Etablierung von Diözesanräten von echter Partizipation des gesamten Gottesvolkes noch weit entfernt sind. Woher kommt eigentlich die nicht auszulöschende Vorstellung, die Kirche sei hierarchisch organisiert und deshalb hätten demokratische Elemente hier nichts zu suchen? – Nein: Kirche und Demokratie, das geht sehr wohl zusammen!
Weltbischofssynode
Als demokratisches Element wurde in der Folge des Konzils das synodale Prinzip bestärkt. Im Oktober fand in Rom wieder eine Weltbischofssynode statt. Sie war weit mehr als "nur" eine Jugendsynode; das wurde nicht erst mit dem Schlussdokument deutlich. Es ging und geht um die Zukunftsfähigkeit unserer Kirche, die auch mit den Fachleuten für die Zukunft, den jungen Menschen selbst, beraten wurde. Unser Mitglied Thomas Andonie, dem wir für seine aktive Mitwirkung danken, wird uns im Anschluss an diesen Bericht einen Einblick geben.
Religionsfreiheit
Meine Damen und Herren, Religionsfreiheit ist leider keine Selbstverständlichkeit.
Das Schicksal der pakistanischen Christin Asia Bibi bewegt die Welt. Wegen angeblicher Blasphemie 2010 zum Tod verurteilt, hat sie der Oberste Gerichtshof in Pakistan am 31. Oktober freigesprochen. Neben anderen hat sich vor allem das katholische Hilfswerk missio seit Jahren für sie eingesetzt und ihren Fall im kirchlichen und öffentlichen Bewusstsein gehalten – auch bei uns; so haben wir in der Vollversammlung vor vier Jahren darüber gesprochen. Anfang November wurde sie aus dem Gefängnis freigelassen. Jetzt wartet sie an einem unbekannten Ort in Pakistan, damit sie und ihre Familie ausreisen können. Die pakistanische Regierung muss sehr umsichtig agieren, da radikal-islamistische Gruppen den Fall Asia Bibi für eigene Machtpolitik missbrauchen und mit Gewalt drohen. Die Ausschreitungen fanatischer Islamisten in Pakistan sind erschreckend und verzerren das Gesicht des Islam. Es ist gut, dass mehrere Staaten, darunter auch Deutschland, mit Pakistan über ein Asyl für Asia Bibi und ihre Familie verhandeln. Dazu können wir nur ermutigen.
Als Zentralkomitee der deutschen Katholiken fordern wir die Politik und alle gesellschaftlichen Gruppen auf, sich weltweit für das unteilbare Menschenrecht auf Religionsfreiheit, gegen den politischen Missbrauch von Religion und für den interreligiösen Dialog einzusetzen.
Migration
In den letzten Wochen wurde kontrovers wie selten über ein Dokument der Vereinten Nationen gesprochen, den globalen Migrationspakt. Prominenz erlangte dieser Pakt aber vor allem durch die Liste der Staaten, die ihn ablehnen. Ich bin sehr froh, dass es klare Signale der Bundesrepublik gibt, dass sie, anders als zum Beispiel Österreich, zu den internationalen Vereinbarungen steht. Kein Land darf sich seiner solidarischen Mitverantwortung für die weltweiten Migrationsbewegungen, für die vielen Millionen Menschen, die auf der Flucht oder auf der Suche nach einem besseren Leben sind, entziehen.
Unter anderem empfiehlt der Migrationspakt, dass man den Grundsatz der globalen Gerechtigkeit bei der internationalen Arbeitsmigration berücksichtigen soll. Er fordert Rücksicht auf die Verluste und die Lücken, die in Entwicklungsländern entstehen, wenn dort hochqualifizierte Menschen abgeworben werden. Das ist eine wichtige ethische Anforderung auch an das künftige Einwanderungsgesetz in Deutschland.
Rechtsstaatlichkeit
Damit komme ich zu einigen weiteren innenpolitischen Themen. Ich beginne mit einem abermaligen Verweis auf das Rechtsstaatsprinzip. Wir sollten es innerkirchlich beherzigen und anwenden – und ebenso als Christen in der Gesellschaft. Hier muss ich etwas Unbequemes sagen: Wenn ich auf die erbitterten Auseinandersetzungen über die Energiepolitik und den Kohleausstieg schaue, insbesondere auf den symbolischen Kristallisationspunkt Hambacher Forst, sehe ich bei vielen Demonstranten und Kohleausstiegsaktivisten eine eklatante Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien. Die Besetzung des Waldes und das Ignorieren polizeilicher Anordnungen mag bei vielen als sympathischer ziviler Ungehorsam für eine gute Sache verbucht werden, aber ich frage mich und Sie: Was passiert, wenn jeder nur noch die Entscheidungen akzeptiert, die ihm gefallen?
Rentenpolitik
Weniger emotional aufgeladen, aber auch sehr konfliktiv sind die Auseinandersetzungen in der Rentenpolitik. Auch wir haben hier um diese Fragen vor zwei Jahren intensiv gerungen. Nun hat der Bundestag vor zwei Wochen ein Rentenpaket beschlossen. Vor dem Hintergrund unseres Beschlusses muss man sagen, dass dieses Paket viel besser ist als sein Ruf in vielen Kommentaren. Es werden richtige Akzente gesetzt, aber den Verbesserungen geht auf halber Strecke die Luft aus. So gibt es in der Mütterrente einen halben zusätzlichen Entgeltpunkt für die Eltern von vor 1992 geborenen Kindern, nicht den vollen dritten Punkt, der sie endlich mit den Eltern jüngerer Kinder gleichstellen würde. Es gibt die auch in unserer Erklärung geforderte doppelte Haltelinie zur Stabilisierung des Beitrags- und des Rentenniveaus. Aber die Garantie gilt nur bis 2025, also in einem überschaubaren Zeitraum, für den ohnehin noch keine sozialen Verwerfungen prognostiziert werden. Was danach geschieht, ist noch völlig offen und wird von der Rentenkommission der Bundesregierung beraten. Sehr erfreulich ist, dass die fünf katholischen Verbände, die schon vor Jahren ein gemeinsames Rentenmodell entwickelt haben, demnächst Gelegenheit haben werden, ihre Überlegungen dieser Rentenkommission vorzustellen. Ich rufe den anwesenden Verbänden stellvertretend für viele andere gesellschaftspolitische Initiativen zu: Danke für Ihre Kreativität und Ihre Beharrlichkeit!
Politisches Engagement von Katholiken
Von Mitgliedern des ZdK ist in diesen Tagen vielfach die Rede. Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch einmal zwei unserer Mitglieder erwähnen, die in ihren Parteien politische Herkulesaufgaben ausüben: Andrea Nahles als Partei- und Fraktionsvorsitzende der SPD und Manfred Weber, der als EVP-Fraktionsvorsitzender der Spitzenkandidat dieser Parteienfamilie bei den Europawahlen 2019 geworden ist. Sie und viele weitere aus unserer Mitte leisten in politisch unruhigen Zeiten ihren Dienst für unsere Gesellschaft und auch für unsere Kirche, indem sie den Glauben als ihr persönliches Fundament in die politische Öffentlichkeit tragen. Auch für dieses Engagement will ich heute einmal mehr Dank sagen.
Verbot der Werbung für Abtreibung
In besonderer Weise sind wir immer wieder beim Schutz des menschlichen Lebens gefragt. Aktuell gibt es drei Debatten, die an Schärfe zunehmen.
Seit genau einem Jahr gibt es Bestrebungen, den § 219a des Strafgesetzbuchs abzuschaffen oder zu verändern. Der Paragraph hat das Ziel zu verhindern, dass für Abtreibungen wie für jede andere ärztliche Dienstleistung geworben wird. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir bei unserer Position, an dem Werbeverbot festzuhalten, eine klare Haltung mit einer vernünftigen, nachvollziehbaren Argumentation unterfüttert haben. In der letzten Vollversammlung haben wir dazu einen Beschluss gefasst, in dem wir gezeigt haben, dass der § 219a, so wie er ist, nicht im Widerspruch stehen muss zum Informationsangebot für betroffene Frauen und zur Rechtssicherheit für die Ärztinnen und Ärzte. Die Stimmung scheint bei dieser Frage in den letzten Wochen zu kippen. Möglicherweise hat auch das mit dem kirchlichen Ansehensverlust im Zuge der Missbrauchsdebatte zu tun. Viel wird davon abhängen, ob die Koalitionsparteien einen gemeinsamen Weg finden, oder ob sich diejenigen durchsetzen, die die Abstimmung im Bundestag freigeben wollen, was faktisch auf einen Koalitionsbruch hinausliefe. Im Frühjahr konnte eine solche Situation schon einmal, nicht zuletzt durch kirchliche Intervention, abgewendet werden. Für uns bleibt leitend, dass die Beratungsregelung, die ein mühsam errungener und für viele schwieriger Kompromiss war, nicht angetastet wird. Das ist und bleibt am besten gewährleistet durch den Erhalt auch von § 219a als integraler Bestandteil der bewährten Regelung.
Organspende
Unterdessen hat eine weitere ethische Debatte Fahrt aufgenommen, die uns ebenfalls stark beschäftigt. Der Bundesgesundheitsminister hat einen Gesetzentwurf für eine "Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende" vorgelegt. Der Gesetzentwurf verfolgt das Ziel, das vorhandene Potenzial der Organspendebereitschaft besser auszuschöpfen und einige Hindernisse im Alltag der Kliniken zu beseitigen. Doch nun geht es viel weitergehend auch darum, die geltende Zustimmungslösung durch eine doppelte Widerspruchslösung zu ersetzen. Jeder Bürger, der selbst und dessen Angehörige nicht ausdrücklich einer Organentnahme widersprochen haben, käme demnach als Organspender in Frage. Das geltende Recht sieht dagegen die ausdrückliche Zustimmung vor.
Die Frage, ob dies geändert werden sollte, verlangt eine schwierige Abwägung, für die sich unsere Gesellschaft und das Parlament ausreichend Zeit nehmen sollten. Organspende kann als eine moralische Pflicht bewertet werden, vor allem, wenn man selbst einmal auf eine Organspende angewiesen sein kann. Und doch beschleicht mich bei dem Gedanken an eine Organentnahme ohne ausdrückliche Einwilligung ein Unbehagen: Würde der menschliche Leichnam dann durch den Tod nicht zu einer Sache, zu einem gesellschaftlichen Gut, über das man verfügen kann? Und gebietet nicht der Respekt vor der Würde auch der verstorbenen Person, dass ihr Körper ohne explizite Einwilligung unangetastet bleibt? Meine Damen und Herren, die Würde des Menschen bleibt unantastbar.
Nichtinvasive Pränataldiagnostik
Weitere ethisch relevante politische Entscheidungen stehen an: so die Zulassung eines Bluttests in der frühen Schwangerschaft als Kassenleistung. Wir befürchten, dass die Verfügbarkeit dieses vermeintlich harmlosen Instruments sich als effektives Instrument zur Selektion herausstellen wird. Einmal etabliert, sorgt es dafür, dass – gewollt oder ungewollt – Kinder mit Trisomie 21 faktisch kaum noch geboren werden. Die immer leistungsfähigeren Tests werden ein Schritt hin zur Vermessung des Menschen sein, wobei der Maßstab nicht die Menschenwürde, sondern das Vorhandensein erwünschter Eigenschaften oder die Nützlichkeit ist. Darum lehnen wir die Kassenzulassung und damit eine weitere Normalisierung dieser Variante der vorgeburtlichen Diagnostik ab.
Wir lehnen sie ab, obwohl es auch gute Gegenargumente, etwa wie die EKD sie vorlegt, gibt. Es ist gut, dass die Debatte ein Stück öffentlicher geworden ist und sich nicht mehr nur in Fachzirkeln des Gesundheitswesens abspielt. Wichtig scheint mir die Forderung der EKD zu sein, dass die unabhängige psychosoziale Beratung für werdende Eltern vor einer Inanspruchnahme pränataldiagnostischer Untersuchungen auszubauen ist. Aber die ethisch begründete Empfehlung der EKD für eine Kassenzulassung befremdet mich dann doch.
Es mag einen gesellschaftlichen Nutzen geben, wenn es durch die bessere Zugänglichkeit des Bluttests weniger invasive Fruchtwasseruntersuchungen und eine stärkere gesellschaftliche Kontrolle des Markts diagnostischer Angebote gibt. Dem stehen aber, so meine Überzeugung, viel größere gesellschaftliche Kosten, ein viel größerer gesellschaftlicher Schaden gegenüber, wenn es zur Verfestigung und Standardisierung einer selektiven Mentalität kommt.
Ausblick
Meine Damen und Herren, ich habe begonnen mit dem Rückblick und Dank für den 101. Deutschen Katholikentag. Schließen möchte ich mit einem Ausblick und einem erneuten Dank. Wir blicken gespannt auf den 3. Ökumenischen Kirchentag, dem wir uns morgen Vormittag widmen werden. In zwei Wochen starten wir mit der Arbeit der Leitungsgremien. In Frankfurt, in der evangelischen Landeskirche von Hessen-Nassau und im Bistum Limburg gibt es schon viele Initiativen, die den 3. ÖKT fest im Blick haben.
Dann blicken wir auf 2022 und etwas weiter nach Süden. Morgen haben wir die Gelegenheit, auf die Einladung der Diözese Rottenburg-Stuttgart zum 102. Deutschen Katholikentag nach Stuttgart zu antworten.
Dass es dazu kommt, daran hat eine Person wesentlichen Anteil, die bei der Durchführung schon nicht mehr im Amt sein wird. Wie Sie wissen, hat unser Generalsekretär Dr. Stefan Vesper erklärt, zum 31. August 2019 in den Ruhestand zu gehen. Wir alle werden im kommenden Jahr die Gelegenheit nutzen, uns ausführlich von Stefan Vesper zu verabschieden und sein zwanzigjähriges Wirken als Generalsekretär für den Katholikentag, für das ZdK und für die Kirche in unserem Land zu würdigen. Ich weiß, dass er keine Danksagungen hören will, die spätestens dann auf ihn warten. Ein arbeitsreiches knappes Jahr liegt ja noch vor ihm. Doch zumindest für die gelungene Anbahnung der Einladung nach Stuttgart dürfen wir schon heute danken.
Und so wollen wir wirken zum Wohl der Menschen und der Gesellschaft – und zum Wohl unserer Kirche, die wir gemeinsam sind und gestalten, für die wir in schwerer Zeit Vertrauen zurückgewinnen möchten. Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und freue mich auf die Aussprache.
Prof. Dr. Thomas Sternberg Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken