Für ein faires und zukunftsorientiertes Freihandelsabkommen – Wichtige Anforderungen an TTIP

Erklärung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK)

Den globalen Handel mit Waren und Dienstleistungen gerecht zu gestalten, ist zentral für die Förderung von wirtschaftlicher Entwicklung und die Schaffung von Wohlstand in allen Ländern weltweit. Die kirchliche Soziallehre betont, dass das Wirtschafts- und Handelssystem dem Menschen dienen muss und nicht umgekehrt. Für uns als Christinnen und Christen sind die Würde des Menschen, die Bewahrung der Schöpfung und die sozialethischen Grundsätze des Gemeinwohls, der Solidarität und Subsidiarität zentrale Grundsätze des wirtschaftlichen Handelns. Auf dieser Basis begleitet das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) aufmerksam und kritisch die derzeitigen Verhandlungen zur transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen der EU und den USA. In diesem Papier werden Bedingungen formuliert, unter denen ein solches Abkommen sich positiv für die Menschen in den Partnerstaaten – aber auch in anderen Ländern – auswirken kann.

Handelsabkommen müssen nach unserem Verständnis zu gesicherter Beschäftigung, Einkommen und damit auch gesellschaftlicher Entwicklung in den Regionen dieser Welt beitragen. Aus Sicht des ZdK sind in unserer globalisierten Welt und im Sinne eines globalen Gemeinwohls grundsätzlich multilaterale Handelsregime unter Beteiligung aller Staaten zur Gestaltung eines fairen Welthandels prioritär und wünschenswert. Im Rahmen der WTO müssen daher die im Jahr 2001 zu Beginn der sogenannten "Doha-Entwicklungsrunde" gemachten Versprechungen der EU und der USA eingehalten werden, aus dieser Verhandlungsrunde tatsächlich eine Entwicklungsrunde zu machen. Dabei müssen substantielle Vorschläge etwa zur Verbesserung des Agrarabkommens und des Abkommens über geistige Eigentumsrechte vorgelegt werden, um ein gerechteres Welthandelsregime zu schaffen. Solange diese Verhandlungen jedoch stocken und eine Reform der Welthandelsordnung im Rahmen der WTO ausbleibt, können bilaterale oder regionale Handelsabkommen unter bestimmten Bedingungen dazu beitragen, zukünftige Strukturen für einen fairen Welthandel mitzugestalten.

Die aktuellen Verhandlungen zu TTIP haben eine intensive öffentliche Debatte über Kosten, Nutzen und Grenzen des Freihandels mit den USA und auch generell ausgelöst. In dieser sind Befürchtungen zu Tage getreten, dass durch TTIP bewährte Rechte und Standards in Europa wie Arbeitnehmerrechte, Verbraucher- oder Umweltschutz in Frage gestellt und unsere demokratischen und rechtsstaatlichen Systeme unterlaufen oder eingeschränkt werden könnten.

Diese Debatte ist auch auf die mangelnde Transparenz der ersten Phase der Verhandlungen, im Falle der EU von Seiten der Europäischen Kommission, zurückzuführen. Mittlerweile haben die Debatten im Europäischen Parlament, in den nationalen Parlamenten, in der Öffentlichkeit und der Druck der Zivilgesellschaft dazu geführt, dass die neue EU-Kommission veränderte Transparenzregeln und -praktiken eingeführt hat, durch die eine Unterrichtung der Öffentlichkeit über Zielsetzungen, Inhalte und Fortgang des Verhandlungsprozesses möglich geworden ist. Das ZdK fordert daher alle Beteiligten auf, diese Informationsmöglichkeiten wahrzunehmen und für einen intensiven demokratischen Konsultationsprozess mit allen gesellschaftlich relevanten Akteuren im Laufe der Verhandlungen zu nutzen. Ein offener Dialog und eine sachgerechte Diskussion, die die Sorgen der Kritiker ernst nimmt, ohne sich zum Verstärker bloßer Ressentiments zu machen, kann Vertrauen und Akzeptanz für den Verhandlungsprozess in der Öffentlichkeit schaffen. Eine substantielle, kontinuierliche Information und politische Einbindung der demokratischen Entscheidungsträger im Europäischen Parlament und den nationalen Parlamenten über den gesamten Verhandlungsprozess hinweg ist unbedingt notwendig.

Deutschland trägt als wichtige Wirtschafts- und Exportnation in der EU und weltweit eine besondere Verantwortung für einen fairen und gerechten Welthandel. Die Europäische Union ist nicht nur eine reine Wirtschaftsgemeinschaft, sondern versteht sich auch als Wertegemeinschaft, in der die Person im Mittelpunkt des Handelns steht[1] und die Wirtschaftsordnung sich am Leitbild einer internationalen sozialen und ökologischen Marktwirtschaft orientieren muss. Freihandelszonen, die allein eine Liberalisierung und Deregulierung der Märkte bezwecken, ohne die international anerkannten Standards der Humanität, der Nachhaltigkeit und der sozialen Gerechtigkeit sowie die vorrangige Option für die Armen zu berücksichtigen, lehnen wir ab.

Daher müssen bei der Bewertung eines Freihandelsabkommens alle positiven und negativen Wohlstandseffekte in den Blick genommen werden. In der Folgenabschätzung darf es keine einseitige Fokussierung auf positive ökonomische Folgen eines Freihandelsabkommens wie z.B. erhöhtes Wirtschaftswachstum oder einen Beschäftigungszuwachs in bestimmten Branchen geben. Es müssen ebenso mögliche Wohlfahrtsverluste wie erhöhte Umwelt- oder Gesundheitskosten sowie Verteilungswirkungen innerhalb oder zwischen den beteiligten Staaten sowie die Auswirkungen auf Drittstaaten berücksichtigt werden.

Für ein transatlantisches Freihandelsabkommen sind für das ZdK folgende Grundsätze von besonderer Bedeutung:

  1. Die Harmonisierung technischer Normen für einen erleichterten Marktzugang europäischer und amerikanischer Unternehmen ist in den Bereichen sinnvoll, in denen es um technische Normen im engeren Sinne geht. Eine solche Einigung stellt vor allem für kleinere und mittlere Unternehmen eine große Entlastung dar. Bei der Angleichung oder gegenseitigen Anerkennung von Normen und Qualitätsstandards muss die Einhaltung weltweiter Normen zum Arbeits-, Umwelt- und Gesundheitsschutz, wie z.B. die ILO-Kernarbeitsnormen, und die Einhaltung der UN-Menschenrechtskonventionen gewährleistet sein. So ist etwa die Anerkennung der ILO-Kernarbeitsnormen durch die USA eine zwingende Voraussetzung für den Abschluss eines zukunftsorientierten Freihandelsabkommens. Es darf durch TTIP zu keiner materiellen Absenkung der Schutzstandards in Umwelt-, Sozial-, Gesundheits- und Verbraucherschutzfragen kommen. Besonders ist darauf in Bereichen zu achten, in denen sich die EU und die USA durch grundlegend andere Systeme oder politische Präferenzen unterscheiden. So dürfen beispielsweise Kennzeichnungspflichten für bestimmte Produkte, wie gentechnisch verändertes Saatgut oder Lebensmittel, nicht umgangen werden.

     
  2. Das Recht zur Beibehaltung und Festsetzung von hohen Schutzstandards durch die EU oder ihre Mitgliedstaaten in sozialen und arbeitsrechtlichen Fragen sowie im Umwelt-, Gesundheits- und Verbraucherschutz muss gegenwärtig und zukünftig gewährleistet sein. Die demokratisch gewählten Entscheidungsträger müssen weiterhin auf neue technische und gesellschaftliche Entwicklungen im Sinne des Gemeinwohls reagieren können, um veränderte Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen oder bessere soziale Regelungen vereinbaren zu können. Solange die Befugnisse und die regulatorische Gestaltungsmacht demokratisch gewählter Instanzen wie der Parlamente nicht beeinträchtigt werden, können gemeinsame Gremien zur regulativen Kooperation zwischen den Vertragspartnern sinnvoll sein.

     
  3. Ein transatlantisches Freihandelsabkommen muss rechtsstaatlichen Standards und Verfahren genügen. Für das Ziel einer Nichtdiskriminierung ausländischer Investoren und eines schnellen, effektiven und unparteiischen Rechtsschutzes ist kein privates Schiedsgerichtsverfahren (ISDS - Investor-State-Dispute Settlement) notwendig. Anstelle der bisherigen ISDS-Verfahren fordert das ZdK zur Regelung von Handels- und Investitionsstreitigkeiten die Einrichtung eines eigenen Handelsgerichtshofes, der mit öffentlich bestellten Richtern besetzt ist, über eine Revisionsinstanz verfügt und transparente Verfahren gewährleistet. Ein solcher Handelsgerichtshof sollte Modell für einen zukünftigen internationalen Handelsgerichtshof sein, um rechtsstaatliche Standards auf globaler Ebene umzusetzen

     
  4. Ein transatlantisches Freihandelsabkommen muss entwicklungspolitisch kohärent sein und darf die Bemühungen um Armutsbekämpfung und nachhaltige wirtschaftliche Diversifizierung nicht negativ beeinflussen. Es darf keine direkte oder indirekte Benachteiligung der Länder des globalen Südens nach sich ziehen. Ein faires Freihandelsabkommen muss dafür Sorge tragen, dass es nicht zu einer Verdrängung von Produkten aus Entwicklungsländern kommt und dass der Aufbau von inländischen Wertschöpfungsstrukturen in diesen Ländern nicht beeinträchtigt wird. Deshalb sind Maßnahmen zur entwicklungsfreundlicheren Gestaltung von TTIP notwendig, damit auch Drittländer, insbesondere Entwicklungsländer, von einem transatlantischen Abkommen profitieren können. Dazu gehören beispielsweise die Ausdehnung der gegenseitigen Anerkennung von Normen und Standards auch auf Produkte von Drittstaaten oder vereinfachte und für Vormaterialien und Produkte aus Entwicklungsländern großzügig ausgestaltete Ursprungsregeln.

     
  5. Die öffentliche und soziale Daseinsvorsorge ist für uns keine Dienstleistung, die allein den Gesetzen des Marktes unterworfen werden darf. Sie dient dem Gemeinwohl und dem sozialen Ausgleich in den Gesellschaften. Deshalb ist sie besonders schützenswert. Sie muss weiterhin für alle zugänglich bleiben und hohen qualitativen, sozialen und umweltrechtlichen Standards genügen. Die Arbeit der freien und kirchlichen Wohlfahrtspflege als wichtige und gemeinnützige Erbringer von sozialen Dienstleistungen unterliegt besonderen sozialrechtlichen Rahmenbedingungen und Standards, die europarechtlich anerkannt sind. Ebenso gilt es, öffentlich geförderte Bildungsangebote zu schützen und sicherzustellen, dass die Beteiligung von privaten Anbietern auf der Grundlage von Bundes- oder Landesrecht genehmigungspflichtig bleibt. Daher dürfen im Rahmen von TTIP keine Verpflichtungen übernommen werden, die diese Regelungen beeinträchtigen. Wenn andere Einzelbereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge in das Abkommen einbezogen werden, dann ist aus Gründen der Transparenz und Rechtssicherheit eine Regelung, z.B. über Positivlisten, vorzunehmen.

     
  6. Der Abbau von Handelshemmnissen darf nicht zur Konsequenz haben, den besonderen Schutz für kulturelle Güter in Deutschland einzuschränken. Die öffentliche Kulturförderung muss in einem Freihandelsabkommen durch die Aufnahme wirksamer Klauseln geschützt werden.

Diese Grundsätze machen deutlich, dass es eines internationalen Handelssystems mit einem klaren Ordnungsrahmen bedarf, das neben dem Abbau von Handelshemmnissen auch eine Verpflichtung zu gemeinsam geteilten Werten und Standards enthält, die der Liberalisierung des internationalen Handels vorgeordnet sind.

Ein Freihandelsabkommen wie TTIP sollte – bei Erfüllung der oben genannten Bedingungen und bei der Verwirklichung hoher Standards – wirksame Veränderungen für den gesamten Welthandel entfalten. Angesichts des starken wirtschaftlichen Gewichts der vorgesehenen EU-USA-Freihandelszone können gegenwärtige oder zukünftig vereinbarte Standards langfristig globale Bedeutung erhalten und somit prägender Maßstab für eine multilaterale Handelsordnung sein, die hohe rechtsstaatliche, soziale und ökologische Anforderungen erfüllt.

Die TTIP-Verhandlungen sind ein wichtiger Anlass, um sich über weitergehende Fragen, die für einen fairen und gerechten Welthandel relevant sind, zu verständigen. Dazu gehört beispielsweise eine Vereinbarung zur endgültigen Abschaffung von Agrarexportsubventionen diesseits und jenseits des Atlantiks. Ein faires und zukunftsorientiertes Freihandelsabkommen muss im Einklang mit der neuen globalen „Agenda 2030“ zu einer nachhaltigen Entwicklung in unserer Einen Welt beitragen.


[1] Siehe Präambel der EU-Grundrechte-Charta.

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