Sechzig Jahre „Nostra Aetate“ – Wendepunkt für den interreligiösen Dialog

ZdK-Präsidentin würdigt „bahnbrechende Erklärung des Zweiten Vatikanischen Konzils“

„Der 28. Oktober 1965 war ein denkwürdiger Tag“, sagt die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Dr. Irme Stetter-Karp. „Meine Kirche veröffentlichte eine Erklärung, die Wahres und Heiliges in anderen Religionen anerkannte. Und sie fasste ihren bis dato exklusiven Wahrheitsanspruch neu. Das war ein Highlight des Zweiten Vatikanischen Konzils – und ist es bis heute.“ Die Erklärung ‚Nostra Aetate‘ – ‚In unserer Zeit‘ – sei ein „Wendepunkt für das jüdisch-christliche Verhältnis und den interreligiösen Dialog gewesen“. 

„Außerhalb der Kirche kein Heil“ – dieses über Jahrhunderte geltende Diktum wurde durch das bedeutende Konzil des zwanzigsten Jahrhunderts beendet. Zunächst wollte das Konzil „nur“ Ungeklärtes im Verhältnis zum Judentum nach der Schoa aufarbeiten. „Dann aber geriet Nostra Aetate zu einem großen Wurf kritischer Selbstreflexion und entschiedener Umorientierung der Kirche“, so die ZdK-Präsidentin. „Die Erklärung ruft nicht nur zu Dialog und Zusammenarbeit aller Religionen auf, sondern schwingt sich zu einer tiefen Würdigung der jüdischen und der muslimischen Geschwister im Glauben auf.“

„Nostra Aetate leitete nach der jahrhundertelangen Herabsetzung und Verfolgung von Jüdinnen und Juden eine Ära des Respekts und der Wertschätzung des Judentums ein“, sagt Dagmar Mensink für den Gesprächskreis „Juden und Christen“ beim ZdK. „Der Text nahm Abstand von der bis dahin offiziell gültigen Lehre der Verachtung und der Sicht, das Christentum habe das Judentum als ‚wahres Israel‘ abgelöst. Die Kirche erkannte stattdessen an, dass sie vom Judentum als ‚Wurzel des guten Ölbaums‘ genährt wird. Das öffnete die Türen für einen Dialog auf Augenhöhe.“ Sie sei dankbar, so Mensink, dass dies in den letzten Jahren auch von jüdischer Seite so wahrgenommen und in eigenen Dokumenten entsprechend festgehalten wurde. „Bis heute ist Nostra Aetate die Grundlage für den Dialog in unserem Gesprächskreis, der 1971 gegründet wurde.“ Die Erklärung sei zugleich entschieden in der Verurteilung jeder Form des Antisemitismus. „Nostra Aetate erklärte, dass jede Diskriminierung eines Menschen dem Geist Christi widerspricht. Das ist eine klare Botschaft auch für uns heute.“

„Diese Erklärung des Konzils wurde zu einer großen Überraschung für die muslimische Welt“, sagen die Vorsitzenden des Gesprächskreises „Christen und Muslime“, Prof. Anja Middelbeck-Varwick und Dr. Esnaf Begić. „Sie war ein echter Wendepunkt für die Haltung der römisch-katholischen Kirche zu den Muslimen. Der Text betonte erstmals viele Gemeinsamkeiten zwischen dem christlichen und muslimischen Glauben und geht auch davon aus, dass es derselbe Gott ist, an den wir uns wenden. Das hat in den folgenden Jahrzehnten nicht nur in Deutschland vielfältige neue Dialogformen ermöglicht und den theologischen Austausch befördert. Auch für unseren Gesprächskreis, der 1999 gegründet wurde, ist die Erklärung vom Oktober 1965 bis heute von fundamentaler Bedeutung.“ Die Entwicklung Deutschlands zu einer multireligiösen Gesellschaft mit vielfältigem islamischen Leben mache ein Weiterdenken von Nostra Aetate nötig: „Wir brauchen ein vertieftes Verständnis des Glaubens der Anderen in seinen sich wandelnden Ausdrucksformen. Und wir brauchen heute vor allem ein aktives, interreligiöses Zusammenwirken in unserer Gesellschaft für mehr Frieden, Solidarität und Gerechtigkeit. Das nimmt Nostra Aetate im Grunde vorweg.“

Beide Gesprächskreise treffen sich heute zu einem informellen Austausch in Frankfurt am Main, um die Erklärung in ihrer bleibenden Bedeutung zu würdigen und nach den theologischen und gesellschaftlichen Implikationen im 21. Jahrhundert zu fragen. 

Irme Stetter-Karp bezeichnet den Text, der vor sechzig Jahren veröffentlicht wurde, als „hellsichtig“. Es sei ein kleines Wunder, dass er sich gegen alle Widerstände im Konzil habe durchsetzen können. „Weit über 90 Prozent der Konzilsväter stimmten der Erklärung zu.“ Dies zeige, dass sich in der Kirche „große Veränderungen auch dann einstellen, wenn die Zeit angeblich nicht reif dafür scheint, wenn starke Gegenkräfte sie zu verhindern suchen. Das sollte uns auch heute Mut machen, Veränderungen mutig anzugehen.“

Pressemitteilung Sechzig Jahre „Nostra Aetate“ – Wendepunkt für den interreligiösen Dialog als PDF

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