„Nur nach Hause …“ – Weihnachten ohne Wohnung
ZdK-Thema des Monats Dezember 2025
Über eine Million Menschen in Deutschland haben kein eigenes Dach über dem Kopf. Der stetig größer werdenden Zahl der Wohnungslosen will die Regierung mit einem „Nationalen Aktionsplan zur Überwindung der Wohnungslosigkeit“ helfen. In Berlin bietet das Streetwork-Café „Nur nach Hause“ Menschen, deren Lebensmittelpunkt auf der Straße liegt, einen Rückzugsort und Ankerpunkt. Hier finden die Gäste offene Ohren und Unterstützung. Das Café wird von der Caritas betrieben und seit 2024 von der Frank-Zander-Stiftung gefördert. Sujana Thevarajah und Christopher Freese waren zu Besuch.
Als wir das Café an der Großen Hamburger Straße betreten, werden wir nicht nur von dessen Leiterin Alexandra Burghardt, sondern auch von den Gästen herzlich begrüßt. Aufmerksamkeit bekommen die meisten, die hierherkommen, im Alltag draußen eher selten. Hier ist es anders. Das Café besteht aus einem Raum, in dem etwa 25 Menschen Platz finden. Die hellen Wände, großen Fenster und die warme Beleuchtung schaffen eine einladende Atmosphäre. Auf jedem Tisch liegen Snacks. Eine Inter*Inclusive Pride-Flagge hängt am Fenster. An der Wand: ein Konzertbild von Frank Zander, dem Förderer des Cafés. Daneben eine Gitarre.
Wohnungslosigkeit gehört nach wie vor zu den drängendsten sozialpolitischen Problemen in Deutschland. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e.V. spricht aktuell von mehr als einer Million Wohnungslosen in Deutschland, darunter mehreren Zehntausend „verdeckt Wohnungslosen“ – Menschen, die in ihrer Notlage kurzfristig bei Freunden oder Verwandten unterkommen. Zwei Drittel der Betroffenen sind Männer. In den letzten zwei Jahren ist die Zahl deutlich gestiegen, unter anderem, weil nun auch Menschen aus der Ukraine, die in Flüchtlingsunterkünften leben, in die Statistik einbezogen werden. Berlin ist ein Hot-Spot der Wohnungslosigkeit. Hier lebten vor einem Jahr etwa 56.000 wohnungslose Menschen, davon mindestens 6000 dauerhaft auf der Straße – inzwischen dürften es mehr geworden sein. Die Dunkelziffer ist hoch.
Marcus Zander, Sohn von Frank Zander und Vorsitzender des Vorstands der Frank-Zander-Stiftung, und seine Stellvertreterin Berit Selmer betreten das Café. Ein großes Hallo – hier kennt man die beiden. Wir wechseln hinüber in ein Büro, um in Ruhe miteinander zu sprechen. Dort erfahren wir: Der Musiker und Schauspieler Frank Zander arbeitet seit vielen Jahren eng mit der Caritas in Berlin zusammen – sei es bei der Renovierung der Caritas-Ambulanz am Bahnhof Zoo, durch finanzielle Unterstützung des Caritas-Arztmobils oder durch seine Hilfe für den Caritas-Foodtruck, der während der Corona-Jahre seine Tätigkeit aufnahm, weil Suppenküchen damals geschlossen werden mussten. Mittlerweile ist seine ganze Familie eingebunden. Es entstand die Idee, eine Stiftung ins Leben zu rufen, um die sozialen Bemühungen nachhaltig zu sichern. Und so wurde schließlich 2024, gemeinsam mit der Caritas, die Frank-Zander-Stiftung gegründet.
Als das Streetwork-Café renoviert werden musste, wurde es zu einem weiteren gemeinsamen Projekt. Thomas Gleißner, Pressesprecher der Caritas im Erzbistum Berlin, hatte die Idee, dem Café einen neuen Namen zu geben. Inspiriert von der Hertha BSC-Hymne heißt es seitdem: Café Streetwork „Nur nach Hause…“. Berit Selmer sagt: „Mit der Renovierung ist ein gemütlicher Ort entstanden.“ Das Café erhält auch Spenden und wird durch das Bezirksamt Mitte mitfinanziert. Gäste können hier einmal pro Woche kostenlos duschen, ihre Wäsche waschen und ihre Mobiltelefone laden. Auch Frank Zander selbst sitzt gern im Café, unterhält sich mit den Gästen und bringt jedes Mal eine kleine Aufmerksamkeit mit. Diese Nahbarkeit schätzen die Menschen an ihm. Sein Sohn Marcus hat dafür eine Erklärung: „Frank hat kein Mitleid, sondern Mitgefühl. Das merken die Leute.“
Um das Ziel zu erreichen, die Obdach- und Wohnungslosigkeit in Deutschland bis 2030 zu überwinden, hat die Bundesregierung als ersten Schritt einen „Nationalen Aktionsplan zur Überwindung der Wohnungslosigkeit“ erstellt und am 24. April 2024 im Bundeskabinett beschlossen. Unter anderem soll mehr Geld in den sozialen Wohnungsbau fließen, etwa durch die gestärkte Wohngeld-Plus-Reform. Wohnraum soll dank besserer Rahmenbedingungen, schnellerer Genehmigungen und durch das „Bündnis bezahlbarer Wohnraum“ zügiger geschaffen werden. Nach Aussage der Bundesregierung kann dieses Ziel nur erreicht werden, wenn Bund, Länder und Kommunen partnerschaftlich mit Akteur*innen aus Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft zusammenarbeiten. Hier setzt aber auch Kritik an. „Wir sehen, dass zugleich der Rotstift bei sozialen Angeboten angesetzt wird – bei Dingen, die für Menschen eigentlich am wichtigsten sind. Berlin ist davon enorm betroffen“, sagt Alexandra Burghardt. Für viele Projekte sei die Finanzierung ungewiss.
Sylvia M., 65 Jahre alt, ist gerade zu Besuch im Café. Sie lebt seit fünf Jahren auf der Straße. Sie kommt hierher, weil sie die angenehme Atmosphäre schätzt. „Ich erhole mich hier vom Stress des Alltags, kann duschen, meine Wäsche waschen und gute Gespräche führen. Es ist einfach so schön hier“, sagt sie. Auch sie nimmt den Trend wahr, den die Zahlen bestätigen: Es gibt immer mehr Menschen ohne Wohnung. Aus dem Bericht der BAG Wohnungslosenhilfe geht zudem hervor, dass Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit von Wohnungsnot immer stärker betroffen sind – zuletzt rund 38 Prozent. Migration ist also ein zusätzliches Risiko, wohnungslos zu werden.
Sylvia hat im Alltag ganz eigene und sehr konkrete Nöte, die sich Menschen mit Wohnung nur schwer vorstellen können. Sie hebt hervor, dass es zu wenig Unterkünfte ausschließlich für Frauen gibt. Es brauche mehr Unterstützung, mehr Tagesstätten und mehr Orte zum Aufwärmen und Schlafen. Ein gravierendes Thema sei zudem der Umgang mit Toiletten: Immer mehr öffentliche WCs hätten Bezahlschranken. Was eigentlich nur eine Kleinigkeit scheint, ist für Menschen ohne Geld ein großes Problem.
Das Café ist auch hier ein Rettungsanker. Aber nicht nur für die primären Bedürfnisse. Im Büro können auch persönliche Erstgespräche stattfinden. Je nach Problemlage wird versucht, an geeignete Fachstellen weiterzuvermitteln – insbesondere dann, wenn aufgrund von Sprachbarrieren eine umfassende Beratung im Café nicht möglich ist. Die Verständigung erfolgt teilweise auf Englisch oder „mit Hand und Fuß“, sagt Alexandra Burghardt.
Zu Beginn des Advents fällt Wohnungslosigkeit ganz besonders ins Gewicht. Überall Lichter, Glühwein, Heimeligkeit. Nur nicht für Wohnungslose? Marcus Zander wünscht den Menschen auf der Straße, dass sie nicht allein sein müssen. Daher unterstützt die Stiftung Einrichtungen der Caritas und auch anderer Träger, damit diese auch über die Feiertage geöffnet bleiben können. Thomas Gleißner wünscht sich den wachen Blick von Passantinnen und Passanten: „Häufiger ein freundliches Wort für Menschen auf der Straße zu haben – das wäre schon mal ein Anfang.“
Sylvia M. ist entschlossen, die Weihnachtszeit zu genießen – trotz allem. Sie lässt sich von den Angeboten der Organisationen und Notunterkünfte überraschen. Für die Zukunft hofft sie auf Verbesserungen, „mehr sozialen Wohnungsbau, weniger Verschwendung öffentlicher Gelder“. Ihr größter Wunsch bleibt: ein Leben fernab der Straße. Nur nach Hause. Das wäre mal schön.
Der Deutsche Caritasverband wurde 1897 von einer kleinen Gruppe von Sozialreformern in Köln gegründet, um Menschen in sozialer Not zu unterstützen. Heute ist die Caritas der größte Wohlfahrtsverband Deutschlands. Auch im ZdK ist die Caritas vertreten.
Die Frank-Zander-Stiftung wurde 2024 in Berlin gemeinsam mit der Caritas gegründet. Sie unterstützt das Weihnachtsessen für wohnungslose Menschen, das Frank Zander bereits seit 30 Jahren ausrichtet. Zu „Weihnachten mit Frank Zander und Familie“ kommen jedes Jahr bis zu 3000 wohnungslose und arme Menschen ins Hotel Estrel. Neben dem Projekt Streetwork-Café „Nur nach Hause“ fördert die Stiftung auch Kältebusse, den Caritas-Foodtruck, das Caritas-Arztmobil und weitere Projekte der Obdachlosenhilfe unterschiedlicher Anbieter
Christopher Freese (Presseabteilung) und Sujana Thevarajah (Abteilung Katholikentage und Großveranstaltungen) arbeiten im Generalsekretariat des ZdK in Berlin. Sie haben das Café in der Großen Hamburger Straße Ende November besucht.
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