Zurückweisungen an den Binnengrenzen: eine Gefahr für den Rechtsstaat?
ZdK-Thema des Monats Juli 2025
Seit Anfang Mai werden im Rahmen der Grenzkontrollen an den deutschen EU-Binnengrenzen nicht nur Menschen ohne gültige Einreisedokumente zurückgewiesen. Auf Weisung des Bundesinnenministeriums (BMI) hin verwehren Bundespolizisten auch Schutzsuchenden die Einreise nach Deutschland. Ausgenommen sind nur vulnerable Menschen – also zum Beispiel Schwangere oder Minderjährige. Diese Maßnahmen gehören nun zum Alltag an den deutschen Grenzen – aber sind sie rechtmäßig?
Verstoß gegen Europarecht
Das BMI stützt sich dabei auf eine Regelung im deutschen Asylgesetz, nach der Asylsuchenden die Einreise zu verweigern ist, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat einreisen (§18 Abs. 2 Nr. 1 Asylgesetz). Diese Regelung ist – wie das Deutschen Instituts für Menschenrechte erläutert - allerdings gar nicht anwendbar. Denn das vorrangig geltende Europarecht regelt in der Dublin-III-Verordnung, dass bei jedem Asylantrag zunächst geprüft werden muss, welcher EU-Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Zu diesem Schluss kommt auch das Berliner Verwaltungsgericht, das in aufsehenerregenden Eilverfahren von drei somalischen Schutzsuchenden dem Kurs des BMI eine empfindliche Absage erteilte. Das Gericht setzte sich auch intensiv mit der Ausnahmeregelung auseinander, mit der die Anwendbarkeit des deutschen Rechts – trotz grundsätzlichem Vorrang des EU-Rechts – begründet wurde. Das BMI hatte sich dabei auf Art. 72 des Vertrags zur Arbeitsweise der Europäischen Union bezogen und eine Notlage in Deutschland behauptet. Dem Gericht reichten die vorgetragenen Gründe dafür nicht aus; es verpflichtete Deutschland, das Dublin-Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchzuführen.
Gefahr für den Rechtsstaat
Das BMI reagierte prompt – allerdings nur mit der Verlautbarung, es handele sich lediglich um Entscheidungen in Einzelfällen, die nationale Notlage liege weiterhin vor. Das Prinzip der Gewaltenteilung verpflichtet die Exekutive jedoch, sich an die Entscheidungen der Judikative vollumfänglich zu halten. Die grundlegenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Berlin lassen es als unwahrscheinlich erscheinen, dass ein anderes Gericht die Zurückweisungen anders beurteilen könnte. Das hätte das BMI zu einem – wenigstens vorübergehenden - Aussetzen der Maßnahmen und einer vertieften Prüfung der gerichtlichen Entscheidungen veranlassen müssen. Weitere beunruhigende Signale waren die unmittelbar nach der Entscheidung des Gerichts einsetzende mediale Diffamierungskampagne gegen die beiden beteiligten Richter und die Richterin und scharfe Vorwürfe gegen zivilgesellschaftliche Organisationen. Eine funktionierende Gewaltenteilung, unabhängige und unbehelligte Gerichte und eine starke Zivilgesellschaft sind zentrale Merkmale des Rechtsstaats. Diesen gilt es in weitaus größerem Maße als bisher zu schützen und zu verteidigen – das macht die Auseinandersetzung um Zurückweisungen an den Grenzen erschreckend deutlich.
Nele Allenberg, Leiterin der Abteilung Menschenrechtspolitik Inland und Europa im Deutschen Institut für Menschenrechte
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